Rechtsextreme Gruppierungen, die ein besonderes Interesse an Geschlecht haben, sind historisch nicht neu. So spielten Mütter in diesen Ideologien stets eine bedeutende Rolle für die Reproduktion der Nation (Birsl 1994). Mit diesen Weiblichkeitsvorstellungen waren in der extremen Rechten historisch auch immer spezifische Männerbilder verbunden, sollten doch starke Männer als schwach gesehene Frauen und verletzbare Mütter beschützen und die Nation als soldatische Männer verteidigen (Theweleit 1977). Heutige rechtsautoritäre Parteien und rechtsextreme Organisationen in Deutschland und Österreich, Länder, auf die sich meine Analyse bezieht, greifen diese Traditionen von Weiblichkeits- und Männlichkeitsbildern auf. Neben den sich selbst so bezeichnenden Interner Link: Identitären haben beide Länder sichtbare rechtsautoritäre Parteien, die Interner Link: Alternative für Deutschland (AfD) sowie die Interner Link: Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), die bei Wahlen zunehmend Erfolge erzielen. In Österreich versuchte sich zudem, wenn auch nicht sehr nachhaltig, die rechte Partei Team Stronach zu etablieren.
Extrem rechte Akteur:innen geben dem (Anti-)Gender-Diskurs eine spezifische Wendung: Ihr Kampf um „hegemoniale Männlichkeit“ (Connell 1999) fügt sich in den Kampf um kulturelle Hegemonie und Demokratiezerstörung ein.
BegriffsklärungHegemoniale Männlichkeit
Die australische Soziologin Raewyn Connell (1999) prägte das wissenschaftliche Konzept der „hegemonialen Männlichkeit“, um hervorzuheben, dass Männlichkeit keine biologische Gegebenheit, sondern eine gesellschaftliche Konstruktion ist, die unterschiedliche Formen von Männlichkeiten hervorbringt. Im Kampf um ein Ideal von Männlichkeit – eben „hegemoniale Männlichkeit“ –, das von keinem Mann erreicht werden kann, müssen sich Männer von anderen Männern wie auch von allem, was als weiblich gesehen wird, abgrenzen. Dies dient der Aufrechterhaltung einer hierarchischen Männlichkeit, die Männer in der sozial dominanten und Frauen in der untergeordneten Position vorsieht. Auf diese Weise entstehen soziale Hierarchien und Ungleichheiten sowie eine Struktur von Zweigeschlechtlichkeit, also die Vorstellung, dass es zwei – und nur zwei – eindeutig voneinander unterscheidbare Geschlechter, nämlich Mann und Frau, gibt.
Vorgeschichte
Die Interner Link: Neue Rechte knüpft an die seit den 1990er-Jahren in den Sozialen Medien präsente rechte Männerbewegung an. Incels (Involuntary Celibates), die unfreiwillig zölibatär lebenden Männer mit tief sitzendem Frauenhass, oder die sogenannte Mannosphäre des Internets bilden den ideologischen Boden für die „Männerphantasien“ des aktuellen Rechtsextremismus (Gesterkamp 2010; Kaiser 2020). Autoritär-rechte Akteur:innen greifen diese Erzählungen auf und sprechen vor allem Männer westlicher Mehrheitsgesellschaften als Opfer an. Die rechten Narrative deuten widersprüchliche und durchaus verunsichernde neoliberale Veränderungen im Alltag von Menschen als Bedrohung von Männlichkeit um, so z.B. soziale Entsicherung, unsichere Arbeitsmärkte und die allmähliche Auflösung des männlichen Familienernährermodells sowie die Integration von Frauen in die Erwerbsarbeit. Sie machen gleichzeitig Täter:innen aus: nämlich den Feminismus und Gleichstellungspolitiker:innen, aber auch erfolgreiche Frauen generell und vor allem Migranten und Muslime.
Daher proklamiert die autoritäre Rechte eine „Krise weißer Männlichkeit“, die Männer der Mehrheitsgesellschaft nicht nur als Opfer anspricht und sie sogar als schwächlich verunglimpft, sondern dieser so konstruierten Gruppe zugleich auch Rettung verspricht. Dieses Rettungsversprechen bezeichne ich als „maskulinistische Identitätspolitik“. Diese maskulinistische Identitätspolitik konstruiert hegemoniale Männlichkeit als weiß, stark, muskulär, souverän, heroisch und soldatisch, bereit, Frauen zu schützend, und wütend, um z.B. Migranten abzuwehren. Dadurch werden, wie ich im Weiteren zeigen werde, nicht nur vielfältige Männertypen konstruiert, um unterschiedliche Männer-, aber auch Frauengruppen als Wähler:innen zu adressieren, vielmehr bietet diese Strategie Anknüpfungspunkte für die Metapolitik der autoritären Rechten. Die politische Rechte zielt darauf, ihr anti-demokratisches, weil anti-egalitäres und autoritäres „Projekt“ durch Appelle an den Alltagsverstand und das (vermeintliche) Alltagswissen über Männlichkeit (und Weiblichkeit) in den Köpfen und Körpern der Menschen zu verankern.
KulturkampfWarum Geschlecht?
Rechtsextremismus ist ein diversifiziertes Feld von Ideologemen, Organisationsformen und Akteur:innen. Deutschland und Österreich, die Länder, auf die ich mich in meiner empirischen Analyse beziehe, haben eine lange, wenn auch unterschiedliche Tradition extrem rechter Gruppierungen und Organisationen wie den sogenannten Identitären. Das politische Projekt der autoritären Rechten zielt auf die Beseitigung demokratischer Selbstbestimmung mit einer Strategie der „Metapolitik“ (Sellner 2017). Es soll durch kulturelle Hegemonie politische Macht erlangen, also den Alltagsverstand verändern und sich nicht nur in die Köpfe, sondern auch in die Gefühlswelt der Menschen einschreiben.
Für diesen Kulturkampf eignen sich Geschlecht und Sexualität besonders gut, da diese vorbewusst in den Körper eingeschrieben und Zweigeschlechtlichkeit wie auch Heterosexualität seit dem 19. Jahrhundert als natürlich gelten. Vor allem werden alle Menschen in westlichen Ländern so erzogen, dass sie ein eindeutiges Geschlecht und eine auf das andere Geschlecht bezogene sexuelle Orientierung besitzen. Geschlecht und Sexualität wurden zu im Alltagsverstand unhinterfragt eingelagerten, „verkörperlichten“ Vorstellungen. Die Geschlechterstudien, die diese Natürlichkeit infrage stellen, können daher verunsichernd wirken. Rechte Akteur:innen greifen diese Verunsicherung auf und verbinden sie mit Ideen des Kontroll- und Identitätsverlusts sowie des Zerbrechens der Grundlagen von Gesellschaft, Staat und Nation.
Die „Krise weißer Männlichkeit“
Das Idealbild von Männlichkeit, also die Auseinandersetzung um hegemoniale Männlichkeit der autoritären Rechten, zielt auf eine körperlich starke, muskuläre und soldatische Männlichkeit, die bereit ist, eine Familie zu ernähren, Frauen zu schützen, aber auch die Nation zu verteidigen. Die Interner Link: autoritäre Rechte beharrt daher auf der Natürlichkeit von Zweigeschlechtlichkeit und heterosexuellem Begehren. Kritisiert wird demgegenüber die Infragestellung von hierarchischer Zweigeschlechtlichkeit und Heteronormativität. Im Kontext der rechtsextremen Anti-Gender-Strategie wird vor allem ein Verlust von Männlichkeit in der Mehrheitsgesellschaft, zugespitzt als „Krise weißer Männlichkeit“, beschworen.
Der Verlust männlicher Vormachtstellung in der Familie, die Erosion des männlichen Familienernährer-Modells habe dazu geführt, so Maximilian Krah, der AfD-Spitzenkandidat zur Interner Link: Europawahl 2024 in einem Twitter-Video, dass heterosexuelle Männer keine Freundinnen mehr fänden. Krah schreibt, dass heute „schwache, ‚post-heroische‘ und unmännliche Männer und kühle, einseitig berufsorientierte und unweibliche Frauen einander gegenüber [stehen]“ (Krah 2024: 39f.). Mit dieser Erzählung greift Krah mögliche existierende Unsicherheiten und Ängste – die Angst, den Job zu verlieren oder keine gutbezahlte Arbeit zu finden und damit sozialen Status zu verlieren – ebenso auf wie die Furcht, im Wettbewerb um Ansehen auch in der Freizeit oder der Partnersuche zu versagen.
Weiße Männer der Mehrheitsgesellschaften werden im rechts-autoritären Diskurs als Opfer von Frauen- und Gleichstellungspolitik, von Frauen überhaupt präsentiert, die ökonomischen und sozialen Transformationen werden also verleugnet oder umgedeutet. Scheidungsgesetze sowie gesetzliche Maßnahmen gegen Partnergewalt und sexuelle Belästigung bilden in der rechten Erzählung eine Bedrohung der Position von Männern (Unterberger 2015: 152ff.). Eine generelle „Antigewalt- und Antikörperlichkeitserziehung“ mache aus 80 Prozent der weißen Männer in Deutschland „Weicheier“, so Björn Höcke (2018: 114). Diese Benachteiligung beginne bereits in der Schule, wo Jungen Opfer von Lehrerinnen und Gleichstellungsmaßnahmen würden, denn sie müssten sich an die Verhaltensweisen von Mädchen anpassen und könnten somit männliche Werte wie „Mut“ und „Risiko“ nicht mehr erlernen, so Werner Reichel (2015: 109) ebenfalls in der Publikation des Team Stronach. Weiße Männer seien schwach und unmännlich, zunehmend verunsichert, gar feige, so Andreas Unterberger (2015: 152) in derselben Publikation.
Im rechten Diskursraum erscheint weiße Männlichkeit außerdem als durch eine „andere“ Sexualität in zweifacher Hinsicht bedroht: durch Homosexualität zum einen – daher wird die sogenannte „Homolobby“ als Gefahr präsentiert (Patrioten 2011). Zum anderen wird weiße Männlichkeit als durch die angeblich wilde, nicht gezügelte Sexualität migrierter junger Männer bedroht dargestellt, wie dies in rechten Reaktionen auf die Interner Link: sexualisierte Gewalt gegen Frauen in Köln zu Silvester 2015 zum Ausdruck kam. Dieses ethnosexistisch bzw. rassistische Argument (Dietze 2019) wird erneut mit der Opferidee verbunden: Weißen Männern werde nämlich demgegenüber die vermeintlich natürliche männliche Aggressivität durch Gleichstellungspolitiken ausgetrieben, ihre Sexualität werde gleichsam domestiziert. Höcke (2018: 113) formulierte plakativ: Das männliche Selbstbewusstsein sei „verkümmert“. Die rechte bundesdeutsche Journalistin Bettina Röhl (2015) schwadroniert in der Publikation des Team Stronach, einer ehemaligen österreichischen Partei, über die „hodenlose Gesellschaft“, und Krah (2024: 41) beklagt den sinkenden Testosteronpegel als Indiz für den Verlust von Männlichkeit. In ähnlicher Weise wirft Martin Sellner nach den Köln-Ereignissen weißen Männern vor, „verweichlichte“ und „verweiblichte“ „Softies“ zu sein, die „europäische Frauen“ nicht mehr schützen könnten (Sellner, zit. in Jäger u.a. 2019: 49f.).
Die autoritäre Rechte in Deutschland und Österreich befeuert eine moralische Geschlechter- und Sexualitätspanik, indem sie Männlichkeit als gefährdet, fragil, prekär und vulnerabel zeichnet und so Emotionen wie Angst und Furcht mit konkreten Opfer- und Feindbildern verknüpft. Der rechtsautoritäre Diskurs konstruiert Gruppen untergeordneter bzw. unterdrückter und marginalisierter Männlichkeiten, die verspottet werden – also Männer, die vermeintlich nicht in der Lage seien, Frauen zu schützen und zu verteidigen, weil sie verweichlicht seien. Auf der Grundlage dieser Opferthese propagiert die autoritäre Rechte einen umfassenden Verlust von Ordnung und Sicherheit, von Kontrolle über das eigene Leben und von Handlungsmacht, gebündelt in der drastischen Metapher einer „Krise der Männlichkeit“.
Pluralität rechtsextremer Männlichkeitsbilder
Dieser vermeintlichen Krise der Männlichkeit will Höcke mit einer neuen Männlichkeit begegnen. Auf einem AfD-Aufmarsch in Erfurt im November 2015 schwor er seine Zuhörer:innen entsprechend ein:
Rechtsautoritäre Akteur:innen inszenieren sich als Retter und machen ein Angebot der Selbstbestärkung von Männlichkeit – wie oben bereits geschrieben vor dem Hintergrund sich verändernder Geschlechterverhältnisse in neoliberalen Zeiten, in denen traditionelle Männlichkeitspositionen auf dem Arbeitsmarkt und in der Familie herausgefordert und infrage gestellt wurden.
Männlichkeitsbilder
Die „Wiedererringung“ von Männlichkeit impliziert einerseits einen patriarchal-paternalistischen Männertyp, nämlich den männlichen Familienernährer, der wieder in sein Recht gesetzt werden soll und für seine Ehefrau und die Familie, aber auch für größere Dinge wie die Nation zu sorgen hat (Höcke 2018: 118f.).
Mit der Resouveränisierung ist andererseits ein autonomer, heroischer, aggressiver, militaristischer und kriegerisch-soldatischer Männertyp sowie die Aufwertung maskulinistischer Eigenschaften wie „Wehrhaftigkeit“ (Höcke), „Mut“ und „Risiko“ (Reichel 2015: 109) verbunden. Damit geht auch eine emotionale Resouveränisierung von Maskulinismus einher – nämlich das Recht darauf, aggressiv, wütend und hasserfüllt zu sein, insbesondere gegenüber den als „Andere“ Identifizierten. Marc Jongen (2017), der selbst, ähnlich wie der österreichische Identitäre Martin Sellner, einen intellektuellen Männertyp performiert, propagierte im rechten Think Tank Interner Link: Institut für Staatspolitik ein „Thymos-Training im Zeitalter der Migration“, das eine maskulinistische Aggressivität und die rechtmäßige Betonung von Mut und Zorn hervorbringen soll. Gleichzeitig berechtigt rechtsautoritäre Mobilisierung zu „Sorglosigkeit“, entlastet Männer von Sorgeverantwortungen – z.B. für Kinder, kranke oder alte Menschen. Diese Sorglosigkeit ist die Basis für die sogenannte „rohe Bürgerlichkeit“ (Heitmeyer 2018).
Das rechtsautoritäre Hegemonieprojekt enthält aber auch ein Versprechen der Sorge. Die Mobilisierung des Wir einer wiedergewonnenen Männlichkeit verspricht Solidarität und Liebe – und die „Heimat“ wird zur Metapher dieser Solidargemeinschaft ebenso wie die heterosexuelle Kleinfamilie. Das rechtsautoritäre Angebot einer maskulinistischen Selbstvergewisserung ist nicht nur für Männer, sondern auch für Frauen attraktiv (Dietze 2020) – für jene Frauen, die von der Doppelbelastung der neoliberalen Emanzipation erschöpft sind und sich nach einem männlichen Ernährer sehnen und darin neue Handlungsfähigkeit erhoffen.
Maskulinismus, Männlichkeiten und Metapolitik. Fazit
Angeboten werden im rechtsautoritären Diskurs unterschiedliche Männlichkeitstypen, die Anknüpfungen für eine metapolitische Strategie bieten. In der hegemonialen Auseinandersetzung wertet die autoritäre Rechte Frauen als zu beschützende und schwache Personen, Interner Link: Trans*Personen hingegen als unnormal ab. Männlichkeit fügt sie in einen Wettbewerb zu anderen Männern ein – nicht zuletzt, indem sie Männer abwertet und lächerlich macht und so einen Niedergang beschwört. Der unterworfene und schwache Typ wird besonders drastisch und sarkastisch gezeichnet, um aus dieser niederschmetternden Situation dann die rechtsautoritären „Lösungsvorschläge“ umso attraktiver erscheinen zu lassen. Mit unterschiedlichen Männlichkeitstypen findet die autoritäre Rechte also teilweise Anknüpfungspunkte im widersprüchlichen Alltag der Menschen und kann dort ihre antidemokratische Strategie der Ungleichheit, der Führerschaft und des Militarismus verankern.