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Rechtsextreme Diskursstrategien | Rechtsextremismus | bpb.de

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Rechtsextreme Diskursstrategien

Matthias Meyer

/ 8 Minuten zu lesen

Die Nutzung von NS-Vokabular, geschichtsrevisionistische Aussagen oder NS-Verherrlichung sind in der Regel keine willkürlichen Vorkommnisse im öffentlichen Diskurs. Diese Aussagen sind eingebettet in eine metapolitische Strategie der extremen Rechten, mit der kulturelle Hegemonie angestrebt wird.

Die Umdeutung von Wörtern ist eine Strategie der Neuen Rechte, um sie im Diskurs zu normalisieren und zu etablieren. (© picture-alliance/dpa, Bernd von Jutrczenka)

Diskursinterventionen

Diskurse sind zentral für das gesellschaftliche Selbstverständnis und die politische Aushandlung desselben. Sie geben nicht nur individuelle und überindividuelle Ansichten und gesellschaftliche Verhältnisse wieder. Sie strukturieren sie auch, indem sie auf Einstellungsmuster zurückwirken, beispielsweise über Sagbarkeitsbereiche und -grenzen sowie durch deren Einhaltung oder Verschiebung. Genau auf diese Diskurse einzuwirken und sie sukzessive zu verschieben, ist das Ziel rechtsextremer Diskursinterventionen. Diese zeigen sich dabei vor allem in der öffentlichen (Re-)Etablierung extrem rechter Begriffe, Geschichtsrevisionismus und inhaltlichen Verschiebungen innerhalb bestimmter Themensetzungen, die im gesellschaftlichen Diskurs normalisiert werden sollen.

Aber auch die Etablierung oder Interner Link: Umdeutung von Begriffen zählt hierunter, etwa die Absicht den Begriff Interner Link: ‚völkisch‘ wieder ‚positiv zu besetzen‘ oder das aktuelle Beispiel der rassistisch-völkischen Umdeutung von Interner Link: ‚Remigration‘.

Aktuelles BeispielNS-Vokabular

Im Mai 2024 wurde der Thüringer Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) Björn Höcke wegen der Nutzung einer SA-Parole zu 13.000€ Strafe verurteilt. Im Juni folgte der nächste Prozess wegen einer erneuten Nutzung dieser Parole. Hier soll er das Publikum bewusst dazu ermutigt haben, die von ihm nur teilweise ausgesprochene Parole zu vervollständigen und damit erneut erklingen zu lassen. Abermals wurde Höcke erstinstanzlich verurteilt, diesmal zu einer Zahlung von 16.900€. Im Prozess selbst soll sich der Geschichtslehrer jeweils ahnungslos über die Herkunft dieser Losung der „Bürgerkriegsarmee“ (Müller/Zilkenat 2013) SA gegeben haben.

Der Soziologe Andreas Kemper (2024) hat dokumentiert, wie diese Parole seit jeher in der Neonazi-Szene und seit deren Gründung auch von AfD-Funktionären verwendet wird. Auch wegen einer zurückliegenden Auseinandersetzung um die Nennung der Parole von dem Parteikollegen Kay-Uwe Ziegler im Jahr 2020 war es für das Gericht unplausibel, dass Höcke die Herkunft der Parole nicht kennen soll.

Themensetzung und inhaltliche Verschiebung

Am Beispiel Migration zeigt sich, wie neben der (Re-)Etablierung extrem rechter Begriffe die inhaltliche Verschiebung innerhalb bestimmter Themen und die Themensetzungen an sich Diskurse verschieben. So ist das Thema Migration beinahe dauerhaft im öffentlichen Diskurs und der politischen Berichterstattung präsent, obwohl die Interner Link: Zahl der Asylanträge und der Zuwandernden seit 2015 starken Schwankungen unterliegt. Der Politikwissenschaftler Werner Krause weist darauf hin, dass die AfD das Thema Migration gleichsam alsExterner Link: ‚Trichter‘ nutzt, den jedes andere gesellschaftliche Thema – wie beispielsweise Wohnen oder Bildung – passieren muss, um dieses mit Migration zu assoziieren. So schlägt die AfD politisches Kapital daraus, wenn das Thema Migration im öffentlichen Diskurs präsent ist. Das Thema Migration wird dabei inhaltlich beinahe durchgängig als etwas Problematisches oder im Zusammenhang mit Sicherheit und Gefahr Stehendes diskutiert, obwohl Migration – gerade in den Externer Link: abwanderungsreichen Regionen Ostdeutschlands – substantiell für die Wirtschaft und die gesellschaftliche Funktionsfähigkeit ist.

Das Ziel: Kulturelle Hegemonie

Akteur*innen aus dem extrem rechten Spektrum, die häufig mit dem Begriff Interner Link: ‚Neue Rechte‘ bezeichnet werden, haben diese Strategie der ‚Metapolitik‘ – als Eroberung der gesellschaftlichen Deutungshoheit und kulturellen Hegemonie mittels Diskurskaperung und -verschiebung – schon vor längerer Zeit vorgegeben (Leggewie 1987). Diese kulturelle Hegemonie wird dabei vor allem im sogenannten vorpolitischen Raum angestrebt, also etwa im Freizeit-, Arbeits- und Alltagsumfeld, überall dort, wo nicht ‚Politik‘ im engen Sinne stattfindet. Entscheidend ist die Präsenz in der öffentlichen Debatte – sowohl in klassischen als auch Sozialen Medien –, um den Diskurs mitzuprägen, zu verschieben und auf diese Weise eigene Themen zu setzen.

Theoretische Grundlage Hegemonie nach Gramsci

Inhaltlich wurde sich hierfür bei den Analysen des marxistischen italienischen Philosophen Antonio Gramsci (1891–1937) bedient. Gramsci wurde 1926 in seiner Funktion als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens von den italienischen Faschisten verhaftet. In der folgenden Haftzeit veröffentlichte er die sogenannten Gefängnishefte, in denen er sich mit der Weiterentwicklung marxistischer Theorie beschäftigte, insbesondere über die rein materialistischen Aspekte hinaus. Zentraler Begriff Gramscis ist die (kulturelle) Hegemonie (aus dem Griechischen von hēgemonía = anführen), also der Meinungsführerschaft. Die Ideen Gramscis, eines frühen Antifaschisten, werden dabei entkontextualisiert und umgedeutet.

Ist diese kulturelle Hegemonie erlangt, kann der politische Machtwechsel – so die weitere Logik – anschließend als (mehr oder weniger notwendige) Konsequenz folgen und auf legalistischem Wege, also durch Wahlen, vollzogen werden. Hierfür wird versucht, Unterstützung in der Breite der Gesellschaft aufzubauen, aber auch gezielt bei gesellschaftlichen und kulturellen Eliten, sowie an zentralen institutionellen Schaltstellen. Diese legalistische Strategie steht damit in Kontrast zum Vorgehen anderer extrem rechter Gruppen, etwa der so genannten ‚Patriotischen Union‘, einer mutmaßlich rechtsterroristischen Vereinigung von Reichsbürger*innen, die im Geheimen einen gewaltsamen politischen Umsturz plante. Im Folgenden werden einige Strategien erläutert, derer sich beim Versuch, dieses Ziel auf legalistischem Wege zu erreichen, bedient wird.

Kaderschmiede, Literaturkanon und Raumnahme

Zentrales Element der Strategie ist der Aufbau einer eigenen Kaderschmiede, wie dies in Schnellroda stattfindet, wo bis vor kurzem das ‚Institut für Staatspolitik (IfS)‘ ansässig war. In mittlerweile anderer Gestalt wird regelmäßig in sogenannten Winter-, Sommer- oder Herbstakademien eine begrenzte Zahl ausgewählter Teilnehmer*innen von intellektuellen Rechten und anderen ‚Szenegrößen‘ geschult. Unter den Vortragenden finden sich dabei neben AfD-Politiker*innen auch Mitglieder der Interner Link: Identitären Bewegung, der als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ eingestuften Jungen Alternative, rechte Burschenschaftler und (ehemalige) Mitglieder neonazistischer Vereinigungen sowie gelegentlich Personen aus der internationalen extremen Rechten wie etwa der Gewalt glorifizierende Maskulinist Jack Donovan. Aktuell beschäftigt sich besonders Benedikt Kaiser als langjähriger Autor der neurechten ‚Sezession‘ und des ‚Verlag Antaios‘, beide ebenfalls in Schnellroda angesiedelt, mit einer rechten Interpretation Gramscis. Über Benedikt Kaiser berichtete 2023 die Externer Link: Welt, dass er Mitglied der mittlerweile verbotenen ‚Nationalen Sozialisten Chemnitz‘ sowie der ‚NS-Boys‘ war und nun als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei dem AfD-Abgeordneten Jürgen Pohl arbeitet. Damit hat er einen Hausausweis für und ein eigenes Büro im Bundestag. Hieran zeigt sich, wie einerseits ein rechter Literaturkanon und eine rechte intellektuelle Elite aufgebaut werden soll und gleichzeitig mehr oder weniger direkte Wege in die Politik gesucht werden.

Nicht nur über das Verlegen eigener Bücher, auch über Buch- und Literaturbesprechungen wird Einfluss im Literaturbetrieb gesucht. Neben Podcasts wie ‚Von rechts gelesen‘ gibt es beispielsweise ‚ein Literaturgespräch‘, in denen Götz Kubitschek und Erik Lehnert Schriftsteller besprechen, die für die ‚Neue Rechte‘ zentral sind, oder die von Ellen Kositza und Susanne Dragen gemeinsam moderierte Literatursendung ‚Aufgeblättert. Zugeschlagen. Mit Rechten lesen‘.

Gleichzeitig zur diskursiven Raumnahme wird auch die Schaffung physischer Räume vorangetrieben, wie die aktuellen Beispiele Externer Link: Chemnitz und Schopkau zeigen, wo die Identitäre Bewegung Gebäude kauft, um sie als Zentren und Wohnprojekte zu nutzen.

Social Media

Die geschickte Nutzung neuer Medien zeichnet ebenso die extreme Rechte aus. Was vor einem knappen Jahrhundert der Volksempfänger ermöglichte, Interner Link: funktioniert nun über TikTok: Ungefilterte, direkte Kommunikation zu Anhänger*innen und potentiellen Wähler*innen, ohne dass Journalist*innen oder andere Medienschaffende ihre sogenannte Gatekeeperfunktion wahrnehmen können. Nicht nur Personen aus der ‚Neuen Rechten‘ wie Martin Sellner sind dabei sehr erfolgreich, auch der parlamentarische Arm der (extremen) Rechten weiß wie keine andere Partei Social Media zu bespielen: Die Videos der AfD werden auf TikTok im Durchschnitt fast fünfmal häufiger angeklickt als die der zweiterfolgreichsten Partei, der CDU/CSU-Fraktion. Die Videos der AfD erreichen mehr Menschen als die aller anderen Parteien zusammengenommen (Hillje 2024). So kann (extrem) rechtes Vokabular einfacher normalisiert werden und Eingang in die Alltagssprache finden. Hier ist es für die Akteur*innen von Vorteil, dass sich die Funktionsweise der Social Media-Algorithmen und populistische Agitationsmuster als wesensverwandt zeigen: Extreme, emotionalisierende und/oder provozierende Inhalte werden innerhalb der Aufmerksamkeitsökonomie von Social Media durch größere Sichtbarkeit belohnt.

Tabubruch

Wie an der oben dargestellten Aussage Höckes zu erkennen, folgt auf diese extremen und provozierenden Aussagen – die häufig als Tabubruch platziert werden – meist ein leichtes Zurückrudern, entweder durch eine halbgare Entschuldigung oder mit dem Verweis auf Unkenntnis über den Sachverhalt. Das ist jedoch irrelevant für den Effekt, denn die Aussage wurde dessen ungeachtet im öffentlichen Diskurs platziert und normalisiert sich mit jeder Wiederholung, Berichterstattung, Bezugnahme und Rezeption.

Klagen

Nicht zuletzt werden so genannte SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation) genutzt. SLAPPs sind Klagen von rechtsextremer Seite, deren Ziel es ist, unliebsame Berichterstattung im öffentlichen Diskurs zu unterdrücken und unerwünschte Stimmen oder Kritiker*innen mundtot zu machen. Neben diesen Klagen werden häufig auch Abmahnungen und andere juristische Einschüchterungen genutzt, die sich allesamt unter dem Begriff ‚juristische Interventionen‘ zusammenfassen lassen. Eine Studie, die der Erhellung des Dunkelfelds in diesem Bereich dient, zeigt, dass die Hälfte aller Klagen, die aus dem (extrem) rechten Spektrum erfasst wurden, aus Parteien heraus kommen (Helmert et al. 2023: 24). 2014, ein Jahr nach Gründung der AfD, zeigte sich ein sprunghafter Anstieg dieser Klagen (ebd.: 18).

Fazit

Für den vorpolitischen Raum – etwa die Familie, den Sportverein, das gemeinsame Hobby – zeigt sich, dass eine Gegenrede gegen antidemokratische Aussagen wirksam sein kann, um rechtsextremen Diskursinterventionen und damit der Normalisierung dieser Ansichten und Aussagen entgegen zu wirken. Diverse Studien der letzten Jahre und Jahrzehnte zeigen zunehmend autoritäre Einstellungen (Heitmeyer 2012: 35) und dass antidemokratische Einstellungen kein ‚Rand‘-Phänomen, sondern in Teilen der Mitte der Bevölkerung verankert sind (Decker et al. 2022: 36; Küpper/Sandal-Önal/Zick 2023: 91ff.). Solche Aussagen können also teils auf fruchtbaren Boden fallen.

Im politischen Raum wird sich häufig noch an in den 2000er-Jahren vielfach rezipierten Studien orientiert, die nahelegten, dass das Nachahmen bzw. die Übernahme von Positionen kleiner Splitterparteien durch etablierte Parteien erstere tendenziell politisch unbedeutender macht (Meguid 2005). Neuere Studien legen jedoch das Gegenteil nahe: Werden (extrem) rechte Positionen übernommen, können die rechtsextremen Akteur*innen vor allem selbst politisches Kapital daraus schlagen (Krause/Cohen/Abou-Chadi 2022). Zusätzlich trägt die Übernahme der Diskurspositionen zur gesellschaftlichen Normalisierung der Inhalte bei, denn es spielt eine entscheidende Rolle, wer bestimmte Dinge sagt. Im letzten Jahr hat eine Gruppe Forschender aus Oxford und Harvard experimentell untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn ‚normverletzende‘ (norm-breaching) Aussagen von extrem rechten oder von konservativen Politiker*innen getätigt werden. Kurz zusammengefasst: Normverletzende und menschenfeindliche Aussagen haben eine ungleich höhere Wirkung auf das demokratisch orientierte Publikum, wenn sie nicht von extrem rechten Politiker*innen stammen (Chua et al 2023).

Auch für die mediale Berichterstattung zeigt sich, dass jede Plattform für die extreme Rechte zuerst einmal vor allem genau das ist: eine Plattform. Der Effekt einer ‚Entzauberung‘, etwa durch Interviews, konnte nicht nachgewiesen werden (Bolet/Foos 2023).

Quellen / Literatur

Bolet, D. & Foos, F. (2023). Media platforming and the normalisation of extreme right views. OSF Preprints. Abrufbar unter Externer Link: https://osf.io/preprints/socarxiv/urhxy.

Chua, J., Valentim, V., Ziblatt, D. & Dinas, E. (2023). How Mainstream Politicians Erode Norms: Evidence from two survey experiments. OSF Preprints. Abrufbar unter Externer Link: https://osf.io/preprints/osf/mjbnf.

Claus, R. (2014). Maskulismus. Antifeminismus zwischen vermeintlicher Salonfähigkeit und unverhohlenem Frauenhass. Friedrich-Ebert-Stiftung. Abrufbar unter Externer Link: https://library.fes.de/pdf-files/dialog/10861.pdf.

Decker, O., Kiess, J., Heller, A., Schuler, J. & Brähler, E. (2022). Die Leipziger Autoritarismus Studie 2022: Methode, Ergebnisse und Langzeitverlauf. In O. Decker, J, Kiess, A. Heller & E. Brähler (Hg.), Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Die Leipziger Autoritarismusstudie 2022. Psychosozial Verlag.

Heitmeyer, W. (2012). Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) in einem entsicherten Jahrzehnt. In: Ders., Deutsche Zustände: Folge 10. Berlin: Suhrkamp.

Helmert, C., Thürling, M., Treidl, J. & Mönig, A. (2023). “Sie versuchen uns damit zu lähmen.” Eine Dunkelfeldstudie zum strategischen Einsatz von juristischen Mitteln durch rechtsextreme Akteur*innen gegen die Zivilgesellschaft. Jena. Abrufbar unter: Externer Link: https://www.idz-jena.de/fileadmin/user_upload/Publikationen/Dunkelfeldstudie_GegenRechtsSchutz..pdf.

Hillje, J. (2024). Social Media: Die digitale Dominanz der AfD brechen! In Blätter für deutsche und internationale Politik, 69(2), S. 13-16. Abrufbar unter Externer Link: https://www.blaetter.de/ausgabe/2024/februar/social-media-die-digitale-dominanz-der-afd-brechen.

Kemper, A. (2024). „Alles für Deutschland“, die Erkennungslosung der Neonazis. Campact Blog. Abrufbar unter Externer Link: https://blog.campact.de/2024/05/alles-fuer-deutschland-die-erkennungslosung-der-neonazis.

Krause, W., Cohen, D. & Abou-Chadi, T. (2022). Does accomodation work? Mainstream party strategies and the success of radical right parties. In Political Science Research and Methods, 11(1), S. 172-179. Abrufbar unter: Externer Link: https://www.cambridge.org/core/journals/political-science-research-and-methods/article/does-accommodation-work-mainstream-party-strategies-and-the-success-of-radical-right-parties/5C3476FCD26B188C7399ADD920D71770.

Küpper, B., Sandal-Önal, E. & Zick, A. (2023). Demokratiegefährdende Radikalisierung in der Mitte. In: A. Zick, B. Küpper & N. Mokros (Hg.), Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in der Mitte. Friedrich-Ebert-Stiftung.

Leggewie, C. (1987). Kulturelle Hegemonie – Gramsci und die Folgen. In Leviathan, 15(2), S. 285-304. Meguid, B. M. (2005). Competition Between Unequals: The Role of Mainstream Party Strategy in Niche Party Success. In American Political Science Review, 99 (3), S. 347-359.

Müller, Y. & Zilkenat, R. (2013): Bürgerkriegsarmee. Forschungen zur nationalsozialistischen Sturmabteilung (SA). Frankfurt/Main:Peter Lang.

Volpers, S. (2020). Neue rechte Männlichkeit. Antifeminismus, Homosexualität und Politik des Jack Donovan. Hamburg: Marta Press.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Marcus Bensmann, Anna Kassin und Justus von Daniels haben für diesen Begriff nachgezeichnet, wie die ursprünglich enthaltene Freiwilligkeit (‘Rückwanderung’) aus der Bedeutung herausgestrichen wurde und anschließend die Normalisierung des umgedeuteten Begriffs von dem neurechten Verleger Götz Kubitschek vorgegeben und dann vor allem von den AfD-Politikern Maximilian Krah und Matthias Helferich, dem rechtsextremen Aktivisten Martin Sellner und anderen umgesetzt wurde: Externer Link: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/06/04/krah-sollte-vertreibungsplaene-waehlbar-machen/

  2. Der Blick nach Frankreich zeigt zudem, dass die Aufnahmezahlen auch erheblich niedriger sein können und Migration trotzdem politisch als omnipräsentes Mobilisierungsthema funktioniert.

  3. In der Politikwissenschaft wird die AfD als rechtspopulistische oder auch rechtsradikale, völkisch-nationalistische und rassistische Partei eingeordnet (vgl. bspw. Biskamp 2021; Häusler 2018). Sowohl die AfD als auch ihre Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“ werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfälle für rechtsextremistische Bestrebungen geführt. Um diese und zum Teil weiterführende Einstufungen befindet sich die Partei in einem Rechtsstreit mit dem Bundesamt. Auch die Landesverbände Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen gehen zum Teil juristisch gegen die jeweiligen Landesverfassungsschutzbehörden vor, da diese sie als „gesichert rechtsextremistisch“ führen.

  4. Das an die Bundesagentur für Arbeit angegliederte Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) spricht von einer notwendigen Nettozuwanderung von 400.000 Migrant*innen pro Jahr: Externer Link: https://www.iab-forum.de/warum-braucht-deutschland-400-000-migranten-pro-jahr/.

  5. ‘Neue Rechte’ ist ein stark irreführender, selbst gegebener Name, der die Kontinuitäten zur ‘alten Rechten’, also zum Nationalsozialismus verschleiern soll. Deshalb wird auch gelegentlich von der “Neuen” Rechten oder der ‘Intellektuellen Rechten’ gesprochen.

  6. Die Unterscheidung zwischen ‚demokratisch‘ und ‚demokratisch gewählt‘ ist an dieser Stelle zentral. Nur weil eine Partei demokratisch gewählt wird, bedeutet es nicht, dass sie demokratisch ist, wie schon ein Blick auf die Interner Link: Wahl vom 31.07.1932 zeigt, in der die NSDAP in freien Wahlen 37,3 Prozent der Wählerstimmen erlangte.

  7. Das IfS wurde 2019 von Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt und 2023 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als ‘gesichert rechtsextremistisch’ eingestuft und hat in der Folge die Gemeinnützigkeit verloren. Nun wurde es aufgelöst, um einem Verbot zuvorzukommen. Das Unternehmen ‘Metapolitik’ besorgt von nun an die Herausgabe der hauseigenen Zeitschrift ‘Sezession’ und unter ‘Menschenpark’ werden die Veranstaltungen weitergeführt.

  8. Die Junge Alternative (JA) ist die Jugend-/Nachwuchsorganisation der AfD. Die Junge Alternative hat am 7. Februar 2024 Beschwerde gegen die Einstufung eingelegt.

  9. Maskulismus/Maskulinismus bezeichnet eine reaktionäre, antifeministische Strömung von ‚Männerrechtlern‘, die die Gleichstellung der Geschlechter als vollendet bzw. ‚übererreicht‘ ansehen und folglich Männer als nun diskriminiertes Geschlecht. Hierfür werden Begriffe wie ‚Gleichberechtigung‘ umgedreht, um dezidiert gegen feministische Anliegen zu agitieren (Claus 2014; ausführlich zu Donovan Volpers 2020).

  10. Nach seiner Wiederzulassung zu X (vormals Twitter) verzeichnet Sellner bereits wieder mehr als 70.000 Follower*innen.

  11. Übersetzt: Strategische Klagen gegen öffentliche Teilhabe.

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Matthias Meyer forscht am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) Jena im Projekt Wissensnetzwerk Rechtsextremismusforschung (Wi-REX, www.wi-rex.de). Meyer forscht zu Strategien und Akteur*innen der extremen Rechten mit Blick auf die „Neue Rechte“ sowie zu Ideologien der Ungleichwertigkeit und gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen.