Diskursinterventionen
Diskurse sind zentral für das gesellschaftliche Selbstverständnis und die politische Aushandlung desselben. Sie geben nicht nur individuelle und überindividuelle Ansichten und gesellschaftliche Verhältnisse wieder. Sie strukturieren sie auch, indem sie auf Einstellungsmuster zurückwirken, beispielsweise über Sagbarkeitsbereiche und -grenzen sowie durch deren Einhaltung oder Verschiebung. Genau auf diese Diskurse einzuwirken und sie sukzessive zu verschieben, ist das Ziel rechtsextremer Diskursinterventionen. Diese zeigen sich dabei vor allem in der öffentlichen (Re-)Etablierung extrem rechter Begriffe, Geschichtsrevisionismus und inhaltlichen Verschiebungen innerhalb bestimmter Themensetzungen, die im gesellschaftlichen Diskurs normalisiert werden sollen.
Aber auch die Etablierung oder
Aktuelles BeispielNS-Vokabular
Im Mai 2024 wurde der Thüringer Vorsitzende der Alternative für Deutschland (AfD) Björn Höcke wegen der Nutzung einer SA-Parole zu 13.000€ Strafe verurteilt. Im Juni folgte der nächste Prozess wegen einer erneuten Nutzung dieser Parole. Hier soll er das Publikum bewusst dazu ermutigt haben, die von ihm nur teilweise ausgesprochene Parole zu vervollständigen und damit erneut erklingen zu lassen. Abermals wurde Höcke erstinstanzlich verurteilt, diesmal zu einer Zahlung von 16.900€. Im Prozess selbst soll sich der Geschichtslehrer jeweils ahnungslos über die Herkunft dieser Losung der „Bürgerkriegsarmee“ (Müller/Zilkenat 2013) SA gegeben haben.
Der Soziologe Andreas Kemper (2024) hat dokumentiert, wie diese Parole seit jeher in der Neonazi-Szene und seit deren Gründung auch von AfD-Funktionären verwendet wird. Auch wegen einer zurückliegenden Auseinandersetzung um die Nennung der Parole von dem Parteikollegen Kay-Uwe Ziegler im Jahr 2020 war es für das Gericht unplausibel, dass Höcke die Herkunft der Parole nicht kennen soll.
Themensetzung und inhaltliche Verschiebung
Am Beispiel Migration zeigt sich, wie neben der (Re-)Etablierung extrem rechter Begriffe die inhaltliche Verschiebung innerhalb bestimmter Themen und die Themensetzungen an sich Diskurse verschieben. So ist das Thema Migration beinahe dauerhaft im öffentlichen Diskurs und der politischen Berichterstattung präsent, obwohl die
Das Ziel: Kulturelle Hegemonie
Akteur*innen aus dem extrem rechten Spektrum, die häufig mit dem Begriff
Theoretische Grundlage Hegemonie nach Gramsci
Inhaltlich wurde sich hierfür bei den Analysen des marxistischen italienischen Philosophen Antonio Gramsci (1891–1937) bedient. Gramsci wurde 1926 in seiner Funktion als Generalsekretär der Kommunistischen Partei Italiens von den italienischen Faschisten verhaftet. In der folgenden Haftzeit veröffentlichte er die sogenannten Gefängnishefte, in denen er sich mit der Weiterentwicklung marxistischer Theorie beschäftigte, insbesondere über die rein materialistischen Aspekte hinaus. Zentraler Begriff Gramscis ist die (kulturelle) Hegemonie (aus dem Griechischen von hēgemonía = anführen), also der Meinungsführerschaft. Die Ideen Gramscis, eines frühen Antifaschisten, werden dabei entkontextualisiert und umgedeutet.
Ist diese kulturelle Hegemonie erlangt, kann der politische Machtwechsel – so die weitere Logik – anschließend als (mehr oder weniger notwendige) Konsequenz folgen und auf legalistischem
Kaderschmiede, Literaturkanon und Raumnahme
Zentrales Element der Strategie ist der Aufbau einer eigenen Kaderschmiede, wie dies in Schnellroda stattfindet, wo bis vor kurzem das ‚Institut für Staatspolitik (IfS)‘
Nicht nur über das Verlegen eigener Bücher, auch über Buch- und Literaturbesprechungen wird Einfluss im Literaturbetrieb gesucht. Neben Podcasts wie ‚Von rechts gelesen‘ gibt es beispielsweise ‚ein Literaturgespräch‘, in denen Götz Kubitschek und Erik Lehnert Schriftsteller besprechen, die für die ‚Neue Rechte‘ zentral sind, oder die von Ellen Kositza und Susanne Dragen gemeinsam moderierte Literatursendung ‚Aufgeblättert. Zugeschlagen. Mit Rechten lesen‘.
Gleichzeitig zur diskursiven Raumnahme wird auch die Schaffung physischer Räume vorangetrieben, wie die aktuellen Beispiele Externer Link: Chemnitz und Schopkau zeigen, wo die Identitäre Bewegung Gebäude kauft, um sie als Zentren und Wohnprojekte zu nutzen.
Social Media
Die geschickte Nutzung neuer Medien zeichnet ebenso die extreme Rechte aus. Was vor einem knappen Jahrhundert der Volksempfänger ermöglichte,
Tabubruch
Wie an der oben dargestellten Aussage Höckes zu erkennen, folgt auf diese extremen und provozierenden Aussagen – die häufig als Tabubruch platziert werden – meist ein leichtes Zurückrudern, entweder durch eine halbgare Entschuldigung oder mit dem Verweis auf Unkenntnis über den Sachverhalt. Das ist jedoch irrelevant für den Effekt, denn die Aussage wurde dessen ungeachtet im öffentlichen Diskurs platziert und normalisiert sich mit jeder Wiederholung, Berichterstattung, Bezugnahme und Rezeption.
Klagen
Nicht zuletzt werden so genannte SLAPPs (Strategic Lawsuits Against Public Participation
Fazit
Für den vorpolitischen Raum – etwa die Familie, den Sportverein, das gemeinsame Hobby – zeigt sich, dass eine Gegenrede gegen antidemokratische Aussagen wirksam sein kann, um rechtsextremen Diskursinterventionen und damit der Normalisierung dieser Ansichten und Aussagen entgegen zu wirken. Diverse Studien der letzten Jahre und Jahrzehnte zeigen zunehmend autoritäre Einstellungen (Heitmeyer 2012: 35) und dass antidemokratische Einstellungen kein ‚Rand‘-Phänomen, sondern in Teilen der Mitte der Bevölkerung verankert sind (Decker et al. 2022: 36; Küpper/Sandal-Önal/Zick 2023: 91ff.). Solche Aussagen können also teils auf fruchtbaren Boden fallen.
Im politischen Raum wird sich häufig noch an in den 2000er-Jahren vielfach rezipierten Studien orientiert, die nahelegten, dass das Nachahmen bzw. die Übernahme von Positionen kleiner Splitterparteien durch etablierte Parteien erstere tendenziell politisch unbedeutender macht (Meguid 2005). Neuere Studien legen jedoch das Gegenteil nahe: Werden (extrem) rechte Positionen übernommen, können die rechtsextremen Akteur*innen vor allem selbst politisches Kapital daraus schlagen (Krause/Cohen/Abou-Chadi 2022). Zusätzlich trägt die Übernahme der Diskurspositionen zur gesellschaftlichen Normalisierung der Inhalte bei, denn es spielt eine entscheidende Rolle, wer bestimmte Dinge sagt. Im letzten Jahr hat eine Gruppe Forschender aus Oxford und Harvard experimentell untersucht, welche Auswirkungen es hat, wenn ‚normverletzende‘ (norm-breaching) Aussagen von extrem rechten oder von konservativen Politiker*innen getätigt werden. Kurz zusammengefasst: Normverletzende und menschenfeindliche Aussagen haben eine ungleich höhere Wirkung auf das demokratisch orientierte Publikum, wenn sie nicht von extrem rechten Politiker*innen stammen (Chua et al 2023).
Auch für die mediale Berichterstattung zeigt sich, dass jede Plattform für die extreme Rechte zuerst einmal vor allem genau das ist: eine Plattform. Der Effekt einer ‚Entzauberung‘, etwa durch Interviews, konnte nicht nachgewiesen werden (Bolet/Foos 2023).