Während der COVID-19-Pandemie wurde vielerorts Verwunderung zum Ausdruck gebracht, als anscheinend (links-)alternative „Hippies“ und Personen mit eindeutig rechtsextremem Hintergrund gemeinsam auftraten. Esoterik wurde rasch als Bindeglied zwischen diesen anscheinend so unterschiedlichen Fraktionen ausgemacht. Dafür können historische sowie strukturelle Gründe identifiziert werden.
Einordnung von Esoterik
Heutzutage werden Themen wie Magie, Astrologie, Okkultismus
Schon um 1900 waren Themen wie Umweltschutz, alternative Lebensführung und ganzheitliche Heilmethoden verbreitet, etwa in der Lebensreformbewegung, deren Mitglieder seit dem 19. Jahrhundert Kritik an Industrialisierung und Materialismus übten und sich eine Rückkehr zu einem romantisierten Naturzustand wünschten (Bigalke 2016; Siegfried & Templin 2019). Diese Anliegen konnten in unterschiedlichsten politischen Kontexten vertreten werden – und waren nicht selten ambivalent wie etwa hinsichtlich ökologischer Ideen, die leicht an völkische Ideologien anknüpfen konnten.
EsoterikBegriffliche Unschärfe
Der Begriff „Esoterik“ ist insbesondere seit der Corona-Pandemie in aller Munde und wird dabei sehr unterschiedlich verwendet. Diese begriffliche Unschärfe wird durch den mangelnden Austausch zwischen verschiedenen Forschungsbereichen verstärkt, die ihrerseits bestenfalls punktuell mit dem öffentlichen Diskurs in Medien und Politik sowie der politischen Bildungsarbeit in Berührung kommen (siehe aber Martins & Kranemann 2024). Informierte und differenzierte Perspektiven auf die Thematik sind rar und schwer zugänglich, was eine nuancierte Einordnung erschwert.
Ansprüche auf höheres Wissen
Strukturell ist der Anspruch auf höheres, einer Elite von Eingeweihten vorbehaltenes Wissen in der Esoterik zentral. Damit sind häufig eine oppositionelle Grundhaltung und sozialreformerische Vorstellungen verbunden, die in esoterischen Weisheitslehren eine Voraussetzung für gesellschaftliche oder zumindest individuelle Transformation sehen. Dies tritt oft gemeinsam mit Antimodernismus, Kritik an der Mehrheitsgesellschaft und Überlegenheitsansprüchen der Eingeweihten auf. In diesem Zuge wird das gesellschaftliche Establishment nicht selten bösartiger Machenschaften bezichtigt, was leicht verschwörungstheoretische Züge annehmen kann. Derartige Tendenzen können sich in unterschiedlichste politische Richtungen entwickeln, weshalb eine sorgfältige Kontextualisierung konkreter Fallbeispiele notwendig ist, wie die mitunter sehr unterschiedlichen Akteurinnen und Akteure während der Corona-Pandemie zeigen.
Corona-Pandemie
Während der Pandemie erwies sich Esoterik – etwa bei den Querdenkern – durch vermeintlich unterdrücktes Wissen mit Blick auf Gesundheit und staatliche Strukturen als äußerst attraktiv (Frei & Nachtwey 2021). Politische Komplexität zeigt sich darin, dass viele Protestierende anfangs von links kamen, sich aber politisch nach rechts entwickelten, wie eine Studie anhand von Faktoren wie Haltungen zu Einwanderung, Geschlecht, Tradition und Autoritarismus verzeichnete (Nachtwey et al. 2020). Hinzu kommen regionale Unterschiede. Die Querdenker knüpften in Ostdeutschland u.a. an PEGIDA an. In Süddeutschland stammten sie aber häufig aus den anthroposophischen, christlich-evangelikalen und bürgerlichen Alternativ- und Protestmilieus. Auch Forschungen außerhalb des deutschsprachigen Raumes betonen die Heterogenität des Feldes und stellen dabei ähnliche Grundmuster fest. Mitglieder von Alternativmilieus formen demnach ihre Identitäten aus esoterischen, historischen Narrativen und verstehen Esoterik als zurückgewiesenes Wissen, also als „Gegenwissen“ zum angeblich korrupten Mainstream (Egil Asprem und Asbjørn Dyrendal 2019).
Esoterischer (Neo-)Nazismus
Im rechtsextremen Spektrum sind solche Grundmuster und Narrative in vielfältiger Weise anschlussfähig. Es mangelt aber immer noch an Forschung, die solche Zusammenhänge insbesondere auch in internationaler Perspektive untersucht – obgleich deren weltweite Relevanz rapide zunimmt.
Während sich die politische Prägung von Esoterik regelmäßig ambivalent gestaltet, ist sie im Falle des esoterischen (Neo-)Nazismus sehr eindeutig. Das Verhältnis des historischen Nationalsozialismus zu Esoterik wird tendenziell sensationalistisch dargestellt. Viele kommen mit Themen wie „Nazi-Okkultismus“ in stark überzeichneter Form in der Popkultur in Berührung, von Filmen wie Indiana Jones bis zu Captain America und Hellboy oder etwa in Videospielen wie Wolfenstein. Esoterik war im völkischen Umfeld der Jahrzehnte um 1900 omnipräsent und übte allein schon dadurch einen Einfluss auf die Nazis wie auch auf andere politische Bewegungen aus (Staudenmaier 2015). Bis heute ist das Fortbestehen bestimmter Elemente in der Nachkriegszeit, getragen von Anhängern der sogenannten Ariosophie – einer Verbindung völkischer und esoterischer Ideen – sowie von ehemaligen Mitgliedern der SS und ihrem Umfeld von herausragender Bedeutung für rechtsextreme Esoterik. Dazu zählen Herman Wirth (1885-1981) und die Mitglieder einer österreichischen Gruppierung, die seit den 1950er-Jahren Themen wie „Thule“ oder „Hyperborea“ als angebliche Heimat der „Arier“ propagierten, also mythische, im hohen Norden angesiedelte Orte, die in Zusammenhang mit Atlantis gestellt wurden. Diese Akteure waren Teil eines weltweiten Netzwerks, zu dem unter anderem Miguel Serrano (1917-2009) gehörte, der chilenische Vertreter eines „esoterischen Hitlerismus“
Prominent war dabei die Symbolik der „Schwarzen Sonne“. Derartige Ideen und vor allem auch die Symbolik der Schwarzen Sonne wurden seit den 1980er-Jahren von einer jüngeren Generation von rechtsextremen Esoterikern weiterentwickelt. Sie verknüpften das aus der Wewelsburg stammende Sonnenrad-Motiv
Traditionalismus
Die aktuelle Rolle von Esoterik im weltweiten rechtsextremen Spektrum wird nicht zuletzt aufgrund bestimmter ideologischer Inhalte verständlich. Für Verbindungen in den transatlantischen Raum wie nach
Die von Evola und anderen verbreitete „Integrale Tradition“ propagiert eine universale Urweisheit, die sich in verschiedensten (religiösen) Traditionen im Kern erhalten habe, darunter das Christentum, Islam, Hinduismus und Judentum. Die Berufung auf eine solche Urweisheit und eine darauf aufbauende ideale Gesellschaftsordnung resoniert mit der aktuellen rechtsextremen Globalisierungs- und Kapitalismuskritik sowie mit der Zurückweisung (post-)moderner gesellschaftlicher Entwicklungen. Vor allem im neurechten Feld wird dabei häufig eine Nähe zum konservativen Milieu hergestellt. Prominent geschieht dies etwa über bekannte Autoren wie Ernst Jünger (1895-1998) und Mircea Eliade (1907-1986), die gemeinsam die Zeitschrift Antaios herausgaben, für die auch Evola Beiträge verfasste. Auch für den rechtsextremen russischen Autoren und Vordenker Alexander Dugin spielen Evola und andere Traditionalisten eine herausragende Rolle. Zwar wird Dugins politische Bedeutung, etwa mit Blick auf Putin und die russische Regierung, kontrovers diskutiert, doch steht sein Einfluss auf den gegenwärtigen Rechtsextremismus außer Frage (Laruelle 2015; Shekhovtsov 2017; Umland 2020).
Die Neue Rechte
Traditionalismus ist auch für die
Esoterik als Teil metapolitischer Strategie
Wie ist die Prominenz von Esoterik in diesen weltweit einflussreichen politischen Tendenzen zu bewerten? Es zeigt sich ein vielgestaltiges, ambivalentes Bild. Esoterik ist in Gestalt des Traditionalismus nicht nur ein intern respektierter Bestandteil besonders radikaler Kreise wie dem esoterischen Neonazismus, sondern auch neurechter Strategien, die längst den politischen Mainstream beeinflussen.
In neurechten Zeitschriften zeigt sich ein heterogenes Verhältnis zur Esoterik: Die Sezession äußert regelmäßig eine polemische Ablehnung der bestenfalls als belustigend empfundenen „New-Age-Esoterik“, während sich COMPACT ausgiebig dem Bereich widmet. Als Teil von Metapolitik zielt Esoterik nicht zuletzt auf die Mobilisierung (jugendlicher) Subkulturen: Gezielt und offen denken rechtsextreme Autoren wie Martin Sellner über die Bildung von Querfronten und die Nutzung des „Mobilisierungspotentials“ der Esoterik-Sphäre nach (z.B. Sellner 2020). Ein wichtiges Vorbild dafür ist die italienische Casa Pound und die von ihr inspirierte Identitäre Bewegung in Europa und den USA (Bruns et al. 2017). Traditionalisten wie Evola sind in diesen Kontexten omnipräsent, ebenso Symbole wie die Schwarze Sonne.
Besonders in der von Meme-Kulturen geprägten Online-Sphäre wird eine vielgestaltige Ästhetik und Rhetorik kultiviert, die derzeit wohl zu den wichtigsten Einfallstoren für rechtsextreme Ideologien zählt (Nagle 2017; Asprem 2020; Gaugele & Held 2021; Maurer 2024). Es ist davon auszugehen, dass diese Medien und metapolitischen Strategien in den kommenden Jahren weiter an Relevanz gewinnen werden.