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(Miss-)Erfolge der „Identitären“ | Rechtsextremismus | bpb.de

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(Miss-)Erfolge der „Identitären“ und wie diese die Nähe zum Rechtsterrorismus offenbarten

Judith Goetz

/ 9 Minuten zu lesen

Anfang der 2010er-Jahre waren die „Identitären“ eine wichtige Akteurin des außerparlamentarischen Rechtsextremismus in Österreich und Deutschland. Dann wurde ihre Nähe zum Rechtsterrorismus öffentlich.

Zu den bekanntesten Gruppierungen der "Identitären" gehören der österreichische und deutsche Ableger sowie die (mittlerweile verbotene) französische "Génération Identitaire". (© picture-alliance, HERBERT P. OCZERET / APA / picturedesk.com)

Für einige Jahre prägten Aktivist*innen der „Identitären“ mit ihren aufsehenerregenden Aktionen das Erscheinungsbild sowie die Ideologie des modernisierten Rechtsextremismus. Dass es um die Gruppe nach ihren kurzzeitigen Erfolgen wieder ruhiger geworden ist, hat nicht zuletzt mit ihrer gefährlichen Nähe zum Rechtsterrorismus zu tun, wie sich am Beispiel des österreichischen Ablegers veranschaulichen lässt.

Aufstieg der „Identitären“

Seit 2012 versuchten die „Identitären“ zunächst in Frankreich und dann in verschiedenen Regionen Europas sowie den USA Fuß zu fassen und ihre Ideologie zu verbreiten. Dabei zählte insbesondere Österreich zu jenen Ländern, wo die Gruppe besondere Bedeutung sowie einige Erfolge erzielen konnte. Der Einfluss des österreichischen Ablegers zeigt sich vor allem daran, dass der bekannteste und wichtigste Kader, der die Entwicklung identitärer Ideologie und Aktionsformen mitprägte, aus Österreich stammt. Zudem wurden auch einige international bedeutsame Kampagnen unter maßgeblicher Beteiligung österreichischer „Identitärer“ initiiert und durchgeführt. Mit spektakulären Aktionen – wie etwa Besetzungen von Parteizentralen, Störungen von Veranstaltungen oder das Klettern auf Hausdächer – konnten sie für einige Jahre großes öffentliches Aufsehen für sich generieren. Dadurch wurden die „Identitären“ zu einer wichtigen Akteurin des außerparlamentarischen Rechtsextremismus vor allem in Österreich und Deutschland.

Durch die Inszenierung als Interner Link: hippe und patriotische Jugendbewegung gelang es der Gruppe, sich zumindest rhetorisch vom Nationalsozialismus zu distanzieren und den Staub der antiquierten „Alten Rechten“ abzulegen. Obgleich der ideologische Kern der identitären Ideologie weitgehend gleich blieb, schafften es die „Identitären“ durch die Verwendung weniger belasteter Begriffe harmloser zu wirken. Mit ihrem Angebot eines modernisierten völkischen Nationalismus übten sie insbesondere auf junge Menschen Attraktivität aus. Anstelle einer klassischen völkischen Ideologie, die die Bedeutung von Blutsverwandtschaft, Abstammung und gemeinsamer Herkunft als Voraussetzung für die Zugehörigkeit zu einem „Volk“ begreift, machen sich die „Identitären“ beispielsweise für den harmloser anmutenden Interner Link: „Ethnopluralismus“ stark. Hinter dem Begriff verbirgt sich jedoch die gleichbleibende Vorstellung, dass verschiedene ethnische oder kulturelle Gruppen getrennt voneinander in ihren – vermeintlich ursprünglich anberaumten – Territorien leben sollten, um die kulturelle Identität und Eigenständigkeit zu bewahren. Den Begriff „Volkstod“, der in rechtsextremen Kreisen vor allem verwendet wurde, um die Bedrohung eines imaginierten Aussterbens der „Einheimischen“ zu beschreiben, ersetzten die „Identitären“ durch den – zumindest anfangs – weniger bedrohlich klingenden Externer Link: „Großen Austausch“.

Niedergang der „Identitären“

Der Erfolg der „Identitären“ nahm jedoch ein Ende, als bekannt wurde, dass der Rechtsterrorist, der im neuseeländischen Interner Link: Christchurch 2019 über 50 Menschen ermordet hatte, einem österreichischen Kader der Gruppe 2018 eine größere Spende hatte zukommen lassen. Auch trug das Manifest des Attentäters den gleichen Namen („Der große Austausch“) wie eine langjährige Kampagne der Gruppe, mit der es den „Identitären“ gelungen war, den Begriff im deutschsprachigen Raum zu popularisieren. Beides zog sowohl einen Imageschaden, als auch eine Welle der Repression wie unter anderem Verbote ihrer Symbole und Distanzierungen nach sich. So verkündete sogar der rechtsextreme Verleger Götz Kubitschek Ende 2019, dass die Marke „Identitäre“ „nun bis zur Unberührbarkeit kontaminiert“ sei und folglich „nichts Großes“ mehr aus dem Projekt werden könne.

Selbst ihre Versuche, Ende 2019 bis Beginn 2020 in Österreich zunehmend vom Label „Identitäre“ Abstand zu nehmen und sich stattdessen als Bürgerbewegung namens „Die Österreicher“ neu zu formieren, erwiesen sich als wenig erfolgversprechend. Von Beginn an ließen sich kaum personelle oder ideologische Unterschiede zwischen den beiden Gruppen festmachen, lediglich die Sprache und Zielgruppe – von „patriotischen Jugendlichen“ hin zu „besorgten Bürgern“ – hatten sich leicht verändert. Anstelle des propagierten Interner Link: „Großen Austauschs“ gingen sie beispielsweise dazu über, sich gegen eine imaginierte Externer Link: „Ersetzungsmigration“ oder „Ersetzung“ zu engagieren. Anstelle von identitären Stammtischen werden „Bürgertreffpunkte“ organisiert. Abgesehen davon argumentieren die Aktivist*innen weiterhin in ethnopluralistischer Manier, nicht rassistisch sein zu wollen: Sie würden sich bloß für den strikt voneinander getrennten Erhalt aller „Völker“ einsetzen. Auch ihre rechtsextreme Ideologie versuchen sie nach wie vor mit der Selbstinszenierung als besorgte Patrioten zu verschleiern.

Vorbereitungen für den Ernstfall

Das Nachwirken des rechtsterroristischen Anschlags in Christchurch und die offenkundige Sympathie des Attentäters für die „Identitären“ löste nicht nur eine Debatte über die Gefährlichkeit der „Identitären“, sondern auch über ihr Verhältnis zum Rechtsterrorismus aus. Die Gewaltdisposition und -akzeptanz der Gruppe hatte sich jedoch schon von Beginn an auf vielfältige Weise gezeigt: in ihrer fatalistischen Ideologie, Kampf- und Kriegsrhetorik, ihrer entmenschlichenden (Bild-)Sprache sowie in ihren Taten. Bereits die Botschaft des ersten YouTube-Videos der „Génération Identitaire“, das auch im deutschsprachigen Raum – mit deutschen Untertiteln versehen – weite Verbreitung fand, lautete: „Glaubt nicht, dies ist nur ein Manifest, es ist eine Kriegserklärung!“ Bis heute wähnen sich die Anhänger*innen der „Identitären“ im Krieg. So mag es nicht verwundern, dass die Vorbereitungen für den Ernstfall längst laufen.

Gewalt wird in der identitären Ideologie als Notwehr sowie letzte Lösungsmöglichkeit, um den imaginierten Untergang aufzuhalten, legitimiert. Immer wieder veröffentlichten Recherche-Plattformen in den letzten Jahren Berichte über Kampfsporttrainings und Trainingslager, die von den „Identitären“ organisiert wurden. Dort sollten auch der Straßenkampf sowie der Umgang mit Waffen erlernt und geprobt werden. Ebenso wurde zum Kauf von Schusswaffen aufgerufen. Nicht wenige Mitglieder führen einen Waffenschein oder haben eine militärische Ausbildung absolviert, wie sich u.a. an den Verstrickungen zwischen Bundeswehrangehörigen und den „Identitären“ in Deutschland zeigte. Allein in Österreich sollen Aktivist*innen aus dem Umfeld der Gruppe mehr als 120 registrierte Schusswaffen besitzen, einige sogar mehrere. 2017 wurde auch in Deutschland einem führenden Kader der „Identitären“ seine Waffenbesitzkarte mit der Begründung entzogen, dass sich die politischen Bestrebungen der Gruppe gegen die „freiheitliche demokratische Grundordnung“ richten und er daher „waffenrechtlich unzuverlässig“ sei.

Im Zuge von Aktionen der „Identitären“ wurde physische Gewaltanwendung bereits mehrfach gegen politische Gegner*innen umgesetzt: Beispielsweise 2016 bei ihren Versuchen, eine Theateraufführung von Geflüchteten in Wien oder eine antirassistische Vorlesung auf der Universität Klagenfurt zu stören. Die Gewaltbereitschaft der Gruppe ist folglich nicht nur in ihrem Gedankengut angelegt, sondern ein fester Bestandteil ihrer Ideologie. Das Beispiel der „Identitären“ macht zudem die diskursive Vorbereitung von Gewalthandlungen deutlich, da die von ihnen verbal propagierte Gewalt stets auch den Aufruf beinhaltet, selbst zur Tat zu schreiten.

Infobox: Österreich, Deutschland und Frankreich Wie werden die „Identitäten“ eingestuft?

Österreich

In Österreich wurde 2023 das sogenannte Externer Link: „Symbole-Gesetz“ verabschiedet. Dieses sieht Strafen für das Verbreiten und Tragen von verbotenen Symbolen vor. Unter das Verbot fallen auch die Symbole der „Identitären“ sowie ihrer Nachfolgeorganisation „Die Österreicher“. Als Externer Link: Begründung führte die Bundesregierung „Gewaltmotive, Parolen der grundsätzlichen Ablehnung pluralistischer demokratischer Gesellschaften, mit wissenschaftlichem Deckmantel verhüllte Behauptungen gegen Völkerverständigung, revisionistische Erklärungsmuster und fundamentale Ablehnung von Konventionen zum Schutz der Menschenrechte“ an. Erwähnt wird außerdem, dass „Aktionen bzw. Aussagen der IBÖ [Identitären Bewegung Österreich] und DO5 [Die Österreicher] bzw. deren nach außen hin agierende Führungspersonen [...] als ,geistige Brandstifter‘ extrem hohes Spalt- und Konfliktpotenzial in der Bevölkerung“ bergen.

Deutschland

In Deutschland wird die Gruppe Externer Link: seit 2016 vom Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als sogenannter Verdachtsfall beobachtet. Damals hieß es als Begründung, dass Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen bestanden. Die „Identitären“ klagten gegen die Einstufung als Verdachtsfall. 2022 wies das Verwaltungsgericht Köln die Klage ab. Das Gericht bestätigte, dass die Bewegung als Verdachtsfall beobachtet und unter Umständen als gesichert rechtsextremistische Bewegung behandelt werden dürfe. Zudem lägen Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vor, so das Gericht. Seitens verschiedener politischer Parteien kam es immer wieder zu Forderungen nach einem Verbot der „Identitären“, die jedoch bislang ohne Folgen blieben.

Frankreich

Die französische Regierung hat die „Génération Identitaire“ 2021 verboten.

Fußnoten

  1. Parlament Zu § 1 Z 10 (Identitäre Bewegung Österreich) und Zu § 1 Z 11 (Die Österreicher). https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXVII/ME/ME_00081/fnameorig_%20857497.html, Zugegriffen: 1. November 2023.

„Generation Breivik“

Bereits 2016 bezeichnete der Rechtsextremismus-Experte Andreas Peham die „Identitären“ als Interner Link: „Vorbereiter einer ,Generation Breivik‘“. Peham bezog sich dabei auf die von der Gruppe propagierten, apokalyptischen Bedrohungsfantasien sowie ihre Selbstinszenierungen als „letzte Generation“: Diese Generation könne den vermeintlichen Untergang des Abendlandes, der durch den imaginierten Bevölkerungsaustausch drohe, noch aufhalten. So begreifen sich die Aktivist*innen der „Identitären“ als Bewahrer*innen konservativer Werte, die sie gegen den vorgeblichen Verfall der europäischen Gesellschaft in Stellung bringen. Entstanden sei dieser u.a. aufgrund gesellschaftlicher Modernisierungsprozesse sowie einer „dekadenten“ Lebensweise. Weil die politischen Eliten zudem den durch Zuwanderung verursachten Verlust der europäischen Identität nicht aufgehalten und damit das „Volk“ verraten hätten, sei – so die identitäre Logik – der Handlungsbedarf umso dringlicher.

Mit ihrer 2014 gestarteten Kampagne „Stoppt den großen Austausch“ trugen die „Identitären“ maßgeblich zur Verbreitung und Popularisierung dieses Interner Link: Verschwörungsmythos bei. Gewalt wird diesem Gedankengang folgend als angeblich letzte Lösungsmöglichkeit des Problems „der aufgezwungenen Vermischung“ und als legitime Notwehr präsentiert. Die fatalistische Erzählung verdeutlicht im Sinne der diskursiven Vorbereitung von Gewalt auch die Verbindungslinien der Gruppe zu den rechtsterroristischen Anschlägen der letzten Jahre. Gleich mehrere rechtsterroristische Attentäter der letzten Jahre – beispielsweise 2019 in Christchurch (51 Todesopfer) und im US-amerikanischen El Paso (23 Todesopfer), 2020 in Halle (2 Todesopfer) und 2022 im US-amerikanischen Buffalo (10 Todesopfer) – zogen den Verschwörungsmythos als Legitimationsgrundlage ihrer Anschläge heran. Darüber hinaus lassen sich auch finanzielle und persönliche Kontakte belegen: Neben dem Christchurch-Attentäter, der im E-Mail-Kontakt mit einem österreichischen Kader der „Identitären“ stand, hatte auch der rechtsextreme Mörder des CDU-Politikers Walter Lübcke den österreichischen „Identitären“ Geld zukommen lassen. 2020 wiederum trug ein Mann, der in Südfrankreich Passant*innen mit einer Waffe bedrohte und in der Folge von der Polizei erschossen wurde, eine Jacke, die an „Identitäre“-Kader vergeben wurde.

Die Beispiele machen deutlich, dass die „Identitären“ ideologisch mit rechtsterroristischen Attentätern verstrickt sind. Als „Brüder im Geiste“ bzw. „geistige Brandstifter“ kommt ihnen zudem eine wichtige Rolle zu: Ihre fatalistischen Botschaften erreichen, wie Peham betont, Menschen, „die alleine zu Hause vor ihrem Computer sitzen und daraus die Berechtigung zur Wahl aller, eben auch terroristischer Mittel beziehen.“ Der zentrale Unterschied zwischen den „Identitären“ und rechtsterroristischen Attentätern kann folglich daran festgemacht werden, dass Erstere nicht müde werden, den bevorstehenden Untergang über die Konstruktion von Bedrohungs-, Angst- und Notwehrszenarien zu beschwören, während Zweitere meinen, dieser Zustand sei bereits eingetroffen. Im Falle der „Identitären“ kann folglich von einer diskursiven Vorbereitung der Anschläge gesprochen werden, die im Sinne von „Botschafts-Verbrechen“ in engem Zusammenhang mit Rechtsterrorismus stehen.

Erfolglosigkeit identitärer Mobilisierungen

Eine längere Durststrecke, die von politischer Erfolglosigkeit und justiziellem Gegenwind gekennzeichnet waren, führte letztlich zu einer zunehmende Bedeutungslosigkeit der „Identitären“ und ihrer Nachfolgeorganisationen. Kurzzeitigen Aufwind und Sichtbarkeit konnten die unterschiedlichen Ableger der Gruppe in Österreich und Deutschland im Zuge der Proteste gegen Interner Link: Covid-19 Maßnahmen erlangen. Mit Parolen wie „Volksschutz statt Mundschutz“ nutzten sie die Demonstrationen für ihre rassistische Agenda und beteiligten sich zudem an der Verbreitung von Interner Link: Verschwörungsnarrativen rund um das Virus und seine vermeintlichen Profiteur*innen.

Trotz vielfältiger Versuche durch die Provokation von Skandalen – z.B. durch Veranstaltungsstörungen oder Aktionen – neue Resonanzräume für ihre Propaganda zu generieren, haben ihre Inhalte, Strategien und Methoden an Aufsehen eingebüßt. Die Gruppe konnte nicht mehr an ihre Erfolge der ersten Jahre anknüpfen. Das oft wiederholte Klettern auf Häuserdächer und Hissen von Transparenten mit identitären Botschaften und ähnliche Aktionen scheinen inzwischen nicht mehr die gleiche Aufregung zu erzeugen und ist auch für Journalist*innen meist nicht mehr berichtenswert. Hinzu kommt der sinkende Bedarf an außerparlamentarischen rechtsextremen Organisierungsformen in Zeiten starker und einflussreicher rechtsextremer Parteien, der ihnen auch weiterhin keine allzu relevante Zukunft verheißt.

Doch die „Identitären“ haben mit ihrer Propaganda rechtsextreme Diskurse und Politiken nachhaltig ideologisch beeinflusst. Daher sind Analysen ihres Gedankenguts auch nach wie vor von großer Bedeutung für ein fundiertes Verständnis des modernisierten Interner Link: Rechtsextremismus, seinen ideologischen und personellen Verbindungen zum Rechtsterrorismus und daraus resultierenden Gefahren.

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Judith Goetz ist österreichische Literatur- und Politikwissenschafterin und Lehrbeauftragte an mehreren Universitäten. Aktuell arbeitet sie an der Universität Innsbruck am Institut für Erziehungswissenschaft. Ihre Schwerpunkte liegen auf Rechtsextremismus, geschlechter- und sexualitätsbezogenen Ideologien der Ungleichheit sowie auf Antifeminismus und patriarchaler Gewalt.