Definition
Der politische Extremismus (E.) zeichnet sich dadurch aus, dass er den demokratischen Verfassungsstaat ablehnt und beseitigen will. Alle Varianten des E. negieren demzufolge die Pluralität der Interessen, das damit verbundene Mehrparteiensystem und das Recht auf Opposition. Der E. ist gekennzeichnet durch die Identitätstheorie der Demokratie, durch Freund-Feind-Stereotypen, durch ein hohes Maß an ideologischem Dogmatismus und in der Regel durch ein Missionsbewusstsein: Wer vom Glauben an ein objektiv erkennbares und vorgegebenes Gemeinwohl beseelt ist und sich im Besitz vermeintlich objektiver Gesetzmäßigkeiten wähnt, kann die Legitimität unterschiedlicher Meinungen und Interessen schwerlich dulden. Meistens ist auch die Akzeptanz von Verschwörungstheorien für extremistische Bestrebungen charakteristisch: Der eigene Misserfolg wird mit der Manipulation finsterer Mächte erklärt. Der Begriff E. ist für antidemokratische Ideologien und Bewegungen besser geeignet – weil weniger konnotativ vorbelastet – als der des Radikalismus, welcher in der BRD in den ersten zwei Jahrzehnten für extremistische Bestrebungen weite Verbreitung gefunden hat und heute teilweise immer noch synonym gebraucht wird.
Die Formen des E. sind höchst vielfältig: So kann man nach der Art der eingesetzten Mittel ebenso unterscheiden wie nach den politischen Zielen. Wer politische Gewalt systematisch einsetzt, ist ein Terrorist. Am anderen Ende des politischen E. steht der Befürworter strikter Legalitätstaktik. Er bewegt sich im Rahmen der Legalität und verwirft Gewaltanwendung. Dazwischen sind jene Positionen angesiedelt, die Gewalt prinzipiell begrüßen, sie aber in der Praxis aus taktischen Gründen vorerst ablehnen. Die Antwort auf die Gewaltfrage ist damit kein trennscharfes Kriterium für die Abgrenzung von E. und Demokratie. Die Konzeption der streitbaren Demokratie, entstanden nicht zuletzt als Reaktion auf die Diktatur des Nationalsozialismus, sieht in der Gewalt kein unerlässliches Merkmal des E. Es gibt nicht nur verfassungsfeindliche Methoden, sondern auch verfassungsfeindliche Ziele. Wer Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele ausübt, ist ein Extremist; aber nicht jeder, der keine Gewalt anwendet, muss schon ein Anhänger des demokratischen Verfassungsstaates sein.
Was die politische Zielsetzung angeht, so wird gemeinhin zwischen dem Links- und dem Rechtsextremismus differenziert. Mit Linksextremismus ist jene Spielart des E. gemeint, die alle Übel des "Systems" in der Struktur der "kapitalistischen Klassengesellschaft" sieht. Unter Rechtsextremismus versteht man einen häufig mit Ausländerhass verbundenen fanatischen Nationalismus. Während der E. von rechts das Prinzip menschlicher Fundamentalgleichheit ablehnt, stellt der E. von links dies – jedenfalls in der Theorie – nicht in Frage. Obwohl rechts- und linksextremistische Bestrebungen, die sich jeweils wieder in unterschiedliche Richtungen aufspalten, einander heftig bekämpfen, benötigen ihre Repräsentanten sich gegenseitig: Die Warnung vor dem Linksextremismus nimmt bei Rechtsextremisten einen überdimensionalen Raum ein. Vice versa gilt das ebenso. Auf diese Weise versucht man die Existenzberechtigung der eigenen Richtung nachzuweisen. Allerdings ist "Antifaschismus" weitaus wirkungsmächtiger als "Antikommunismus".
Links- und Rechtsextremismus in D
Der organisierte Linksextremismus ist nach der weltweiten Agonie des Kommunismus im Allgemeinen und dem Zusammenbruch des "real-existierenden Sozialismus" in der DDR im Besonderen in eine schwere Krise geraten. Nach dem Verfassungsschutzbericht von 1998 gehörten ca. 35.000 Personen linksextremistischen (einschließlich der "Kommunistischen Plattform der PDS" und anderer Mitglieder linksextremistischer Gruppen in der PDS) und 18.000 linksextremistisch beeinflussten Organisationen an. Mitte der 70er bis Mitte der 80er Jahre lag die Zahl bei ca. 150.000. Die PDS mit ihren Ende 1998 nur noch rund 95.000 Mitgliedern wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz allerdings nicht durchweg als linksextrem apostrophiert, obwohl eine Reihe gewichtiger Indizien für eine solche Charakterisierung spricht: Die Absage an den "realen Sozialismus" ist nicht prinzipieller Natur, der Erneuerungsprozess wohl mehr taktisch bedingt. Sie zog 1994 und 1998 – wie bereits 1990 – wieder in den Deutschen Bundestag ein. Der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die vom "real existierenden Sozialismus" der DDR ideologisch und finanziell abhängig war und nach wie vor kommunistische Prinzipien verficht, sind nur noch ca. 6.500 Mitglieder verblieben. Immerhin hat sie ihren Erosionsprozess stoppen können. Die Sozialistische Einheitspartei Westberlins (SEW), die sich im April 1990 in die Sozialistische Initiative (SI) umbenannt hatte, löste sich zum 30.6.1991 auf. DKP-beeinflusste Organisationen sind nach dem Zusammenbruch der DDR in eine schwere Krise geraten – nicht zuletzt wegen der finanziellen Praktiken, welche die Abhängigkeit von der SED ans Licht brachten. Andere linksextreme, nicht der DKP nahestehende Gruppierungen wurden ebenfalls von heftigen Krisen heimgesucht und lösten sich zum Teil gar auf. Das hat die stark sektiererisch ausgerichtete "Marxistische Gruppe" (MG) formell auch getan, doch bestehen organisatorische Strukturen fort. Den stärksten Einfluss innerhalb des linksextremistischen Spektrums spielen die weder zentral organisierten noch ideologisch einheitlich orientierten sogenannten "Autonomen", die mit militant-gewalttätigen Aktionen aufwarten. Ihnen sind mehr als 7.000 Personen zuzurechnen, wobei die "Szene" es versteht, bei bestimmten Aktionen – etwa im "Antifaschismus"-Kampf – zusätzlich Anhänger zu mobilisieren. Bei der Zahl von 7.000 sind nach Angaben des Verfassungsschutzes nur Gruppen mit festen Strukturen erfasst.
Die verschiedenen Richtungen des Rechtsextremismus haben von der Wiedervereinigung (Vereinigung) nicht in dem erhofften Maße profitieren können. Immerhin sind nach dem Verfassungsschutzbericht von 1998 knapp 55.000 Personen organisierte oder nichtorganiserte Rechtsextremisten (in den 70er und 80er Jahren lag diese Zahl bei etwa 20.000), wobei die Partei der Republikaner (REP) mit ihren etwa 15.500 Mitgliedern mitzählt. Es bestünden Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche Ordnung. Die REP erreichten bei der Bundestagswahl 1998 1,8 Prozent der Stimmen. Bei den Wahlen in Bad.-W. 1996 konnten sie mit 9,1 Prozent der Stimmen ihren Erfolg von 1992 (10,9 Prozent) fast wiederholen. Die "Deutsche Volksunion" (DVU) um den Herausgeber der "Deutschen National-Zeitung", G. Frey, besitzt – auf dem Papier – ca. 18.000 Mitglieder. Sie konnte 1995/96 zwar nicht mehr in die Parlamente von HB und S.H. zurückkehren, doch zog sie 1998 mit 12,9 Prozent in den Landtag von Sa.A. ein. 1999 gelangte sie in die Parlamente von HB und Bbg. Ideologisch steht ihr die organisatorisch gefestigtere, allerdings nur 6.000 Mitglieder umfassende Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) nahe. Sie war in der zweiten Hälfte der 60er Jahre in mehrere Landtage gekommen. Diese beiden Parteien sind nicht genuin neonationalsozialistisch orientiert, wobei die NPD der 90er Jahre solche Anklänge erkennen lässt. Der Neonationalsozialismus ist in mehrere kleine Gruppen aufgesplittert und – ungeachtet seiner Resonanz bei Gegnern – mit 2.400 Personen politisch bedeutungslos. M. Kühnen war bis zu seinem Tode im Jahre 1991 innerhalb der neonationalsozialistischen Szene die – umstrittene – Führerfigur. In den 90er Jahren wurde – wie auch schon in den 80er Jahren – eine Reihe von rechtsextremistischen Vereinigungen verboten (insgesamt zwölf), zuletzt die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei", FAP, (Februar 1995), nachdem das Bundesverfassungsgericht der FAP, gegen die 1993 ein Verbotsantrag gestellt worden war, den Parteistatus abgesprochen hatte – wegen mangelnder Ernsthaftigkeit der Zielsetzung. Zumal in den neuen Bundesländern hat die rechtsextremistische Subkulturszene mit gewalttätigen Aktionen gegen Asylbewerber immer wieder von sich reden gemacht. Brand- und Sprengstoffanschläge sind in der ersten Hälfte der neunziger Jahre stark angestiegen, mittlerweile jedoch wieder zurückgegangen. Die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten, z.T. jugendlichen Skinheads, liegt nach den Angaben des Verfassungsschutzes bei 8.200 Personen, wobei auch solche einbezogen seien, die lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft zeigten. Man könnte sie als rechte "Autonome" bezeichnen, weil es strukturelle Analogien zu dem Pendant von links gibt (keine Eingliederung in Organisationen mit fester Struktur). Allerdings ist die Logistik in der rechtsextremen "Szene" schwächer.
Vergleich und Perspektiven
Im Vergleich zur rechten Variante des E. ist die linke in der BRD bisher stärker gewesen, zumal die DDR einen ideologischen, organisatorischen und finanziellen Rückhalt bot. Allerdings war die Existenz der DDR für die extreme Linke nicht nur von Vorteil: Wer sich an ihr orientierte, machte sich unglaubwürdig. Das Gefahrenpotenzial des politischen E. misst sich an verschiedenen Kriterien. Zu den wichtigsten gehören die Wahlerfolge, der Organisationsgrad, die Art der Ideologie, der extremistische Handlungsstil, die in der Bevölkerung verbreiteten extremistischen Einstellungen sowie die verschiedenen Möglichkeiten extremistischer Infiltration. Während die extreme Linke im intellektuellen Milieu durchaus über gewissen Einfluss verfügt(e), dürfte das rechtsextreme Einstellungspotenzial bei Teilen der breiten Bevölkerung stärker zu mobilisieren sein. Angesichts der historischen Last hat es die Form des Rechtsextremismus nach wie vor schwer, Akzeptanz zu finden. Dessen Versuche, im intellektuellen Milieu Anhänger zu finden ("Neue Rechte"), sind bisher gescheitert.
Was die Perspektiven angeht, so hat nicht nur der Zusammenbruch der DDR die Aussichtslosigkeit aller Formen des politischen E. verdeutlicht. Auch wenn die Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse in beiden Teilen noch länger auf sich warten lässt als angenommen, dürfte dieser Umstand allenfalls kurzfristig Wasser auf die Mühlen der verschiedenen Formen des E. leiten, wenngleich die elektorale Stabilität der PDS in den 90er Jahren größer ausgefallen ist als vielfach angenommen. Der E. sucht den Eindruck hervorzurufen, der demokratische Verfassungsstaat müsse vor den drängenden Problemen der Gegenwart kapitulieren – sei es Arbeitslosigkeit, sei es Asylpolitik. Die politische Kultur in der BRD scheint so gefestigt, dass die Gefahr extremistischer Erfolge auf längere Dauer kleiner geworden ist, mag auch die Zunahme der Liberalität – ein charakteristisches Indiz des Wandels der politischen Kultur – insofern ambivalent sein, als sie Erosionstendenzen gegenüber dem E. begünstigt, zumal den von links. Aber eine offene Gesellschaft wie die der BRD ist dadurch in ihrer Stabilität nicht gefährdet, wenngleich sich die Gewalt durch das gegenseitige "Bekriegen" linker und rechter Chaoten aufschaukeln könnte. Vollmundige Parolen der einen Seite werden von der anderen für bare Münze genommen. Auch das ist ein Beispiel für das Wechselspiel von rechts und links.
Literatur
Backes, Uwe 1989: Politischer Extremismus in demokratischen Verfassungsstaaten. Elemente einer normativen Rahmentheorie. Opladen.
Backes, Uwe/Jesse, Eckhard (Hrsg.) 1989ff.: Jahrbuch Extremismus & Demokratie. Bonn (bis 1994), Baden-Baden (seit 1995).
Backes, Uwe/Jesse, Eckhard 1996: Politischer Extremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Bonn.
Dudek, Peter/Jaschke, Hans-Gerd 1989: Entstehung und Entwicklung des Rechtsextremismus in der Bundesrepublik. Zur Tradition einer besonderen politischen Kultur. 2 Bde. Opladen.
Falter, Jürgen W./Jaschke, Hans-Gerd/Winkler, Jürgen R. 1996: Rechtsextremismus. Ergebnisse und Perspektive der Forschung. Opladen 1996.
Moreau, Patrick/Lang, Jürgen 1996: Linksextremismus. Eine unterschätzte Gefahr. Bonn.
Stöss, Richard (Hrsg.) 1983/84: Parteien-Handbuch. Die Parteien der Bundesrepublik Deutschland 1945 bis 1980. 2 Bde. Opladen.
Auszug aus: Handwörterbuch des politischen Systems der Bundesrepublik, Stichwort "Extremismus"