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Bürgerstiftungen als Motor der Zivilgesellschaft Wie sich Bürger gegenseitig in die Pflicht nehmen können, engagierter für ihre Kommune zu sein.

Timo Reinfrank

/ 7 Minuten zu lesen

Bürgerstiftungen bringen sich aktiv und gestaltend in das städtische Leben ein. Als entscheidender Akteur im Gemeinwesen der Städte und Kommunen stärken sie die demokratische Kultur.

Prospekt der Barnim-Uckermark-Stiftung in Eberswalde. (© H. Kulick)

Vor über zehn Jahren wurde die erste Bürgerstiftung in Deutschland, die "Stadtstiftung Gütersloh", gegründet. Seitdem verzeichnen die Stiftungsaufsichten der Bundesländer einen regelrechten Gründungsboom der Bürgerstiftungen. Mittlerweile existieren über 150 Bürgerstiftungen in Deutschland, davon fast 20 Prozent in Ostdeutschland.

Dass diese Idee so populär geworden ist, hat mehrere Ursachen. Sinkende Staatseinnahmen und zugleich steigendes, äußerst ungleich verteiltes Privatvermögen sind nur zwei davon. Auch die viel besprochene Politikverdrossenheit als Zeichen nachlassenden Vertrauens in die staatliche Handlungsfähigkeit zur Lösung sozialer Probleme begünstigt neue Formen politischer Praxis. Und auch als Reaktion auf die Globalisierung ist der Lokalbezug immer wichtiger geworden.

Bürgerstiftungen wollen sich aktiv und gestaltend in das städtische Leben einbringen. Sie sind auf dem Weg ein entscheidender Akteur im Gemeinwesen der Städte und Kommunen zu werden. Wenn von den Erfahrungen aus anderen westeuropäischen Ländern und den USA ausgegangen werden kann, werden Bürgerstiftungen in absehbarerer Zeit eine Führungsrolle in der städtischen Zivilgesellschaft einnehmen. Doch wie sieht die aktuelle Situation in den Städten und Kommunen der letzten Jahre aus, auf die sie reagieren? Wie müssen Bürgerstiftungen ausgerichtet sein, um auf diese strukturellen Herausforderungen reagieren zu können? Und, was können Bürgerstiftungen mit ihren Projekten konkret tun?

Die Stadt wird der öffentlichen Wahrnehmung nach für immer mehr Menschen zum zentralen Ort des politischen Handelns. Hier wird gelebt, gearbeitet, gelernt und hier findet der Theorie nach politische Teilhabe und soziale Integration im Kiez, im Stadtteil oder im Bezirk statt. Die kommunale Ebene ist also für politische und gesellschaftliche Teilhabe von zentraler Bedeutung. In der politischen Debatte wird angesichts knapper Kassen und engagierter Reformvorhaben allerorten viel über die Notwendigkeit zivilgesellschaftlichen Engagements und damit verbunden über ein neues Verständnis des Staates im Bezug zur Gesellschaft gesprochen. Bürgerengagement, Pragmatismus und sachorientierte Zusammenarbeit über politische Grenzen hinweg scheinen in der Kommune zum Alltag gehören.

Deökonomisierung, Arbeitsmarkteinbrüche, Abwanderung aktiver Bevölkerungsschichten und ein Mangel an demokratischer Kultur prägen vielerorts die Situation in den Städten. Im ländlichen Raum entvölkern sich ganze Regionen, so dass es fast unmöglich wird, staatliche Infrastrukturleistungen aufrecht zu erhalten. Verfall, Leerstand und Abriss verzeichnen viele Dörfer und Städte. Der von der Globalisierung ausgehende wirtschaftliche Druck verschärft den Standortwettbewerb zwischen den Städten. Der demographische Wandel zwingt Städte und Gemeinden zur kostspieligen Anpassung der lokalen Infrastruktur. Neue soziale Polarisierungen, der Verlust politischer Steuerungsmöglichkeiten oder der Rückzug ökonomischer Eliten aus der Solidargemeinschaft verdichten sich in den Städten und Kommunen zu neuen Problemlagen.

Diese Situation wurde in den letzten Jahren unter den Stichworten der "gespaltenen Kommune" oder der "bedrohten Stadtgesellschaft" beschrieben (Heitmeyer/Anhut 2000: Bedrohte Stadtgesellschaft). Verlierer sind die schwachen Gruppen, die Opfer ökonomischer Modernisierung und ethnischen Minderheiten. Die Verlierer dieser Entwicklung haben weder eine Stimme, noch die Möglichkeit diese zur Geltung zu bringen. Es kommt zu einer immer stärkeren Trennung von Bevölkerungsgruppen, also von sozial starken und schwachen Menschen in Stadtteilen. Dadurch werden die "schwachen" Bezirke immer weniger in der Stadtgesellschaft repräsentiert, die demokratischen Politiker interessieren sich nicht mehr für sie und die Bewohner darin nicht mehr für Politik. Resultat der Entwicklung ist, dass sich die (Vor-)Urteile verstärken; Menschenfeindlichkeit, Alltagsrassismus, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Sexismus und Obdachlosenfeindlichkeit nehmen zu.

Bürgerstiftungen für demokratische Kultur

Bürgerstiftungen müssen unermüdlich die Öffentlichkeit suchen - um Spenden für ihre Arbeit zu erhalten und um mit ihren Anliegen zu überzeugen. Infostand der Barnim-Uckermark Stiftung 2006. (© BUS)

Die Verbesserung der Lebensqualität und der demokratischen Kultur bleibt jedoch bei den aktuellen Entwicklungen völlig auf der Strecke. Bürgerstiftungen müssen sich dieser Herausforderungen annehmen und die Verantwortung für ihre Stadt und Kommune übernehmen. Diese Perspektive ermöglichen Bürgerstiftungen, in denen die potenzielle Gefährdung demokratischer Grundwerte einen zentralen Arbeitschwerpunkt darstellt. Bürgerstiftungen können die nötige Komplexität des Handelns herstellen. Einige von ihnen sind bereits zentrale Akteure einer nachhaltigen demokratischen Entwicklung in den Regionen geworden. Die in diesem Sinne erfolgreichen Bürgerstiftungen greifen einerseits die Probleme und Chancen auf und sind andererseits für alle Beteiligten eine "Schule der Demokratie". Die lokale Demokratie im Alltag und die damit verbundene Wahrnehmung ihrer möglichen Gefährdungen sind dabei kein zusätzliches Thema, sondern eine Dimension und eine Messlatte des Handelns und der Projekte einer Bürgerstiftung. Das ist keineswegs selbstverständlich, sondern bedarf – wie bei allen anderen Projekten - in allen Phasen einer klaren Analyse und Umsetzungsbereitschaft.

Diese Bürgerstiftungen müssen auf die spezifischen Probleme in ihrer Region reagieren. Häufig leisten sie Pionierarbeit in Bezug auf ein demokratisches Bewusstsein. In gesellschaftlichen Umfeldern, die zum Beispiel in Ostdeutschland immer noch schwer von dem gesellschaftlichen Umbruch nach 1989 und einem daraus resultierenden Rückzug ins Private geprägt sind, ist es schwer, Mitbürgerinnen und Mitbürger für gesellschaftliches Engagement, für eine demokratische Kultur und gegen Rechtsextremismus zu begeistern. Die gesellschaftlichen Entwicklungen in vielen, vor allen in den ländlichen Regionen fördern dagegen eine "Kultur der Resignation". Funktionierende zivilgesellschaftliche Strukturen, die eine nicht-ausgrenzende positive Identifikation mit dem Gemeinwesen ermöglichen, sind deshalb sowohl für eine nachhaltige Regionalentwicklung als auch für die Schaffung eines gesellschaftlichen Klimas zentral, in dem Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus sich nicht ausbreiten können.

Bürgerstiftungen müssen, um glaubwürdige zivilgesellschaftliche Akteurinnen zu sein, Antworten auf die folgenden Fragen entwickeln: Wie lässt sich sozialer Zusammenhalt und die gleichberechtigte Teilhabe aller gesellschaftlichen Gruppen in einem Gemeinwesen stärken, wie die Gefahr von Spaltungsprozessen und die Abkehr von demokratischen Standards verhindern? Brisanz hat die Frage nach lokaler Inklusivität angesichts rechtsextremer Hegemoniezonen in einigen Kommunen und der zunehmenden "Abkopplung" ethnisch-kultureller Minderheiten vom Ressourcenwachstum der Mehrheitsgesellschaft. Das heißt, die Kompetenz von Bürgerinnen und Bürgern ist gefragt, lokal ein Klima des Respekts, der Toleranz, der Vielfalt und der Verantwortlichkeit zu fördern und mit praktischen Projekten erfindungsreich Zeichen zu setzen.

Ohne staatliche Versorgungslücken schließen oder gar parteipolitische Demokratiedefizite ausgleichen zu wollen, können Bürgerstiftungen Ideen- und Handlungswerkstätten für ein gleichwertiges Mit- und Füreinander sein und damit demokratische Modell- und Handlungsmacht übernehmen. Erst dann ist die Basis für wirklich umfassende Bürgerbeteiligung und gemeinschaftliche Wertschöpfung gegeben. Die aktive Umsetzung demokratischer Grundstandards ist hierfür unabdingbare Voraussetzung (Kahane 2000). Zudem müssen Bürgerstiftungen in ihren Entscheidungsstrukturen und Verteilungsprozessen die Umsetzung der Prinzipien von Gesamtverantwortung, Minderheitenschutz, Gleichwertigkeit, Vielfalt und Offenheit vorleben. Deshalb benötigen sie transparente Beteiligungs- und konstruktive Konfliktbearbeitungsformen.

Die Idee der Bürgerstiftungen für demokratische Kultur beruht auf der Vorstellung einer in neuer Form organisierten Zivilgesellschaft, die in einer entwickelten Demokratie auf kommunaler Ebene Aufgaben übernehmen kann, die der Staat aus unterschiedlichen Gründen nicht zu leisten kann. In dem Selbstverständnis von Bürgerstiftungen aus den USA und Großbritannien gehören "Equality" und "Diversity" zweifellos dazu. Es ist also nicht nur das Fehlen von Geld, auch in Zeiten knapperer Kassen, es ist der Mangel an Innovation und die Unfähigkeit Impulse aus der Gesellschaft aufzunehmen, was bürokratisches und staatliches Handeln charakterisiert. Stiftungen können Einfluss nehmen, in dem sie neue, sinnvolle Strategien entwickeln und die Verwaltung über blockierende Zuständigkeitsgrenzen hinweg in dieses Handeln einbeziehen.

Was können Bürgerstiftungen vor Ort tun?

Um den gesellschaftlichen Herausforderungen begegnen zu können, ist ein zentrales Umdenken notwendig: Politische und soziale Interventionen müssen sehr viel stärker sozialräumlich gedacht und ausgeführt werden. Wilhelm Heitmeyer schreibt in seinem Buch "Deutsche Zuständen" dazu: "Das große Wort von den gesellschaftlichen Veränderungen muss ‚kleingearbeitet´ werden und zwar vorrangig auf der Ebene der Städte und Gemeinden, also innerhalb eines Rahmens, den die Menschen noch ansatzweise in ihren Zuständen, Wirkungszusammenhängen, wichtigen Akteuren, mobilisierbaren Gruppen etc. überschauen – und wo sie am ehesten noch Selbstwirksamkeitserfahrungen machen können (Heitmeyer 2005: Deutsche Zustände)."

Maßstab für erfolgreiche Bürgerstiftungen: 'Können Projekte eine Klimaverbesserung im Sinne einer demokratischen Kultur erreichen?''; Autor Timo Reinfrank von der Berliner Amadeu Antonio Stiftung.

Bürgerstiftungen werden vorwiegend über ihre Projekte im Gemeinwesen sichtbar. Dabei fördern Bürgerstiftungen nicht nur Projekte, sondern setzen auch eigene Projekte operativ um. Die Projekte der Bürgerstiftungen sind vielfältig. Sie setzen sich beispielsweise mit der Entwicklung ihrer Stadt auseinander, unterstützen Jugendliche bei der Suche nach Zukunftsperspektiven und bekämpfen demokratiefeindliche Einstellungen. Bisher dominieren bei deutschen Bürgerstiftungen vor allem angebotsorientierte Projekte in den Bereichen Jugend, Bildung, Soziales und Umwelt. Wenige Projekte sind partizipativ und nachfrageorientiert entstanden oder berücksichtigen die städtischen Minderheiten. Teilweise sind sie Resultat von Fundraisingstrategien oder beruhen auf Wünschen der Stifter und Spender der Bürgerstiftungen. Eine Ausnahme ist die Zielgruppe der Senioren, die durch das Agenda Setzung der Bundesregierung auch durch die Bürgerstiftung Aufmerksamkeit erfahren.

Doch sollten Bürgerstiftungen für demokratische Kultur in der Projektarbeit die folgenden Punkte als Checkliste berücksichtigen: Können die Projekte eine Klimaverbesserung im Sinne einer demokratischen Kultur erreichen? Werden "schwache" Gruppen gestärkt und Anerkennung ermöglicht? Werden offene Netzwerke ohne Schranken auf demokratischer Basis geschaffen? Arbeitet das Projekt inklusiv bzw. werden alle Gruppen der Stadt repräsentiert? Werden Gleichwertigkeitserfahrungen ermöglicht? Ermöglicht das Projekt eine Akzeptanz von Gemeinschaften innerhalb der Stadtgesellschaft? Werden Integration, Partizpation und Vielfalt gefördert und erfahrbar gemacht? Werden lokales Wissen, lokales Kapital und lokale Initiative mobilisiert? Je mehr dieser Fragestellungen bejaht werden können, um so hilfreicher sind Bürgerstiftungen für eine Zivilgesellschaft, die ihren Namen verdient.

Literatur

  • Wilhelm Heitmeyer/ Reimund Anhut (Hrsg.): Bedrohte Stadtgesellschaft. Soziale Desintegrationsprozesse und ethnisch-kulturelle Konfliktkonstellationen. München 2000; Strobl, Rainer/Würtz, Stefanie/Klemm, Jana: Demokratische Stadtstrukturen als Herausforderung. München 2003

  • Vgl. zum Thema "Bürgerstiftungen für demokratische Kultur" den Aufsatz von Anetta Kahane, In: Bertelsmann Stiftung (Hrsg.): Handbuch Bürgerstiftungen. Ziele, Gründung, Aufbau, Projekte. Gütersloh 2000

  • Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.): Deutsche Zustände. Folge 4. Frankfurt a. M. 2005

Fussnoten