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Nur auf den Staat setzen hilft nicht | Rechtsextremismus | bpb.de

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Nur auf den Staat setzen hilft nicht Für eine integrierte Strategie gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit

Ludger Klein Von Ludger Klein

/ 15 Minuten zu lesen

Nur unter Einbindung aller relevanten gesellschaftlichen Akteure kann es gelingen, mit Maßnahmen gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit nachhaltige Wirkung zu erzielen. Eine Studie von Ludger Klein.

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Website der Amadeu Antonio Stiftung. Screenshot vom 16.12.11, http://www.amadeu-antonio-stiftung.de/aktuelles/eroeffnung-des-haus-der-demokratie-in-zossen/.

'Mehr Demokratie wagen'', forderte einst Bundeskanzler Willy Brandt. So könnte ebenso gut das Leitmotiv der Ende 2006 ausgelaufenen Maßnahmen im Rahmen des bundesweiten Aktionsprogramms 'Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechts- extremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus´ lauten. Was vor mehr als dreißig Jahren visionär erschien, ist in gegenwärtigen Zeiten der Erosion sozialer Sicherungssysteme und daraus folgender Parteienverdrossenheit aktueller denn je:

''Neue Formen sozialer Exklusion verbinden ökonomische Marginalisierung mit sozialer Desintegration, (...) gesellschaftliche Zugehörigkeit und Teilhabe [werden] auf mehreren Ebenen zugleich in Frage gestellt: auf der Ebene des Zugangs zu materiellen Ressourcen, auf der Ebene des Zugangs zu sozialen Netzwerken und ihrer unterstützenden Ressourcen sowie auf der Ebene des Zugangs zu gesellschaftlichen Teilbereichen und Institutionen wie etwa Gesundheit, sozialstaatliche Dienste und Leistungen, freiwillige Assoziationen der Zivilgesellschaft (Vereine, Stiftungen, Parteien etc.) und informelle Netzwerke'' (Olk 2007).

Zur Eindämmung dieser Formen der Exklusion bedarf es der Umverteilung materieller Ressourcen, der Schaffung von Teilhabe und Mitbestimmungsmöglichkeiten in gesell-schaftlichen Teilbereichen und Institutionen sowie der Zugänge zu Assoziationen und Be-ziehungsnetzwerken, "die nicht ausschließlich aus den Benachteiligten bzw. Ausgegrenzten selbst bestehen" (ebd.).

Soziale Gerechtigkeit, sozialer Zusammenhalt und Inklusion können demzufolge nicht alleine vom Staat (bzw. von Ländern und Kommunen) gesichert werden. Vielmehr bedarf es einer neuen Ausbalancierung gesellschaftlicher Verantwortung im Zusammenspiel von Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Besonders hohe Erwartungen werden in diesem Kontext an die Zivilgesellschaft gerichtet.

"Selbstorganisation, Freiwilligkeit, Eigenverantwortung, Vertrauen und gegenseitige Unterstützung" (‚Leitbild Bürgergesellschaft´ des FES-Arbeitskreises ‚Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat´; www.fes.de/ak_buergesellschaft) umreißen die Spielregeln der Zivilgesellschaft. Wenn der Staat von den Bürger/innen mehr soziale Verantwortung fordert, kann dies langfristig nur fruchten, wenn er ihre Entscheidungs und Gestaltungsspielräume im Gemeinwesen erweitert, Engagementstrukturen sichert und somit Zivilgesellschaft fördert. Von einem ‚aktivierenden Staat´ werden Anregungsfunktionen (Anerkennung, Ermutigung etc.) erwartet, damit sich Bürger/innen einmischen und beteiligen möchten, und eine Ermöglichungspolitik, damit sie dies auch können (ausführlicher hierzu: Stiftung Demokratische Jugend in Kooperation mit dem Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (Hg.) 2007).

Bürgerschaftliches Engagement und Zivilgesellschaft

Bürgerschaftliches Engagement, ob als Ehrenamt im sozialen Bereich, als freiwillige Arbeit im Rahmen von Bürgerinitiativen oder als Selbsthilfe im Sinne der gemein-wohlorientierten Hilfe (‚für uns und für andere´) auf der Grundlage eigener Betroffenheit, bildet die Triebkraft der Zivilgesellschaft. Hier geht es um das Zusammenspiel von ''Handlungspraktiken, Orientierungen und Aktivitäten (...), die wir als ‚zivil´ bzw. ‚zivilgesellschaftlich´ qualifizieren können" (Olk 2007) und die sich zwischen individueller Selbstständigkeit und gesellschaftlicher Selbstorganisation entfalten können.

Gefragt ist der "ermöglichende Staat"

In seinem Öffentlichkeits und Gemeinwohlbezug bildet bürgerschaftliches Engagement eine unverzichtbare Keimzelle unserer Demokratie (vgl. auch Ansgar Klein in CIVITAS-aktuell 2006: 1–3). Dabei beschränkt sich das Verständnis des Politischen seitens der Zivilgesellschaft keineswegs auf staatliche Institutionen und das Parteiensystem. Bürgerschaftliches Engagement greift oftmals bereits im vorpolitischen Raum und schafft dadurch unmittelbar in unserer Lebenswelt Vertrauen und Zusammenhalt in Beziehungsnetzwerken. Hier werden demokratische Werte und demokratisches Handeln gelernt. Die vertrauensbildende und sozialintegrative Funktion von Vereinen und Zusammenschlüssen wird in der sozialwissenschaftlichen Debatte gemeinhin als 'soziales Kapital´ (vgl. Klein/Kern/ Geißel/Berger 2004; Kessl/Otto 2004) bezeichnet.

Vor diesem Hintergrund gilt es im Einzelnen, bürgerschaftlichem Engagement die gebührende Anerkennung entgegen zu bringen, Rahmenbedingungen für bürgerschaftliches Engagement (z. B. den Versicherungsschutz während des Engagements, das Spenden und Stiftungsrecht, Engagement und Beteiligungsmöglichkeiten für Benachteiligte und Ausgegrenzte etc.) zu optimieren und dabei auch den spezifischen Motivlagen freiwillig Engagierter Rechnung zu tragen. Dies umreißt den Aktionsradius und das Leitbild eines "aktivierenden" und "ermöglichenden" Staates im Dienste einer kooperativen und partnerschaftlichen Verantwortungsteilung zwischen Staat, Wirtschaft und Gesellschaft (vgl. Enquete Kommission 2002).

Mindeststrukturen für eine Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaft baut indes auch auf hauptamtliche Akteure und auf die Balance zwischen professioneller Beratung und bürgerschaftlichem Engagement. Hier bedarf es auf Bundes , Landes und kommunaler Ebene der planenden und koordinierenden Engagementpolitik, der Informations und Beratungsnetzwerke und konkreter, verlässlicher Ansprechpartner. Diesbezüglich ist in den letzten Jahren auch bereits einiges aufgebaut worden: vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement über entsprechende Landesnetzwerke bis hin zu Freiwilligenagenturen, Seniorenbüros und vergleichbaren Einrichtungen in den Kommunen.

Hinsichtlich der jetzt auslaufenen Aktionsprogramme sind in diesem Zusammenhang die Strukturprojekte – Mobile Beratungsteams, Netzwerk und Opferberatungsstellen (s. Kap. 5) – zu nennen, die u. a. lokale Netzwerke und Projektkooperationen beratend und moderierend begleiten. Denn gerade im sozialräumlichen Bereich, im Gemeinwesen, wo sich neue Formen sozialer Exklusion ebenso wie zivilgesellschaftliche Gegenmaßnahmen manifestieren, braucht eine "vitale Zivilgesellschaft" (Olk 2007) Mindeststrukturen. Diese müssen mit der Regelarbeit von Staat, Land und Kommune verzahnt sein. Dies gilt besonders für die Bildungs und Jugendarbeit und für familien und integrationspolitische Maßnahmen. Denn wie der Freiwilligensurvey 1999 – 2004 (Gensicke/Picot/Geiss 2006) zeigt: Wer sich engagiert, muss sich dies leisten können.

Mit einer Menschenkette und Plakaten protestieren Menschen gegen Rechtsextremismus in der brandenburgischen Gemeinde Halbe, 2006. (© AP)

Engagiert ist vor allem die ressourcenstarke Mittelschicht, außen vor bleiben weitgehend bildungs und partizipationsarme Bevölkerungsgruppen. Infolgedessen kann durch bürgerschaftliches Engagement das Verhältnis der Mittelschicht zur Demokratie gestärkt und damit auch die gesellschaftliche Ächtung des Rechtsradikalismus jenseits individueller Einstellungsmuster etabliert werden. Für die Engagementförderung folgt daraus jedoch das Erfordernis, benachteiligten Bevölkerungsgruppen durch innovative, möglichst niedrigschwellige Beteiligungsformen Zugänge zum bürgerschaftlichen Engagement anzubieten.

Die dunklen Seiten der Zivilgesellschaft

Zivilgesellschaft ist eng mit normativen Vorstellungen ihrer Ausgestaltung verbunden: mit konkreten Werten wie Gemeinsinn, Solidarität, Kooperationsbereitschaft, Verantwortungsübernahme, Gewaltfreiheit, Toleranz und Regeln eines gleichberechtigten Miteinanders. Der sozialwissenschaftlich-deskriptive Blick verweist jedoch zugleich auf die "dunklen Seiten der Zivilgesellschaft" (Roth 2004): "In der realen Zivilgesellschaft findet sich Rechtsextremismus ebenso wie wachsendes bürgerschaftliches Engagement" (Olk 2007). Auch Rechtsradikale engagieren sich und produzieren "unsoziales Kapital" (vgl. Levi 1996) bzw. "unzivile Netzwerke" (Olk 2007).

Vor allem in den neuen Bundesländern fehlt es oftmals an grundlegenden Infrastrukturen des Gemeinwesens, zum Beispiel in Form von Freizeiteinrichtungen für Jugendliche. Die Perspektiv- und Orientierungslosigkeit vieler Jugendlicher – insbesondere in strukturschwachen Regionen und zuvorderst aufgrund drohender Arbeitslosigkeit – beschränkt sich jedoch keineswegs auf den Osten der Republik (vgl. Shell Deutschland Holding (Hg.) 2006). In dieses Vakuum stoßen Rechtsradikale vor und schaffen bspw. im Rahmen ‚nationaler Jugendarbeit´ ein mancherorts konkurrenzloses Angebot. Und wo eine sozialstrukturelle Grundausstattung fehlt, können Versuche der zivilgesellschaftlichen Strukturbildung und Gegenmobilisierung schwerlich greifen. Das zeigen auch die Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitforschung von Civitas. In entsprechenden Kommunen gilt es zunächst, entsprechende Defizite – vor allem in der Jugendarbeit – zu kompensieren (FES 2005; Lynen von Berg/Palloks/Vossen 2003: 445; vgl. Lynen von Berg/Palloks/Steil 2004: 284 ff).

Sozialkapital im Spannungsfeld von Inklusion und Exklusion

Eng verbunden mit der Debatte um die Schattenseiten der Zivilgesellschaft ist die Frage-stellung, inwiefern Sozialkapital – wie auch kulturelles Kapital – Lebenslagen reproduziert anstatt zur Integration beizutragen (Bourdieu 1982; vgl. Braun 2003). Auch Robert D. Put-nam (1993, 2000) fragt nach der tatsächlichen gesellschaftlichen Integrationskraft von Zu-sammenschlüssen und Vereinen. Deutlich macht dies seine Unterscheidung von Assoziationen, die entweder "brückenschlagend" (bridging), also integrativ offen, oder selbstreproduktiv ausgrenzend (bonding) wirksam sind.

Mit Blick auf die Integrationspotentiale der Zivilgesellschaft verweist Thomas Olk (2007) auf eine Vielzahl ermutigender Beispiele des Mit und Füreinanders von Jung und Alt, Deutschen und Ausländern sowie von Benachteiligten und Privilegierten, die indes ''entgegenkommende Strukturen und regionale Unterstützungsstrategien'' brauchen. Neuere Studien (z. B. Vortkamp 2005) zeigen, dass die gesellschaftliche Integrationskraft im Vereinswesen in hohem Maße vom Zweck der jeweiligen Vereinigung abhängt. Solche qualitativen Forschungsansätze sollten mit Blick auf Zielsetzungen und Strategien auch für die Weiterentwicklung der zivilgesellschaftlichen Mobilisierung gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit fruchtbar gemacht werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass zivilgesellschaftliche Strukturbildungen und von dort ausgehende Gegenmobilisierung geeignete wie erforderliche Mittel gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit sind.

Weder von staatlichen Modell bzw. Aktionsprogrammen noch von den Integrationspotentialen der Zivilgesellschaft kann man jedoch Wunder erwarten: Die Zivilgesellschaft kann nicht in die Pflicht genommen werden, Prozesse des Sozialabbaus zu kompensieren. Die Aufgabe, die Zugangschancen zu materiellen Ressourcen neu zu organisieren, bleibt dem Staat (bzw. den Ländern und Kommunen) und der Wirtschaft überlassen. Neue Wege der Partizipation, Entscheidungs und Gestaltungsspielräume zu schaffen, müssen indes alle drei Sektoren – Staat (Länder, Kommunen), Wirtschaft und Zivilgesellschaft – gemeinsam beschreiten. Dies ist die Kernidee einer integrierten Strategie für Vielfalt, Demokratie und Toleranz und somit auch gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit.

Zivilgesellschaftliche und repressive Maßnahmen

Auch eine Verzahnung zivilgesellschaftlicher mit rechtsstaatlichen, repressiven Maßnahmen ist ein – im Rahmen bisheriger Programme bereits vielerorts praktizierter – Schritt in Richtung einer integrierten Strategie. Hier stellt sich die Frage, wie weit zivilgesellschaftliche Maßnahmen greifen und wann – entweder in Abstimmung damit oder stattdessen – repressive Maßnahmen notwendig werden.

Das rechtsstaatliche, repressive Instrumentarium der "wehrhaften Demokratie" gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit ist ausreichend und bedarf weder der Erweiterung noch der Verschärfung. Es umfasst:

  • die Möglichkeit des Parteienverbots durch das Bundesverfassungsgericht

  • das Vereinsverbot durch die Innenminister von Bund oder Ländern

  • die Überwachung und Berichterstattung durch den Verfassungsschutz

  • strafrechtliche Ahndung von verbotener Propaganda (§82 Abs. 1 Ziffer 4 StGB)

  • Verwendung von Symbolen verfassungswidriger Organisationen (§ 8a StGB)

  • Volksverhetzung bzw. Aufstachelung zum Rassenhass (§130 und §131 StGB)

  • auf der Ebene von Polizei und Gerichten die Auflösung öffentlicher Versammlungen

  • Demonstrationsverbote (Minkenberg 2003, Jaschke 2000)

Es steht außer Frage, dass auch dieses Instrumentarium gebraucht wird. Ob nun politisch, fremdenfeindlich oder wie auch immer motiviert: Straftaten und Gewaltakte dürfen nicht geduldet werden. Zuweilen gefährden Repressionen jedoch die Spielräume, die Zivilge-sellschaft zur Entfaltung braucht; vor allem wenn sie Grundrechte von Bürgerinnen und Bürgern einschränken. In diesem Kontext ist zum Beispiel die übereilte, unnötige Änderung des Versammlungsrechts im Vorfeld des 60. Jahrestages des Kriegsendes (März 2005) zu nennen, die zunächst auf eine gewisse Hilflosigkeit des demokratischen Rechtsstaates verweist: Anstelle einer demokratischen Auseinandersetzungskultur treten Verbote und symbolische Maßnahmen, mutmaßlich um das Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland zu wahren.

Schwer nachzuvollziehen war beispielsweise die Diskussion um das Verbot von Antifa-Symbolen (dem durchgestrichenen, in den Mülleimer wandernden bzw. zerschlagenen Hakenkreuz) als verbotene Verwendung von Symbolen gegen die verfassungsmäßige Ordnung, zumal sie auf wenig Zutrauen in die Differenzierungsfähigkeit der Bevölkerung schließen ließ und glücklicherweise ja schließlich auch höchstrichterlich beendet wurde. Zudem ist auf ambivalente Folgen repressiver Maßnahmen gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit hinzuweisen: So notwendig und unverzichtbar sie zuweilen sind, bewirken sie doch oft auch ein Anwachsen von Militanz und Gewaltbereitschaft sowie eine Verhärtung der Positionen und drohen bei Überspannung gar in ''gesellschaftliche Desintegration'' umzuschlagen (Minkenberg 2003).

Schließlich weist die mittlerweile vielfach gestützte These, dass wir es mit einem Phänomen zu tun haben, das in die 'Mitte der Gesellschaft´ reicht, auch auf ein Erfordernis der Auseinandersetzung mit zuweilen recht alltäglichen Routinen hin, die derzeit nicht mit Maßstäben der Legalität zu fassen sind. Ohne die abschreckende Wirksamkeit repressiver Maßnahmen und ihre 'präventiven´ Aspekte (Beobachtung durch den Verfassungsschutz, Abschreckung durch Polizeipräsenz etc.) unterschätzen zu wollen, sind sie doch insgesamt eher der Symptombekämpfung zuzuordnen.

Prävention beginnt im Buswartehäuschen

Zusammenfassend sollten repressive Maßnahmen daher ausschließlich in Notfällen zum Einsatz kommen. Demgegenüber können Maßnahmen der "Gegenmobilisierung" seitens zivilgesellschaftlicher Akteure den "Handlungsspielraum rechtsradikaler Parteien und Szenen einschränken, vor allem, wenn sie sich im unmittelbaren Umfeld der Gruppierungen bemerkbar machen" (Minkenberg 2003: 39). Denn Ausmaß und Verbreitung rechtsra¬dikaler und fremdenfeindlicher Einstellungen verweisen vor allem auf das Erfordernis, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit auch innerhalb und seitens der Gesellschaft entgegenzutreten. Demokratieentwicklung durch Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen ist in diesem Zusammenhang ein ebenso innovativer wie verheißungsvoller Ansatz.

Die Chance, diesen Ansatz zu erproben und zu optimieren, hat das Aktionsprogramm 'Jugend für Toleranz und Demokratie´ wahrgenommen. Das Ziel von Prozessen zivilgesellschaftlicher Strukturbildung und Gegenmobilisierung beschreibt Heribert Prantl (2005) wie folgt: "Wenn in Ostdeutschland Neonazis 'ausländerfreie´ oder 'national befreite´ Zonen proklamieren, dann sagt das sehr genau, worum es gehen muss: um die Rückeroberung des öffentlichen Raumes für die Werte der Demokratie und der Toleranz. Das gilt nicht nur für den Osten, sondern auch im Westen". Und Toralf Staud (2005: 214) verdeutlicht, wo solche Auseinandersetzungen stattfinden müssen: ''in Städten und Dörfern, auf Schulhöfen und an Buswartehäuschen . Wenn sich dort niemand für Demokratie und Menschenrechte einsetzt, haben die Rechtsextremisten schon gewonnen."

Ausblick: Eine integrierte Strategie gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit

Grundidee einer integrierten Strategie gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit ist zum einen, dass angesichts sozialstruktureller und gesellschaftlicher Ursachenzu-sammenhänge die hiervon losgelöste Bearbeitung des Problems durch ein Aktionsprogramm nicht ausreicht. Die gesellschaftlichen Probleme, die aktuell zu bewältigen sind, erfordern eine Bündelung aller gesellschaftlichen Kräfte im kooperativen Zusammenwirken von Staat (Bund, Länder, Kommunen), Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Daher gilt es zunächst, in Modellprogrammen erprobte und bewährte Lösungsstrategien mit bestehender Regelarbeit von Staat, Ländern und Kommunen zu verzahnen, damit abzustimmen und möglichst in sie aufzunehmen.

Hierzu sind freilich Bestandsaufnahmen für die im Folgenden skizzierten Handlungsfelder hilfreich. Diese können sowohl Bedarfe aufdecken als auch zur Vermeidung von entbehrlichen Redundanzen und ggf. auch von hinderlichen Konkurrenzen im Zusammenspiel von Aktionsprogramm und Regelarbeit beitragen. Ein wie oben beschrieben besetzter Planungs und Koordinierungsverbund hat schließlich gute Möglichkeiten, auf eine Verbesserung defizitärer Regelstrukturen gezielt einzuwirken.

Für den Bereich der politischen Bildung ist die Regelarbeit der Bundeszentrale und der Landeszentralen für politische Bildung (BpB) ebenso zu berücksichtigen, wie die Arbeit anderer Träger politischer Bildung. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Zielgruppenausrichtung von "Jugend für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" und seinem Vorgänger in diesem Bereich: Wie Erwachsene und ältere Menschen im Kontext lebenslangen Lernens einzubeziehen sind, bleibt konzeptionell weitgehend unberücksichtigt, obschon sie anteilig den Großteil der lokalen Zivilgesellschaft ausmachen (vgl. Roth 2006: 9). Nicht nur für den Bereich der Erwachsenenbildung, ebenso für die politische Bildung von Jugendlichen im schulischen wie außerschulischen Bereich verfügen oben genannte Akteure über reichhaltige Erfahrungen und bewährte Konzepte.

Aber auch für die schulische Bildung gibt es mittlerweile ausgefeilte Konzepte, die bspw. einer menschenrechtsorientierten Pädagogik Rechnung tragen. Ulrike Hormel und Albert Scherr (2004) haben ein solches Konzept, dass auf die Berücksichtigung von Verschiedenheit in Vielfalt (''Diversity-Pädagogik") abzielt, im Rahmen des Projektes 'Bildung für die Einwanderungsgesellschaft´ der Bertelsmann-Stiftung entwickelt. In der Auswahl der Lokalen Aktionspläne sollte möglichst auch die Einbeziehung von Schulen als zentrale, öffentliche Orte der politischen Sozialisation berücksichtigt werden.

Die Kinder und Jugendarbeit stellt nicht nur in strukturschwachen, vom demographischen Wandel – der auf Wegzug und Rückgang der Geburtenraten bedingten Schrumpfung und der Alterung unserer Gesellschaft – betroffenen Regionen ein besonderes Problem dar. In der offenen Jugendarbeit müssen sich vielerorts professionelle Kräfte bestenfalls mit unzureichend qualifizierter Unterstützung (oftmals im Rahmen von 'Ein-Euro-Jobs´) behaup-ten, die personelle Fluktuation ist beträchtlich. Dabei bedarf es gerade in der auf Vertrauen basierenden Arbeit mit Kindern und Jugendlichen der Kontinuität. Entsprechend verweist die Civitas-Begleitforschung wiederholt darauf, dass die Strukturprojekte Mobile Beratungsteams und Netzwerkstellen über ihre Bemühungen, Defizite in der Regelförderung vor Ort zu kompensieren, ihren ursprünglichen Projektzielen hinterherliefen; was die Leistung der Strukturprojekte mitnichten schmälert.

Innovative Wege beschreitet in diesem Bereich etwa das Projekt "mitWirkung!" der Bertelsmann-Stiftung, des Deutschen Kinder-hilfswerks und des Kinderhilfswerks der Vereinten Nationen (UNICEF), in dem es darum geht, die aktive Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an der Gestaltung ihrer eigenen Lebenswelten und an politischen Prozessen zu fördern. Mit dem Projekt sollen entsprechend Möglichkeiten erkundet werden, junge Menschen in der Entwicklung politi-scher Kompetenzen zu unterstützen und lebensnahe Lernorte für Demokratie und bürger-schaftliches Engagement zu schaffen (vgl. auch Olk/Roth 2007). Vielversprechend erscheinen im Bereich der Jugendarbeit auch Projekte, die die Förderung von Jugendkulturen als Alternativen zur rechtsradikalen Jugendszene zum Ziel haben (etwa das vom Berliner Archiv der Jugendkulturen e. V. umgesetzte Projekt 'Culture on the Road´).

Die Rolle von Familie und älteren Menschen

Familie spielt eine zentrale Rolle bei der Vermittlung demokratischer Werte und ziviler Orientierungen. Erziehungsberatung und Präventionsangebote für Eltern, deren Kinder in rechtsradikale Subkulturen abgleiten, gibt es nach wie vor zu selten. Hier können schon Informationen (über szenespezifische Symbole, Accessoires, Musik etc.) zur Sensibilisierung und zur Identifikation des Problems beitragen, die Voraussetzung einer Problembearbeitung mit professioneller Unterstützung ist (vgl. Roth 2006: 15). In diesem Bereich wären auch die Lokalen Bündnisse für Familie ein Partner, mit dem das Aktionsprogramm in Austausch treten und kooperieren könnte.

Ältere Menschen sind eine Bevölkerungsgruppe, die bislang wenig bis keine Berücksichtigung fand. Dabei gibt es Modellprojekte der innovativen Seniorenarbeit, die gerade angesichts des demographischen Wandels die Potentiale des Alters in zivilgesellschaftlichen Strukturbildungsprozessen betonen (bspw. als Seniortrainer und Seniorkompetenzteams aus dem Kontext von 'Erfahrungswissen für Initiativen´, 'Selbst-organisation älterer Menschen´). Hier beteiligen sich ältere Menschen mit ihren Er-fahrungen und Kompetenzen daran, lokale Initiativen auf den Weg zu bringen. So bietet es sich an, mit der Einbeziehung generationenübergreifender Projekte in die Lokalen Aktionspläne zu erkunden, wie ein zivilgesellschaftlicher Generationenvertrag gestaltet werden kann (vgl. auch die in den Generationenübergreifenden Freiwilligendiensten oder in den Mehrgenerationenhäusern entwickelten Ansätze). Hierbei könnten bspw. auch bereits bestehenden Seniorenbüros vor Ort eine aktivierende und koordinierende Rolle spielen.

Alleine gemessen am Bevölkerungsanteil werden ältere Menschen auch als Zielgruppe politischer Bildung absehbar an Bedeutung gewinnen. Und andererseits setzen sich auch Seniorenbeiräte in Mecklenburg-Vorpommern derzeit mit der Frage auseinander, wie sie mit Vertreter/innen der NPD umgehen.

Demokratische Werte fallen nicht vom Himmel

Auch in der Zuwanderungs und Integrationspolitik fehlt es oft an Fachkräften. Die Opferberatung im Rahmen des Vorläuferprogramms hatte sich häufig damit auseinanderzusetzen, dass eine Flüchtlings und/oder Ausländer/innenberatung vor Ort entweder gar nicht vorhanden oder unzureichend war. Im Bereich der Integrationspolitik setzt sich allmählich die Einsicht durch, dass es nicht nur um Integration von Migrant/innen, sondern um gesamtgesellschaftliche Lernprozesse, die in Kooperation mit ihnen vorangetrieben werden müssen, geht. Der von der Bundeskanzlerin einberufene Integrationsgipfel im Jahr 2006 hat richtige Signale gesetzt. Im Bereich der Förderpolitik zivilgesellschaftlicher Strukturbildung gibt es etwa in Berlin das Beispiel, dass Mittel für interkulturelle Projekte nur noch an Trägertandems vergeben werden, in denen eine Migrant/innenorganisation vertreten ist.

Stadtentwicklung und regionale Entwicklung (z. B. Aufbau Ost) sollten immer auch Prozesse der zivilgesellschaftlichen Strukturbildung berücksichtigen. Soziale Inklusion ist eine Grundvoraussetzung für Lebensqualität im Sozialraum, was zudem die Standortattraktivität erhöht. Seitens des BMVBS gibt es aus den hier verankerten Programmen (zuvorderst aus Soziale Stadt) einen reichhaltigen Fundus an Erfahrungen und Konzepten der Bürgerbeteiligung. Im Rahmen der Gewinnung von deutungsmächtigen und einflussreichen Akteuren im kommu-nalen sozialräumlichen Kontext für eine zivilgesellschaftliche Strategie der Demokratie-entwicklung und gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit sollten im Rahmen der Förderpolitik von Staat, Ländern und Kommunen Anreize für ortsansässige Vereine und Assoziationen (z. B. Sportvereine, Freiwillige Feuerwehr etc.) geschaffen werden. Roland Roth (2006: 15) nennt als mögliche Maßnahmen Trainerschulungen und Affirmative Action für Migrant/innen in Feuerwehr und Katastrophenschutz.

Ein weites Handlungsfeld stellen Schulungen und Qualifizierungen in öffentlichen Institutionen von Staat, Ländern und Kommunen dar. Bereits im Rahmen der Lokalen Aktionspläne (LAP) wurde darauf hingewiesen, dass ein Erfolgskriterium für die erste Säule des Aktionsprogramms in der Qualifizierung der kommunalen Kooperationspartner bestehen wird, da die Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Akteuren über administrative Kompetenzen hinausgehende Qualifikationen erfordert.

Lokale zivilgesellschaftliche Kooperationen

Wenn Staat, Länder und Kommunen Engagementpotentiale aktivieren und nutzen wollen, sollten sie sich verstärkt auf lokale zivilgesellschaftliche Kooperationen vorbereiten. Auf kommunaler Ebene erscheinen Weiterbildungsangebote für Bürgermeister/innen und Gemeinderäte sinnvoll, die aufzeigen, welche administrativen und rechtlichen Mittel sie haben, Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit entgegenzutreten. Hier könnten die kommunalen Spitzenverbände tätig werden (vgl. Roth 2006: 14).

Ob einerseits in der Polizei, in der Rechtsprechung, im Justizvollzug oder andererseits in den mit Integrationsfragen befassten Behörden: Diskriminierungserfahrungen machen die Betroffenen auch hier. Entsprechende Sensibilisierungsprogramme sollten die Qualifizierungen für den öffentlichen Dienst ergänzen.

Nicht zuletzt können Arbeitsmarkt und Beschäftigungspolitik einen enormen Beitrag zur En-gagementförderung leisten, indem sie den Nonprofit-Sektor erschließen. Das in der Zuständigkeit des BMAS liegende Bundesprogramm '58plus´ hat beispielsweise inzwischen über 30.000 Arbeitslose über 58 Jahre bundesweit in Beschäftigungen bei gemeinnützigen und gemeinwohlorientierten Einrichtungen verholfen. Auch das jüngst aufgelegte Modellprojekt 'Bürgerarbeit´ in Sachsen-Anhalt weist in die richtige Richtung. Ohne den Anspruch an Vollständigkeit relevanter Handlungsfelder stellen zu können, weisen diese Streiflichter freilich weit über den eigentlichen Wirkungsradius des Aktionsprogramms hinaus.

In der dritten Säule des Programms besteht indes die Gelegenheit, in durchaus variierender Zusammensetzung gesellschaftliche Akteure zusammenzubringen, deren Problemnähe und Handlungskompetenzen es für das Programm fruchtbar zu machen gilt. Ein solcher Planungsverbund ermöglicht es, neue Wege reformpolitischer Einflussnahme auszuloten. Anstelle einer bloßen Bekämpfungslogik, welche auch die Gewinnung von Kooperationspartner/innen erschwert, müssen Strategien der Integration und gesellschaftlicher Inklusion treten.

Demokratische Werte fallen nicht vom Himmel

Demokratische Werte fallen nicht vom Himmel. Demokratische Werte, Einstellungen und Handlungsmuster benötigen vielmehr den Horizont praktischer Erfahrungen und daran anknüpfende Lernprozesse. Dafür sind nicht nur die in dieser Studie genannten Praxisfelder und Handlungszusammenhänge unverzichtbar. Demokratieentwicklung und Engagementförderung bzw. zivilgesellschaftliche Strukturbildung ergänzen sich vor diesem Hintergrund komplementär und benötigen zivilgesellschaftliche Strukturen, die sowohl für die Entscheidungs als auch für die Ausgestaltungsebene Informationen bereitstellen und Zugänge dazu eröffnen.

Das neue Aktionsprogramm bietet durchaus die Chance, eine derartige zivilgesellschaftliche Strukturentwicklung zu stärken und die Kooperation von Staat, Ländern, Kommunen, Wirtschaft und Zivilgesellschaft zu vertiefen und auszubauen. Einzelne Projekte des Aktionsprogramms sollten daran gemessen werden, inwieweit sie zu dieser Zielsetzung beitragen.

Literatur

Der hier auszugsweise veröffentlichte Text wurde ursprünglich erstellt für den Arbeitskreis ''Bürgergesellschaft und Aktivierender Staat" der Friedrich-Ebert-Stiftung und ist dort im Frühjahr 2007 unter dem Titel: ''Demokratie braucht Zivilgesellschaft, Plädoyer für eine integrierte Strategie gegen Rechtsradikalismus und Fremdenfeindlichkeit" erschienen. Hier veröffentlicht sind Kapitel 5 und Kapitel 8.

Die gesamte Veröffentlichung steht als Externer Link: Download zur Verfügung.

Fussnoten

Ludger Klein, Jg. 1963, ist Diplom-Psychologe und Dr. phil und hat an der Universität Kiel im Rahmen des europäischen Projektverbunds ''Rechtsextremismus" zu "Rechtsextremismus und kollektive Identität" promoviert. Er arbeitet als freier Publizist und Redakteur des Forschungsjournals Neue Soziale Bewegungen.