Wie trainierbar ist Zivilgesellschaft? Um die vorgegebene Frage direkt zu Beginn klar und zweifelsfrei zu beantworten: Die Zivilgesellschaft ist nicht "trainierbar", und sie kann und darf es auch nicht sein.
Das "Bündnis für Demokratie und Toleranz – gegen Extremismus und Gewalt" ist zum Verfassungstag des Jahres 2000 von der Bundesregierung mit dem Ziel gegründet worden, zentraler Ansprechpartner und Impulsgeber zu sein. Es soll die vielfältigen zivilgesellschaftlichen Aktivitäten für Demokratie und Toleranz sammeln, bündeln, vernetzen und öffentlich machen.
Sieben Jahre nach Inkrafttreten des Bündnisses ist eine selbstkritische Betrachtung angezeigt, ob und in welchem Umfang dies bislang gelungen ist und wie eine perspektivische Entwicklung aussehen könnte:
Der drastische Anstieg politisch motivierter Straftaten, insbesondere fremdenfeindlich motivierter Gewalttaten im Jahre 2000, veranlasste den damaligen Bundeskanzler, die deutsche Bevölkerung zu einem "Aufstand der Anständigen" aufzufordern. Für die bereits bestehenden und die sich neu bildenden Initiativen und Aktivitäten sollte das Bündnis auf Bundesebene der zentrale Ansprechpartner und Mittler ihrer Interessen in den politischen Raum sein.
Zunächst bestand einige Skepsis, ob das Bündnis wirklich eine objektive Interessenvertretung der zivilgesellschaftlichen Arbeit und Aktivitäten für Demokratie und Toleranz leisten kann. Durch die Arbeit des unabhängigen Beirats und auch der Geschäftsstelle ist es jedoch gelungen, heute als verlässlicher Partner anerkannt zu sein und damit auch eine gute Ausgangsgrundlage für die erforderliche inhaltliche Weiterentwicklung des Bündnisses zu schaffen.
Mehr als 1300 Initiativen
Schwerpunkte der Arbeit des Bündnisses waren bisher vor allem die Veranstaltungen zum Tag des Grundgesetzes sowie die jährlichen bundesweiten Wettbewerbe "Victor-Klemperer" und "Aktiv für Demokratie und Toleranz". Hier konnte das Bündnis bis heute mehr als 1.300 Initiativen und Einrichtungen im Einsatz für Demokratie und Toleranz, gegen Extremismus und Gewalt unterstützen, ihre Aktivitäten vernetzen sowie mit außenwirksamen Aktionen einer breiten Öffentlichkeit bekannt machen. Besonderes Gewicht, vor allem beim Wettbewerb "Aktiv für Demokratie und Toleranz", besitzt der "Best-Praktice-Gedanke". Es wird nicht das einzigartige Projekt gesucht, sondern im Vordergrund steht die Frage, ob das vorgestellte Projekt auch auf andere Regionen und Problemstellungen übertragbar ist.
Die im Rahmen dieser Aktivitäten vom Bündnis entwickelten Kompetenzen gilt es zu stärken und auszubauen, allerdings auch bewusst fortzuentwickeln und zu modifizieren, um auch neue Zielgruppen zu erschließen, auf gesellschaftliche Veränderungen zu reagieren und aktuellen Entwicklungen Rechnung zu tragen.
Durch den engen Kontakt zu zivilgesellschaftlichen Einrichtungen und Initiativen kann das Bündnis vor allem als Impulsgeber für ein engeres Zusammenwirken zivilgesellschaftlicher und staatlicher Stellen bei der Suche nach möglichst praxisorientierten Bekämpfungsansätzen gegen Extremismus und Gewalt fungieren. So haben wir in einer bundesweiten Kommunaltagung im Februar diesen Jahres mit Kommunalvertretern und Vertretern der Zivilgesellschaft aus mehr als 50 Kommunen aus zwölf Bundesländern bestehende Lösungsansätze zum Umgang mit rechtsextremistischen Aktivitäten in der kommunalen Praxis ausgetauscht und die vorhandenen Handlungsansätze außerdem gemeinsam fortentwickelt.
Thematische Weiterentwicklung
Neben den bisherigen Schwerpunkten "Kampf gegen den Rechtsextremismus" und "Maßnahmen zur Unterstützung des zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus" hat das Bündnis den Einstieg in eine thematische Weiterentwicklung vollzogen. So sollen konkrete Hilfen bei der Integration, insbesondere von Jugendlichen mit Migrationshintergrund, und die Bekämpfung des Rassismus und der Diskriminierung im Sport ebenfalls mit unterschiedlichen Maßnahmen und Aktivitäten als Aufgabenfelder des Bündnisses erschlossen werden.
In diesem Zusammenhang haben wir im März diesen Jahres eine gemeinsame Veranstaltung mit der US-amerikanischen Botschaft zur "Darstellung von Migranten in den Medien" durchgeführt, bei der rund 250 Jugendliche aus überwiegend internationalen Schulen und Einrichtungen sich mit Journalisten über ihre Erfahrungen austauschten und praktische Tipps erhielten, wie sie ihre Projekte und Initiativen erfolgreich in den Medien präsentieren können bzw. sie selbst sich in ihrer Verschie¬denheit und Vielschichtigkeit ausreichend differenziert darstellen können.
"Basketball-Camps für Fairness und Toleranz"
Als weiteres Beispiel für diese sogenannten "integrierten lokalen Strategien" findet derzeit in Kooperation mit dem Deutschen Basketballbund (DBB) und verschiedenen öffentlichen Einrichtungen und Initiativen der Zivilgesellschaft in mehreren Orten Mecklenburg-Vorpommerns "Basketball-Camps für Fairness und Toleranz" statt, bei denen neben der Regelvermittlung im Spiel sich vor allem die örtlichen Initiativen in einem "Markt der Möglichkeiten" präsentieren.
Für den Herbst ist eine bundesweite Veranstaltung "Jugendengagement für Demokratie und Toleranz" speziell für Träger und Initiativen der Jugendarbeit vorgesehen, bei der vor allem die Themen "Arbeit" und "Bildung" im Mittelpunkt stehen sollen.
Zum Jahresende planen wir außerdem gemeinsam mit der Koordinierungsstelle Fanprojekte (KOS) und dem Projekt der Deutschen Sportjugend "Am Ball bleiben – Fußball gegen Rassismus und Diskriminierung" eine bundesweite Veranstaltung, bei der neben einem Erfahrungsaustausch von Initiativen innerhalb des Fußballs mit zivilgesellschaftlichen Initiativen aus anderen Bereichen insbesondere auch ein Handbuch für sich neugründende Faninitiativen erarbeitet werden soll, in dem diese praktische Tipps für die schwierige Startphase erhalten.
Neben unseren bisherigen Ansprechpartnern haben und werden wir in diesen Aufgabenfeldern auch neue Kooperationspartner für die Arbeit des Bündnisses gewinnen. Bei den in diesen neuen Aufgabenfeldern in diesem Jahr bereits durchgeführten und auch den derzeit in Planung befindlichen Maßnahmen ist eine große Offenheit und ein großes Interesse gerade der neuen Kooperationspartner für die Aufgaben des Bündnisses erkennbar.
Nicht nur gegen Rechtsextremismus
Das Bündnis für Demokratie und Toleranz ist bewusst als ein Bündnis gegen jedwede Form von Extremismus und Gewalt gegründet worden. Nach meiner Auffassung bedarf es daher keiner Diskussion, ob auch die Bekämpfung des Linksextremismus, des religiösen Fundamentalismus oder von weiteren internationalen Extremismusformen zum Aufgabenbereich des Bündnisses gehören. Sie gehören dazu und sollten von uns ebenfalls mit den Kompetenzen und Möglichkeiten des Bündnisses aktiv in den Blick genommen werden.
Zu diesen zählt es, einen Informationsaustausch zwischen unterschiedlichen Beteiligten zu organisieren, diese gemeinsam an einen Tisch zu bringen und möglichst praxisorientiert an konkreten Problemstellungen zu arbeiten. Zu denken ist in diesem Zusammenhang beispielsweise an die Fragestellung, wie sich bei der Sicherheitsvorbereitung von Großereignissen im Rahmen einer Demonstrationsveranstaltung die Handlungsziele "Demonstration und Deeskalation" bestmöglich vereinbaren lassen. Die gemeinsame Basis für die Wahrnehmung unterschiedlicher Rechtspositionen und Interessen muss dabei das Prinzip der absoluten Gewaltlosigkeit sein.
Auch bei der Bekämpfung ausländischer Extremisten kann das Bündnis eine wichtige Rolle dadurch wahrnehmen, dass es zivilgesellschaftliche Initiativen unterstützt und stärkt, die vor Ort einen aktiven Beitrag zur tatsächlichen Partizipation leisten. Wenn Demokratie und Toleranz im Alltag gelebt werden und sich die Integration auf diese Weise vollzieht, werden insbesondere Kinder und Jugendliche in ihren Werten und Einstellungen von Beginn an durch diese Erfahrungen geprägt und sind für extremistische Hasspropaganda hoffentlich immun.
Verbesserte Rahmenbedingungen schaffen
Es bleibt die Erwartung, dass dem Bündnis auch die Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden, die für eine derartige thematische Weiterentwicklung zwingend erforderlich sind. Um in den alten und den neuen Aufgabenfeldern, bei bisherigen und künftigen Kooperationspartnern anerkannt zu bleiben bzw. akzeptiert zu werden, bedarf es einer ausreichenden Anzahl kompetenter und engagierter Mitarbeiter, finanziell angemessener Ressourcen und auch einer passenden Organisationsstruktur.
An diesen Themen wird intensiv gearbeitet und ich bin optimistisch, dass mit dem insoweit erzielten Ergebnis zu einem wesentlichen Teil die Voraussetzungen für eine Umsetzung der inhaltlichen Weiterentwicklung geschaffen werden. Für die Umsetzung des anderen, gleichermaßen wichtigen Teils der Zukunftsfähigkeit ist das Bündnis selbst verantwortlich. Hier müssen wir alle, ob Geschäftsstelle, Beirat, Unterstützerkreis oder auch die zivilgesellschaftlichen Partner, noch kräftig ''trainieren'', um uns in die Form zu bringen, die der Einsatz für Demokratie und Toleranz verdient, aber auch täglich braucht.