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Zivil vs. unzivil | Rechtsextremismus | bpb.de

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Zivil vs. unzivil

Anetta Kahane

/ 6 Minuten zu lesen

Der Nationalsozialismus war eine Folge des Versagens der Zivilgesellschaft. Auch nach dem Fall der Mauer 1989 wurde in den neuen Ländern nicht ausreichend in den Aufbau zivilgesell- schaftlicher Strukturen investiert.

NPD-Gegner demonstrieren in Hamburg, 2007. (© AP)

Einer der Gründe für das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte und ihrer verheerenden Folgen, der Siegeszug des Nationalsozialismus und damit für Krieg und Holocaust, war ohne Zweifel die Schwäche der deutschen Zivilgesellschaft. Wenn es je eine treffende Beschreibung des Begriffs zivile Gesellschaft gegeben hat, so durch seine völlige Negation.

In jeder Hinsicht hat sich die deutsche Gesellschaft, ob als Normstifterin oder als respektable Kraft innerhalb des politischen oder alltäglichen Geschehens, von einer Seite gezeigt, die nur unzivil genannt werden kann. Dies schließt keineswegs aus, dass es einzelne Andersdenkende gegeben hat, doch ihr Schicksal war geprägt davon, sich gerade nicht auf eine zivile Gesellschaft in Deutschland berufen zu können.

Diese gewaltige Schwäche wog wohl auch deshalb so schwer, weil die humanistischen Linien der deutschen Geistesgeschichte in den entscheidenden Momenten die Haltung und das Handeln der zivilen Gesellschaft nicht bestimmte und dennoch für viele der Opfer die irrige Hoffnung darstellte, dass sich abzeichnende Barbarei auf keinen Fall Deutschland insgesamt und grundsätzlich in seinen Bann schlagen könne. Doch genau das geschah. Das Zivile unterlag, die Gesellschaft mitsamt ihrer Eliten wandte sich dem Nationalsozialismus zu und wurde zum Teil seines Systems.

Die Bundesrepublik dann, entstanden aus den Lehren dieses Scheiterns, mochte sich mit ihrer demokratischen Verfassung an vielerlei Stellen nicht zu sehr auf die Gesellschaft stützen. Zivil wurde sie ohnehin erst nach und nach. Es dauerte Jahrzehnte des Aufbaus zivilgesellschaftlicher Strukturen bis eine nennenswerte Substanz jener Sorte des Engagements entstanden war, die auch den Konflikten und Diskussionen der Gegenwart einen Ort zu geben vermochte. Dies geschah allem Für und Wider gegenüber der Politik zum Trotz, unter erheblichen Anstrengungen und mit Unterstützung durch den Staat.

Gleich nach der Wiedervereinigung begann der Aufbau Ost. Es stand ohne jeden Zweifel fest, dass der Osten infrastrukturell unterentwickelt, auf "Vordermann" gebracht werden müsse. Es wurde viel getan: Bauten entstanden, Straßen, Autobahnen und vieles mehr, was der Mobilität hilft und den mehr oder weniger sinnvollen Investitionen der Wirtschaft. Nur gesellschaftspolitisch geschah wenig. Ostdeutschland wurde nicht als post-kommunistische Gesellschaft betrachtet und dementsprechend natürlich auch nicht behandelt. Während überall in Osteuropa dem Aufbau der zivilen Gesellschaft besonders viel Aufmerksamkeit zuteil wurde, unterblieb die gezielte Unterstützung demokratischer Zivilgesellschaft im Osten Deutschlands. Ähnlich wie einst in der DDR die Lebenslüge vom plötzlichen, durch den Sozialismus einsetzenden Antifaschismus, wurde in den Neuen Ländern davon ausgegangen, dass sich mit der Übertragung des parlamentarischen Parteiensystems auch die demokratische Kultur automatisch und von selbst einstellt.

Kinderbild im Dom von Halberstadt. (© H. Kulick)

Das ist vor allem deshalb interessant, weil auf diese Mythen andere aufbauen können. Der Rechtsextremismus hatte Jahre Zeit sich zu entwickeln und zu etablieren, weil die deutschen Abwehrsysteme in Ost wie West gleichermaßen eine sachliche Wahrnehmung verhinderten. Die Zivilgesellschaft West zog es vor, den Ostdeutschen in dieser Frage nicht zu nahe treten zu wollen und ließ damit ihre wenigen ostdeutschen Partner über lange Zeit im Regen stehen. Dies hat sich ohne Zweifel gebessert. Der Grund dafür liegt zum einen darin, dass der Rechtsextremismus inzwischen die Parlamente erreicht hat und damit für eine sehr staatsfixierte Öffentlichkeit als Realität erkennbar wurde, zum anderen hat sich der Rechtsextre-
mismus im Osten gut ausbilden und ausprobieren können, vor allem im Umgangmit einer viel zu schwachen Zivilgesellschaft, so dass er jetzt auch zum Sturm auf westliche Kommunen bereit und in der Lage ist.

Es ist also tatsächlich nicht allein ein Problem des Ostens, das sich mit Hilfe westlicher Zurückhaltung ausbreiten konnte; es ist das Problem von Schwäche. Wo immer die Amadeu Antonio Stiftung oder andere Initiativen und Organisationen in Regionen mit erheblichen Problemen rechtsextremen Befalls aktiv wurde, zeigte sich dass Klarheit in den demokratischen Werten und Qualität durch realistische Analysen tatsächlich zur merklichen Besserung des Klimas in jenen Orten führen konnte. Dies gelang vor allem, wenn "ganz normale" Bürger, Vereine oder lokale Meinungsführer in der Lage waren, ein politisches Hin und Her zu überwinden und deutlich zu machen, dass sie eine Erosion demokratischer Grundstandards in ihrem Umfeld, ihrer Stadt oder Region nicht dulden. Dies klingt sehr viel leichter und selbstverständlicher, als es in der Wirklichkeit eines vielschichtigen und teilweise äußerst intelligent agierenden Rechtsextremismus ist.

Autorin Anetta Kahane (r.) bei einer Bürgerdemonstration gegen einen Aufmarsch von Islamisten und Neonazis in Berlin 2006 gemeinsam mit DGB-Chef Michael Sommer (l.). (© H. Kulick)

Der moderne Rechtsextremismus hat sich viele Gesichter zugelegt, in denen jeweils auch eine Facette der Wahrheit ihrer Ideologie aufscheint: es gibt sie, die biederen Fahrlehrer, Handwerker oder Nachbarinnen, es gibt die schneidigen Jungs, Funktionäre und Strategen, es gibt unter ihnen Glatzen, Hooligans oder Kriminelle und es gibt auch die Globalisierungskritiker, Sozialkämpfer und Antiimperialisten. Für jeden etwas, für jede Frage unserer Zeit eine Antwort aus dem Repertoire des Rechtsextremismus. Und sie meinen genau, was sie sagen. Sie sind wirklich gegen Kapitalismus, für einen neuen Zusammenhalt und eine gerechtere Verteilung. Sie gehen dabei nur nicht von der Gleichwertigkeit aller Menschen aus. Sie meinen auch wirklich, dass sie Gewalt anwenden können. Diese Drohkulisse ist ihnen sehr wichtig und soll keineswegs verborgen bleiben.

Die Frage ist nun, was die Zivilgesellschaft dagegen tun kann. Die Antwort darauf ist schwer und leicht zugleich.

  • Die Zivilgesellschaft sollte sich zunächst der Bedrohung stellen, die mehr und mehr nach erfolgreicher Dominanzerfahrung im Osten, nun auch in den Westen eindringt. Diejenigen, die im Osten auf zivilgesellschaftlicher und professioneller Ebene damit Erfahrungen gemacht haben, sind noch da. Man kann sie fragen. Es gibt hier einen großen Reichtum an Praxiserfahrungen, der genutzt werden sollten.

  • Damit dies möglich ist, wäre es gewiss gut, wenn diese Initiativen weiter arbeiten dürften. Im Moment sieht es eher danach aus, dass ihnen die Mittel zugunsten kommunaler Verwaltungen entzogen werden. Dass dies geschehen kann und die Tatsache selbst, bedeuten eine weitere Schwächung der Zivilgesellschaft.

  • Eine starke Zivilgesellschaft sollte sich dabei möglichst selbstbewusst äußern – den politischen und Verwaltungszwängen zum Trotz. Tut sie es nicht, wird sie wenig erreichen und obendrein von den Rechtsextremen nicht ernst genommen. Dem Druck stand zu halten ist der erste Schritt ganz konkret die eigenen Werte und Haltungen glaubhaft zu machen.

  • Wenn sich hier auch mehr private Mittel und die Unterstützung durch Unternehmer finden würde, wäre dies ein Schritt zu stärkerer Unabhängigkeit der Zivilgesellschaft vom Staat. Darüber hinaus würde es auch den Rechtsextremen deutlicher die Kraft demokratischer Lebenseinstellungen und eines humanen Menschenbildes demonstrieren.

  • Als Symbol wie als Alltagserfahrung muss es in Deutschland Ost wie West zum Standard werden, dass sich rassistische und antisemitische Einstellungen nicht lohnen. Dafür ist die Kooperation mit der Wirtschaft enorm wichtig. Sie sollte darauf verzichten – wie bereits oft geschehen - Demokratieprojekte mit dem Verweis, sie wären "zu politisch", abzulehnen.

Braun-schweig. Pfiffiges T-Shirt eines Kleinunternehmers aus der niedersächsischen Stadt, um gegen Neonazis zu demonstrieren. (© H. Kulick)

In einer immer komplizierter werdenden Welt ist es enorm wichtig mit ebensoviel Leidenschaft wie kühlem Verstand darüber nachzudenken, was die Gesellschaft in der Gegenwart und Zukunft zusammenhalten wird und was sie auseinander treibt. Dies gilt für die internationalen Zusammenhänge, in denen heute bereits sehr viele Menschen leben und arbeiten genauso, wie für das kommunale Geschehen. Die Zivilgesellschaft wird dabei eine immer größere Rolle spielen. Die entscheidende Frage wird jedoch sein, ob sie das Adjektiv zivil dann noch zu Recht trägt. Denn bereits jetzt – der Osten macht es vor – sitzen Rechtsextreme vielen Elternvereinen, Schützenvereinen oder den freiwilligen Feuerwehren vor, leiten "Kulturhäuser", finanzieren als erfolgreiche Unternehmer Veranstaltungen, Konzerte oder Projekte, leisten Nachbarschaftshilfe für allein erziehende (deutsche) Mütter oder organisieren Heimatabende und Paddeltouren mit (deutschen) Jugendlichen. Die Protagonisten solcher Aktivitäten stehen an der Schwelle, bereits selbst eine Bürgergesellschaft darzustellen, die freilich nach inhumanen Kriterien sortiert. Werden diese Kriterien also nicht offensiv von der zivilen Gesellschaft in Beschlag genommen und verteidigt, so fällt das gesellschaftliche Leben möglicherweise den Unzivilen in die Hände.

Es ist immer schwieriger einen langsamen Prozess wahrzunehmen als einen sich rasch vollziehenden und gewiss steht Deutschland keineswegs vor der Gefahr der Machtübernahme durch Neonazis. Und dennoch gilt es etwas zu verteidigen. Eine Gesellschaft darf sich nur zivil nennen, wenn sie ihre Minderheiten zu schützen in der Lage ist und bereit, denjenigen Tag für Tag entgegenzutreten, die unsere mühsam erworbenen demokratischen Standards auszuhöhlen entschlossen sind. Die Geschichte hat es gezeigt.

Fussnoten

Anetta Kahane ist Siftungsratsvorsitzende der Amadeu Antonio Stiftung zur Stärkung von Initiativen für Zivilgesellschaft und demokratische Kultur. Ihr Text wird zugleich publiziert vom Bundesnetzwerk Bürgerschaftliches Engagement (www.b-b-e.de).