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Nazis im Netz. Eine Schüler-Recherche. | Rechtsextremismus | bpb.de

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Nazis im Netz. Eine Schüler-Recherche. Wie sich rechtsextremes Gedankengut fast ungestört auf Flirtplattformen verbreiten kann

Das Martinshorn Von Evelyn Lessig und Sabine Dietz

/ 6 Minuten zu lesen

Längst haben Neonazis eigene Flirtlines eingerichtet oder bieten sich mit eindeutigen Codes auf etablierten Kontaktbörsen an. Zwei Schülerinnen aus Halberstadt in Sachsen-Anhalt haben für ihre Schülerzeitung eine regionale Flirtline unter die Lupe genommen.

Titelbild der Reportage in der Halberstädter Schülerzeitung "Das Martinshorn".

Das Internet: Seit 1990 ist es für alle Menschen zugänglich. Bis heute hat es sich zu einer der größten und, wie es scheint, unabkömmlichsten Erfindungen unseres Zeitalters entwickelt. Mit seinen geradezu unendlichen Möglichkeiten sollte es doch wunderbar geeignet sein, um die Entwicklung der Demokratie voran zu bringen. Jeder kann dort seine Meinung kund tun und jeder kann gehört werden. Doch ist das Internet wirklich so demokratisch, wie wir meinen? Hält sich eine weltweit genutzte und verbreitete Plattform an die Rechte des Menschen? Funktionieren die Kontrollmechanismen der Demokratie?

Spontan sagen wir 'ja', doch wir wollen die Probe auf's Exempel machen.Testobjekt: www.harzflirt.de. Wie gemeinhin bekannt, ist diese Internetseite wie viele andere auch ein Treff für die virtuelle Partner- und Freundessuche. Nett, harmlos, unverfänglich, ein bisschen oberflächlich, wie solche Communities halt sind. Wir wählen gerade diese Plattform aus, weil harzflirt in unserer Gegend eine äußerst beliebte und somit weithin bekannte Community ist. Aber auch, weil wir kurz nach dem Überfall auf Mitglieder des Theaterensembles im virtuellen Gästebuch des Nordharzer Städtebundtheaters auf rechte Profile bei harzflirt.de aufmerksam wurden. Nur ein Zufall, ein Einzelfall, der in wenigen Tagen wieder gelöscht sein würde? Wir recherchierten genauer, und was wir feststellten, schockierte uns doch einigermaßen.

Hat man sich bei harzflirt.de eingeloggt, besteht die Möglichkeit, in den Profilen der anderen Mitglieder nach Eigenschaften und Merkmalen zu suchen, die man für sich als interessant ansehen würde, um so den idealen (Gesprächs-)Partner für die Internetplauderei zu finden. Gibt man aber in die Suchmaske von harzflirt.de Begriffe wie 'national' oder 'Odin' ein, trifft man auf viele Profile, die augenscheinlich rechtsgerichtet sind und dies auch ganz offen zeigen - manche mehr, manche weniger.

Beispiele gefällig? Da wäre zunächst "PitBull-H8". Der 17-jährige Halberstädter benutzt als Dekoration häufig die Abkürzung "SS", er grüßt ganz lieb seine "Kameraaaaaaaden aus Magdeburg :))" und hat große Bilder von Totenköpfen, einem durchgestrichenen Polizisten und der Abkürzung ACAB (All Cops Are Bastards) auf seinem Profil. Am Schluss findet man noch einen sich bewegenden Mittelfinger, der den Betrachter anlächelt, und die Fahne des Deutschen Reiches.

Harzflirt steht nicht alleine. Diese politisch recht eindeutig zuzuordnende Kontaktanzeige fand sich bei bei einem anderen Internet-Betreiber. (© H.Kulick)

Oder aber "EinsamerWolf". Hier springt uns sofort das große Banner "Punks not dead – aber wir arbeiten dran" entgegen, denn: "Dieses Profil ist frei nach dem Motto: GEGEN NAZIS ist KEIN Kampf zu gewinnen." Da hat jemand im Geschichtsunterricht wohl nicht aufgepasst. Schaut man in "EinsamerWolf"s Gästebuch, bietet sich einem ein Anblick, der teilweise nur schwer zu verkraften ist: "Good night left side" , "Ich scheiß auf Zecken", "Fuck of Antifa" und natürlich auch genug ausdrucksstarke Bilder wie das Wegwerfen eines Judensterns in einen Mülleimer, gepostet von "PitBull-H8".

"SNPBoss", ein 16-jähriger Halberstädter, erfreut sich ebenfalls an seinem stark rechten Profil. Ein Gedicht, welches schlichtweg abscheulich ist, endet mit dem Satz "Deutsche macht euch frei von der Judentyrannei!". Symbole wie die Triskele (3-armiges Hakenkreuz – siehe dazu unseren Beitrag ab Seite 10 in diesem Heft), ein gehenkter Mensch mit dem Namen "Zecke" und ein 19 Seiten langer Text über Ruhm und Ehre, die Waffen-SS und das Vaterland Deutschland zeigen nur zu deutlich, welche ideologische Einstellung dieser Jugendliche besitzt. Sein Profil endet mit einer großen 88, aus 8-en geschrieben (auch dazu findet ihr mehr ab Seite 10).

"Heil Euch" - offener rechtsextrem geht es nicht, in diesem Fall richtet sich eine Kontaktanzeige an "Kameraden" im Raum Berlin und Brandenburg...

Die Gästebücher der genannten Profile bergen viele weitere Rechts-Harzflirter, die sich verewigt haben. Im Gästebuch von "*HKL*" ist ein Eintrag von "BennyK18" zu finden: er hebt sein Ideal über alles und verwendet ein Hakenkreuz und die Doppel-Sig-Rune: Beide Symbole sind eindeutig strafbar. In fast jedem rechten Gästebuch lassen sich außerdem unzählige Türkenwitze finden, die geschmacklos und menschenverachtend sind. Wörter wie 'Gay' werden weg geschmissen, rechte Symbole springen einem übergroß ins Auge und Sprüche wie "I hate Nigger" sind ständig zugegen.

Insgesamt wurden für diesen Artikel 16 Profile als Grundlage genommen. Ein wenig Statistik: Das Durchschnittsalter der Profilbesitzer beträgt 20,5 Jahre. Der jüngste ist 16; der Älteste 26. Ganze neun sind aus Wernigerode, was sicher dem Fakt geschuldet ist, dass sich hier eine Freundesgruppe "eingenistet" hat. Zwei Rechte sind aus Halberstadt und jeweils einer aus Nordhausen, Hettstedt, Hattorf, Blankenburg und Quedlinburg. Nur sieben von ihnen haben ein Bild, die anderen neun vielleicht Angst "Gesicht zu zeigen"?

Schülerumfrage:Würdest Du aus einer Community austreten, wenn Du wüsstest, dass sie rechtes Gedankengut unterstützt und toleriert?

Lisa, 11c: Ja, weil ich Rechtsorientierung nicht unterstütze und ich denke, dass dem Problem vorgebeugt werden muss, anstelle es zu unterstützen. Kürzlich, nachdem ich aus den USA zurückkehrte, wurde ich von Freunden gewarnt, nicht mehr alleine im Dunkeln nach Hause zu gehen. Deshalb, denke ich, müssen wir gegen Rechtsextremismus vorgehen.

Andrea, 11b: Nein, da ich mit den Rechten nichts zu tun hab‘. Zu ihnen habe ich keinen Kontakt.

Robert, 12a: Ja, weil man Nazis keine Chance geben sollte ihr Gedankengut im Internet zu verbreiten.

Tina, 11b: Nein, aber ich würde auf meinem Profil Texte gegen Rechts publizieren.

Daniel, 12e: Ja, weil es nicht sein kann, dass solche Seiten das rechte Gedankengut verbreiten und dass Mitmenschen, wie zum Beispiel Kinder, davon beeinflusst werden können. So etwas darf nicht toleriert werden.

Sabine und Tom, 12e: Ja, da es gegen unsere Prinzipien der Gleichberechtigung, Freiheit und Gemeinschaft geht. Menschenverachtende Äußerungen unterstützen wir nicht.

Lisa, 12a: Ja, weil ich gegen Rechtsradikalismus bin und weil das Tolerieren von extremem politischem Gedankengut wie Beihilfe zur Verbreitung ist.

Anna, 11b: Ja, weil mir solche Communities nicht wichtiger sind als meine Meinung, die ganz klar gegen Rechts ist.

Diese Profile sind nur Beispiele für die nicht wenigen vorhandenen Präsentationen von Nazis auf harzflirt.de und im Internet. Die Kette ließe sich noch weiter fortsetzen. Das Internet, ein Katalysator für die Entwicklung der Demokratie? Offensichtlich besitzt dieses neue Medium auch noch eine ganz andere, sehr dunkle und bedrohliche Seite. Aber nun wollten wir doch wissen, ob man nichts gegen solches Treiben tun könne? Hat der Betreiber der Website etwa gar keine Kenntnis von dieser Art Meinungsäußerung oder drückt er einfach beide Augen zu?

Nachgehakt beim Betreiber

Also schickten wir eine E-Mail an die Betreiber von harzflirt.de mit der Frage, wie es sein könne, dass solche teilweise strafbaren, in jedem Fall aber menschenverachtenden und gegen die AGB (siehe Kasten!) verstoßenden Profile überhaupt existieren.

Titelblatt des Halberstädter "Martinshorns". (© H.Kulick)

Die Antwort kam einige Tage später: "Als Community-Betreiber ist man bei Verstössen gegen AGB oder Gesetze immer auf dei Mithilfe der User angewiesen. Die 100.000 Profil[e] regelmässig zu kontrollieren, ist bei kostenloser Nutzung nicht zu finanzieren. [...] Die Aussage "solche Profile werden zugelassen" [ist] falsch. Denn kein Profil wird vor Veröffentlichung einer Prüfung unterzogen und dann zugelassen sondern automatisch sofort veröffentlicht. Somit hat man als Betreiber keine Kenntniss von den einzelnen Profilen." (Orthografische Verstöße im Original)

Harzflirt distanziert sich hier von den gefundenen Inhalten. Doch hat die Internetplattform ihren Pflichten damit schon Genüge getan? Mit unserer Anfrage schickten wir sechs deutlich als rechts zu identifizierende Profilnamen. Drei wurden von harzflirt.de gelöscht, die anderen existieren weiterhin. Noch einmal schrieben wir also an Harzflirt und machten deutlich, dass in unseren Augen weiterhin eindeutig Handlungsbedarf besteht. Es erschien uns nämlich merkwürdig, dass wir innerhalb kürzester Zeit in der Lage waren, an die 20 Profile solcher Art ausfindig zu machen und Harzflirt.de keine Ahnung von diesen haben wollte. Ist es den Betreibern gleichgültig, was auf ihren Seiten passiert? Wie ernst nimmt harzflirt.de die eigenen Geschäftsbedingungen?

Aus dem Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) von harzflirt.de:

"[...] Ferner verpflichtet sich jedes Mitglied, Harzflirt nicht missbräuchlich zu nutzen, insbesondere: - über sie kein diffamierendes, inhaltlich falsches, beleidigendes, obszönes, gotteslästerliches, anstößiges, sexuell ausgerichtetes, bedrohendes, belästigendes oder rassistisches Material zu verbreiten [...] - sie nicht zu benutzen, um andere zu bedrohen, zu belästigen oder die Rechte (einschließlich Persönlichkeitsrechte) anderer zu verletzen [...] Die Nichtbeachtung einer der obigen Verhaltensverpflichtungen kann zu einer sofortigen Kündigung der Mitgliedschaft führen als auch zivil- und strafrechtliche Folgen für das Mitglied selbst haben. Bei Mißbrauch oder Verstoß wird die Schadenshöhe auf 5.000,00 EUR festgesetzt."

Neugierig geworden, hatten wir nämlich inzwischen auch bei anderen Communities recherchiert, und Erstaunliches festgestellt. Rechte Profile zu finden ist bei anderen Anbietern nämlich viel schwieriger, wenn nicht gar fast unmöglich. Die haben nämlich zumeist wirksame Gegenmaßnahmen eingebaut. Auf unsere Anfragen erreichte uns z.B. von Lokalisten.de die Antwort, dass man einen "Petzbutton" eingerichtet hat, den jeder User betätigen kann, sobald er rechtswidrige Inhalte findet. Schon wenig später sind die Verstöße dann gelöscht. Auch auf Schuelerprofile.de kann man die Option "Rechtsverstoß melden" jederzeit und problemlos nutzen.

Wir fragten also bei Harzflirt nach, ob so etwas nicht auch einzurichten wäre. Als Antwort erhielten wir lediglich das folgende sehr dürre Statement: Hallo Schülerzeitung! Die genannten 6 Profile sind inzwischen alle gelöscht. Viele Grüße [...]

Nachgefragt bei Oberstaatsanwalt Helmut Windweh, Halberstadt:Wie strafbar sind rechte Symbole im Internet?

Martinshorn: Ist es möglich, das Nutzen verbotener, rechter Symbole und Inhalte im Internet strafrechtlich zu verfolgen? Oberstaatsanwalt Helmut Windweh, Halberstadt: Ja. Jeder, der solche Symbole veröffentlicht, muss auch die Verantwortung dafür übernehmen. Eine Schwierigkeit besteht jedoch darin, den Schuldigen zu finden und ihm seine Schuld nachzuweisen.

Martinshorn:Können sich die Betreiber von Online-Communities mithilfe eines Absatzes in den AGB, in dem sie sich vom Inhalt der Profile ihrer Nutzer distanzieren, schützen? Helmut Windweh: Dies ist immer vom Einzelfall abhängig. Wenn den Betreffenden nachzuweisen ist, dass ihnen die Inhalte betroffener Profile bekannt waren und sie sie trotzdem bestehen ließen, besteht der Tatbestand der Beihilfe. Die Betreiber haben somit der Verwirklichung der Verbreitung beigeholfen und sie unterstützt/toleriert. Wissen die Betreiber nichts von den Inhalten ihrer Nutzer, können sie nicht strafrechtlich verfolgt werden.

Martinshorn: An wen sollte man sich wenden, wenn man auf rechtsextreme und fremdenfeindliche Inhalte im Internet aufmerksam geworden ist? Helmut Windweh: Man sollte sich umgehend an die Polizei und Staatsanwaltschaft wenden, um Anzeige zu erstatten.

Martinshorn: Wie werden die Nutzung von strafbaren Symbolen und die Beihilfe bei der Verbreitung bestraft? Helmut Windweh: Die Verbreitung verfassungswidriger Symbole wird mit einer Geldstrafe oder einer Freiheitsstrafe von 6-7 Monaten auf Bewährung für Ersttäter bestraft. Wiederholungstäter müssen mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren auf Bewährung rechnen in ganz hartnäckigen Fällen auch bis zu 3 Jahren ohne Bewährung. Die Beihilfe zur Verbreitung wird mit milderen Strafen versehen.

Martinshorn: Ist es rechtlich auch strafbar, wenn scheinbar sinnlose Zeichenfolgen verwendet werden, die erst in ihrer Gesamtheit ein verfassungsfeindliches Symbol, Bild, einen Text usw. ergeben? Helmut Windweh: Wenn "Propagandamittel, die nach ihrem Inhalt dazu bestimmt sind, Bestrebungen einer ehemaligen nationalsozialistischen Organisation fortzusetzen" (§86, StGB) veröffentlicht werden, sind diese strafrechtlich verfolgbar. Deshalb sind es auch zusammengesetzte Zeichenkombinationen. Hierzu gibt es einen Katalog, in welchem alle verbotenen und nicht-verbotenen Symbole aufgelistet sind.

Auf die Frage, weshalb Harzflirt rechte Profile nicht finden würde, gab es keine Antwort. Auf die Frage, ob ein "Petzbutton" eingerichtet werden könnte, gab es keine Antwort. Auf die Frage, weshalb die 6 Profile nicht alle gelöscht wurden, gab es eine Antwort – nur leider stimmte die nicht. Ein kurzer Blick auf die Profile von harzflirt.de zum Redaktionsschluss zeigte ganz deutlich, dass die 3 rechten Profile, die wir benannten, immer noch existieren.

Wir hatten diese Reaktion von harzflirt.de nicht erwartet und finden, dass der Betreiber zumindest gedankenlos, aber eigentlich sogar fahrlässig und verantwortungslos handelt. Wer so etwas im Netz lässt, erweckt den Eindruck: Das ist doch alles gar nicht so schlimm. Er gibt Platz für rechtes Gedankengut im Alltagsdenken, und zwar besonders bei Jugendlichen, denn die sind nun mal die hauptsächlichen Nutzer von harzflirt.

Evelyn Lessig und Sabine Dietz sind Schülerinnen des Gymnasiusm MARTINEUM in Halberstadt (Sachsen-Anhalt) und Redakteurinnen der Schülerzeitung"DAS MARTINSHORN", die fünfmal im Jahr erscheint. Der abgedruckte Text wurde in der Ausgabe Nr. 11 (September 2007) als Titelgeschichte veröffentlicht. Redaktionsschluss war Anfang September. Die lesenswerte Sonderausgabe des MARTINSHORNs über Rechsextremismus kann über dasmartinshorn@aol.com bezogen werden. Wir bedanken uns bei der Redaktion für die freundliche Genehmigung, den Text veröffentlichen zu dürfen.