Es gibt für mich keine Zweifel: die NPD ist strikt antidemokratisch, bekämpft das demokratische System und seine Grundwerte systematisch. Ihr Programm ist rassistisch, völkisch und antisemitisch. Viele ihrer Mitglieder kooperieren eng mit rechtsextremen Strukturen, die sich offen zur Anwendung von politisch motivierter Gewalt bekennen.
Die zentrale Voraussetzung zur Einleitung eines Parteiverbots ist die Begründung, dass die zu verbietende Partei in aktiv kämpferischer Weise das demokratische Staatsfundament nicht nur aushebeln will sondern sich auch schon an die Arbeit gemacht hat. Auch dieses lässt sich möglicherweise mit der NPD verbinden. Eine politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung ist somit unbedingt notwendig. Muss die Partei aber deshalb verboten werden? Hilft ein Verbot der NPD tatsächlich in der Auseinandersetzung mit den rechtsextremen Phänomenen in Deutschland? Oder weckt die Verbotsdebatte lediglich falsche Hoffnungen und wirkt sie so vielleicht sogar kontraproduktiv? Es gilt die Argumente für ein pro und contra zu sichten, zu bewerten und zu gewichten.
Sichtung der Argumente
Viele Befürworter eines Verbotsantrags begründen ihre Ansicht mit dem Argument, es sei unerträglich, wenn rechtsextreme Parteien Zugang zu staatlichen Geldern wie Wahlkampfkostenrückerstattungen, Spendenbegünstigungen oder sogar Aufbauhilfen für ihre politische "Bildung" durch parteinahe Stiftungen bekämen. Moralisch ist dem nicht zu widersprechen. In den Genuss von Wahlkampfkostenrückerstattungen oder Stiftungszuschüsse kommen nur erfolgreiche Parteien, die in der Regel mindestens 1% der Stimmen bekommen. Über den Erfolg entscheidet in der Demokratie der Souverän: der Bürger. Wählt dieser rechtsextreme Parteien, stehen diesen aus Gründen der Chancengleichheit unter den Parteien die Zuschüsse auch zu. Ein einfaches Mittel den Geldfluss zu unterbinden ist die Wahl einer demokratischen Partei oder eine Überarbeitung der Parteifinanzierungen im Allgemeinen. Letzteres scheitert derzeitig am Unwillen der demokratischen Parteien. Das Wahlergebnis des Souveräns kann dabei nicht einfach angezweifelt werden, nur weil die finanziellen Folgen nicht gefallen. Überhaupt ist immer zu bedenken, dass ein Parteiverbot ein zunächst undemokratisches Mittel ist, welches erst anzuwenden ist, wenn die Demokratie tatsächlich in Gefahr ist und wesentliche sonstige Mittel der Auseinandersetzung ausgeschöpft sind. Weder in Sachsen noch in Mecklenburg Vorpommern beeinträchtigen die NPD Fraktionen das Funktionieren der parlamentarischen Demokratie an sich jedoch in ernsthafter Form.
Sichtung der Argumente
Dem Geldargument recht ähnlich ist der Hinweis, man dürfe rechtsextremen Parteien keine öffentlichen Plattformen zur Verbreitung ihrer Ideologien zur Verfügung stellen. Moralisch und für den Einzelnen ist dieses wieder richtig. Der Souverän jedoch bestimmt in einer Demokratie, durch wen er sich vertreten lassen will und damit auch was er vor und eingeschränkt nach der Wahl zu hören bekommt. Müssen die Bürger somit vor sich selbst geschützt werden, ließe sich fragen. Im gewissen Sinne lautet die Antwort "ja". Nur dass dieser Schutz eher in den Bereichen politischer Bildung, der Stärkung der demokratischen Netzwerke in der Zivilgesellschaft als Sozialisationsinstanz der Bürger und der attraktiven Gestaltung der demokratischen Parteien und deren Erkennen von zentralen Politikfeldern und Entwicklung glaubhafter Antworten auf offene Fragen der Bürger besteht und eben nicht darin, besonders den Parteien diese (manchmal unbequeme) Arbeit abzunehmen, indem unliebsame Konkurrenten schlicht verboten werden.
Herausragend scheint in der Gesamtdebatte das Argument, dass ein Verbot der NPD erhebliche Unruhe und Verwirrungen in den Aufbau des rechtsextremen Netzwerkes bringen würde. Dieses ist zweifellos richtig und letztendlich bei der Abwägung der Argumente auch schwergewichtig. Betrachtet man aber den jüngsten Auslöser der Debatte, so kommen einen doch Zweifel. In Mecklenburg Vorpommern ist die NPD eine von den freien Kameradschaften bestimmte und dominierte Partei. Sie garantieren ihre Bürgernähe, ein Teil des Personals stammt aus ihnen, sie waren federführend im Wahlkampf tätig und leisteten jahrelange rechtsextreme Basisarbeit in den Kommunen. Ein Verbot der NPD würde diese Grundstrukturen nicht tangieren. Ein Arbeitszweig fiele weg, genügend andere blieben übrig. Hinzu kommt wiederholt die Überlegung, ob bereits alle Mittel zur Erfüllung dieses Zweckes angewendet wurden. Ein Beispiel zur Illustration: Erhebliche Unruhen entstehen z.B. immer dann, wenn zentrale Figuren den "Ausstieg" wagen und diesen veröffentlichen. Aus der Arbeit von EXIT Deutschland kennen wir genügend Fälle, dass der Einsatz von Aussteigern in der politischen Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit z. T. enorme Auswirkungen auf regionale rechtsextreme Strukturen hatte. An die Stelle eines Verbots könnte stattdessen eine Ausweitung dieses Ansatzes treten. Derzeitig steht EXIT-Deutschland aber vor dem faktischen Aus. Sind die Mittel für solche Projekte wirklich schon ausgeschöpft?
Immer wieder wird auch die Sorge vorgetragen, ein Erfolg der NPD sei negativ für das Ansehen Deutschlands im Ausland. Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sei entschiedenes Handeln notwendig. Aber auch hier muss gefragt werden: Rechtfertigt dieses Interesse ein Parteiverbots als letztes Mittel des Staates? Zu bedenken ist beispielsweise, dass Verbote von Parteien in vielen traditionellen Demokratien wie in Großbritannien oder den USA schlicht undenkbar sind und explizit als undemokratisch angesehen werden, da dort ein erweitertes Verständnis von Meinungsfreiheit verbreitet ist.
Aufsehen erregen im Ausland neben überragenden NPD-Ergebnissen vor allem die Rekordhöhe an rechtsextremen Gewalttaten oder die Debatten um so genannte "No-go-areas". Beide Phänomene lassen sich jedoch nur mittelbar mit der engeren Partei in Verbindung bringen, und selbst Befürworter des Verbots geben zu, dass rechtsextreme Gewalt- und Dominanzbestrebungen bereits jetzt verboten sind und deshalb der rechtsstaatlichen und zivilgesellschaftlichen Gegenwehr und nicht alleine eines Parteiverbots bedürfen.
Gegner des Verbots meinen, ein Verbot schaffe neue rechtsextreme Märtyrer und damit neue Helden des Rechtsextremismus, die aus dem Opferstatus des Verbotenen politisches Kapital schlagen werden. Betrachtet man die Geschichte des bisher einzigen Verbots einer rechtsextremen Partei in Deutschland, so sind aus der Debatte keine neuen rechtsextremen Helden überliefert. Hinzu kommt, dass die rechtsextreme Szene bereits jetzt über eigene Vordenker, Führergestalten und Musikikonen verfügt. Ob deren Ansehen durch ein Verbot tatsächlich gesteigert würde oder neue (wer sollte das sein?) entstehen, ist zumindest fraglich.
Sichtung der Argumente
Ein NPD Verbot, so die große Hoffnung, schaffe zusätzlich zentrale Handlungsvereinfachungen in den Kommunen, aber auch im Land. Schließlich müssten demokratische Parteien dann nicht überlegen, wie sie im Kommunal- oder Landesparlament mit den rechtsextremen Konkurrenten umzugehen gedenken. Gerade vor Ort bin ich immer wieder auf den z. T. verzweifelten Ausruf gestoßen, es müsse endlich das Verbot her, um wieder in Ruhe politisch arbeiten zu können oder auch das öffentliche Leben in Form von Festen und Veranstaltungen aufrecht erhalten zu können, die ansonsten in Permanenz von rechtsextremer Seite als Agitationsfeld genützt würden. Nur bedeutet ein NPD Verbot eben nicht, dass der Rechtsextremismus verschwunden ist. Es ist lediglich die Hülle einer Partei, die nicht mehr verwendet werden darf.
Rechtsextreme Störungen, Unterwanderungen, Wortergreifungsstrategien, Probleme mit entsprechenden Schülern, selbsternannten Fußballfans, aus dem Ruder geratenden Jugendclubs und politisch interessierten Ideologen wie Spinnern wird es trotz Verbot weiterhin geben. Hier hilft nur, den Umgang mit diesen Personen festzulegen, die politische Auseinandersetzung zu lernen und Regeln des Umgangs festzulegen und umzusetzen. Dieser Weg ist mühsam aber als einziger erfolgreich. Die NPD ist zwar nicht verboten, aber dennoch rassistisch, antisemitisch und antidemokratisch und deshalb noch lange keine "normale Partei wie alle anderen". An die Stelle des kalten Verbots muss die feurige politische Auseinandersetzung mit ihren Werten, Zielen und politischen Aussagen treten. Dies gelingt nur, wenn sich die demokratische Seite ihrer eigenen Werte, Ziele und politischen Grundkriterien sicher und treu ist. Insofern bietet die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Parteien sogar auch die Chance zur demokratischen Selbstdefinition und öffentlichen Erklärung.
Der neuerliche Anlass der Debatte erregt zusätzlich einen bösen Verdacht. Nicht die Rekordzahl an rechtsextremen Gewalttaten, nicht die Diskussion um so genannte "No-go-areas" für alle, die nicht ins enge Gedankenkorsett der Rechtsextremen passen, sondern erst die Umfragen vor der Wahl in Mecklenburg-Vorpommern sowie die gewalttätigen Auseinandersetzungen von rechtsextremer Seite im Berliner und Mecklenburg-Vorpommerschen Wahlkämpfen inspirierten die Gedanken von neuen. Die Forderung soll Standhaftigkeit und Durchsetzungsfähigkeit der demokratischen Seite suggerieren, dürfte aber eher Ausdruck von Schwäche und Hilflosigkeit denn von Stärke sein. Wenn das Thema tatsächlich diese Relevanz hätte, dass eines der letzten Mittel des Verbots zu nutzen sei, warum verlief dann die Debatte um die Weiterführung der präventiven wie interventiven Programme gegen Rechtsextremismus so schleppend? Wo bleibt die Debatte zur Stärkung der politischen Bildung und Demokratieerziehung in Schule, Jugend- und Erwachsenenarbeit? Wo bleibt der politische Diskurs zur Aktivierung des sozialen Kapitals, zur Stärkung der Bürgergesellschaft? Auch konnte keiner der wortgewaltigen Protagonisten bisher klären, wie das grundsätzliche Dilemma des letzten Verbotsversuches aus der Welt zu schaffen sei. Zur Erinnerung: Das Bundesverfassungsgericht konnte den Antrag nicht behandeln, da die Anzahl der V-Leute der Bundes- und Landesverfassungsschutzämter unbekannt sei und damit nicht klar sei, ob die der Partei zugeordneten demokratiefeindlichen Aussagen aus freien Stücken geäußert wurden oder sogar staatlich beobachtet, wenn nicht sogar unterstützt waren.
Der Grad der Durchdringung der Partei von den Verfassungsschutzämtern wurde zumindest theoretisch als optional so hoch eingestuft, dass das Bundesverfassungsgericht sich nicht in der eindeutigen Lage sah, selbständige Programmziele und –aktivitäten zu erkennen und danach zu bewerten. Eine Lösung des Problems bestünde darin, dass die V-Leute offen gelegt würden. Keines der Verfassungsschutzämter und soweit mir bekannt ist auch kein Innenminister ist derzeitig bereit, diesen Schritt zu wagen, sodass die zentrale Voraussetzung für ein neues Verfahren willentlich nicht erfüllt wird und auch keiner der Befürworter in der bisherigen Debatte überzeugend darlegen konnte, wie dieses Problem zu lösen sei.
Warum dann gerade jetzt diese Debatte? Sie soll davon ablenken, dass es in einigen Regionen Deutschlands zu einer starken kommunalen Verankerung des Rechtsextremismus in Ideologie und Struktur gekommen ist. In diesen Regionen sind Demokratie und Rechtsstaat zwar formal durchgesetzt. Ihnen fehlt dort aber die Unterfütterung durch eine demokratische Zivilgesellschaft und demokratische Einstellungen in wesentlichen Teilen der Bevölkerung. Der Rechtsextremismus konnte sich dort z. T. als Lebenswelt und gedankliche wie praktische Alternative zur Demokratie etablieren und der NPD gelang es, sich als Parlamentsvertretung anzubieten. Gegen dieses Problem hilft aber kein Verbot, kein symbolhafter Aufstand irgendwelcher Anständigen sondern nur eine Politik, die den peripheren, strukturschwachen Regionen wieder eine Zukunft vermittelt. Gegen dieses Problem hilft es nur, neu über Maßnahmen der Demokratieförderung und –verankerung nachzudenken. Dieses Problem lässt sich nur lösen und nicht in Parteiform verbieten.
Folgerung
Letztendlich bedeutet dieses, dass nur ein Argument der Befürworter wirklich überzeugt: Eine Verunsicherung der Szene ist anzustreben. Dazu sind aber noch nicht alle Maßnahmen ausgeschöpft wurden, so dass letztendlich die Zweifel und die Kritik an einem neuen Verbotsverfahren überwiegen. Für ungelöst halte ich die Frage, wie überhaupt ein neues Verfahren eingeleitet werden könnte, so lange weder ein politischer Wille erkennbar ist, die Bedingungen des Bundesverfassungsgerichts zu erfüllen, noch die parallelen Diskurse zur Ausnutzung aller staatlichen Optionen zum Umgang mit den rechtsextremen Phänomenen überzeugen. So bleibt der Eindruck einer medialen Luftnummer, in der politische Gedankenschwäche, Tatenlosigkeit und Unsicherheiten durch Lautstärke und Verbalakrobatik ersetzt werden sollen.
Berlin / Greifswald, November 2006