Das große, schwarze Hakenkreuz prangt inmitten eines goldenen Kranzes. Darum sind vier goldene Reichsadler vor blutrotem Hindergrund abgebildet, die jeweils ein Hakenkreuz in ihren Fängen tragen. Dieses Bild sieht den Besucher, wenn er die persönliche Seite von Mario S. auf dem Internetportal SchülerVZ besucht. Wie es sich für Mitglieder dieses Online-Netzwerkes gehört, hat Mario S. auf seiner Seite ausgiebige Informationen zu seiner Person ausgebreitet. Er ist demnach ein 14-jähriger Schüler aus Österreich. Als sein Lieblingsbuch bezeichnet er "Das dritte Reich", er gibt an, Nazis und Skinheads zu mögen, nicht aber "Juden, Punker, Kommunisten und Neger". Über sich selber schreibt er: "Ich bin Nazi."
SchülerVZ ist ein Online-Netzwerk, das sich ausdrücklich an Schüler ab zwölf Jahren richtet und ihnen die Möglichkeit bietet, sich in virtuellen Gruppen zu treffen und miteinander auszutauschen. Nach Seitenabrufen ist die erst Anfang 2007 gegründete Webseite die zweitgrößte in Deutschland. Aus der Schmuddelecke kommt sie nicht raus. Im Sommer 2007 hatte stern.de rechtsradikale und pornographische Inhalte auf SchülerVZ entdeckt. Davon aufgeschreckt wurden die Betreiber von der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Anbieter (FSM) verwarnt. Bei SchülerVZ räumte man damals "Handlungsbedarf" ein und kündigte an, in Zukunft mehr für den Jugendschutz tun zu wollen. Erste Maßnahmen seien von den Betreibern seitdem umgesetzt worden, heißt es nun von FSM und Jugendschutz.net, der Internet-Kinderschutzinstitution der Bundesländer, zu stern.de. Aber: "Jugendgefährdende Inhalte sind weiterhin leicht zu finden", meint Friedemann Schindler, Leiter von jugenschutz.net.
Diese Einschätzung bestätigten Stichproben von stern.de in den vergangenen Wochen. Zwar wurden nach Angaben von SchülerVZ im Sommer zwei Filter eingesetzt. Sie sollen die Gründung von Gruppen, die Begriffe wie "Hure" oder "Ficken" enthalten, und die Suche nach diesen Ausdrücken verhindern. Aber die Seite von Mario S. ist kein Einzelfall. stern.de fand weitere zweifelhafte Inhalte. So etwa hat das Mitglied Kalle K. die Gruppe "Heil Hitler" gegründet. Als Illustration wählte auch er ein Hakenkreuz - ein Symbol, dessen Verwendung mit bis zu dreijähriger Gefängnisstrafe geahndet werden kann. Allerdings macht sich nach Angaben der Staatsanwaltschaft Berlin SchülerVZ nicht strafbar, da Diensteanbieter nicht verpflichtet seien, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen.
Ähnliches Gedankengut wie Kalle K. scheint die Mitglieder der SchülerVZ-Gruppe "NPD/JN" zu vereinen. Mit einem NPD-Plakat - Aufschrift "Deutschland über alles" - wird hier um Mitglieder geworben. Sinn der Gruppe: "Hier können NPD Nachrichten/Neuigkeiten, Wahlergebnisse etc. bekannt gegeben werden". So zumindest steht es auf der Startseite der Gruppe. Doch die Mitlieder von SchülerVZ, davon natürlich auch viele Minderjährige, können sich nicht nur mit Neuigkeiten über die rechtsextreme Szene versorgen. Sie sind nur wenige Mausklicks davon entfernt, Informationen und die entsprechenden Internetadressen zu Hardcore-Porno-Seiten zu bekommen. So etwa in einer Gruppe von Anhängern eines amerikanischen Pornostars, die sich "Jenna Jameson Fanclub" nennt. Einer der immerhin knapp 600 Mitglieder ist der angeblich erst 14-jährige Denis K. Mit den Worten "Das ist die beste im ganzen Netz!! Das Portal von xnxx.com!!" empfiehlt er den Besuch einer frei zugänglichen Hardcore-Porno-Seite.
Von stern.de auf diese Inhalte angesprochen, zeigten sich Experten und Jugendschützer besorgt. Friedemann Schindler von Jugendschutz.net fordert: "Die Anstrengungen für eine bessere Berücksichtigung des Jugendschutzes können und müssen verstärkt werden". Im SchülerVZ und anderen Social Networks gibt es nach wie vor Jugendschutzprobleme." Auch Maja Winter von FSM äußerte sich kritisch: "Eigentlich dürften es solche Inhalte nicht auftauchen, da müsste der Filter noch optimiert werden", sagt sie. Von einer erneuten Verwarnung sehe man jedoch ab, die Verantwortlichen von SchülerVZ hätten seit den Berichten von stern.de Maßnahmen ergriffen und den Nachweis erbracht, dass sie sich für den Jugendschutz engagierten.
Das sieht Beate Krafft-Schöning ganz anders. Der Jugendschutz bei SchülerVZ sei Makulatur, meint die Expertin für Jugendschutz im Internet und Autorin des Buches "Nur ein Mausklick zum Grauen - Jugend und Medien". "Diese Seite ist nicht kindgerecht und teilweise sogar jugendgefährdend", sagt Krafft-Schöning. "Es geht den Betreibern nur um das Geldverdienen. Für mich hat sich bei SchülerVZ in den vergangenen Monaten nur vordergründig etwas geändert." Diese Meinung teilt auch Michael Kappe vom Kinderschutzverein childcare angesichts der Hinweise auf die Porno-Seiten: "Wenn es solche Inhalte auf SchülerVZ immer noch gibt, ist das eine harte Nummer. Man sollte sich überlegen, ob man dort überhaupt geeignet ist, ein solches Portal zu führen." Kappe ruft die Verantwortlichen von SchülerVZ dazu auf, stärker auf den Jugendschutz zu achten. "Denn es ist nicht damit getan, hin und wieder ein paar Gruppen zu löschen."
Kopfschüttelnd reagierte Holger Kulick, Redaktionsleiter der Website mut-gegen-rechte-Gewalt, auf die Vielzahl an rechtsextremen Inhalten auf Schülervz. "Es verblüfft mich, dass hier so offen verbotene Nazi-Symbole gezeigt werden dürfen und Fremdenhass propagiert werden kann. Ich zweifele daran, ob hier der Betreiber aufmerksam seine Seite durchgesehen hat und seiner Sorgfaltspflicht nachkommt", sagt der Berliner Rechtsextremismusexperte. Demokratie habe eben nicht nur mit Meinungsfreiheit, sondern auch mit dem Respekt vor humanistischen Werten zu tun. "Die Würde des Menschen wird mit solchen Inhalten verletzt, dieser offene Hass hat auf einer solchen Seite nichts verloren."
Leider sei die Zurschaustellung einer - oft unreflektierten - rechten Gesinnung derzeit bei vielen jungen Leuten schick, meint Kulick. Die finden es cool, auf solche Art zu provozieren. Er appelliert an die Betreiber von Schülervz, die betreffenden Mitglieder direkt auf ihr Verhalten anzusprechen, zu verwarnen und erst, wenn sie nicht reagieren, von der Seite zu verbannen: "Wichtig ist, ihnen zu begründen, dass es hier um Ethik geht und nicht um Zensur". Das gleiche gelte für die Studentenplattform StudiVZ, auf der nach Beobachtungen der MUT-Redaktion auch immer wieder Rechtsaußen versuchen, Netzwerkarbeit zu betreiben.
SchülerVZ weist Kritik zurück
Bei SchülerVZ jedoch gibt man sich selbstbewusst. Schließlich würden jeden Tag 80 bis 120 Profile von Nutzern und 80 Gruppen gelöscht, sagte Philippe Gröschel, Jugendschutz- beauftragte von SchülerVZ zu stern.de. "Aber natürlich ist SchülerVZ ein Abbild der Gesellschaft und der Jugend. Auch bei uns geschehen, wie in jeder Großstadt, Dinge, die nicht im allgemeinen Interesse sind. So ist es natürlich nicht in unserem Sinne, dass Hakenkreuze hochgeladen werden."
Die Seite, die dem Medienkonzern Holtzbrinck gehört, ist der Shooting-Star unter den Online-Netzwerken. Gegründet erst im Februar 2007 hat SchülerVZ, das kleine Geschwisterchen von StudiVZ, nach eigenen Angaben mittlerweile rund 2,8 Millionen Mitglieder, täglich kommen demnach rund 12.000 neue dazu.
Diese große virtuelle Gemeinschaft will betreut werden. Mittlerweile seien deshalb 65 Mitarbeiter damit beschäftigt, täglich rund 4000 Hinweisen auf fragwürdige Gruppen, Fotos und Personen nachzugehen, sagte Gröschel. Diese Hinweise gingen ausschließlich von Mitgliedern ein, eigeninitiativ würden seine Mitarbeiter nicht recherchieren. "Unsere Community ist so groß, die beste Überwachung wird durch die Mitglieder gewährleistet.", sagte Gröschel. Auch gebe es für dieses Prinzip juristische Gründe. Denn sollte man als Betreiber einmal anfangen, systematisch nach unzulässigen Inhalten zu suchen, hafte man für den gesamten Inhalt der Seite. Bisher sei die Haftung für SchülerVZ erst gegeben, wenn man trotz der Kenntnis über unzulässige Inhalte diese nicht unverzüglich lösche, so Gröschel.
"Aufklärungsbedarf ist hoch"
Wer auf SchülerVZ gezielt sucht, wird auch fündig. Netzwerkähnlich verlinken die dann aufgefunden Rechten auf weitere Einträge und Gruppen, die ihre Ideologie verbreiten. Screenshot, 14.2.2008.
(© H.Kulick)
Wer auf SchülerVZ gezielt sucht, wird auch fündig. Netzwerkähnlich verlinken die dann aufgefunden Rechten auf weitere Einträge und Gruppen, die ihre Ideologie verbreiten. Screenshot, 14.2.2008.
(© H.Kulick)
Eine vollständige Kontrolle aller Gruppen und Personen auf einer Seite, die täglich von hunderttausenden Nutzern frequentiert wird, ist jedoch illusorisch. Darüber sind sich Jugendschützer einig. Und dies scheinen mittlerweile auch viele Eltern zu realisieren. Jugendschutz.net habe im vergangenen halben Jahres einen starken Anstieg von Anfragen zu Social Networks verzeichnet, sagte Friedemann Schindler. "Der Aufklärungsbedarf über Gefahren und wie man ihnen begegnet, ist bei Eltern besonders hoch." Schindler bittet deshalb die Nutzer dieser Seiten sowie auch deren Eltern darum, Verstöße an den Betreiber zu melden. Sollten unzulässige Inhalte dann nicht umgehend beseitigt werden, könne man gegen die Betreiber vorgehen.
Soweit wollen es die Verantwortlichen von SchülerVZ natürlich nicht kommen lassen, sie versuchen deshalb offensichtlich, auf den steigenden Beratungsbedarf von Eltern und Lehrern einzugehen. So bietet SchülerVZ diesen pro Woche vier Telefon-Sprechstunden mit Diplom-Pädagogen an und hält auf der Startseite für Eltern und Lehrern Informationen zu dem Portal bereit. SchülerVZ-Sprecher Philippe Gröschel: "Wir sind sehr engagiert und rege im Jugendschutz und tun alles, was uns möglich ist."
Anmerkung d. Red.: Kurze Zeit, nachdem stern.de die erwähnten Inhalte auf SchülerVZ entdeckt hatte, wurden sie offensichtlich entfernt. Soweit das geht. Auch die SchülerVZ-Gruppe "Heil Hitler" war nicht mehr auffindbar. Aber Mario S. nannte sich prompt in "Matsche Ssssssssss" um und ersetzte das Hakenkreuz-Bild mit dem Logo der Gruppe "Landser". "Landser" ist einer der bekanntesten Musikgruppen aus dem neonazistischen Milieu. Dieses Problem ist nicht einfach zu lösen - das rasche Umtaufen und Tarnen problematischer Inhalte betreiben einige Schüler wie ein Spiel.
Der Artikel erschien am 18.2.2008 auf stern.de (http://www.stern.de/politik/panorama/: Online-Netzwerk--Hakenkreuz- Fremdenhass-SchülerVZ/611450.html)