Herr Koch, warum landen Jugendliche wie Michael Hopf * in rechtsextremen Cliquen? Er kommt aus keinem rechtsextremen Elternhaus ...
... das ist auch längst nicht mehr der "klassische Fall". Das galt für einen Teil junger Neonazis der "ersten Generation".
Michael scheint sich aber auch nie für Politik interessiert zu haben oder zu interessieren.
Politik treibt nur wenige Jugendliche in die Szene. Die meisten Jugendlichen suchen Anerkennung. Anerkennung und das Gefühl dazuzugehören.
Können Sie das konkreter sagen?
Fast alle Aussteiger nennen als Motiv für ihren Einstieg: "Ich fühlte mich anerkannt und zugehörig – unabhängig davon, wer ich bin und was ich habe." Das macht die Szene besonders attraktiv für Jugendliche, die sich anderswo nicht wahrgenommen fühlen.
In der Schule?
Zum Beispiel. Oder im Sport, bei den Eltern, beim anderen Geschlecht ...
Meint Zugehörigkeit die in der Szene viel beschworene "Kameradschaft"?
Das Wort fällt in diesem Zusammenhang immer. Auffällig ist, dass die Aussteiger so gut wie nie von "Freundschaft" sprechen.
Ist "Kameradschaft" nicht einfach das szenetypische Wort dafür?
Keineswegs. Für "Kameradschaften" im Sinne von Freundschaften ist die Szene viel zu aggressiv.
Auch nach innen?
Gerade nach innen. Das Verhalten untereinander ist oft hochgradig feindselig. Obwohl die Szene "Kameradschaft" geradezu zwanghaft idealisiert, ist sie nach innen oft wertlos.
Wie kommt das?
Das gegenseitige Misstrauen ist groß. Fast jeder kennt Straftaten des anderen, aus der Mitwisserschaft resultieren Kontrolle, Drohungen und Gewalt – und im Umkehrschluss natürlich auch Angst. Das schweißt die Szene zusammen. Nicht Freundschaft.
Wenn das so ist, macht das den Zulauf von Jugendlichen noch unerklärlicher.
Nein, denn nach außen bedeutet "Kameradschaft " tatsächlich viel. Sie bringt Macht und Anerkennung. Wenn drei stadtbekannte Glatzköpfe in ihren Springerstiefeln auf dem Bürgersteig gehen, wechseln die Leute die Straßenseite. Das gibt vielen Jugendlichen ein Machtgefühl, wie sie es nie zuvor erlebt haben.
Die meisten Jugendlichen in der Szene sind keine bulligen Glatzköpfe. Michael zum Beispiel entspricht nicht diesem Klischee.
Aber viele wissen: Er gehört dazu, er hat auch solche "Kameraden" ...
... die sitzen aber in der Schule nicht neben ihm.
Im übertragenen Sinne schon. Auch in der Schule kennt ihn plötzlich jeder – als den, "der bei den Neonazis mitmacht". Jugendliche wie er brauchen in ihrer Klasse kaum Gleichgesinnte, um wahrgenommen zu werden.
Warum nicht?
Ein Beispiel: Der rechte Jugendliche sagt: "Ich möchte darauf zurückkommen, was Kamerad XY gesagt hat." Dann verbittet sich der Lehrer in der Regel den Begriff "Kamerad". Der Jugendliche fragt nach, was der Lehrer denn gegen "Kameradschaft " habe, und bringt so vielleicht eine Autoritätsperson vor der ganzen Klasse argumentativ ins Schleudern. Das ist ein tolles Machterlebnis für einen jungen Menschen.
* Name geändert