Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Aussteigen, aber wie? | Rechtsextremismus | bpb.de

Rechtsextremismus Was ist Rechtsextremismus? Rassismus Was ist eigentlich Rassismus? Rassen? Gibt's doch gar nicht! Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? Alltagsrassismus Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert Infografik Rassismus Verschwörungstheorien Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom Die Reichsideologie Die Protokolle der Weisen von Zion Debatte: Extremismustheorie Der Extremismusbegriff Kritische Anmerkungen zum Extremismuskonzept Weiterführende Literatur Ideologie Rechtsextreme Einstellungen Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland Was denkt die NPD? Rechtsextremismus: die internationale Debatte Intellektueller Rechtsextremismus Muslimfeindlichkeit Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik Interview Hafez Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor Virtuelle Kreuzritter Konkurrenz der Leidtragenden Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander Antisemitismus Antisemitismus heute Interview mit Marina Chernivsky Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Die AfD und der Antisemitismus Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland Ungezählte Opfer Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus Wie organisieren sich Rechtsextreme? Internationale Netzwerke Die Eurasierbewegung und die Neue Rechte Die APF: Europas rechtsextremer Rand Rechtsextreme US-Szene Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert Globalisierte Anti-Globalisten Die Identitären Neonazis in Russland Hammerskins Kampfsport, Runen, Rassenhass Rechtsextremistische Parteien in Europa Rechtsextremismus in Russland (Miss-)Erfolge der „Identitären“ NPD Mehr als 50 Jahre rechtsextrem Das Parteiprogramm der NPD Frauen in der NPD Radikal besorgte Bürger Wer wählt eigentlich rechtsextrem? NPD-Taktiken Das Potenzial der NPD NPD-Verbot und Parteienfinanzierung Autonome Nationalisten Turnschuhe statt Springerstiefel "Dortmund ist unsere Stadt" Aussteigerinterview Webtalk: Autonome Nationalisten Rechtsextreme Parteien in Europa Rechtsextreme Akteure in Deutschland Rechtsextreme Szenen und Medien Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Interview mit Eberhard Seibel Heimatliebe, Nationalstolz und Rassismus Graue Wölfe Nationalismus und Autoritarismus auf Türkisch Antisemitismus bei Muslimen Russlanddeutsche GMF bei Polnischstämmigen Debatte: "Deutschenfeindlichkeit" Jugendkulturen Runen gestern, heute, morgen Jugendkulturen im Wandel Codes der rechtsextremen Szene Interview mit Christoph Schulze Tipps für Jugendeinrichtungen Burschenschaften Kameradschaften Neonazis hinter weißen Masken Kameradschaften im Visier Einführung Jugendkultur Kampfsport Was liest der rechte Rand? Geschichte der rechtsextremen Presse Gegenöffentlichkeit von rechtsaußen Der rechte Rand: Verlage Der rechte Rand: Publikationen Audio-Slideshow Männer Männliche Überlegenheitsvorstellungen Homosexualität Rechtsextreme Männerbilder Soldatische Männlichkeit Burschenschafter Autoritär-rechte Männlichkeiten Musik Die neonazistische Musik-Szene Neue Töne von Rechtsaußen Rechtsrock für's Vaterland Rechtsrock: Millionen mit Hass Verklausulierte Volksverhetzung Interview mit David Begrich Elf rechte Bands im Überblick Frauen Auf die sanfte Tour Feminismus von rechts Rechte Aktivistinnen Frauen in der NPD Rechtsradikale Frauen Rechtsextrem orientierte Frauen und Mädchen Frauen im rechtsextremen Spektrum Aussteigerinnen Nazis im Netz Roots Germania Rechtsextremismus im Internet Das braune Netz Neonazis im Web 2.0 Zocken am rechten Rand TikTok und Rechtsextremismus Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Rechtsextremismus und Presse Interview mit Ulrich Wolf Der NSU und die Medienberichterstattung Umgang mit Leserkommentaren Ein kurzer Ratgeber für Journalisten Krimi gegen Rechts Tonangebende rechtsextreme Printmedien Wenn Neonazis Kinder kriegen Die nächste Generation Hass Umgang mit Kindern von Neonazis Eine Mutter und ihre Kinder steigen aus "Mein Kampf" "Wir wollen den Zünder ausbauen" Helfen Gesetze gegen "Mein Kampf"? Gemeinfrei: "Mein Kampf" Hitlers "Mein Kampf" – ein unterschätztes Buch Rechtsextreme Kampagnen-Themen "Gender" und "Genderwahn" Ökologie Grüne Braune Wie grün waren die Nazis? Interview mit Elisabeth Siebert Debatte: Kommunale Flüchtlingspolitik Nach Köln Flüchtlingsunterkünfte Interview mit Oliver Malchow Was kommunale Flüchtlingspolitik leisten kann – und muss Deutsche Asylpolitik, europäischer Kontext Wer erhält welches Asyl? "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …" – Ein Faktencheck Anstoß in der Kreisklasse Handlungsspielraum der Kommunen Meinung: Die Probleme waren schon vor den Flüchtlingen da Meinung: Kommunale Flüchtlingspolitik aus der Sicht des Bundes Meinung: Probleme und Lösungswege in der kommunalen Flüchtlingspolitik Meinung: Flüchtlingsarbeit in den Kommunen – Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft TwitterChat: Kommunale Flüchtlingspolitik Fußball Judenhass im Fußball Film: Rechtsextremismus und Diskriminierung in deutschen Fußballstadien Interaktiver Webtalk: Über den rechten Flügel – Neonazis und Fußball Fußball und Rechtsextremismus Interaktive Grafik: Rechtsextreme Vorfälle in Fußballstadien Angriff von rechtsaußen Rechtsextreme BVB-Fans Audio-Interview: Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball Audio: Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion Vereine und Verbände Extrem rechte Fußballfans und die Nationalmannschaft des DFB Die Erzählung vom ‘großen Austausch’ Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Grauzonen Die "Neue Rechte" Interview mit Maren Brandenburger Der rechte Rand des politischen Systems der Bundesrepublik Die völkische Bewegung Die Junge Freiheit Das Institut für Staatspolitik Völkische Jugendbünde Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie Rechtsextreme Esoterik Rechtsextreme Diskursstrategien Rechtsextreme Gewalt Rechtsextreme Gewalt Angriff auf die Lokalpolitik Rechtsterrorismus Der Einzeltäter im Terrorismus Der Weg zum NSU-Urteil NSU-Verfahren Storify des Chats zu #3JahreNSUprozess Der Anschlag auf Henriette Reker Video: Die migrantische Community und der NSU Der NSU-Untersuchungsausschuss Protokolle NSU-Ausschuss Chat: NSU-Untersuchungsausschuss Interaktive Grafik: Die Taten des NSU Der NSU Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) Die rechtsextreme Szene und der NSU Der Rechtsterrorismus im Verborgenen Chronik des Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus in Europa PMK – Methoden und Debatten PMK – Statistiken Opfergruppen und Feindbilder Wo Demokraten gefährlich leben Die Geschichte des Orazio Giamblanco Wohnungslose Menschen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Was ist Sozialdarwinismus? Wer sind die Opfer? Ausstieg Warum und wie aussteigen? Debatte über echten Ausstieg Interview mit Aussteiger Rochow Pädagogische Arbeitsfelder Netzwerke in Norddeutschland Gewalt gegen Geflüchtete Unvollständige Erinnerung Umgang mit Rechtsextremismus Debatte: Soll man mit Neonazis reden? Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Cornelius Weiss: Argumentieren auf allen Ebenen Grit Hanneforth: keine Nazis auf Veranstaltungen Stefan Niggemeier: Ablehnung begründen Andreas Hechler: Entscheidend ist der Kontext Klaus-Peter Hufer: Argumente wirken Simone Rafael: Rassismus widersprechen Initiativen und Zivilgesellschaft Debatte: Was tun bei einem rechtsextremen Aufmarsch? Der rechtsextreme "Kampf um die Straße" Wolfgang Thierse: Wir müssen den öffentlichen Raum gegen die Besetzung durch Rechtsextreme verteidigen Hans-Ernst Böttcher: Man muss nur das Recht anwenden … wollen! Anna Spangenberg: Erfolgreich rechtsextreme Aufmärsche verhindern Herbert Trimbach: Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht Politische Konzepte Wie sag ich Dass Auschwitz sich nie wiederhole... Denkanstöße aus dem Kanzleramt Bildung, Bildung, Bildung NPD trockenlegen? Wie kann Aussteigern geholfen werden? Interview MVP Forderungen von Projekten an die Politik HDJ-Verbot Strategien im Umgang mit der NPD in Parlamenten Noch mehr Vorschläge Schule Hakenkreuze an der Tafel Interview Reinhard Koch Analyse Albert Scherr Aufsatz Scherr / Schäuble Schülerzeitung Martinshorn Neonazis auf SchülerVZ Studie Uni-Seminar Was können Schülerinnen und Schüler tun? Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen Strategien Offener Brief an einen Oberbürgermeister Wie man Hakenkreuze kreativ entschärfen kann Gewalt vermeiden, aber wie? Parolen parieren! Was tun als Opfer rechter Gewalt? Engagement – lohnt das denn? Guter Rat, wenn Nazis stören Rezepte gegen Rechtsextremismus Argumente gegen rechte Vorurteile Vom Hass verabschieden Marke gegen Rechtsextremismus Und Du? Podcasts und Audios Glossar und FAQs Videos und Bilderstrecken Angaben zur Redaktion

Aussteigen, aber wie?

Holger Kulick

/ 6 Minuten zu lesen

Aussteigen? Doch wie und wo? Manche versuchen es laut über die Medien, andere leise mit der Hilfe von Aussteiger-Initiativen. Federführend gehört seit acht Jahren das Projekt EXIT dazu: Rund 300 Neonazis hat die Initiative seitdem in einem oft jahrelangen Prozess erfolgreich betreut.

Sächsische Neonazis in Dresden im Februar 2008. (© MUT/Schwarzmann)

Zwei Jahre ist es her, da wurde der damals 19-jährige Stefan Zimmermann an die Spitze von Hessens JN, der Jugendorganisation der NPD gewählt. Gemeinsam mit seinem Amtsvorgänger, dem nunmehr hessischem NPD-Vorsitzendem Markus Wöll, präsentierte er in Wölfersheim ein "Vier-Säulen-Konzept", wie es ähnlich in Teilen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns von der NPD umgesetzt wird:

Der Kampf um die Dörfer mittels Verteilaktionen, Stützpunktgründungen u.ä., 2.) der Kampf um die Schulen, z.B. durch das Stellen von Klassen- und Schulsprechern, 3.) die Zusammenarbeit mit den Kameradschaften und 4.) die Intellektualisierung der Jugend mittels Schulungslagern und Gründung eines nationalen Bildungswerks."

Spätestens seit Dezember 2007 hat Stefan Zimmermann diesen Kampf hinter sich. Am 5.12. meldet die Hessenschau Zimmermanns Parteiaustritt. Im Interview mit dem Hessischen Rundfunk berichtete der jetzt 21-Jährige, er habe Konzerte und Fahrten zu Konzerten organisiert, dort sei zu seinem Überdruss Musik gespielt worden, die zu Gewalt gegen Ausländer aufrief. Er habe es auch satt gehabt, bei fortgesetzter Nazi-Verherrlichung mitwirken, denn Hessens NPD habe im Wahlkampf Teile des Parteiprogramms aus NSDAP übernommen. Zu viel werde von Hitler geschwärmt, berichtete der 21-jährige und beklagte sich über den latenten Hang seiner neonazistischen Parteigänger zu Gewalt. Hessens NPD-Chef Markus Wöll bemühte sich im Gegenzug, dem Aussteiger Unfähigkeit und Beitragsrückstand nachzusagen und das rechtsextreme "Aktionsbündnis Mittelhessen" drohte dem Abtrünnigen indirekt: "Wann ausgestiegen wird, entscheiden wir!"

Wann, warum und durch wen forciert sich solche Aussteige vollziehen, und wie ernst sie wirklich sind, lässt sich für Aussenstehende oft nur mühsam verifizieren, vor allem, wenn sie sich als Erstkontakt direkt an Medien wenden, nicht aber an Ausstiegsprogramme, die schon auf Anhieb tiefer blicken können, um abzuschätzen, wie ernst der Ausstiegswille wirklich ist.

Solche professionellen Hilfen gibt es seit etwa acht Jahren. Bis zum Herbst 2000 musste in Deutschland jeder Rechtsextreme selbst sehen, wie er wieder aus der Szene herauskam, wenn er sich entschlossen hatte, dem menschenverachtenden rechtsextremen Lebensstil abzuschwören. Schwierig bei einer oft sektenähnlich organisierten Szene, die zumindest im Bereich der Kameradschaften ungern Mitakteure einfach frei gibt, sondern gerne Druck und Gewalt auf Aussteiger wie auf deren Familienangehörige ausübt.

Ein ernsthafter Ausstieg dauert lange

Aussteiger können sich mittlerweile in der Bundesrepublik in der Regel an Ausstiegshelfer in den Verfassungsschutzämtern wenden oder an (wenige) private Initiativen. Kommt es zu einem solchem Ausstieg, wird in der Regel darauf verzichtet, dies gleich mit Schlagzeilen zu verknüpfen. Denn ein ernsthafter Ausstieg aus solchen extrem ideologisch geprägten Zirkeln ist oft langwierig, da die Betroffenen beim Einstieg in die Szene oft viele menschliche Bindungen aufgeben. Ins rechstextreme Milieus steigen vor allem sozial und psychisch unstabile Personen im Altern von 13-15 Jahren ein, die dann dort ihren gesamten Freundeskreis aufbauen. Sich von ihm zu lösen, fällt besonders schwer. Rückfälle geschehen immer wieder – manchmal auch ausgelöst durch die Aussicht auf Jobs bei "alten Kameraden".

Kompetente Ratgeber bei EXIT: Der Kriminologe Benrd Wagner (l.) und der Aussteiger aus der rechtsextremen Szene, Matthias Adrian (m.), auf einer Pressekonferenz. Forto: Kulick

So diente sich 2002 ein Berliner NPD-Mann und Kameradschaftsführer der Aussteigerhilfe EXIT an und hielt sogar Vorträge über seine angeblich ehemalige Szene. In die kehrte er allerdings 2007 wieder zurück, als Honorarkraft der NPD in Berlin-Marzahn, wo die NPD inzwischen in die Bezirksverordneten- versammlung eingezogen war.

Rückfälle seien aber die Ausnahme, bekräftigen die Macher von EXIT, deren Initiative im Herbst 2000 mit Hilfe der stern-Aktion Mut-gegen-rechte-Gewalt entstand, um bundesweit nach dem Prinzip ''Hilfe zur Selbsthilfe Aussteigewilligen aus der rechtsextremen Szenen neue Perspektiven außerhalb ihres bisherigen Milieus zu entwickeln". Rund 300 Aussteiger wurden seitdem erfolgreich betreut. Federführend ist der ehemalige DDR-Kriminalist Bernd Wagner, an seiner Seite stand beim Aufbau ein ehemaliger Neonaziführer aus Ost-Berlin, Ingo Hasselbach, über dessen bewegtes Leben in der Rechtsaußen-Szene es seit 2001 auch einen Dokumentarfilm gibt - "Verlorene Söhne". Als der Streifen im Frühjahr 2001 uraufgeführt wurde, durfte Hasselbach auf Polizeianraten nicht zur Premiere kommen. Ehemalige Gesinnungsgenossen hatten mit Gewalt gedroht. Hasselbach glaubt dennoch an die Veränderbarkeit auch solcher Menschen, was die Gesellschaft dann auch respektieren sollte:

"Für mich hat jeder Mensch das Recht, sich zu verändern, und wenn jemand dabei ein wertvolles Mitglied einer Gesellschaft wird, dann soll er auch die damit verbundenen Chancen bekommen, sofern er sich klar von Vergehen distanziert und dafür gezahlt oder gebüßt hat. Ich habe jetzt viele harte Jahre hinter mir, mit allem, was man sich vorstellen kann, mit Bombendrohungen und Gerichtsverhandlungen, und denke schon, dass ich inzwischen einen Beitrag für diese Gesellschaft leiste."
Große Probleme, so Hasselbach, bestehen für Aussteiger nicht nur im Bereich ihrer Sicherheit sondern vor allem sozialen Integration. Einserseits werden sie von ihren alten Kameraden als "Verräterschweine" bedroht, andererseits leiden sie unter dem gesellschaftlichen Vorurteil, einmal Nazi - immer Nazi zu sein, was ihre berufliche Eingliederung beträchtlich erschwert.

Erfolgreiche Aussteiger sieht er in der Pflicht, auch anderen zu helfen, entweder auch auszusteigen oder gar nicht erst einzusteigen. "Ich habe versucht, dieser Szene den Nachwuchs abzuschneiden, damit da nicht noch mehr Jugendliche hineinrennen. Die gilt es aufzuklären, das ist für mich das Idealrezept. Es gibt eine gewisse Altersgruppe, die lässt sich noch erreichen, das sind die bis 18- oder 19-Jährigen. Danach wird es schwer''.

Hasselbach hat längst an einem anderen Ort in einem neuen Beruf Fuß gefasst, EXIT arbeitet aber auch ohne ihn nach den mit ihm entwickelten Kriterien weiter. Dazu gehören laut einer Broschüre von EXIT aus dem Jahr 2007 das Ziel: "Nicht nur einen äußerlichen Rückzug der Aussteigenden aus der rechtsextremen Szene zu bewirken, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Ideologie und den begangenen Taten." Ein zentraler Grundsatz lautet, dass die Initiative von dem Ausstiegswilligen ausgehen muss.

Das Phasen-Modell

Aus dieser Arbeit von EXIT-Deutschland hat sich ein Fünf-Phasen-Modell herauskristallisiert, das sich aus Sicht der EXIT-Macher folgendermaßen definiert:

  • In der Motivationsphase werden die Zweifel, die der Ausstiegswillige gegenüber dem Rechtsextremismus äußert, im Gespräch mit EXIT-MitarbeiterInnen bestärkt und Möglichkeiten des Ausstiegs aufgezeigt.

  • In der Ausstiegsphase beendet der Aussteigende den Kontakt zur rechtsextremen Szene. Abhängig von den spezifischen Umständen des Einzelfalles wird in diesem Zeitraum ein Sicherheitskonzept erarbeitet, um Racheakte und Verfolgungen zu vermeiden.

  • In der Etablierungsphase sind soziale und wirtschaftliche Zukunftsperspektiven zentral sowie die Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Ausbildungsstelle.

  • In der Reflexionsphase sollen sich AussteigerInnen mit ihrer Vergangenheit, der von ihnen vertretenen Ideologie und den begangenen Taten auseinandersetzen.

  • Für die Stabilisierungsphase wird nur noch von gelegentlichen Kontakten zu EXIT ausgegangen. Im Idealfall eines erfolgreichen Ausstiegs haben ehemalige Rechtsextreme zu diesem Zeitpunkt eine neue soziale Bezugsgruppe, sind wirtschaftlich abgesichert und vertreten humanistische Werte.

Kernpunkt und oftmals schwierigster Teil des Ausstiegskonzepts von EXIT ist die Auseinandersetzung des Aussteigenden mit der zuvor vertretenen rechtsextremen Ideologie. Hierbei geht es nicht um eine Belehrung durch die Mitarbeiter von EXIT. Vielmehr sollen die KlientInnen durch die Vermittlung von Faktenwissen, inhaltlichen Diskussionen und anderen Formen politischer Bildung dazu befähigt werden, rechtsextreme Ideologiefragmente kritisch zu reflektieren und ein eigenes humanistisches Weltbild zu entwickeln. Dieser Lernprozess stellt für die Betroffenen eine große Herausforderung dar. So führen der Zusammenbruch der alten Überzeugungen und Denkweisen und die Suche nach einer neuen Weltanschauung bei vielen AussteigerInnen zu Orientierungslosigkeit, Ängsten und Depressionen. Grundsätzlich gilt, dass in jeder Phase des Ausstiegsprozesses die Eigeninitiative und aktive Mitarbeit der KlientInnen gefordert ist...". (Mehr unter:Externer Link: www.exit-deutschland.de).

Hilfe zur Selbsthilfe lautet die Kernintention dieser staatsunabhängigen Initiative, die freilich nur so lange funktioniert, wie sie auch Spenden oder Zuschüsse für ihre Arbeit erhält. Doch gesellschaftspolitische Projekte wie EXIT zu unterstützen, hat in Deutschland keine Tradition, stellen die Akteure mit zunehmender Ernüchterung fest. In ihrer Not legten sich die EXIT-Macher mittlerweile sogar eine Bezahl-Telefonnummer zu. Unter 0900-123-123-88 können Interessierte die ''Nazi-Aussteiger-Hotline'' anrufen und zunächst auf ein Tonband sprechen. Nur ernstzunehmenden Aussteigern werden anschließend die Gebühren erstattet.

Fussnoten

Holger Kulick, geb 1960 in Korbach, studierte Politik, Geschichte und Kulturwissenschaften in Mainz und Berlin und arbeitet seit Mitte der 80-ger Jahre als Fernseh-, Online- und Printjournalist. Er leitet seit 2005 in Berlin die Redaktion Externer Link: www.mut-gegen-rechte-gewalt.de.