Zwei Jahre ist es her, da wurde der damals 19-jährige Stefan Zimmermann an die Spitze von Hessens JN, der Jugendorganisation der NPD gewählt. Gemeinsam mit seinem Amtsvorgänger, dem nunmehr hessischem NPD-Vorsitzendem Markus Wöll, präsentierte er in Wölfersheim ein "Vier-Säulen-Konzept", wie es ähnlich in Teilen Sachsens und Mecklenburg-Vorpommerns von der NPD umgesetzt wird:
Der Kampf um die Dörfer mittels Verteilaktionen, Stützpunktgründungen u.ä., 2.) der Kampf um die Schulen, z.B. durch das Stellen von Klassen- und Schulsprechern, 3.) die Zusammenarbeit mit den Kameradschaften und 4.) die Intellektualisierung der Jugend mittels Schulungslagern und Gründung eines nationalen Bildungswerks."
Spätestens seit Dezember 2007 hat Stefan Zimmermann diesen Kampf hinter sich. Am 5.12. meldet die Hessenschau Zimmermanns Parteiaustritt. Im Interview mit dem Hessischen Rundfunk berichtete der jetzt 21-Jährige, er habe Konzerte und Fahrten zu Konzerten organisiert, dort sei zu seinem Überdruss Musik gespielt worden, die zu Gewalt gegen Ausländer aufrief. Er habe es auch satt gehabt, bei fortgesetzter Nazi-Verherrlichung mitwirken, denn Hessens NPD habe im Wahlkampf Teile des Parteiprogramms aus NSDAP übernommen. Zu viel werde von Hitler geschwärmt, berichtete der 21-jährige und beklagte sich über den latenten Hang seiner neonazistischen Parteigänger zu Gewalt. Hessens NPD-Chef Markus Wöll bemühte sich im Gegenzug, dem Aussteiger Unfähigkeit und Beitragsrückstand nachzusagen und das rechtsextreme "Aktionsbündnis Mittelhessen" drohte dem Abtrünnigen indirekt: "Wann ausgestiegen wird, entscheiden wir!"
Wann, warum und durch wen forciert sich solche Aussteige vollziehen, und wie ernst sie wirklich sind, lässt sich für Aussenstehende oft nur mühsam verifizieren, vor allem, wenn sie sich als Erstkontakt direkt an Medien wenden, nicht aber an Ausstiegsprogramme, die schon auf Anhieb tiefer blicken können, um abzuschätzen, wie ernst der Ausstiegswille wirklich ist.
Solche professionellen Hilfen gibt es seit etwa acht Jahren. Bis zum Herbst 2000 musste in Deutschland jeder Rechtsextreme selbst sehen, wie er wieder aus der Szene herauskam, wenn er sich entschlossen hatte, dem menschenverachtenden rechtsextremen Lebensstil abzuschwören. Schwierig bei einer oft sektenähnlich organisierten Szene, die zumindest im Bereich der Kameradschaften ungern Mitakteure einfach frei gibt, sondern gerne Druck und Gewalt auf Aussteiger wie auf deren Familienangehörige ausübt.
Ein ernsthafter Ausstieg dauert lange
Aussteiger können sich mittlerweile in der Bundesrepublik in der Regel an Ausstiegshelfer in den Verfassungsschutzämtern wenden oder an (wenige) private Initiativen. Kommt es zu einem solchem Ausstieg, wird in der Regel darauf verzichtet, dies gleich mit Schlagzeilen zu verknüpfen. Denn ein ernsthafter Ausstieg aus solchen extrem ideologisch geprägten Zirkeln ist oft langwierig, da die Betroffenen beim Einstieg in die Szene oft viele menschliche Bindungen aufgeben. Ins rechstextreme Milieus steigen vor allem sozial und psychisch unstabile Personen im Altern von 13-15 Jahren ein, die dann dort ihren gesamten Freundeskreis aufbauen. Sich von ihm zu lösen, fällt besonders schwer. Rückfälle geschehen immer wieder – manchmal auch ausgelöst durch die Aussicht auf Jobs bei "alten Kameraden".
So diente sich 2002 ein Berliner NPD-Mann und Kameradschaftsführer der Aussteigerhilfe EXIT an und hielt sogar Vorträge über seine angeblich ehemalige Szene. In die kehrte er allerdings 2007 wieder zurück, als Honorarkraft der NPD in Berlin-Marzahn, wo die NPD inzwischen in die Bezirksverordneten- versammlung eingezogen war.
Rückfälle seien aber die Ausnahme, bekräftigen die Macher von EXIT, deren Initiative im Herbst 2000 mit Hilfe der stern-Aktion Mut-gegen-rechte-Gewalt entstand, um bundesweit nach dem Prinzip ''Hilfe zur Selbsthilfe Aussteigewilligen aus der rechtsextremen Szenen neue Perspektiven außerhalb ihres bisherigen Milieus zu entwickeln". Rund 300 Aussteiger wurden seitdem erfolgreich betreut. Federführend ist der ehemalige DDR-Kriminalist Bernd Wagner, an seiner Seite stand beim Aufbau ein ehemaliger Neonaziführer aus Ost-Berlin, Ingo Hasselbach, über dessen bewegtes Leben in der Rechtsaußen-Szene es seit 2001 auch einen Dokumentarfilm gibt - "Verlorene Söhne". Als der Streifen im Frühjahr 2001 uraufgeführt wurde, durfte Hasselbach auf Polizeianraten nicht zur Premiere kommen. Ehemalige Gesinnungsgenossen hatten mit Gewalt gedroht. Hasselbach glaubt dennoch an die Veränderbarkeit auch solcher Menschen, was die Gesellschaft dann auch respektieren sollte:
"Für mich hat jeder Mensch das Recht, sich zu verändern, und wenn jemand dabei ein wertvolles Mitglied einer Gesellschaft wird, dann soll er auch die damit verbundenen Chancen bekommen, sofern er sich klar von Vergehen distanziert und dafür gezahlt oder gebüßt hat. Ich habe jetzt viele harte Jahre hinter mir, mit allem, was man sich vorstellen kann, mit Bombendrohungen und Gerichtsverhandlungen, und denke schon, dass ich inzwischen einen Beitrag für diese Gesellschaft leiste."Große Probleme, so Hasselbach, bestehen für Aussteiger nicht nur im Bereich ihrer Sicherheit sondern vor allem sozialen Integration. Einserseits werden sie von ihren alten Kameraden als "Verräterschweine" bedroht, andererseits leiden sie unter dem gesellschaftlichen Vorurteil, einmal Nazi - immer Nazi zu sein, was ihre berufliche Eingliederung beträchtlich erschwert.
Erfolgreiche Aussteiger sieht er in der Pflicht, auch anderen zu helfen, entweder auch auszusteigen oder gar nicht erst einzusteigen. "Ich habe versucht, dieser Szene den Nachwuchs abzuschneiden, damit da nicht noch mehr Jugendliche hineinrennen. Die gilt es aufzuklären, das ist für mich das Idealrezept. Es gibt eine gewisse Altersgruppe, die lässt sich noch erreichen, das sind die bis 18- oder 19-Jährigen. Danach wird es schwer''.
Hasselbach hat längst an einem anderen Ort in einem neuen Beruf Fuß gefasst, EXIT arbeitet aber auch ohne ihn nach den mit ihm entwickelten Kriterien weiter. Dazu gehören laut einer Broschüre von EXIT aus dem Jahr 2007 das Ziel: "Nicht nur einen äußerlichen Rückzug der Aussteigenden aus der rechtsextremen Szene zu bewirken, sondern auch eine Auseinandersetzung mit der rechtsextremen Ideologie und den begangenen Taten." Ein zentraler Grundsatz lautet, dass die Initiative von dem Ausstiegswilligen ausgehen muss.
Das Phasen-Modell
Aus dieser Arbeit von EXIT-Deutschland hat sich ein Fünf-Phasen-Modell herauskristallisiert, das sich aus Sicht der EXIT-Macher folgendermaßen definiert:
In der Motivationsphase werden die Zweifel, die der Ausstiegswillige gegenüber dem Rechtsextremismus äußert, im Gespräch mit EXIT-MitarbeiterInnen bestärkt und Möglichkeiten des Ausstiegs aufgezeigt.
In der Ausstiegsphase beendet der Aussteigende den Kontakt zur rechtsextremen Szene. Abhängig von den spezifischen Umständen des Einzelfalles wird in diesem Zeitraum ein Sicherheitskonzept erarbeitet, um Racheakte und Verfolgungen zu vermeiden.
In der Etablierungsphase sind soziale und wirtschaftliche Zukunftsperspektiven zentral sowie die Suche nach einem Arbeitsplatz oder einer Ausbildungsstelle.
In der Reflexionsphase sollen sich AussteigerInnen mit ihrer Vergangenheit, der von ihnen vertretenen Ideologie und den begangenen Taten auseinandersetzen.
Für die Stabilisierungsphase wird nur noch von gelegentlichen Kontakten zu EXIT ausgegangen. Im Idealfall eines erfolgreichen Ausstiegs haben ehemalige Rechtsextreme zu diesem Zeitpunkt eine neue soziale Bezugsgruppe, sind wirtschaftlich abgesichert und vertreten humanistische Werte.
Kernpunkt und oftmals schwierigster Teil des Ausstiegskonzepts von EXIT ist die Auseinandersetzung des Aussteigenden mit der zuvor vertretenen rechtsextremen Ideologie. Hierbei geht es nicht um eine Belehrung durch die Mitarbeiter von EXIT. Vielmehr sollen die KlientInnen durch die Vermittlung von Faktenwissen, inhaltlichen Diskussionen und anderen Formen politischer Bildung dazu befähigt werden, rechtsextreme Ideologiefragmente kritisch zu reflektieren und ein eigenes humanistisches Weltbild zu entwickeln. Dieser Lernprozess stellt für die Betroffenen eine große Herausforderung dar. So führen der Zusammenbruch der alten Überzeugungen und Denkweisen und die Suche nach einer neuen Weltanschauung bei vielen AussteigerInnen zu Orientierungslosigkeit, Ängsten und Depressionen. Grundsätzlich gilt, dass in jeder Phase des Ausstiegsprozesses die Eigeninitiative und aktive Mitarbeit der KlientInnen gefordert ist...". (Mehr unter:Externer Link: www.exit-deutschland.de).
Hilfe zur Selbsthilfe lautet die Kernintention dieser staatsunabhängigen Initiative, die freilich nur so lange funktioniert, wie sie auch Spenden oder Zuschüsse für ihre Arbeit erhält. Doch gesellschaftspolitische Projekte wie EXIT zu unterstützen, hat in Deutschland keine Tradition, stellen die Akteure mit zunehmender Ernüchterung fest. In ihrer Not legten sich die EXIT-Macher mittlerweile sogar eine Bezahl-Telefonnummer zu. Unter 0900-123-123-88 können Interessierte die ''Nazi-Aussteiger-Hotline'' anrufen und zunächst auf ein Tonband sprechen. Nur ernstzunehmenden Aussteigern werden anschließend die Gebühren erstattet.