Das Ausmaß der Bedrohung durch rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus beurteilten mehrere europäische Sicherheitsbehörden im Frühjahr 2020 als außerordentlich hoch. Der niederländische Inlandsnachrichtendienst AIVD bezeichnete 2019 als "das" Jahr rechtsterroristischer Anschläge weltweit.
Angesichts der Zahl und Intensität der Gewalttaten seien Rechtsextremismus und Rechtsterrorismus derzeit die größte Gefahr für die Demokratie, erklärten auch Bundesinnenminister Horst Seehofer und Bundesjustizministerin Christine Lambrecht nach den rechtsterroristischen Morden von Hanau am 19. Februar 2020. Innerhalb von nur neun Monaten waren drei terroristische Anschläge auf Personen verübt worden: darunter die Ermordung eines staatlichen Amtsträgers, des CDU-Politikers Walter Lübcke, im Juni 2019. Mit dieser Serie behauptet Deutschland seine Position an der Spitze der europäischen Länder mit besonders hohem rechtsterroristischen Gewaltpotenzial. Diese Schlussfolgerung lässt sich zwar kaum auf der Basis der Terrorismusberichte der Europäischen Polizeibehörde (Europol) ziehen, weil deren Statistik der äußerst engen Terrorismusdefinition der deutschen Sicherheitsbehörden folgt. Von Terrorismusforschern gewonnene Daten aus unterschiedlichen Quellen lassen demgegenüber Langzeitvergleiche zu und zeigen, dass Deutschland neben Schweden (in der Rangliste vor den USA, Großbritannien, Spanien und Griechenland) für den Zeitraum 1990 bis 2015 an der Spitze der Länder mit der höchsten Zahl rechtsextremistisch motivierter Anschläge lag.
Dass sich dieser Trend verstärkt fortgesetzt hat, zeigt auch die Zahl der festgenommenen Terrorverdächtigen, die Europol zufolge nach 2015 steil anstieg und mit 44 im Jahr 2018 (21 im Jahr 2019) einen langjährigen Höchstwert erreichte. Hauptschauplätze der Festnahmen waren neben Deutschland Frankreich, Italien, die Niederlande, Polen und Tschechien.
Rechtsextremistische Gewaltpotenziale im europäischen Vergleich
Die Einschätzung der Größenordnungen politisch rechts motivierter Gewalt auf europäischer Ebene steht und fällt mit der Solidität der Datengrundlage. Diese hat sich im Laufe der Jahre vor allem durch die Arbeit unabhängiger Expertennetzwerke verbessert, erfordert aber hohe Sachkunde bei ihrer Anwendung. Die Verzerrungen infolge unterschiedlicher Erfassungstechniken und Zählweisen der Polizei mit ihren Lücken, Zweifelsfällen und nachträglichen Korrekturen lassen sich nur ansatzweise und mit großem Aufwand durch Hinzuziehung weiterer Quellen (zivile Organisationen, investigative Journalisten) kompensieren. Allzu große Genauigkeit kann dabei nicht erwartet werden.
Immerhin lassen sich die ungefähren Größenordnungen bestimmen. So zeigt etwa die Global Terrorism Database (GTD; University of Maryland, USA), dass die EU-Staaten in der Liste der am stärksten von terroristischen Anschlägen heimgesuchten Länder (Globale Terrorstatistik, Universität Maryland) fehlen. Und unter den Terrororganisationen mit der höchsten Anschlagshäufigkeit lagen die islamistischen 2019 wie in den Vorjahren an der Spitze. Mehrere europäische Regierungen (Belgien, Niederlande, Frankreich) hielten daher an der Einschätzung fest, islamistische Terrornetzwerke stellten nach wie vor die größte Bedrohung für ihre Länder dar.
In der internationalen Debatte um das Ausmaß terroristischer Gefahren wird allerdings geltend gemacht, die Zahl rechtsterroristischer Vorfälle habe sich in den demokratischen Verfassungsstaaten weltweit (insbesondere USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Norwegen, Schweiz, EU-Mitgliedsstaaten) zwischen 2013 und 2018 verdreifacht. Zwar töteten islamistische Gewalttäter im internationalen Vergleich die meisten Menschen, aber in Europa (und den USA) überstieg die Zahl der rechtsextremistischen Anschläge die von Islamisten/Dschihadisten beträchtlich.
Enge juristische Definition des Rechtsterrorismus
Was die Verteilung rechtsterroristischer Delikte innerhalb der EU-Staaten angeht, so ist die Europol-Anschlagsstatistik wenig aussagekräftig. Sie basiert auf einer äußerst engen juristischen Definition des Rechtsterrorismus, die Einzeltäter – sogenannte "Einsame-Wolf-Terroristen" ("lone wolfs") – übergeht und ein hohes Maß organisatorisch-strategischer Planung in Gruppen fordert. Zudem spiegelt sie die unterschiedlichen Aufmerksamkeitsniveaus und Erfassungsintensitäten der Polizeibehörden der EU-Mitgliedsstaaten. Die RVT-Datenbank des Extremismusforschungszentrums der Universität Oslo bezieht dagegen alle Anschläge ein, die auf die Tötung von Opfern zielen oder sie in Kauf nehmen, bei denen potenziell tödliche Waffen zum Einsatz kommen oder ein rechtsextremistischer Gruppenkontext erkennbar ist.
Diese Kriterien lassen trotz der hohen Expertise von Länderexperten beträchtliche Interpretationsspielräume zu. Dies gilt in noch viel höherem Maße für die Berichte über "Hassverbrechen" ("hate crimes") der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) (siehe Tabelle). In Deutschland firmieren unter diesem Begriff strafbare Handlungen, "wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie aufgrund von Vorurteilen des Täters bezogen auf Nationalität, ethnische Zugehörigkeit, Hautfarbe, Religionszugehörigkeit, sozialen Status, physische und/oder psychische Behinderung oder Beeinträchtigung, Geschlecht/sexuelle Identität, sexuelle Orientierung, äußeres Erscheinungsbild begangen werden".
Aber die Definition des Hassverbrechens ist europaweit uneinheitlich. Zudem gibt es kein verbindliches Erfassungssystem, und die Erfassungsintensität (der Polizeibehörden) unterliegt offensichtlichen Schwankungen. So weist Großbritannien eine weit nach oben abweichende Zahl von Hassverbrechen (kriminelle Delikte, also nicht nur Gewalttaten) aus, liefert jedoch keine gesonderten Angaben über schwere Straftaten mit erhöhtem Gefahrenpotenzial. Deutschland liegt bei den Tötungsdelikten (versuchte und vollendete) 2018 an der Spitze, aber für andere Länder fehlen diese Angaben. Sprengstoffanschläge machen einen großen Teil terroristischer Delikte aus, sind aber zumeist nicht gesondert ausgewiesen, und Körperverletzung, wie sie verschiedene Länder dokumentieren, kann mehr oder weniger gravierend sein.
Dieses Manko lässt sich keineswegs durch Berichte von Nichtregierungsorganisationen kompensieren. So liefern etwa Opferberatungsstellen wichtige Informationen zur Situation von Minderheiten in Europa, können aber die äußerst personalintensiven und hoch spezialisierten Erfassungssysteme der nationalen Sicherheitsbehörden nicht ersetzen. Einstellungsuntersuchungen (insbesondere Opferbefragungen, "Viktimisierung") vermitteln europäische Lagebilder zur Situation der Menschenrechte und dem Ausmaß von Diskriminierung, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. So bringen sie auch etwas Licht in das "Dunkelfeld", das von den polizeilichen Statistiken nicht erfasst wird. Jedoch besteht zwischen Einstellungen und Verhalten stets eine Kluft, an deren Überbrückung viele Sozialwissenschaftler in Europa arbeiten.
Militante Milieus und Vereinigungen
Rechter Terror ist ein europaweit verbreitetes Phänomen, auch wenn dessen Ausmaß von Land zu Land differiert. Ultranationalistische, rechtsautoritäre und xenophobe Einstellungen bilden einen Nährboden, aber Gewalttaten sind oft die Folge günstiger Gelegenheiten und situativer Bedingungen (Konfliktkonstellationen, etablierte gewaltgeneigte Gruppen und Milieus, charismatische Führer, Gewaltressourcen und deren Beherrschung), die bei relativ konstantem Einstellungsniveau zu sehr unterschiedlichen Gewaltintensitäten führen.
Wenn sich Jugendliche und junge Erwachsene zu entsprechenden Cliquen zusammenschließen, an Straßenprotesten teilnehmen, "Rechtsrock"-Konzerte oder große Sportveranstaltungen besuchen, steigt die Wahrscheinlichkeit gewaltsamer Eskalationen. Das Gros der Gewalttaten erfolgt mehr oder weniger spontan, ohne größeren planerischen Vorlauf, nicht selten unter Drogeneinfluss (Alkohol).
Die lokale bzw. regionale Verankerung bestimmter "Szenen", Milieus oder Subkulturen erklärt oft einen erheblichen Teil des rechts motivierten Gewaltaufkommens: Während die fremdenfeindlichen Skinhead-Subkulturen an Bedeutung verloren haben, sind die rechtsmilitante Musikszene (Konzerte und Vertriebe mit auch großer kommerzieller Bedeutung) oder der (Fußball-)Hooliganismus (die Clubs Borussia Dortmund, Hellas Verona, FC Groningen oder Dynamo Zagreb gerieten häufiger in die Schlagzeilen) nach wie vor bedeutsam.
"Incel"-Subkultur in den USA
Von den USA und Kanada aus hat auch in Europa seit einigen Jahren die "Incel"-Subkultur ("Incel" steht für "involuntary celibates" – unfreiwillig zölibatär) auf misogynen Online-Foren, wo frauenfeindliche und antifeministische Botschaften verbreitet werden, an Bedeutung gewonnen. Soziale Medien mit ihren ungefilterten, teilweise auf politisch extreme bis gewaltverherrlichende Inhalte spezialisierten Foren (wie 4chan, Kohlchan, 8chan, Endchan) begünstigen globalisierte Online-Radikalisierungen und betten diese in den eigenen Alltag ein, auch wenn die Interaktionspartner weit entfernt sind.
Lose Netzwerke gewinnen an Bedeutung, während organisatorisch fester gefügte Vereinigungen seit längerer Zeit an Boden verlieren. Diese binden ihre Aktiven oft in eine strenge Gruppendisziplin ein, können aber zugleich als "Durchlauferhitzer" Radikalisierungsprozesse begünstigen. Nicht zu vernachlässigen sind paramilitärische Formationen, wie sie in Gestalt der "militia movement" in den USA seit Langem bekannt sind. In Europa spielten sie vor allem in Ungarn, Tschechien und der Slowakei eine Rolle als "Garanten für Recht und Ordnung" zur Abwehr einer von "sozialen Störenfrieden" (Roma, Juden, muslimische Migranten, Homosexuelle) ausgehenden Gefahr. In Kroatien und Serbien waren sie Produkt der Balkankriege und wurden in beträchtlichem Umfang von Veteranen getragen. Eine ähnliche Funktion erfüllten seit 2014 Verbindungen zu Militärs in der Ostukraine, wo etwa Teile des "Asow-Regiments" mit rechtsextremer Orientierung und Verbindungen zu Neonationalsozialisten in westeuropäischen Ländern auffielen.
International vernetzte Gruppierungen
International vernetzte neonationalsozialistische Gruppierungen konnten in vielen EU-Mitgliedsstaaten Anhänger gewinnen. In Portugal organisierten "Hammerskins" im Januar 2019 in Sintra das "Europäische Offizierstreffen" mit Veteranen der aufgelösten "Nationalen Aktionsbewegung". Die 1992 als bewaffneter Arm der Skinhead-Vereinigung "Blood & Honour" (B&H) gegründete NS-affine Gruppe "Combat 18" (C18; "18" für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet, also "AH", "Adolf Hitler") fand Anhänger in zahlreichen europäischen Ländern. Im März 2018 verhaftete die Polizei in Griechenland mehrere C18-Verdächtige wegen zweier Anschläge auf ein "antifaschistisches" Zentrum in Piräus und eine anarchistische Hausbesetzer-Wohngemeinschaft in Thessaloniki. Dagegen scheint die in Deutschland Anfang 2020 verbotene, etwa 20 Aktive umfassende C18-Zelle in erster Linie logistisch (u. a. Organisation von "Rechtsrock"-Konzerten, Vertrieb von Tonträgern und Fanartikeln) aktiv gewesen zu sein. Allerdings war den Sicherheitsbehörden das terroristische Potenzial der Gruppe nicht zuletzt aufgrund mehrerer Schießtrainings in Bulgarien und Tschechien bekannt. In Dänemark, Norwegen und Schweden dominierte die (2018 in Finnland verbotene) "Nordische Widerstandsbewegung" (Nordiska Motståndsrörelsen, NMR) im Jahr 2019 die Szenen, deren besonders aktive Mitglieder gewaltbereite "Aktionsgruppen" bildeten. Der Gründer der vigilantistischen Vereinigung "Soldiers of Odin" (SOO) in Finnland pflegte Beziehungen zur NMR.
Im Zuge der "Flüchtlingskrise" entstanden europaweit Ableger mit in erster Linie migrations- und muslimfeindlicher Motivation. Dagegen gibt es europäische Substrukturen US-amerikanischer "Klansmen" (Ku-Klux-Klan, KKK) seit langer Zeit, auch wenn sie in keinem Land größeren Einfluss auf die rechtsmilitanten Szenen gewinnen konnten.
Mehr Einzeltäter und kleine Gruppen
Wie zahlreiche Studien zeigen, gehen rechtsterroristische Anschläge meist nicht von zentralistisch-hierarchisch organisierten Vereinigungen aus, sondern von kleinen Gruppen und Individuen, die allenfalls lose kommunikativ vernetzt sind. Nicht nur in rechtsmilitanten Zirkeln verbreitet ist das Konzept des "führerlosen Widerstands" ("leaderless resistance"), mit dem der Vietnam-Veteran und ehemalige KKK-Aktivist Louis Beam Anfang der 1980er-Jahre einen strategischen Beitrag für den angeblichen weltweiten Überlebenskampf der "weißen Rasse" leisten wollte.
Die klassische pyramidale Struktur organisatorischer Netzwerke mit einem Führer an der Spitze biete einer effektiven Staatsmacht zu viele Angriffspunkte, um eine Widerstandsbewegung zu durchdringen und zu zersetzen. Eine Alternative zur pyramidalen Struktur biete das Zellensystem. Jede Zelle operiert völlig unabhängig von den anderen und steht in keinerlei Kontakt zu einem Hauptquartier oder einem einzelnen Anführer. Dafür muss aber jede Zelle in einer gegebenen Situation genau wissen, was zu tun ist. Dies kann nur gelingen, wenn alle Zellen in einem gemeinsamen Ziel, etwa der "Überwindung der Staatstyrannei", vereint sind, also über eine gemeinsame ideologische Grundlage verfügen und so unabhängig voneinander genau das tun, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist.
Die Veröffentlichung von Louis Beams Beitrag (1992) fand besonders große Verbreitung unter Rechtsextremisten, wo ähnliche Ideen bereits in Gestalt von William Pearce’ "Turner Diaries" (1978), einem "arischen" Rassenkriegsroman, kursierten. In Europa trugen es rechtsextremistische Skinhead-Netzwerke wie "Blood & Honour" weiter. In einem unter dem Pseudonym Max Hammer im Jahr 2000 veröffentlichten "Field Manual" werden führerloser Widerstand und "direkte Aktion" als Optionen im Kampf gegen ZOG (Zionist Occupation Government; die "jüdisch beherrschten" westlichen Regierungen) propagiert. Hammer empfiehlt die Bildung eines kommunikativ lose geknüpften Netzwerks autonomer Gruppen ohne "selbst ernannte Führer" und Mitgliedskarte. Ob allerdings "leaderless resistance" in der Form gewaltsamer Maßnahmen zur "Selbstverteidigung" opportun erscheine, hänge von den Aktionsbedingungen in verschiedenen Ländern ab. In Deutschland, das sich fest in den Händen der ZOG befinde und wo noch legale Handlungsspielräume bestünden, sei diese Strategie geradezu zwingend.
Konzept der "leaderless resistance"
Auf europäischer Ebene lassen sich zahlreiche Beispiele für rechtsextremistische Gewaltakte finden, die vom Konzept des "leaderless resistance" inspiriert waren. Auch die Serienmörder des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) nutzten allem Anschein nach diese Vorlage. In jüngster Zeit findet das Konzept durch James Masons Newsletter-Sammlung "Siege" Verbreitung, die Pflichtlektüre für Novizen der "Atomwaffen-Division" (AWD) ist, eines 2015 aus einem Online-Forum ("Iron March") entstandenen gewaltorientierten Netzwerks US-amerikanischer Neonationalsozialisten, dessen Ableger in einigen europäischen Ländern (Großbritannien: "Sonnenkrieg Division"; Osteuropa: "Feuerkrieg Division") Wurzeln geschlagen haben.
"Führerloser Widerstand" kann von abgeschotteten Gruppen, ebenso aber auch von Einzelaktivisten praktiziert werden. Nach Robert Spaaij, der zahlreiche Terrorakte dieses Typs untersucht hat, unterscheiden sich terroristische Einzeltäter ("lone wolfs") in drei Punkten von anderen: Sie handeln, erstens, individuell, gehören, zweitens, keiner Terrorgruppe und keinem Terrornetzwerk an, und ihre Begehungsweise ist, drittens, dadurch gekennzeichnet, dass sie nicht in eine Hierarchie eingebunden sind und keinerlei Anordnung durch andere befolgen. Das "National Socialist Political Soldiers Handbook" von C18 empfiehlt das "Lone Wolf"-Konzept, da individuell Handelnde völlig unabhängig und für ihre Sicherheit allein verantwortlich seien. Im Unterschied zu einer Zelle müsse auf niemanden Rücksicht genommen werden. Das Entdeckungsrisiko sei mithin geringer als bei jeder anderen Aktionsform.
Professionelle Beobachter vertreten angesichts der steigenden Zahl der Fälle rechtsterroristischer Einzeltäter in den vergangenen zwei Jahrzehnten die These, "gruppenförmig organisierter Terrorismus" gehöre der Vergangenheit an, da "einsame Wölfe" in der virtuellen Welt mit den neuen Möglichkeiten der Erlangung von Informationen und der Kommunikation ihr Bedürfnis nach gemeinschaftlichem Handeln ohne körperlichen Kontakt befriedigen und das Terrorismus-Know-how "autodidaktisch" erlernen könnten. Selbst wenn diese These überspitzt sein mag, spricht viel dafür, dass diese Form des Terrorismus im neuen kommunikativen Zeitalter weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Feindbilder und Feindbekämpfung im Wandel
Weder die Organisations- und Aktionsformen noch die Legitimationsmuster und Ziele politisch motivierter Gewalt und des Rechtsterrorismus erscheinen homogen. Hauptfeind rechts-militanter Gruppierungen war jahrzehntelang der Kommunismus. Infolge des Zusammenbruchs der Sowjetunion und ihrer Satelliten sowie der ökonomischen Transformation der Volksrepublik China verlor dieses Feindbild an Bedeutung. Die Rechts-Links-Konfrontation ist vor allem in jenen europäischen Ländern bedeutsam geblieben, wo in der Öffentlichkeit sichtbare organisierte rechts-militante Szenen auf eine starke Antifa-Gegenmobilisierung mit gewaltgeneigten Gruppierungen stoßen. Die Entwicklung der militanten NS-affinen Gruppe C18 war in ihren britischen Anfängen stark vom Kampf gegen den "Antifaschismus" geprägt. Das erstmals im Mai 1992 veröffentlichte Magazin "Redwatch" mit Fotos und Personalinformationen von bekannten Antifa-Aktivisten beeinflusste Anti-Antifa-Gruppen in zahlreichen europäischen Ländern.
Von Deutschland aus verbreitete sich in Mittel- und Osteuropa seit den 2000er-Jahren das Konzept der "Autonomen Nationalisten", die sich in ihrem Outfit weitgehend an linken Kontrahenten orientierten (schwarze Kapuzenpullover, Anstecker, Baseball-Caps, Palästinensertücher), sich aber ideologisch kaum von den seit Langem bekannten NS-affinen Gruppierungen unterschieden. Bezeichnenderweise fanden viele Aktive eine neue politische Heimat in der Partei "Die Rechte" des Hamburger Neonationalsozialisten Christian Worch, der zu Beginn der 1990er-Jahre maßgeblich an der Systematisierung des Konzepts "Anti-Antifa" (kampagnenartige Identifikation und Bekämpfung politischer Kontrahenten) beteiligt war.
Antisemitismus als zentrales Motiv
Antisemitismus bildet neben dem Anti-Antifaschismus ein zentrales Motiv solcher Gruppierungen. Der Kampf gegen die angeblich "zionistisch beherrschten" und gesteuerten Regierungen bildet das ideologisch-strategische Zentrum von Netzwerken wie "Blood & Honour", in dessen "Field Manual" diverse Methoden gewaltsamer "Selbstverteidigung" gegen einen übermächtigen Feind erörtert werden.
Nach den Anschlägen auf das World Trade Center in New York am 11. September 2001 überlagerte die Muslimfeindlichkeit teilweise den Antisemitismus. Dies gilt allerdings nicht für neonationalsozialistische Strukturen, sondern für neue muslimfeindlich-islamophobe Gruppierungen, die am rechten Flügel der europäischen Parteiensysteme, im Straßenprotest wie auch in rechtsmilitanten Gruppen seit "9/11" stark an Bedeutung gewannen. Das neue Feind-Syndrom fand seinen Ausdruck im Manifest des norwegischen Rechtsterroristen Anders Behring Breivik, dessen Nachahmer und Nachfolger seither in vielfacher Weise daran angeknüpft haben. Breivik stellt sich in die Tradition der christlichen Kreuzritter im Kampf gegen die "islamische Gefahr" und greift damit gleichsam den Fehdehandschuh auf, den Osama bin Laden der "westlichen Welt" um die Ohren schlug. Breivik macht den "kulturellen Marxismus" mit der Verbreitung des "Multikulturalismus" als Hauptverursacher der "Kolonisierung" Europas durch den Islam aus. Später werden Hilfstruppen wie "Selbstmordhumanisten", "Karrierezyniker" und "Globalkapitalisten" zu den Feinden gerechnet. Anders als die USA verfüge Europa aufgrund der weit fortgeschrittenen Säkularisierung über nur geringe Abwehrkräfte, um sich der "Islamisierung" zu entziehen. Daher sei es erforderlich, eine neue integrative Ideologie zu entwickeln, der sich möglichst viele in Europa anschließen könnten.
Neue integrative Ideologien
Als Bestandteile dieser Ideologie werden genannt: "Monokulturalismus", "Moral", "Kernfamilie", "freier Markt", "Unterstützung für Israel und die christlichen Verwandten im Osten", "Recht und Ordnung" sowie Christentum. Der Islam sei als politische Ideologie zu entlarven. Koran und Hadith müssten als "genozidale politische Werkzeuge" verboten werden. Eine neue Jugendorganisation solle sich am Vorbild der Putin-treuen russischen "Nashi" orientieren, um die Heranwachsenden vor neonationalsozialistischen/neofaschistischen Angeboten zu schützen. Die europäischen Armeen werden zum Staatsstreich aufgefordert, um die muslimische Masseneinwanderung zu stoppen und die Deportation "aller Muslim-Individuen vom europäischen Boden" in die Wege zu leiten. Die Massendemokratie solle einem System weichen, das der russischen "administrierten Demokratie" ähnele. Ein "Patriotisches Tribunal" müsse als "Wächterrat" fungieren, Militär und Polizei kontrollieren, multikulturelle "Hardcore-Marxisten", die "Nazis von heute" , entmachten, eine konservative "Monokultur" durchsetzen.
Wer Breiviks Manifest liest, erwartet Angriffe auf Moscheen (wie in Bærum bei Oslo im August 2019), nicht aber auf Synagogen. Der Attentäter von Halle (Oktober 2019) konnte sich insofern nicht auf Breivik berufen. Die geistige Brücke zwischen dem alten antisemitischen Rechtsterrorismus und dem neuen muslimfeindlichen steht im Zentrum des Manifests des Christchurch-Attentäters Brenton Tarrant, das Nachfolger in Europa inspiriert hat: der "große Austausch", die von den französischen Schriftstellern Jean Raspail und Renaud Camus entfaltete und von der "Identitären Bewegung" (IB) (zuerst in Frankreich, dann in Österreich und vielen weiteren europäischen Ländern) verbreitete Dystopie einer Invasion Frankreichs und Europas durch Nichteuropäer, systematisch begünstigt und herbeigeführt durch "volksverräterische" Eliten. Einerseits fordert Tarrant die Deportation der "bereits auf unserem Boden lebenden Eindringlinge" und legitimiert Attentate gegen Invasoren, um u. a. "eine Atmosphäre der Furcht und des Wandels zu schaffen, die zu drastischer, machtvoller und revolutionärer Aktion drängt". Andererseits nimmt er den inneren Feind ins Visier, die Treiber des "Multikulturalismus", die der von ihm propagierten "ökofaschistischen" "Monokultur" entgegenarbeiten. Tarrant, Breivik und Combat 18 stimmen in diesem Punkt überein: Feind Nummer zwei sind all jene, die die "Invasion" ermöglichen. Der Mord an Walter Lübcke (im Juni 2019) passt in dieses Muster ebenso wie die Todeslisten und Drohbriefe ("NSU 2.0") an Repräsentanten des öffentlichen Lebens in Deutschland. Rechtsterrorismus richtet sich auf den äußeren Feind ("Fremde") und jene im Innern, die ihn unterstützen.
Rechtsterroristische Gefahren und ihre Ursachen
Der Grad der Gefährdung durch Rechtsterrorismus steigt mit der Zahl der Individuen und Gruppen, die zu rechtsextremen Weltdeutungen und Situationswahrnehmungen neigen und den Weg in die Gewalt beschreiten. Bei der Radikalisierung der Täter spielen "günstige Gelegenheiten" (attraktive Angebote wie Gruppenstrukturen im sozialen Nahfeld) eine mindestens ebenso große Rolle wie deren psychische Verfassung, die keineswegs ausgeprägt-pathologische Auffälligkeiten zeigen muss. Soziale Medien erschaffen zudem virtuelle Welten, die das Handeln der dort Kommunizierenden aus den sozial-kulturellen Umgebungen lösen, in denen sie sich in der realen Welt bewegen. Es kann daher kaum erstaunen, dass groß angelegte vergleichende Untersuchungen aus neuerer Zeit noch weniger als ältere Studien einen unmittelbaren statistischen Zusammenhang zwischen sozial-ökonomischen Makrofaktoren (wie etwa dem Wirtschaftswachstum oder der Arbeitslosigkeit) und der Häufigkeit terroristischer Anschläge feststellen können.
Was den Rechtsterrorismus angeht, zeigen Untersuchungen indes, dass stark steigende Immigrationsraten die Wahrscheinlichkeit von Hassverbrechen erhöhen. Eine komplizierte Verkoppelung kultureller und sozial-ökonomischer Faktoren legt das Konzept der "verteidigten Nachbarschaften" nahe: Wie Untersuchungen über "verteidigte Nachbarschaften" zeigen, neigen Personen mit homogenisierenden Identitätskonstruktionen ("wir Deutsche") dazu, "fremde Eindringlinge" aus dem gewohnten Lebensumfeld zu verdrängen. Im sozialen Nahbereich wirkt das Fehlen von Mechanismen wirksamer Problemlösung und Konfliktschlichtung ("soziale Desorganisation") gewaltstimulierend.
Auf der nationalen Ebene kann eine Beschleunigung von Transformationsprozessen ("Systemwandel", "Systemwechsel") mit einer gravierenden Beeinträchtigung der Leistungsfähigkeit des Staats (bis hin zum "Staatsversagen") Terrorismus begünstigen. Zudem scheinen gewaltorientierte politische Strategien dann an Attraktivität zu gewinnen, wenn gewaltfreie Handlungsoptionen (Straßenprotest, Wahlmobilisierung) aus der Sicht der Akteure nicht zum gewünschten Ergebnis führen. Allerdings können sich gewaltstimulierende (wie hasserfüllte Reden in Wahlkämpfen) und gewaltabsorbierende Effekte (wie organisatorische Disziplinierung) die Waage halten. Angesichts der Vielfalt und Verwobenheit der Wirkmechanismen mit bedeutsamen situativen Anteilen können rechtsterroristische Entwicklungen zwar im Nachhinein erklärt, aber noch weit weniger als "lokale Wetterereignisse" zuverlässig vorausgesagt werden.