Mit dem im Juni 2020 vom Bundestag beschlossenen "Gesetzespaket gegen Hass und Hetze" reagiert die Politik auch auf eine Welle von Bedrohungen und Angriffen gegen Kommunalpolitiker*innen.
Angriff auf die Lokalpolitik
/ 10 Minuten zu lesen
Zweidrittel der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland haben Umfragen zufolge bereits Beschimpfungen, Bedrohungen oder Gewalt erlebt. Auch aktuelle Zahlen zur Hasskriminalität zeigen, dass die Gefahr für lokale Amtsträgerinnen und Amtsträger, Opfer von Gewalt zu werden, steigt. Woher kommt der Hass auf die (lokale) Politik?
Tatmotive
Von 2018 auf 2019 ist die Zahl der seit 2016 durch das Bundeskriminalamt bundesweit registrierten Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen um rund ein Drittel von 1.256 auf 1.674 Fälle gestiegen.
Statistiken zu Vorfällen gegen die politischen Parteien machen auch deutlich, dass solche Angriffe alle Parteien trifft. Dies geht aus Antwort auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle hervor.
Doch diese polizeilich registrierten Zahlen bilden nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Bedrohungsgeschehens ab, denn viele Vorfälle werden nicht zur Anzeige gebracht oder nicht entsprechend eingeordnet. In einer Umfrage der Zeitschrift Kommunal im Auftrag des ARD-Politmagazins Report München aus dem Jahr 2020 gaben von 2.500 befragten Bürgermeister*innen knapp zweidrittel an, sie seien bereits beleidigt, beschimpft, bedroht oder tätlich angegriffen wurden.
Rechte Gewalt und Hasspostings gegen Amts- und Mandatsträger
Die Motive sind vielfältig, doch die schwersten gewalttätigen Angriffe auf Amts- und Mandatsträger*innen kamen in den vergangenen Jahren aus dem Bereich des Rechtsextremismus: die gefährlichen Messerattentate auf Henriette Reker und Andreas Hollstein sowie schließlich die Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) bilden die Spitze des Eisberges zahlreicher rechter Angriffe und Bedrohungen gegen Mandatsträger*innen. Das rechtsextreme Tatmotiv ging aus entsprechenden Äußerungen sowie die den Szenekarrieren der (mutmaßlichen) Täter hervor. Obwohl die rechte Gewalt nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung bereits über 200 Todesopfern forderte – laut BKA sind es 109 –, war Walter Lübcke hierzulande der erste amtierende Politiker, der seit dem Ende des Nationalsozialismus von Rechten ermordet wurde. Seit einigen Jahren ist im Rechtsextremismus eine Veränderung zu erkennen: Neben rassistisch Verfolgten und politischen Gegnern geraten verstärkt auch Medienschaffende, Polizeikräfte, Staatsanwälte, Richter*innen, Forschende und Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft ins Fadenkreuz der Rechtsextremen. In deren Augen ist der Staat in die Hände von "Volksfeinden" und "Volksverrätern" gefallen. Angeheizt wird dieser Hass auch von Parteien und Politiker*innen selbst, wenn etwa politische Gegner*innen als "Volksverräter" bezeichnet, sie ins Gefängnis oder an den Galgen gewünscht werden oder ihnen die Schuld für Straf- und Gewalttaten zugeschrieben wird, die von Menschen aus Einwandererfamilien begangen werden. Bürgermeister*innen im niedersächsischen Estorf und im sächsischen Arnsdorf haben wegen rechtsextremer Bedrohungen im November beziehungsweise Dezember 2019 ihre Ämter niedergelegt. In der Kommunal-Umfrage hatten sogar 29 Prozent der Befragten erklärt, bei der kommenden Wahl nicht mehr antreten zu wollen. Die Untergrabung der Demokratie durch Einschüchterung und die Vergiftung der politischen Kultur zeigt Wirkung.
Angriffe gegen Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens werden häufig im Internet kommuniziert und verbreitet. Eine große Befragung zur Hasssprache im Internet zeigt: 94 Prozent aller Menschen, die Hasskommentare im Netz gelesen haben, haben demnach dabei auch aggressive und abwertende Äußerungen gegen amtierende Politiker*innen gesehen.
Im Netz finden sich Entmenschlichungen, Gewaltaufrufe und Feindbestimmungen, sogar private Informationen werden veröffentlicht. Nach einer öffentlichen Positionierung Walter Lübckes für zivile Werte im Rahmen einer Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen wurde dieser unter anderem von seinem späteren mutmaßlichen Mörder, der im Internet anonym auftrat, als Hassfigur in Szene gesetzt. Es folgten Morddrohungen und die Veröffentlichung seiner privaten Wohnadresse, die später zum Tatort seiner Ermordung wurde. Im Vorfeld des Anschlags beteiligten sich verschiedene rechtsextreme Onlineportale an der Hasskampagne gegen Lübcke – vor allem der rechtsextreme Blog PI-News und ein privater YouTube-Account taten sich bei der Hetze hervor. Dort waren die Anschrift und die Telefonnummer von Lübckes Büro veröffentlicht – eine Welle von Droh- und Hass-Mails folgte, meldeten Mitarbeiter des Politikers. Sowohl das YouTube-Video als auch die Artikel des Blogs wurden in rechtsextremen Chatgruppen auf Facebook oder WhatsApp tausendfach geteilt. Auch Politiker*innen und öffentliche Personen aus dem rechten Spektrum teilten und kommentierten die Inhalte.
Ist Gewalt gegen Politiker*innen Hasskriminalität?
Schwere Körperverletzungsdelikte gegen Amts- und Mandatsträger*innen tauchen zwar in der polizeilichen Kriminalstatistik vergleichsweise selten auf – doch es ist davon auszugehen, dass diese einzelnen Taten den vielen Betroffenen von Bedrohungen vor Augen führen, dass es möglich ist, auch Opfer von Gewalttaten zu werden. Dieser "in terrorem"-Effekt, also das Verbreiten von Angst und Schrecken durch politische Gewalttaten, ist für den Bereich der Vorurteils- bzw. Hasskriminalität gut belegt.
Immer wieder werden Angriffe auf Politiker*innen im öffentlichen Raum als Hasskriminalität bezeichnet. Unter Hasskriminalität werden Taten verstanden, die sich gegen Personen aufgrund der tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer historisch und aktuell benachteiligten Gruppe richten. Dazu zählen insbesondere antisemitische, rassistische oder homo- und transfeindliche Attacken. Hasskriminalität umfasst vorurteilsgeleitete Botschaftstaten, die ein Signal der Ausgrenzung und Einschüchterung an alle Mitglieder der viktimisierten Gruppen senden sollen. In aller Regel werden die Opfer also nicht als Individuen, sondern als Repräsentant*innen bestimmter Gruppen ausgewählt.
Angriffe auf Lokalpolitiker*innen werden häufig als Botschaftstaten gegen alle Politiker*innen (als Repräsentant*innen der Demokratie) oder eine bestimmte Gruppe von Politiker*innen verstanden und diskutiert. Allerdings ist unklar, ob diese Botschaftswirkung Teil der Intention der Täter*innen oder eine täterseitig nicht-intendierte Folge des öffentlichen Diskurses ist, in dem diese Taten eben aufgrund der Gewaltdimension als Angriff auf die Demokratie insgesamt verstanden werden. Ihrer rechtsextremen Ideologie folgend griffen die Täter Walter Lübcke, Henriette Reker und Andreas Hollstein an. Konkrete politische Aussagen und Positionen der Politiker*innen wurden als politischer Affront betrachtet. Mit den Anschlägen wollten die Täter*innen Zeichen setzen, die Politik beeinflussen und Angst verbreiten: Diese Taten sind Rechtsterrorismus, aber nicht Hasskriminalität, denn die Angriffe und die Opferauswahl waren in erster Linie personenbezogen. Mitunter ist die Abgrenzung nicht eindeutig. Denn es können auch mehrfache Aspekte der Opferauswahl vorliegen: Mehrmals wurde beispielsweise der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby aus Halle an der Saale zum Ziel von Bedrohungen und Gewalt. In diesen Fällen kommen Rassismus (Hasskriminalität) und Wut auf die Person oder auf die SPD als Partei als mögliches Motivbündel in Betracht.
Ausblick
Weltweit werden Politiker*innen zum Ziel von Gewalt. Häufig stehen dahinter kriminelle Organisationen, die dadurch die Politik beeinflussen wollen. In Mexiko wurden allein in zehn Jahren fast 100 Bürgermeister*innen durch Auftragsmörder*innen von Drogenkartellen umgebracht. Im mafiabelasteten Italien wurden zwischen 1974 und 2014 143 Politiker*innen getötet. Angriffe der organisierten Kriminalität gegen Politiker*innen finden häufig kurz nach Wahlen statt – mit dem Ziel, die künftige Agenda der neuen Amtsinhaber*innen zu beeinflussen, Zeichen der Stärke zu senden und zu signalisieren: "Legt Euch nicht mit uns an!"
Weitere Inhalte
ist Soziologe und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, Radikalisierung und Hasskriminalität. Sein Sachbuch "Deutschland rechts außen" wurde mit dem Preis "Das politische Buch 2020" der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet und kann über die bpb bezogen werden.
Ihre Meinung zählt: Wie nutzen und beurteilen Sie die Angebote der bpb? Das Marktforschungsinstitut Info GmbH führt im Auftrag der bpb eine Umfrage zur Qualität unserer Produkte durch – natürlich vollkommen anonym (Befragungsdauer ca. 20-25 Minuten).
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!