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Angriff auf die Lokalpolitik

Dr. Matthias Quent

/ 10 Minuten zu lesen

Zweidrittel der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland haben Umfragen zufolge bereits Beschimpfungen, Bedrohungen oder Gewalt erlebt. Auch aktuelle Zahlen zur Hasskriminalität zeigen, dass die Gefahr für lokale Amtsträgerinnen und Amtsträger, Opfer von Gewalt zu werden, steigt. Woher kommt der Hass auf die (lokale) Politik?

Der Schaden am Bürgerbüro des Berliner Innensenators Andreas Geisel in Berlin-Karlshorst nach einem Farbanschlag. (© picture-alliance/dpa)

Mit dem im Juni 2020 vom Bundestag beschlossenen "Gesetzespaket gegen Hass und Hetze" reagiert die Politik auch auf eine Welle von Bedrohungen und Angriffen gegen Kommunalpolitiker*innen. In diesem Rahmen wurde der Paragraf 188 des Strafgesetzbuches erweitert, mit dem Personen des politischen Lebens vor übler Nachrede und Verleumdung geschützt werden. Er gilt künftig ausdrücklich auch auf kommunaler Ebene und umfasst außerdem den Schutz vor Beleidigungen. Damit dürfte viel Arbeit auf die Strafverfolgungsbehörden zukommen: In den vergangenen Monaten häuften sich Meldungen über Drohungen und Übergriffe gegen kommunale Amtsträger*innen. Die Gesetzesverschärfung ist ein Signal des Rückhalts an jene, die in Gemeinden und Städten die repräsentative Demokratie vertreten und mit Leben füllen. Und sie ist auch eine Reaktion auf die Zunahme von gewalttätigen Angriffen gegen Amts- und Mandatsträger*innen, die mit der rechtsmotivierten Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) am 1. Juni 2019 einen vorläufigen Höhepunkt fanden. Spätestens seit der erstarkten Flüchtlingsbewegung nach Deutschland im Jahr 2015 werden (lokale) Amts- und Mandatsträger*innen immer öfter zum Ziel von Beschimpfungen, Drohungen in Briefen und E-Mails, Vandalismus und sogar Mordanschlägen. Täter*innen sind dabei häufig, aber nicht nur Rechtsextreme.

(© bpb)

Tatmotive

Von 2018 auf 2019 ist die Zahl der seit 2016 durch das Bundeskriminalamt bundesweit registrierten Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger*innen um rund ein Drittel von 1.256 auf 1.674 Fälle gestiegen. Besonders stark gestiegen sind die Fallzahlen in den Bereichen nicht zuzuordnender Motive (+51 %), linker (+40 %) und rechter (+18 %) politisch motivierter Kriminalität. Zu den im politischen Spektrum nicht klar zuzuordnenden Motiven zählt das Bundeskriminalamt auch den Bereich "Reichsbürger/Selbstverwalter". Die polizeiliche Kriminalstatistik des Bundeskriminalamtes weist aus: Von den insgesamt 1.674 Straftaten gegen "Amtsträger" und/oder "Mandatsträger" im Jahr 2019 entfallen 727 Fälle auf nicht zuzuordnende Motive, 609 auf rechte, 310 auf linke Motive, 19 auf den Bereich "ausländische" und 9 auf religiöse Ideologie. Bei rund 5 Prozent der Straftaten (89 Fälle) handelt es sich um Gewaltdelikte – davon machen Erpressungen durch "Reichsbürger" bzw. "Selbstverwalter" allein 36 Fälle aus. 22 der Gewalttaten werden linken und 16 rechten Tatmotiven zugerechnet. Bei etwa einer von einhundert registrierten Straftaten gegen Amts- oder Mandatsträger*innen handelt es sich um Körperverletzungsdelikte (20 Fälle). Mehr als die Hälfte dieser Körperverletzungen werden linken Tatmotiven zugerechnet. Im Vergleich zum Vorjahr registrierte das BKA 2019 auch einen Zuwachs von Gewaltdelikten mit rechten oder nicht zuzuordnenden Motiven.

Statistiken zu Vorfällen gegen die politischen Parteien machen auch deutlich, dass solche Angriffe alle Parteien trifft. Dies geht aus Antwort auf eine Anfrage des FDP-Bundestagsabgeordneten Konstantin Kuhle hervor. Von den bis dahin offiziellen, aber noch nicht vollständigen 1.241 Straftaten verteilten sich 161 Taten auf Vertreter*innen der CDU, Vertreter*innen der AfD im Jahr 2019 waren 143 Mal betroffen, SPD-Politiker*innen 118 Mal, die Grünen 97, die Linke 45, die CSU 13 und die FDP 12 Mal. Zu analytischen Einordnung der Gewichtung dieser Zahlen müssten sie der Grundgesamtheit der jeweiligen Amts- und Mandatsträger*innen der Parteien, der Zahl von Demonstrationen sowie ihrer regionalen Verteilung in Hinblick auf Wahlkämpfe im Berichtszeitraum gegenübergestellt werden, um statistische Trends zu identifizieren. Die meisten Straftaten machen dabei Drohungen und Beleidigungen aus. In der niedersächsischen Gemeinde Estorf berichtete ein Bürgermeister von ständigen Drohungen aus dem rechtsextremen Milieu: Nächtliche Anrufe, Hakenkreuz-Schmierereien auf dem Auto und zuletzt ein Zettel mit einer Morddrohung im Briefkasten. Die Konsequenz: Der Lokalpolitiker legte sein Amt nieder. Dass es immer häufiger nicht nur bei Drohungen bleibt, belegen auch prominente Fälle. Ein AfD-Politiker aus Bremen wurde Im Januar 2019 von Unbekannten mit einem Kantholz niedergeschlagen. Im Jahr 2017 und 2015 gab es Messer-Attacken auf die damalige Bürgermeisterkandidatin Henriette Reker in Köln und auf den Bürgermeister Andreas Hollstein in Altena, beide überlebten; im letzten Jahr dann der Schuss aus nächster Nähe auf Walter Lübcke, er überlebte nicht.

(© bpb)

Doch diese polizeilich registrierten Zahlen bilden nur einen kleinen Ausschnitt des tatsächlichen Bedrohungsgeschehens ab, denn viele Vorfälle werden nicht zur Anzeige gebracht oder nicht entsprechend eingeordnet. In einer Umfrage der Zeitschrift Kommunal im Auftrag des ARD-Politmagazins Report München aus dem Jahr 2020 gaben von 2.500 befragten Bürgermeister*innen knapp zweidrittel an, sie seien bereits beleidigt, beschimpft, bedroht oder tätlich angegriffen wurden. Neun Prozent der Befragten sagten, sie seien bespuckt und geschlagen wurden. Der Vergleich der Befragungs- mit den Polizeidaten legt nahe: Nicht einmal jeder zehnte berichtete körperliche Übergriff auf Amts- und Mandatsträger*innen wird zur Anzeige gebracht und damit auch nicht als politische motivierte Kriminalität registriert. Wie auch in anderen Bereichen – etwa bei rassistischen Straftaten – existiert in offiziellen Statistiken eine Unterberichterstattung, die nur einen Teil des tatsächlichen Fallaufkommens ausleuchtet. Das kann dazu beitragen, dass die tatsächliche Bedeutung des Problems öffentlich nicht angemessen wahrgenommen wird und die Betroffenen sich im Stich gelassen fühlen. Dies ist problematisch, denn viele Betroffene fordern insbesondere die Solidarität der Öffentlichkeit ein. Und Täter*innen könnten Schweigen als Zustimmung deuten.

Rechte Gewalt und Hasspostings gegen Amts- und Mandatsträger

Ein Straßenschild mit der Aufschrift "Dr.-Walter-Lübcke-Platz" vor der Stadthalle der Kommune im Wetteraukreis soll zur Erinnerung an den im Juni 2019 ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke beitragen. (© picture-alliance/dpa)

Die Motive sind vielfältig, doch die schwersten gewalttätigen Angriffe auf Amts- und Mandatsträger*innen kamen in den vergangenen Jahren aus dem Bereich des Rechtsextremismus: die gefährlichen Messerattentate auf Henriette Reker und Andreas Hollstein sowie schließlich die Ermordung des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke (CDU) bilden die Spitze des Eisberges zahlreicher rechter Angriffe und Bedrohungen gegen Mandatsträger*innen. Das rechtsextreme Tatmotiv ging aus entsprechenden Äußerungen sowie die den Szenekarrieren der (mutmaßlichen) Täter hervor. Obwohl die rechte Gewalt nach Angaben der Amadeu Antonio Stiftung bereits über 200 Todesopfern forderte – laut BKA sind es 109 –, war Walter Lübcke hierzulande der erste amtierende Politiker, der seit dem Ende des Nationalsozialismus von Rechten ermordet wurde. Seit einigen Jahren ist im Rechtsextremismus eine Veränderung zu erkennen: Neben rassistisch Verfolgten und politischen Gegnern geraten verstärkt auch Medienschaffende, Polizeikräfte, Staatsanwälte, Richter*innen, Forschende und Menschen aus Politik und Zivilgesellschaft ins Fadenkreuz der Rechtsextremen. In deren Augen ist der Staat in die Hände von "Volksfeinden" und "Volksverrätern" gefallen. Angeheizt wird dieser Hass auch von Parteien und Politiker*innen selbst, wenn etwa politische Gegner*innen als "Volksverräter" bezeichnet, sie ins Gefängnis oder an den Galgen gewünscht werden oder ihnen die Schuld für Straf- und Gewalttaten zugeschrieben wird, die von Menschen aus Einwandererfamilien begangen werden. Bürgermeister*innen im niedersächsischen Estorf und im sächsischen Arnsdorf haben wegen rechtsextremer Bedrohungen im November beziehungsweise Dezember 2019 ihre Ämter niedergelegt. In der Kommunal-Umfrage hatten sogar 29 Prozent der Befragten erklärt, bei der kommenden Wahl nicht mehr antreten zu wollen. Die Untergrabung der Demokratie durch Einschüchterung und die Vergiftung der politischen Kultur zeigt Wirkung.

(© bpb)

Angriffe gegen Politiker*innen und Personen des öffentlichen Lebens werden häufig im Internet kommuniziert und verbreitet. Eine große Befragung zur Hasssprache im Internet zeigt: 94 Prozent aller Menschen, die Hasskommentare im Netz gelesen haben, haben demnach dabei auch aggressive und abwertende Äußerungen gegen amtierende Politiker*innen gesehen. Genauso viele Menschen sahen Hasskommentare gegen Menschen mit realem oder vermeintlichem Migrationshintergrund. Die gleiche Befragung ergab: Fast drei Viertel der Deutschen machen sich darüber Sorgen, dass durch Aggressionen im Internet auch die Gewalt im Alltag zunimmt. Obwohl politische Gewalt und Terrorismus auch schon vor den sozialen Netzwerken existierten, führen Hass und Hetz im Internet zu neuen Radikalisierungsdynamiken, die Gewalt wahrscheinlicher machen.

Im Netz finden sich Entmenschlichungen, Gewaltaufrufe und Feindbestimmungen, sogar private Informationen werden veröffentlicht. Nach einer öffentlichen Positionierung Walter Lübckes für zivile Werte im Rahmen einer Debatte um die Unterbringung von Flüchtlingen wurde dieser unter anderem von seinem späteren mutmaßlichen Mörder, der im Internet anonym auftrat, als Hassfigur in Szene gesetzt. Es folgten Morddrohungen und die Veröffentlichung seiner privaten Wohnadresse, die später zum Tatort seiner Ermordung wurde. Im Vorfeld des Anschlags beteiligten sich verschiedene rechtsextreme Onlineportale an der Hasskampagne gegen Lübcke – vor allem der rechtsextreme Blog PI-News und ein privater YouTube-Account taten sich bei der Hetze hervor. Dort waren die Anschrift und die Telefonnummer von Lübckes Büro veröffentlicht – eine Welle von Droh- und Hass-Mails folgte, meldeten Mitarbeiter des Politikers. Sowohl das YouTube-Video als auch die Artikel des Blogs wurden in rechtsextremen Chatgruppen auf Facebook oder WhatsApp tausendfach geteilt. Auch Politiker*innen und öffentliche Personen aus dem rechten Spektrum teilten und kommentierten die Inhalte.

Ist Gewalt gegen Politiker*innen Hasskriminalität?

Schwere Körperverletzungsdelikte gegen Amts- und Mandatsträger*innen tauchen zwar in der polizeilichen Kriminalstatistik vergleichsweise selten auf – doch es ist davon auszugehen, dass diese einzelnen Taten den vielen Betroffenen von Bedrohungen vor Augen führen, dass es möglich ist, auch Opfer von Gewalttaten zu werden. Dieser "in terrorem"-Effekt, also das Verbreiten von Angst und Schrecken durch politische Gewalttaten, ist für den Bereich der Vorurteils- bzw. Hasskriminalität gut belegt.

Immer wieder werden Angriffe auf Politiker*innen im öffentlichen Raum als Hasskriminalität bezeichnet. Unter Hasskriminalität werden Taten verstanden, die sich gegen Personen aufgrund der tatsächlichen oder zugeschriebenen Zugehörigkeit zu einer historisch und aktuell benachteiligten Gruppe richten. Dazu zählen insbesondere antisemitische, rassistische oder homo- und transfeindliche Attacken. Hasskriminalität umfasst vorurteilsgeleitete Botschaftstaten, die ein Signal der Ausgrenzung und Einschüchterung an alle Mitglieder der viktimisierten Gruppen senden sollen. In aller Regel werden die Opfer also nicht als Individuen, sondern als Repräsentant*innen bestimmter Gruppen ausgewählt. Bedrohungen und Gewalttaten gegen (Lokal-)Politiker*innen sind jedoch in der Regel keine Hasskriminalität im kriminologischen Sinne, weil es sich bei ihnen nicht um historisch benachteiligte Gruppen handelt. Angriffe auf Lokalpolitiker*innen unterscheiden sich von anderen Formen von politischer Gewalt und Hasskriminalität darin, als dass sie sich nicht gegen Zivilist*innen oder gegen individuell austauschbare Repräsentant*innen von (Außenseiter-)Gruppen richten, sondern gegen bestimmte Personen. Die politischen Anlässe und Ziele der Bedrohungen sind häufig konkret, das heißt, die Täter*innen verfolgen ein greifbares politisches Ziel, zu dessen Erreichung beispielsweise die Bedrohung von Bürgermeister*innen als zielführend betrachtet wird. In Abgrenzung zu Hasskriminalität geht es bei politisch motivierten Angriffen gegen Amts- und Mandatsträger*innen nicht darum, die Vorherrschaft über eine marginalisierte Gruppe aufrechtzuerhalten oder deren Vertreibung zu forcieren, sondern darum, eine bestimmte politische Agenda durch Gewalt durchzusetzen.

Eine ausgedruckte Droh-E-Mail an den früheren Bürgermeister der Gemeinde Oersdorf, Wilfried Mündlein. (© picture-alliance/dpa)

Angriffe auf Lokalpolitiker*innen werden häufig als Botschaftstaten gegen alle Politiker*innen (als Repräsentant*innen der Demokratie) oder eine bestimmte Gruppe von Politiker*innen verstanden und diskutiert. Allerdings ist unklar, ob diese Botschaftswirkung Teil der Intention der Täter*innen oder eine täterseitig nicht-intendierte Folge des öffentlichen Diskurses ist, in dem diese Taten eben aufgrund der Gewaltdimension als Angriff auf die Demokratie insgesamt verstanden werden. Ihrer rechtsextremen Ideologie folgend griffen die Täter Walter Lübcke, Henriette Reker und Andreas Hollstein an. Konkrete politische Aussagen und Positionen der Politiker*innen wurden als politischer Affront betrachtet. Mit den Anschlägen wollten die Täter*innen Zeichen setzen, die Politik beeinflussen und Angst verbreiten: Diese Taten sind Rechtsterrorismus, aber nicht Hasskriminalität, denn die Angriffe und die Opferauswahl waren in erster Linie personenbezogen. Mitunter ist die Abgrenzung nicht eindeutig. Denn es können auch mehrfache Aspekte der Opferauswahl vorliegen: Mehrmals wurde beispielsweise der SPD-Bundestagsabgeordnete Karamba Diaby aus Halle an der Saale zum Ziel von Bedrohungen und Gewalt. In diesen Fällen kommen Rassismus (Hasskriminalität) und Wut auf die Person oder auf die SPD als Partei als mögliches Motivbündel in Betracht.

Ausblick

Weltweit werden Politiker*innen zum Ziel von Gewalt. Häufig stehen dahinter kriminelle Organisationen, die dadurch die Politik beeinflussen wollen. In Mexiko wurden allein in zehn Jahren fast 100 Bürgermeister*innen durch Auftragsmörder*innen von Drogenkartellen umgebracht. Im mafiabelasteten Italien wurden zwischen 1974 und 2014 143 Politiker*innen getötet. Angriffe der organisierten Kriminalität gegen Politiker*innen finden häufig kurz nach Wahlen statt – mit dem Ziel, die künftige Agenda der neuen Amtsinhaber*innen zu beeinflussen, Zeichen der Stärke zu senden und zu signalisieren: "Legt Euch nicht mit uns an!" Internationale Studien legen darüber hinaus nahe: Gewalt gegen Frauen in der (Lokal-)Politik spielt eine besondere Rolle. Hierzulande sind weitere Untersuchungen nötig, um diese Gewalt besser zu verstehen und ihr erfolgreich begegnen zu können.

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ist Soziologe und Direktor des Instituts für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus, Radikalisierung und Hasskriminalität. Sein Sachbuch "Deutschland rechts außen" wurde mit dem Preis "Das politische Buch 2020" der Friedrich-Ebert-Stiftung ausgezeichnet und kann über die bpb bezogen werden.