Im vergangenen Jahr schickte ein Hauptfeldwebel der Bundeswehr über WhatsApp an andere Soldaten ein Bild, auf dem Adolf Hitler und weitere Nationalsozialisten mit Hitlergruß abgebildet waren. Dazu stand die Aufschrift: "Guten Rutsch, Kameraden!" Ebenfalls im Vorjahr sagte ein Oberleutnant in Anwesenheit anderer Soldaten zu einem Hauptgefreiten mit türkischem Migrationshintergrund: "Sie wissen ja, was ich von ihnen und ihrer Arbeit halte, generell von allen Türken, die wir hier haben. Die sollten alle wieder zurück." Diese Beispiele finden sich im aktuellen Jahresbericht des Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, einer Art Ombudsmann für Soldaten. Sie bagatellisieren den Nationalsozialismus und sind rassistisch oder islamfeindlich. Anders gesagt: Sie sind rechtsgerichtet.
Disziplinarverfahren
Solche Ausfälle gibt es auch am Stammtisch oder im Verein. Dort sind sie meist folgenlos. Bei der Bundeswehr ist das anders: Die beiden Soldaten wurden von Vorgesetzten vernommen. Was sie dabei aussagten und wie sie ihre Posts begründeten, ist nicht öffentlich bekannt. Aber egal, ob ihre Handynachrichten in bewusster politischer Agitation oder aus Dummheit und Ignoranz geschehen sind - gegen die Soldaten wurde ein Disziplinarverfahren eröffnet, infolgedessen sie zu Geldstrafen in Höhe von mehreren tausend Euro verurteilt wurden. Karriere machen die beiden in der Bundeswehr nicht mehr.
Rechte Überzeugungen gibt es nicht nur in der Bundeswehr, sondern in allen Teilen der Gesellschaft. Die Studie "Gespaltene Mitte – Feindselige Zustände" aus dem Jahr 2016 kommt zu dem Ergebnis, dass fast 28 Prozent der Befragten ein "neurechtes Einstellungsmuster" vertreten
In diesem gesellschaftlichen Umfeld rekrutiert die Bundeswehr ihren Nachwuchs. Es ist kein Geheimnis, dass sich viele Rechtsextremisten von Waffen und Uniformen, klaren Hierarchien und vom Grundprinzip von Befehl und Gehorsam angezogen fühlen. All das bietet das Militär. Vielen Mitbürgern und Medienschaffenden reicht das aus, um die Bundeswehr pauschal als Hort des Rechtsextremismus zu verorten. Besonders auffällig war das im Zuge der Verhaftung des Bundeswehroffiziers Franco A. im Jahr 2017. Der Oberleutnant hatte sich eine Zweitidentität als syrischer Flüchtling zugelegt, unter der er mutmaßlich Terroranschläge auf politische Vertreter unseres Staates verüben wollte.
Franco A. hatte vier Jahre vor seiner Verhaftung eine Masterarbeit geschrieben, deren Inhalt ein Gutachter der Bundeswehr als "radikalnationalistisch" und "rassistisch" bewertete. Durch eine "massive Einwanderung", so hatte Franco A. darin unter anderem ausgeführt, vollziehe sich an den westlichen Gesellschaften ein "Genozid". Das ist eine rechtsextreme Argumentation. Doch statt den Fall dem Militärischen Abschirmdienst (MAD), der Verfassungsfeinde in den Kreisen der Bundeswehr ausfindig machen soll, zu melden, stimmten seine Vorgesetzten zu, Franco A. wegen seiner sonstigen herausragenden militärischen Leistungen zum Berufssoldat zu machen.
Rechtsextreme Netzwerke nicht belegt
Nach der Verhaftung von Franco A. vermuteten zahlreiche Medien, Politiker und Militärgegner rechtsextreme Netzwerke in der Truppe. Die taz etwa schrieb im Mai 2017, der Fall Franco A. sei nur die Spitze des Eisbergs und führte zum Beweis entsprechende Internetchats von Soldaten an. Doch juristisch wasserdichte Belege für diese Behauptung gibt es nicht. Ein rechtsextremes Netzwerk in der Bundeswehr konnte bis heute nicht nachgewiesen werden. Im Fall Franco A. hat die Justiz inzwischen sogar den Vorwurf der schweren staatsgefährdenden Straftat fallen gelassen. Der Soldat ist nach Ansicht des Oberlandgerichts Frankfurt nicht fest entschlossen gewesen, tatsächlich Anschläge auszuführen. Der Prozess gegen Franco A. beginnt erst im Herbst in Darmstadt. Zahlreiche Medien berichteten über seinen Fall aber so, als sei er bereits als Rechtsterrorist verurteilt.
Mein Eindruck ist, dass sich unser Land mit einer differenzierten Betrachtung rechter Umtriebe in der Bundeswehr schwertut. Das zeigen beispielsweise die Kommentare zu einer Zahl, die das Verteidigungsministerium im Zuge der "Affäre um Franco A." vorlegte. Danach hat der MAD zwischen den Jahren 2008 und 2017 rund 200 Soldaten als Rechtsextremisten eingestuft. Das sei, schrieb etwa die taz im Oktober 2017, eine beachtliche Zahl, denn sie umfasse nur jene, die letztlich so auffällig wurden, um gegen sie ermitteln und sie aus der Bundeswehr entlassen zu können. Was aber, so fragte die Zeitung, sei mit den anderen in der Bundeswehr, die mehr oder weniger offen rechtem Gedankengut anhängen?
Dahinter dürfte die Annahme stecken, es müsse noch viel mehr als 200 Rechtsextreme in der Truppe geben, die von ihren Kameraden in falsch verstandenem Korpsgeist gedeckt würden. Doch stimmt das? "Die meisten von uns haben primär konservative Werte", sagt ein ranghoher Offizier, der seit mehr als 30 Jahren in der Bundeswehr dient. Der weit überwiegende Teil der 180.000 Soldaten stehe fest auf unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung, schreibt der Wehrbeauftragte in seinem Jahresbericht 2018.
Große Bandbreite gesellschaftlicher Vielfalt in der Bundeswehr
In der Bundeswehr gibt es eine große Bandbreite gesellschaftlicher Vielfalt. Hier dienen Deutsche russischer, türkischer, irakischer, vietnamesischer, marokkanischer oder brasilianischer Herkunft gemeinsam. Sie haben zusammen in Afghanistan gekämpft, mehr als 50 Soldaten sind dabei gestorben und mehrere hundert haben teils schwere Verletzungen davongetragen. Soldaten, egal welcher Herkunft und Religion, verstehen sich als Kameraden, die etwas vereint, was in Deutschland oft mit sorgenvollem Unterton "Korpsgeist" genannt wird. Korpsgeist macht aus jungen Männern und Frauen unterschiedlicher Herkunft und verschiedenen Glaubens eine eingeschworene Gemeinschaft, ohne die militärische Kampfeinheiten nicht einsatzfähig sind. Für die Kritiker sorgt Korpsgeist jedoch angeblich vor allem dafür, rechtsextreme Netzwerke zu decken.
Das zeugt von Unkenntnis der Zustände in der demokratischsten Armee, die Deutschland jemals hatte. Die Bundesrepublik und ihre Armee haben aus der katastrophalen deutschen Geschichte gelernt. Mit ihrer Gründung 1955 gab sich die Bundeswehr eine weltweit einmalige "Unternehmensphilosophie". Das ist die Konzeption der Inneren Führung. Sie bildet die Grundlage für den militärischen Dienst und bestimmt das Selbstverständnis der Soldaten. Dieses Leitbild stellt die Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Frieden, Recht, Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität, also die Grundwerte der deutschen Verfassung, in den Mittelpunkt der Führungskultur der Bundeswehr. Soldaten sind heute keine bloßen Befehlsempfänger wie im Kaiserreich oder während der nationalsozialistischen Diktatur, sondern "Staatsbürger in Uniform". Ihre Rechte als freie und mündige Bürger gelten auch im Militärdienst mit wenigen Einschränkungen.
Die immer wieder auftretenden Fälle von Extremismus wie der Fall Franco A. zeigen indes, dass auch ein Leitbild wie die "Innere Führung" die Bundeswehr nicht vollständig vor linken, rechten oder islamistischen Radikalen schützt. Schon in den 1990er Jahren erließ das Verteidigungsministerium deshalb einen umfassenden Katalog präventiver und reaktiver Maßnahmen zur Abwehr von Rechtsextremisten. Darin wird beispielsweise beschrieben, woran Vorgesetzte rechtsextreme Einstellungen erkennen können. So sei etwa Musik mit gewaltverherrlichenden, rassistischen, antisemitischen oder den Holocaust leugnenden Inhalten ein Indiz für eine verfassungsfeindliche Einstellung, die zwingend verfolgt werden müsse, heißt es darin. Seit Juli 2017 müssen sich zudem alle Bewerber bei der Bundeswehr einer Sicherheitsüberprüfung durch den MAD unterziehen. Dabei holt die Behörde bei Polizei und Staatsanwaltschaft Informationen über das "Vorleben" der angehenden Soldaten ein. Auf diese Weise soll Extremisten aller Couleur der Weg ins Militär verbaut werden.
Mehr Zeit und politische Bildung benötigt
Das hilft jedoch nicht in jedem Fall. Niemand kann in den Kopf von Menschen blicken. Ob jemand rechts, neurechts oder rechtsextrem eingestellt ist, wird sich durch eine Sicherheitsüberprüfung kaum herausfinden lassen. Deswegen werden Vorgesetzte in der Bundeswehr darin ausgebildet, extremistische Tendenzen bei ihren Soldaten zu erkennen. Allerdings ist das mit großen Schwierigkeiten verbunden. Viele Rechtsextreme sind intelligent genug, sich nicht als solche zu erkennen zu geben, da sie sonst aus der Bundeswehr entlassen werden könnten. Hinzu kommt, dass Vorgesetzte heute immer weniger Zeit für ihre Untergebenen haben, um genau hinsehen zu können. Die Ursachen dafür sind vielfältig, aber eines dürfte maßgeblich sein: Die Einführung der Europäischen Arbeitszeitverordnung lässt Vorgesetzten neben Ausbildung, Übung und Einsatz kaum noch Gelegenheit, ihre Soldaten tiefer kennenzulernen. Überstunden zum Beispiel für geselliges Beisammensein werden kaum noch genehmigt. Stattdessen müssen so gut wie alle Soldaten im Alter über 24 Jahre die Kaserne nach Dienst verlassen. Was die Soldaten abends machen, in welchen Kreisen sie verkehren, bekommt kaum noch ein Vorgesetzter mit.
Umso wichtiger ist es, Soldaten die demokratische Verfasstheit, unser politisches System und die Folgen der katastrophalen Militärgeschichte Deutschlands im Dienst zu vermitteln. Das geschieht in Unterrichtsstunden, die politische Bildung genannt werden. Dieser Unterricht findet regelmäßig statt und ist für alle Soldaten verpflichtend. Doch Einstellungen kann man nicht verordnen oder befehlen. Deshalb kommt es, wie in der Schule oder der Universität, auf die Qualität des Unterrichts an. Es gibt Kompaniechefs, die laden Holocaust-Überlebende oder Rechtsextremismus-Experten ein. Andere leiern den Text einer Power-Point-Präsentation herunter, während die Soldaten gelangweilt darauf warten, dass der Unterricht zu Ende geht.
Im Sommer dieses Jahres gab das Verteidigungsministerium bekannt, seit 2008 insgesamt 128 Extremisten in der Bundeswehr identifiziert zu haben, darunter 15 Linksextremisten, 24 Islamisten und 89 Rechtsextremisten.
Bis aus Verdachtsfällen aber belegte Fälle werden, gilt auch in der Bundeswehr die Unschuldsvermutung. Die Ermittlungen gegen Extremisten werden von Militärjuristen, Wehrdisziplinaranwälten, militärischen Vorgesetzten und Feldjägern, einer Art Polizei der Bundeswehr, geführt. Sie vernehmen die Beschuldigten und befragen Zeugen. In besonders schweren Fällen schaltet die Bundeswehr auch die Staatsanwaltschaft ein. Mit Ausnahme des Jahres 2017 geben die Zahlen der vergangenen Jahre allerdings keinen Hinweis auf ein wachsendes Problem der Bundeswehr mit Rechtsextremismus. Im Jahr 2010, dem letzten Jahr der Wehrpflicht, wurden 585 neue Verdachtsfälle registriert. Im Jahr 2016 waren es nur noch 227. Nach, wie es aus dem Verteidigungsministerium heißt, sorgfältiger Prüfung der Verdachtsfälle, stufte der MAD 172 der 585 Fälle im Jahr 2010 als rechtsextrem ein. Von den 227 im Jahr 2016 waren es noch 31
Keine pauschale Verortung im rechtsextremen Milieu
Dass die Truppe mit Franco A. einen möglicherweise rechtsextremen Terroristen in ihrer Mitte ungestört gewähren ließ, ist unfassbar. Doch es spricht nicht dafür, dass die Truppe pauschal anfällig ist für rechtsextremistische Tendenzen. Richtig ist vielmehr, dass Rechtsextremisten erwarten, in der Bundeswehr auf Gleichgesinnte zu treffen – und oft enttäuscht werden. Allzu häufig treffen sie auf Soldaten, denen die Mangelwirtschaft in ihrer Einheit, die Überlastung durch Einsätze und Übungen sowie zerbrechende Familien mehr Sorgen bereitet als die Migration von Ausländern oder die angeblich schädliche "Genderisierung" der Gesellschaft.
Doch Fakt ist eben auch, dass es rechte Einstellungen in allen Teilen unserer Gesellschaft gibt. Da unterscheidet sich die Bundeswehr nicht von einem Fußballverein. Doch im Gegensatz zu Fußballern sollen die Soldaten unser Land und unsere Demokratie verteidigen. Deshalb braucht die Bundeswehr etwas anderes als die pauschale und undifferenzierte Verortung im rechtsextremen Milieu, der sie immer wieder ausgesetzt ist. Was sie braucht, das ist die Aufmerksamkeit von uns allen. Es ist die gesamte Gesellschaft und nicht die Politik allein, die darauf achten muss, dass die Bundeswehr nicht von Extremisten, egal welcher Richtung, unterwandert wird.