Es wird Kristina Schröder, damalige Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, zugeschrieben, dass der Begriff Deutschenfeindlichkeit es in einen breiteren Diskurs geschafft hat. In einem Artikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung hielt sie im Oktober 2010 fest, dass ihrer Meinung nach auch "Deutschenfeindlichkeit Fremdenfeindlichkeit, ja Rassismus" sei.
Damit fachte Schröder eine Debatte rund um die vermeintlich zunehmende Diskriminierung von Deutschen durch Mitglieder von Minderheitengruppen in Deutschland an. Interessant an der Debatte und dem Begriff Deutschenfeindlichkeit sind mehrere Aspekte: Existiert tatsächlich eine (nennenswerte) Diskriminierung von Deutschen? Wenn ja – wie ist damit juristisch und gesellschaftlich umzugehen? Ist Deutschenfeindlichkeit eine Form von Rassismus? Und kann damit der Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt sein? Oder ist der Begriff grundsätzlich ungeeignet, weil er in der rechtsextremen Szene schon lang gebräuchlich ist und dort als "Kampfbegriff" im Kontext eines vermeintlich drohenden "Volkstods" verwendet wird?
Deutschenfeindlichkeit als rechtsextremes Propagandakonstrukt
Der Begriff Deutschenfeindlichkeit hat seinen Ursprung in der Auseinandersetzung zwischen den Großmächten um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert und wurde schnell von rechten Kreisen in Deutschland aufgegriffen. Ursprünglich beschrieb der Begriff die ablehnende Einstellung anderer Ländern gegenüber Deutschland. Zwar hat sich Deutschland inzwischen schon längst in europäische Partnerschaften und Bündnisse integriert. Nichtsdestoweniger hat das Phänomen nach wie vor eine außenpolitische Komponente, wenn diese auch in der aktuellen innerdeutschen Debatte um Deutschenfeindlichkeit selten bis nie von Bedeutung ist.
In der rechtsextremen Szene wird der Begriff Deutschenfeindlichkeit nach wie vor in das Propagandakonstrukt eines drohenden "Volkstodes" eingebettet – dieses Konstrukt hat eine lange Tradition. Schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts dominierte das Wort "Volkstod" bevölkerungspolitische Debatten in Deutschland und wurde im Nationalsozialismus umfangreich in die NS-Propaganda eingebunden. In rechtsextremen und rechtsnationalen Kreisen wurde der Begriff nach 1945 für den Aufbau eines "Opfermythos" genutzt: Dabei wurde und wird auch immer wieder die Zerstörung von Dresden im Zweiten Weltkrieg von dieser Szene instrumentalisiert. Mit dem Narrativ der sogenannten Deutschenfeindlichkeit stärken vor allem rechtspopulistische und extrem rechte Gruppen eben diesen "Opfermythos", würden Deutsche doch in ihrem eigenen Land angegriffen, das deutsche Volk unterwandert und "ausgetauscht" – der "Volkstod" naht, so die rechte Propaganda. In ihre Überzeugung vom "Volkstod" schließt die rechtsextreme Szene außerdem Prozesse wie die demografische Entwicklung, aber auch die zunehmende vermeintliche "Bedrohung" durch die Einwanderungsgesellschaft Deutschlands ein. Die Gleichstellung der Geschlechter beispielsweise gehört zu dieser "Volkstod"-Erzählung, weil Frauen so ihrer natürlichen Rolle als Mütter nicht mehr nachkommen und nicht genügend Kinder zur Verhinderung des "Volkstodes" zur Welt bringen würden. Auch die Abwanderung aus dem ländlichen Raum sowie die Auswanderung Deutscher führe dieser Logik zufolge zum "Volkstod".
Das rechtsextreme Theorieorgan "Nation und Europa" führte 1991 eigens eine Kategorie ein, um vermeintlich deutschenfeindliche Übergriffe abzubilden. In der Rubrik "Neues von der Überfremdungsfront" beziehungsweise "Aktuelles aus Multikultopia" wurden Beiträge veröffentlicht, die die vermeintlich deutschfeindlichen Übergriffe durch Ausländer*innen unter dem Titel "Gewalt gegen Deutsche" auflisten. Rechtspopulistische Plattformen wie "Politically Incorrect" nutzen den Topos Deutschenfeindlichkeit, um die "echten" Deutschen als Opfer darzustellen. Unter anderem wird in der Rubrik "Migrantengewalt" eine Vielzahl von Artikeln gesammelt, die nicht nur die vermeintlichen Gewalttaten von Menschen mit Migrationsgeschichte abbilden, sondern vielmehr auch die "echten" Deutschen als Opfer darstellen, gleichzeitig aber auch als Held*innen stilisieren. Dabei greift der "Opfermythos" die verschiedenen Aspekte von Deutschenfeindlichkeit auf, wird doch nicht nur die interne Bedrohung durch Eliten und Menschen mit Migrationsgeschichte ausgemacht, sondern auch der vermeintlichen Hass anderer Länder auf Deutschland. Der konstruierte Konflikt zwischen Eliten und Minderheiten gegen die Deutschen aka "das Volk" ist zudem ein wiederkehrendes Motiv in der rechtspopulistischen Kommunikation. Rechtsextreme Akteur*innen greifen sowohl im Online- als auch Offline-Raum in Debatten auf das vermeintliche Phänomen der Deutschenfeindlichkeit zurück, um gesellschaftliche Probleme wie Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und mehr anhand einer sogenannten Whataboutism-Strategie zu relativieren.
"Deutschenfeindlichkeit" im Mainstream
Als Startschuss der neueren und breiteren Debatte um Deutschenfeindlichkeit wird häufig eine im Oktober 2010 stattfindende Fachtagung der Bildungsgewerkschaft GEW genannt. Der Historikerin Yasemin Shooman zufolge wurde die eigentliche Diskussion aber durch einen 2009 erschienenen Beitrag der Lehrer*innen Andrea Posor und Christian Meyer ins Rollen gebracht. In ihrem Beitrag machten die beiden Lehrer*innen auf das zunehmende Mobbing deutscher Schüler*innen durch migrantische Mitschüler*innen in einzelnen Berliner Schulen aufmerksam: Dort seien deutsche Kinder in der Minderheit. Zwar identifizieren beide Autor*innen sozio-kulturelle Faktoren sowie die Diskriminierungserfahrungen der mobbenden Schüler*innen, um vermeintlich deutschfeindliche Haltungen zu erklären, nicht zuletzt, weil nicht nur deutsche Schüler*innen beleidigt wurden. Vielmehr wurden Schüler*innen ausgegrenzt, die sich um bessere Noten bemühten, sowie Lehrer*innen beleidigt. (All das deutet Shooman zufolge darauf hin, dass das Phänomen Deutschenfeindlichkeit schichtspezifisch sei.) Die Autor*innen kommen zu dem Schluss, dass der Islam sowie islamische Rollenbilder, kurz der (vermeintliche) Konflikt zwischen westlichen und islamischen Werten, das Phänomen der Deutschenfeindlichkeit erklären und prägen würden.
Medien wie auch politische Akteur*innen des gesellschaftlichen Mainstreams haben den Begriff aber erst im Oktober 2010 aufgegriffen. Neben Kristina Schröder äußerte sich auch die frühere Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Maria Böhmer (CDU) besorgt über die vermeintlich zunehmende Deutschfeindlichkeit an Berliner Schulen. Das Phänomen Deutschenfeindlichkeit erlebte vor dem Hintergrund der Veröffentlichung von Thilo Sarrazins kontroversem Buch "Deutschland schafft sich ab" zudem eine vorher nicht dagewesene Aufmerksamkeit. In seinem Buch warnt Sarrazin vor dem Verfall der deutschen Kultur und vor der Zuwanderung aus überwiegend muslimischen Ländern. Dass die Debatte um die Deutschenfeindlichkeit sich nun vorrangig auf Muslim*innen in Deutschland bezog, ist auch auf den zeitlichen Zusammenfall mit der Sarrazin-Debatte zurückzuführen. Es scheint so, als haben die antimuslimisch-rassistischen Thesen Sarrazins auch die Debatte um das Phänomen Deutschenfeindlichkeit befeuert.
Juristische und gesellschaftliche Herausforderungen
In der Debatte um die angebliche Deutschenfeindlichkeit stehen sich verschiedene Positionen gegenüber, gerade weil die Betonung des Phänomens und der Begriff fester Bestandteil der rechtsextremen Kommunikations- und Propagandastruktur sind. Auch auf juristischer Ebene ist das Phänomen umstritten, die Rechtslage ist bezüglich der Diskriminierung von Deutschen noch unklar.
Kritiker*innen des Begriffs betonen nicht nur, dass Deutschenfeindlichkeit ein Kampfbegriff der rechten Szene ist, die Verwendung des Begriffs im politischen und medialen Mainstream also unangemessen sei. Vielmehr machen sie auch darauf aufmerksam, dass mit dem Begriff Rassismus und langjährige Diskriminierungserfahrungen anderer Betroffenengruppen verharmlost würden. Hinzu komme, dass Diskriminierungsstrukturen sozusagen gespiegelt würden, liege dem Begriff doch eine ausgrenzende "Wir"-"Sie"-Logik zugrunde. Der Begriff blende außerdem die "Machtverhältnisse zwischen Mehrheitsgesellschaft und Minorisierten" aus: Zwar könnten Angehörige der weißen Mehrheitsgesellschaft in Deutschland individuelle Ausgrenzungserfahrungen machen, strukturellem Rassismus sind sie aber in der Regel nicht ausgesetzt. Diese Meinung vertritt, unter anderem, die Historikerin Interner Link: Yasemin Shooman in ihrem nachfolgenden Debattentext.
Dem steht die Meinung gegenüber, dass der Begriff zwar problematisch, aber sinnvoll sei, um das tatsächlich existierende Phänomen der rassistischen Beleidigung und Diskriminierung Deutscher zu beschreiben. Auch der Interner Link: Erziehungswissenschaftler Ahmet Toprak lehnt den Begriff Deutschenfeindlichkeit ab, weist aber darauf hin, dass es Abwertung und Diskriminierung von Deutschen durch Angehörige der in Deutschland lebenden Minderheiten gebe – und zwar in Fällen, wo diese Minderheiten sich aus bestimmten Gründen (zum Beispiel in Schulklassen) in der Mehrheit befänden, und die Diskriminierung Ausübenden selbst Diskriminierungen durch die Mehrheitsgesellschaft erfahren hätten. Der damalige Bundesvorsitzende der Partei Bündnis 90/ Die Grünen, Cem Özdemir, nutzte den Begriff Deutschenfeindlichkeit 2010 in der öffentlichen Debatte, um das Phänomen der Diskriminierung Deutscher durch Menschen mit Einwanderungsgeschichte zu beschreiben.
Zuletzt entfachte der Fall eines ehemaligen Vorstandsmitgliedes des Türkischen Elternbundes Hamburg eine hitzige Debatte, auf gesellschaftlicher wie auch juristischer Ebene. Dieser hatte auf Facebook öffentlich Deutsche beleidigt: Nach der Resolution des Bundestages zum türkischen Völkermord an den Armeniern verfasste er Hasspostings gegen Deutschland, bezeichnete die Deutschen unter anderem als "Köterrasse" und "Hundeclan". Infolgedessen gingen insgesamt 20 Anzeigen bei der Hamburger Staatsanwaltschaft ein. Im Februar 2017 stellte diese ihr Ermittlungsverfahren ein, weil weder der Tatbestand der Volksverhetzung noch Beleidigung erfüllt sei.
Die Justiz erklärte die Entscheidung im obigen Fall damit, dass sich Volksverhetzung tatbestandlich nur gegen Teile der Bevölkerung richten kann, nicht aber gegen das gesamte Volk. Entsprechend müsse also eine Abgrenzung zur Mehrheitsbevölkerung möglich sein, was bei Deutschen als der Mehrheitsgesellschaft eben nicht gegeben sei: Sie sind also nicht "als unterscheidbarer Teil der Gesamtheit der Bevölkerung" zu erkennen. Darüber hinaus beruht der Volksverhetzungs-Paragraph auf der historischen Erfahrung des Nationalsozialismus und soll Minderheiten und Menschen, die Minderheiten zugehörig sind, im besonderen Maße schützen. Die Äußerungen im obigen Fall fallen auch nicht unter den Straftatbestand der Beleidigung, obwohl sie, laut der Sprecherin der Hamburger Staatsanwaltschaft, im Prinzip geeignet wären, eine Beleidigung darzustellen. Doch gebe es eine verfassungsgerichtliche Rechtsprechung, die fordere, dass das Objekt einer Beleidigung "nur ein verhältnismäßig kleiner und hinsichtlich der Individualität seiner Mitglieder fassbarer Kreis von Menschen sein" kann. Bei "allen Deutschen" sei dies nicht der Fall, so die Staatsanwaltschaft, die sich auf eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Juni 2016 bezieht, der zufolge das Zeigen der Buchstabenkombination ACAB ("All Cops Are Bastards") nicht zwingend eine Beleidigung (von Polizist*innen) darstelle.
Die Entscheidung der Hamburger Staatsanwaltschaft sorgte insbesondere in der rechten Szene für Entrüstung, unter anderem bewertet Martin Sellner, Vorsitzender der rechtsextremen Identitären Bewegung in Österreich, das Urteil als "Krieg gegen das eigene Volk". Auch die Hamburger AfD-Fraktion kritisierte das Urteil scharf und forderte eine Erweiterung des Volksverhetzungs-Paragraphen. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Stimmen laut, die eine Anpassung und Ergänzung des Volksverhetzungs-Paragraphen forderten. Unter anderem wird kritisiert, dass das deutsche Rechtssystem sowie das Strafrecht deutschfeindliche Äußerungen und Aktivitäten nicht abbilde oder anerkenne. Auch der SPD-Abgeordnete in der Hamburger Bürgerschaft Kazim Abaci äußerte sich kritisch zur Entscheidung der Staatsanwaltschaft und betonte, dass die Aussagen des Vorstandsmitgliedes des Türkischen Elternbundes Hamburg rassistisch seien.
Die jüngste Debatte um Deutschenfeindlichkeit zeigt deutlich, dass der Begriff sowie das Phänomen die deutsche Gesellschaft und Justiz vor eine Herausforderung stellen. Es besteht Diskussionsbedarf – dazu braucht es eine umfassende Auseinandersetzung mit dem Phänomen.