Das mecklenburgische Ausstiegsangebot JUMP begleitet seit sieben Jahren Menschen dabei, die rechtsextreme Szene hinter sich zu lassen. Die jüngsten Aussteiger waren Teenager, der älteste Mitte vierzig. Groß ist das Team nicht, es hat nur vier Mitarbeiter. Aber neben ihrer Arbeit mit Aussteigenden leisten sie eine weitreichende Bildungs- und Beratungsarbeit, auch um ein Netzwerk von Menschen aufzubauen, die aufmerksam werden, wenn jemand mit rechtsextrem affiner Einstellung anfängt zu zweifeln. Zudem sind sie in der Einstiegsprävention tätig. Einer der Mitarbeiter, Hannes Wolke
Herr Wolke, wie sieht eine typische Aussteigergeschichte in der rechtsextremen Szene aus?
Hannes Wolke: Das ist schwierig zu sagen, weil jeder Fall eines Ausstiegs individuell ist. Und es gibt auch immer individuelle Gründe dafür, dass sich jemand überhaupt erst in der rechtsextremen Szene wiederfindet. Es ist ja nicht so, dass sich die Menschen diese Szene aussuchen, weil sie sie so toll finden. Sondern sie füllt eine Lücke, die in deren Leben entstanden ist.
Die Zeit des Ausstiegs dauert, grob gesagt, doppelt so lange wie die Zeit, in der jemand in der Szene drin war. Es kommt hinzu, dass dem Willen zum Ausstieg in der Regel schon lange Prozesse der Irritation vorausgegangen sind. Unsere Begleitung von Aussteigenden zieht sich also meist über viele Jahre hin.
Das heißt: Der eine Rechtsextreme ist nicht wie der andere.
Stimmt, wir unterscheiden grob zwischen vier unterschiedlichen Typen. Da gibt es die Sympathisanten. Das können zum Beispiel der Bruder, Verwandte oder Freunde von Menschen sein, die in der rechtsextremen Szene drin sind. Dann gibt es die Mitläufer, die auf Demos oder Konzerte gehen oder sich in Gesprächskreisen engagieren und viel lesen, beispielsweise Texte von den Neuen Rechten. Dann gibt es noch die Aktivisten, die Demos oder Events organisieren und so der Szene Austauschplattformen bieten. Schließlich haben wir die Kader: Das sind jene, die die Szene in der Hand haben und Netzwerke bilden. Oft genug sind sie parteiförmig organisiert.
Wie passiert es, dass manche irgendwann aus Szene raus wollen?
Die konkreten Gründe sind heterogen, aber man kann es so beschreiben: Sie haben in der Regel irgendwann das Gefühl: Es passt nicht mehr. Irgendwas ist schräg, irgendwas ist anders geworden. Zum Vergleich könnte man sagen: Es ist wie ein Schuh, der zu klein geworden ist. Die Leute in der Szene gehen ihnen auf die Nerven, sie fühlen sich mehr und mehr anders.
Warum nutzen Ausstiegswillige Ihre Hilfe? Können Sie nicht selbst mit der Szene abschließen?
Wir erleben, dass andere Bereiche der Gesellschaft skeptisch sind, wenn Menschen die Idee gefasst haben, der Szene den Rücken zu kehren. Ihre Spuren sind im Netz zu finden, es werden vielleicht ihre Namen in Verbindung mit rechtsextremistischen Ereignissen genannt oder sie werden in Zeitungsartikeln erwähnt. Deswegen ist es schwer für sie, neue Freunde oder eine andere Arbeit zu finden. Dann passiert es, dass Menschen wieder zurück in die Szene gehen und sich weiter radikalisieren. Denn dann haben sie die Erfahrung gemacht: Ihr wollt mich nicht! – und wenden sich erst recht von der Gesellschaft ab. Außerdem geht von der Szene selbst eine große Gefahr aus. Wer aus ihr ausgestiegen ist, gilt dort als "Verräter" und ist quasi für vogelfrei erklärt.
Sie kümmern sich nur um Menschen, die ihren Ausstiegswillen auf irgendeine Weise deutlich bekundet haben. Warum?
Wir sind ein zivilgesellschaftliches Angebot, welches freiwillig wahrgenommen wird. Wer zu uns kommt, will etwas. In der Regel ist das ein unkonkreter Wille zur Veränderung oder aber die klare Absicht auszusteigen. Da wir keinerlei Zwangsmaßnahmen durchführen, ist der Ausstiegswille die einzige Voraussetzung. Ausstieg heißt für uns nicht nur, dass man einfach nicht mehr hingeht. Neben dem Verzicht auf Gewalt sind das ja auch ideologisch-kognitive Zusammenhänge, die da eine Rolle spielen. Es gibt Leute, bei denen das nicht klappt.
Wie sieht Ihre Hilfe konkret aus?
Wir führen ein Erstgespräch um herauszufinden: Was ist das Motiv für den Ausstieg? Wie ist die aktuelle Situation? Dann treffen wir eine schriftliche Vereinbarung zu einer fortlaufenden Begleitung. Sie ist zwar freiwillig für den Aussteigenden, aber trotzdem erwarten wir gewisse Dinge von ihm hinsichtlich szenetypischer Verhaltensweisen, Kleidung oder auch Sprache. Danach geht es uns vor allem zuerst um Stabilisierung: Schule, Ausbildung, Beruf, Wohnung, Drogenproblematik, Familiensituation. Währenddessen oder auch erst später knüpfen wir in Gesprächen immer wieder daran an, was die Person eigentlich von uns will: Welche Fragen sind bei ihr offen? Was läuft in ihrem Denken gerade ab? Im weiteren Verlauf der Begleitung dreht sich also der Schwerpunkt: Von der Stabilisierung hin zur distanzierenden Biografiearbeit.
Wie kommen Sie an die Ausstiegswilligen heran?
Wir haben mit unserer Internetpräsenz und einer Hotline angefangen. Aber es hat sich gezeigt: Das wird nicht genutzt. Dafür sind immer wieder Kollegen vom CJD-Nord
Was vermitteln Sie in Ihrer Bildungsarbeit?
Für uns ist es wichtig, dass wir in unseren Bildungsveranstaltungen über Haltung sprechen. Viele Menschen neigen schnell dazu, Aussteigerinnen und Aussteiger auszugrenzen. Aber wir finden: Jeder hat das Recht, seinen Weg zu gehen. Es dürfen Fehler gemacht werden. Und es ist in Ordnung, diese zu korrigieren. Manchmal bekommen wir dafür Kritik, wir würden Täterarbeit leisten, weil wir diesen akzeptierenden Ansatz haben. Aber wir arbeiten ja mit Menschen, die bereits erste Zweifel an ihrer rechtsextremen Einstellung haben. Wir müssen dann dranbleiben, damit die Ebene der Widersprüche für sie noch klarer wird.
In Mecklenburg-Vorpommern hat die rechtsextrem motivierte Gewalt im vergangenen Jahr wieder zugenommen. Haben Sie manchmal das Gefühl, auf verlorenem Posten zu kämpfen?
Eigentlich nicht. Jede Person, die wir bei ihrem Ausstieg unterstützen können, ist für uns ein Gewinn, weil wir damit gegebenenfalls Leben gerettet haben. Leben retten im Sinn von: Wir haben diesen Menschen geholfen, sich von ihrem Leidensdruck zu befreien, und auch eine Gefährdung Dritten gegenüber minimiert.
Bislang hat JUMP 23 Menschen bei ihrem Ausstieg begleitet.