Die aktuellen politischen Entwicklungen und Konflikte in der Türkei lösen auch in Deutschland Spannungen unter türkeistämmigen Migrantinnen und Migranten aus. Der Einfluss türkisch-rechtsextremer und nationalistischer Bewegungen in Deutschland hat dabei auch weiter zugenommen. Diese Bewegungen bezeichnen sich als "Ülkücü", was ins Deutsche übertragen schlicht "Idealismus" bedeutet, tatsächlich aber als rechtsextreme, die türkische Nation überhöhende Ideologie mit einer Betonung auf islamische Werte zu verstehen ist. Ihr Symbol ist der "Graue Wolf" (Bozkurt), der aus einem alttürkischen Mythos stammt und die Militanz der Bewegung symbolisiert. Gerade unter dem Symbol des heulenden „Grauen Wolfs“ wurden in den 1960ern und 1970ern mehrere Tausend Jugendliche in paramilitärischen Trainingscamps ausgebildet. Ihr großes Ideal ist der "Turan", ein großtürkisches Reich und die Eliminierung der politischen Gegner. Zur Auflösung der Fußnote[1] Doch welche Geschichte, Ideologie und Inhalte verbergen sich hinter diesen Gruppen?
Aktivitäten der Grauen Wölfe in Deutschland
In Deutschland sind schon seit den Migrationsbewegungen in den 1960er und 1970er Jahren zahlreiche türkisch rechtsextreme Vereine entstanden, die sich 1978 unter dem Dachverband ADÜTF (Türkische Föderation der Idealistenvereine in Deutschland, heute bekannt als Türk Fedarasyon) zusammengeschlossen hatten. Im Zuge der politischen Verflechtungen sind in Deutschland auch türkisch rechtsnationalistische Verbände wie ATB (Europäisch-Türkische Union) und ATIB (Türkisch Islamische Union Europa) entstanden, die sich mehr als islamisch orientierter Flügel der "Grauen Wölfe" verstehen. Bundesweit unterhalten Türk Federasyon, ATIB und ATB gemeinsam ungefähr 303 Lokalitäten und sind mit mindestens 18.500 Mitgliedern die stärksten rechtsextremen Organisationen in Deutschland Zur Auflösung der Fußnote[2] – noch vor der NPD mit rund 5000 Mitgliedern.
Ein Teil des Erfolgskonzepts dieser Dachverbände ist, dass die lokalen Mitgliedsvereine sich häufig als türkische Selbsthilfeorganisationen und Moscheegemeinden etablieren konnten. Sie haben Einfluss auf Kultur- und Elternvereine, Unternehmerverbände, Jugendgruppen, Fußballclubs und Moscheen – und damit auf das soziale Leben vieler türkeistämmiger Menschen hierzulande. So verbreiten diese Gruppen nationalistische Ideologien und versuchen, insbesondere Einfluss unter Jugendlichen mit Zuwanderungsgeschichte zu gewinnen. Es handelt sich hierbei um einen Rassismus, der eine – von der Staatsbürgerschaft losgelöste und durchaus auch im "Exil vom Mutterland" gelebte Einheit von Volk und Nation postuliert – und eine Form der Ungleichwertigkeitsideologie in der Einwanderungsgesellschaft darstellt. Vor allem wird hier ein türkischer Nationalismus propagiert, der sich sowohl historisch als auch politisch in der Gestalt eines kulturellen Rassismus zeigt. So werden nach dieser Ideologie alle in der Türkei lebenden Menschen, unabhängig von ihrer Zugehörigkeit, als Türken definiert und andere kulturellen und nationale Identitäten negiert. Als Mitte der 1990er Jahre die Grauen Wölfe türkeiweit eine Kampagne unter dem Motto "Ya Sev ya terk et" (Entweder liebst du es, oder du verlässt es) starteten, bezogen sie sich sehr stark auf diesen kulturellen Rassismus.
Gegenwärtig wird die Ideologie der Grauen Wölfe in der Türkei von zwei Parteien, der Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP – Milliyetci Hareket Partisi) und der Großen Einheitspartei (BBP – Büyük Birlik Partisi) vertreten. Auch im Umfeld der regierenden Partei für Gerechtigkeit und Fortschritt (AKP – Adalet ve Kalkinma Partisi) zeigen sich Nähen zur Tradition der Grauen Wölfe (z.B. durch die AKP-nahe Jugendorganisation Osmanli Ocaklari).
Auf den gescheiterten Putsch vom 15. Juli 2016 in der Türkei reagierte die Erdoğan-Regierung mit einer neuen Repressionspolitik und einer Hetzjagd auf Gülen-Anhänger. Auch in Deutschland wurde vermehrt mobilisiert: In Köln demonstrierten tausende Menschen, in Berlin, Hamburg, Stuttgart, Gelsenkirchen und anderen Städten kam es zu Eskalationen gegen kurdische Einrichtungen und Gülen-nahe Bildungsvereine. Auch Graue Wölfe beteiligten sich den Demonstrationen. In Duisburg rief vor allem der türkisch rechtsnationalistische Rocker- und Boxclub "Turan e.V." am 26. März 2016 unter dem Motto "Wir unterstützen den Anti-Terrorkampf der türkischen Sicherheitsbehörden" zu einer provokativen Demonstration auf, an der 400 Personen teilnahmen. Nach der Armenien-Resolution des Bundestags wurden Politiker, die der Resolution zugestimmt hatten, von türkischen Nationalisten bedroht. Man kann den Einfluss der rechtsextremistischen Bewegungen nicht allein mit bundesdeutschen Rahmenbedingungen erklären. Diese Strukturen sind zugleich von einer politischen Linie oder Ideologie geprägt, die im "Mutterland Türkei" bestimmt wird.