Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Gibt es einen "rechten Weg"? | Rechtsextremismus | bpb.de

Rechtsextremismus Was ist Rechtsextremismus? Rassismus Was ist eigentlich Rassismus? Rassen? Gibt's doch gar nicht! Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? Alltagsrassismus Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert Infografik Rassismus Verschwörungstheorien Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom Die Reichsideologie Die Protokolle der Weisen von Zion Debatte: Extremismustheorie Der Extremismusbegriff Kritische Anmerkungen zum Extremismuskonzept Weiterführende Literatur Ideologie Rechtsextreme Einstellungen Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland Was denkt die NPD? Rechtsextremismus: die internationale Debatte Intellektueller Rechtsextremismus Muslimfeindlichkeit Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik Interview Hafez Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor Virtuelle Kreuzritter Konkurrenz der Leidtragenden Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander Antisemitismus Antisemitismus heute Interview mit Marina Chernivsky Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Die AfD und der Antisemitismus Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland Ungezählte Opfer Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus Wie organisieren sich Rechtsextreme? Internationale Netzwerke Die Eurasierbewegung und die Neue Rechte Die APF: Europas rechtsextremer Rand Rechtsextreme US-Szene Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert Globalisierte Anti-Globalisten Die Identitären Neonazis in Russland Hammerskins Kampfsport, Runen, Rassenhass Rechtsextremistische Parteien in Europa Rechtsextremismus in Russland (Miss-)Erfolge der „Identitären“ NPD Mehr als 50 Jahre rechtsextrem Das Parteiprogramm der NPD Frauen in der NPD Radikal besorgte Bürger Wer wählt eigentlich rechtsextrem? NPD-Taktiken Das Potenzial der NPD NPD-Verbot und Parteienfinanzierung Autonome Nationalisten Turnschuhe statt Springerstiefel "Dortmund ist unsere Stadt" Aussteigerinterview Webtalk: Autonome Nationalisten Rechtsextreme Parteien in Europa Rechtsextreme Akteure in Deutschland Rechtsextreme Szenen und Medien Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Interview mit Eberhard Seibel Heimatliebe, Nationalstolz und Rassismus Graue Wölfe Nationalismus und Autoritarismus auf Türkisch Antisemitismus bei Muslimen Russlanddeutsche GMF bei Polnischstämmigen Debatte: "Deutschenfeindlichkeit" Jugendkulturen Runen gestern, heute, morgen Jugendkulturen im Wandel Codes der rechtsextremen Szene Interview mit Christoph Schulze Tipps für Jugendeinrichtungen Burschenschaften Kameradschaften Neonazis hinter weißen Masken Kameradschaften im Visier Einführung Jugendkultur Kampfsport Was liest der rechte Rand? Geschichte der rechtsextremen Presse Gegenöffentlichkeit von rechtsaußen Der rechte Rand: Verlage Der rechte Rand: Publikationen Audio-Slideshow Männer Männliche Überlegenheitsvorstellungen Homosexualität Rechtsextreme Männerbilder Soldatische Männlichkeit Burschenschafter Autoritär-rechte Männlichkeiten Musik Die neonazistische Musik-Szene Neue Töne von Rechtsaußen Rechtsrock für's Vaterland Rechtsrock: Millionen mit Hass Verklausulierte Volksverhetzung Interview mit David Begrich Elf rechte Bands im Überblick Frauen Auf die sanfte Tour Feminismus von rechts Rechte Aktivistinnen Frauen in der NPD Rechtsradikale Frauen Rechtsextrem orientierte Frauen und Mädchen Frauen im rechtsextremen Spektrum Aussteigerinnen Nazis im Netz Roots Germania Rechtsextremismus im Internet Das braune Netz Neonazis im Web 2.0 Zocken am rechten Rand TikTok und Rechtsextremismus Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Rechtsextremismus und Presse Interview mit Ulrich Wolf Der NSU und die Medienberichterstattung Umgang mit Leserkommentaren Ein kurzer Ratgeber für Journalisten Krimi gegen Rechts Tonangebende rechtsextreme Printmedien Wenn Neonazis Kinder kriegen Die nächste Generation Hass Umgang mit Kindern von Neonazis Eine Mutter und ihre Kinder steigen aus "Mein Kampf" "Wir wollen den Zünder ausbauen" Helfen Gesetze gegen "Mein Kampf"? Gemeinfrei: "Mein Kampf" Hitlers "Mein Kampf" – ein unterschätztes Buch Rechtsextreme Kampagnen-Themen "Gender" und "Genderwahn" Ökologie Grüne Braune Wie grün waren die Nazis? Interview mit Elisabeth Siebert Debatte: Kommunale Flüchtlingspolitik Nach Köln Flüchtlingsunterkünfte Interview mit Oliver Malchow Was kommunale Flüchtlingspolitik leisten kann – und muss Deutsche Asylpolitik, europäischer Kontext Wer erhält welches Asyl? "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …" – Ein Faktencheck Anstoß in der Kreisklasse Handlungsspielraum der Kommunen Meinung: Die Probleme waren schon vor den Flüchtlingen da Meinung: Kommunale Flüchtlingspolitik aus der Sicht des Bundes Meinung: Probleme und Lösungswege in der kommunalen Flüchtlingspolitik Meinung: Flüchtlingsarbeit in den Kommunen – Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft TwitterChat: Kommunale Flüchtlingspolitik Fußball Judenhass im Fußball Film: Rechtsextremismus und Diskriminierung in deutschen Fußballstadien Interaktiver Webtalk: Über den rechten Flügel – Neonazis und Fußball Fußball und Rechtsextremismus Interaktive Grafik: Rechtsextreme Vorfälle in Fußballstadien Angriff von rechtsaußen Rechtsextreme BVB-Fans Audio-Interview: Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball Audio: Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion Vereine und Verbände Extrem rechte Fußballfans und die Nationalmannschaft des DFB Die Erzählung vom ‘großen Austausch’ Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Grauzonen Die "Neue Rechte" Interview mit Maren Brandenburger Der rechte Rand des politischen Systems der Bundesrepublik Die völkische Bewegung Die Junge Freiheit Das Institut für Staatspolitik Völkische Jugendbünde Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie Rechtsextreme Esoterik Rechtsextreme Diskursstrategien Rechtsextreme Gewalt Rechtsextreme Gewalt Angriff auf die Lokalpolitik Rechtsterrorismus Der Einzeltäter im Terrorismus Der Weg zum NSU-Urteil NSU-Verfahren Storify des Chats zu #3JahreNSUprozess Der Anschlag auf Henriette Reker Video: Die migrantische Community und der NSU Der NSU-Untersuchungsausschuss Protokolle NSU-Ausschuss Chat: NSU-Untersuchungsausschuss Interaktive Grafik: Die Taten des NSU Der NSU Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) Die rechtsextreme Szene und der NSU Der Rechtsterrorismus im Verborgenen Chronik des Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus in Europa PMK – Methoden und Debatten PMK – Statistiken Opfergruppen und Feindbilder Wo Demokraten gefährlich leben Die Geschichte des Orazio Giamblanco Wohnungslose Menschen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Was ist Sozialdarwinismus? Wer sind die Opfer? Ausstieg Warum und wie aussteigen? Debatte über echten Ausstieg Interview mit Aussteiger Rochow Pädagogische Arbeitsfelder Netzwerke in Norddeutschland Gewalt gegen Geflüchtete Unvollständige Erinnerung Umgang mit Rechtsextremismus Debatte: Soll man mit Neonazis reden? Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Cornelius Weiss: Argumentieren auf allen Ebenen Grit Hanneforth: keine Nazis auf Veranstaltungen Stefan Niggemeier: Ablehnung begründen Andreas Hechler: Entscheidend ist der Kontext Klaus-Peter Hufer: Argumente wirken Simone Rafael: Rassismus widersprechen Initiativen und Zivilgesellschaft Debatte: Was tun bei einem rechtsextremen Aufmarsch? Der rechtsextreme "Kampf um die Straße" Wolfgang Thierse: Wir müssen den öffentlichen Raum gegen die Besetzung durch Rechtsextreme verteidigen Hans-Ernst Böttcher: Man muss nur das Recht anwenden … wollen! Anna Spangenberg: Erfolgreich rechtsextreme Aufmärsche verhindern Herbert Trimbach: Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht Politische Konzepte Wie sag ich Dass Auschwitz sich nie wiederhole... Denkanstöße aus dem Kanzleramt Bildung, Bildung, Bildung NPD trockenlegen? Wie kann Aussteigern geholfen werden? Interview MVP Forderungen von Projekten an die Politik HDJ-Verbot Strategien im Umgang mit der NPD in Parlamenten Noch mehr Vorschläge Schule Hakenkreuze an der Tafel Interview Reinhard Koch Analyse Albert Scherr Aufsatz Scherr / Schäuble Schülerzeitung Martinshorn Neonazis auf SchülerVZ Studie Uni-Seminar Was können Schülerinnen und Schüler tun? Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen Strategien Offener Brief an einen Oberbürgermeister Wie man Hakenkreuze kreativ entschärfen kann Gewalt vermeiden, aber wie? Parolen parieren! Was tun als Opfer rechter Gewalt? Engagement – lohnt das denn? Guter Rat, wenn Nazis stören Rezepte gegen Rechtsextremismus Argumente gegen rechte Vorurteile Vom Hass verabschieden Marke gegen Rechtsextremismus Und Du? Podcasts und Audios Glossar und FAQs Videos und Bilderstrecken Angaben zur Redaktion

Gibt es einen "rechten Weg"? Welche Faktoren begünstigen eine rechtsextreme Radikalisierung und was kann man dagegen tun? Ein Diskussionsanstoß in sechs kontroversen Thesen

Eva Eggers

/ 9 Minuten zu lesen

Eine Demonstrantin bei einer Kundgebung der NPD am 1. Mai 2012 im schleswig-holsteinischen Neumünster. (© picture-alliance/dpa)

Nicht nur die vielen Demonstrationen rechtsextremer Organisationen und die Anschläge auf Unterkünfte für Asylsuchende in diesem und letzten Jahr zeigen: Rechtsextremismus ist in Deutschland ein Problem. Wie aber kommen einzelne Menschen im Laufe ihres Lebens überhaupt zu einem geschlossen rechtsextremen Weltbild und was kann die Gesellschaft dagegen tun? Gibt es einen typischen Weg zum Rechtsextremismus? Dies soll in dem Webtalk „Der rechte Weg? Welche Faktoren begünstigen eine rechtsextreme Radikalisierung und was kann man dagegen tun“ am 24.11 diskutiert werden. Eva Eggers, Rechtsextremismusforscherin an der Universität Leipzig, gibt zur Vorbereitung Denkanstöße in sechs Thesen.

1. These: Es gibt nicht unbedingt mehr Menschen mit geschlossen rechtsextremen Weltbildern, sondern sie sind radikaler geworden

Es gibt verschiedene Definitionen und Vorstellungen von Rechtsextremismus. Einigkeit besteht darüber, dass dem Rechtsextremismus eine antidemokratische Ungleichheitsvorstellung zugrunde liegt. Rechtsextreme lehnen eine Demokratie mit vielfältigen, gleichberechtigten Meinungen ab, da sie davon überzeugt sind, dass Menschen aufgrund unterschiedlicher Merkmale (beispielsweise ethnische Zugehörigkeit, Nationalität, Religion) nicht gleichwertig seien (Kiess et al. 2015). Seit 2001 ist folgende Definition in der sozialwissenschaftlichen Forschung präsent:

"Der Rechtsextremismus ist ein Einstellungsmuster, dessen verbindendes Kennzeichen Ungleichwertigkeitsvorstellungen darstellen. Diese äußern sich im politischen Bereich in der Affinität zu diktatorischen Regierungsformen, chauvinistischen [also nationalistischen] Einstellungen und einer Verharmlosung bzw. Rechtfertigung des Nationalsozialismus. Im sozialen Bereich sind sie gekennzeichnet durch antisemitische, fremdenfeindliche und sozialdarwinistische Einstellungen (ebd.).“

Um über Radikalisierung zu sprechen, ist es zunächst wichtig, eine Unterscheidung zwischen denjenigen zu treffen, die vereinzelte Aspekte rechtsextremen Gedankengutes vertreten und denjenigen, die ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild haben. Die Leipziger „Mitte“-Studie erhebt seit 2002 alle zwei Jahre durch Umfragen Daten zu rechtsextremen Einstellungen in Deutschland. Hier werden aus der oben genannten Rechtsextremismus-Definition sechs Dimensionen abgeleitet, zu denen die Befragten je drei verschiedene als rechtsextrem geltende Aussagen vorgelegt bekommen, die sie befürworten oder ablehnen können. Von einem geschlossen rechtsextremen Weltbild geht die Arbeitsgruppe der Universität Leipzig aus, wenn Befragte alle rechtsextremen Aussagen der Dimensionen, also insgesamt 18 Aussagen, befürworten.

Im Jahr 2016 trifft das auf insgesamt 5,4 Prozent der Befragten zu. Im Vergleich zu 2014 hat sich dieser Wert kaum verändert (damals waren es 5,7 Prozent). Laut der Leipziger „Mitte“-Studie 2016 (Decker et al. 2016) ist die geschlossen rechtsextreme Einstellung seit 2002 rückläufig. Auch die Studie "Fragile Mitte – Feindselige Zustände" von der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Institut für Interdisziplinäre Konflikt und Gewaltforschung (IKG) der Universität Bielefeld zeigte einen Rückgang rechtsextremer Einstellungen bei gleichzeitig Verlagerung in subtile Formen rechtsextremen und menschenfeindlichen Denkens zwischen Juni und September 2014.

Schaut man sich an, wie sich die Gewaltbereitschaft rechtsextremer Menschen in den letzten zehn Jahren verändert hat, ist eine These: Rechtsextreme sind nicht mehr, aber deutlich gewaltbereiter geworden. Ihr Vertrauen in gesellschaftspolitische- und Verfassungsinstitutionen (beispielsweise den Bundestag oder politische Parteien) ist gering. Damit sind sie demokratischen Möglichkeiten der Konfliktbewältigung weniger zugänglich. Gleichzeitig ist die Zahl sogenannter "politisch rechts" motivierter rechter Straftaten im Jahr 2015 um mehr als ein Drittel gestiegen. Es gibt also nicht unbedingt mehr Menschen mit geschlossen rechtsextremen Weltbildern, sondern sie sind radikaler geworden.

2. These: Menschen werten gerne andere Gruppen ab, um die eigene Gruppe aufzuwerten

Wieso entwickeln Menschen ein geschlossen rechtsextremes Weltbild? Die bisherige Forschung liefert einige Ansatzpunkte für diese Fragen. Es gibt beispielsweise sozialpsychologische Forschung zu den Fragen, warum Menschen andere Gruppen abwerten und unter welchen Bedingungen Menschen für rechtsextremes Gedankengut empfänglich sind. Die Wissenschaft versucht also Faktoren herauszuarbeiten, die Radikalisierungsprozesse besonders beeinflussen könnten.

Menschen begreifen die Zugehörigkeit zu einer Gruppe als einen Teil ihres Selbstkonzepts, weshalb diese auch als soziale Identität bezeichnet wird. Gleichzeitig streben Menschen danach, ein positives Bild von sich zu haben – also auch von ihrer sozialen Identität und damit der Gruppe, der sie sich zugehörig fühlen. Dieser positive Selbstwert kann durch den Vergleich mit anderen Gruppen entstehen und steigt dabei, wenn andere Gruppen abgewertet werden (Tajfel und Turner 1986). Gerade ein Denksystem aus Ungleichwertigkeitsvorstellungen, bei dem die eigene Gruppe als geschlossene Gemeinschaft über biologistische oder kulturelle Begründungen über andere Gruppen gestellt wird, funktioniert für diesen Mechanismus wunderbar.
Die Vorstellung, „Deutsche“ seien anderen „Völkern“ von Natur aus überlegen, kann Menschen also ein positives Selbstkonzept bieten. Gerade bei Jugendlichen ist es vor allem das Geltungsbedürfnis und der Wunsch nach Szenenzugehörigkeit, der rechtsextreme Gruppen attraktiv machen kann. Auch die noch nicht gefestigte Persönlichkeit von Jugendlichen, Emotionalität und die Auflösung eines solchen Identitätskonfliktes innerhalb einer Peer-Group spielen eine wesentliche Rolle. Dabei stehen nicht immer politische Überzeugungen im Vordergrund. Der einfache mediale Zugang zu rechtsextremen Inhalten bietet hierbei leichten Anschluss zu entsprechenden Gruppen (Aumüller 2014).

3. These: Menschen, die sich benachteiligt fühlen und fürchten abzusteigen, suchen häufig nach einfachen Erklärungen

Gerade diese sehr klaren, einfachen Ordnungen, welche einfache Erklärungen anbieten, können attraktiv sein in einer globalisierten und dem schnellem Wandel unterworfenen Welt. Für komplexe Probleme wie beispielsweise Zuwanderung werden in der rechtsextremen Ideologie teilweise einfache Erklärungen und Lösungen geboten, die ein Gefühl von Sicherheit vermitteln können. Zusätzlich entsteht häufig das Gefühl, keinen Einfluss auf die Situation nehmen zu können und der Eindruck, benachteiligt zu werden. Wer seine eigene Lage – sozial wie wirtschaftlich – als ungünstig einschätzt, kann ebenfalls anfällig für rechtsextreme Ideologien sein. Das hat nicht unbedingt etwas mit der tatsächlichen finanziellen Lage eines Menschen zu tun, sondern mit der gefühlten Benachteiligung. Menschen sind dann nicht solidarisch miteinander, sondern fürchten um den eigenen ökonomischen Abstieg (Heitmeyer 2010).

4. These: Demokratische Grundkompetenzen müssen erlernt werden. Wer denkt, sich politisch nicht beteiligen zu können, sucht schneller nach Alternativen zum System

Ein weiterer Faktor ist bei vielen jungen Menschen, die sich rechtsextrem radikalisieren, der Eindruck, im deutschen demokratischen System keinen Einfluss nehmen zu können. Wahlen werden – stellte der Sozialpsychologe und Rechtsextremismusforscher Oliver Decker schon 2008 fest – häufig als das einzige Instrument wahrgenommen, durch das Einfluss auf die Politik genommen werden kann. Gleichzeitig wird diese Einflussmöglichkeit als unbedeutend abgewertet – vor allem mit den Argumenten, dass die eigene Stimme keinen Ausschlag gibt, und Politiker*innen nicht per Gesetz an die Versprechen im Wahlkampf gebunden sind – was zu einer großen Unzufriedenheit führt. Demokratie wird als etwas verstanden, das von übermächtigen Instanzen gestaltet wird und somit gelingt es nicht, Demokratie selbst mit Leben zu füllen (Decker 2008).

Schulen sind wichtige Sozialisationsinstanzen. Zwar gibt es an Schulen die Bestrebung, Schüler*innen viele Mitgestaltungsmöglichkeiten zu bieten, demokratische Kompetenzen zu vermitteln und darüber hinaus auch viele Schulen, die einen besonderen Schwerpunkt auf den Erwerb demokratischer Kompetenzen legen. Dennoch besteht häufig Skepsis gegenüber einer demokratiebetonteren Organisation von Schulen mit beispielsweise der Möglichkeit, eigene Regeln aufzustellen oder Lehrinhalte stärker selbst wählen zu können (ebd.). Gerade solche Aushandlungsprozesse schärfen aber das Bewusstsein dafür, dass es in Gesellschaften viele unterschiedliche Meinungen gibt und dass es trotzdem Konfliktlösestrategien gibt, mit denen sich Kompromisse finden lassen. Diese Erfahrung kann der rechtsextremen Vorstellung vorbeugen, es müsse in Deutschland nur einen einzigen Volkswillen geben, der über Minderheiten hinweg durchgesetzt werden müsse. Ein weiterer Erklärungsansatz für das Unvermögen, sich demokratisch zu beteiligen, ist die geschichtliche Perspektive. Die historische Kontinuität dieses Phänomens ließ noch vor einigen Jahrzehnten für den Soziologen Adorno den Schluss zu, dass demokratische Kompetenzen im Anschluss an die NS-Zeit in Deutschland unzureichend erlernt wurden und daher auch nur defizitär an nachfolgende Generationen weitergegeben wurde (Adorno 1959).

5. These: Autoritäre Erziehung, emotionale Überforderung – viele Radikalisierungsursachen liegen in der Familie

Weiterhin entwickeln Menschen eher ein geschlossenes rechtsextremes Weltbild, wenn die Beziehungsqualität in der Familie problematisch ist, also Rückhalt und Grundvertrauen ineinander fehlen. Emotionale Stabilität und das Führen politischer Diskussionen können umgekehrt solchen Entwicklungen entgegenwirken (Aumüller 2014). Wissenschaftler stellen schon früh die These auf, dass ein problematisches Verhältnis zu den eigenen Aggressionen entstehen kann, wenn die Bindungen von Kindern zu ihren primären Bezugspersonen konfliktreich ist. Dies kann sich in Gewaltbereitschaft und ethnozentristischen Orientierungen äußern (Hopf 1993). Dies ist allerdings nur ein möglicher Faktor von vielen und keinesfalls deterministisch; Rechtsextremismus ist mehr als eine Opferreaktion. Oft wird auch die Erziehung zu autoritären Persönlichkeiten als entscheidender Faktor für das Ausbilden eines geschlossen rechtsextremen Weltbildes genannt (grundlegend hierfür ist Adorno et al. 1950). Menschen, die sich selbst Autoritäten und Regeln unterwerfen, leiten die Aggression, die durch diese Unterwerfung entsteht, in diesem Fall um auf andere Gruppen.

Dabei stehen vor allem Gruppen im Fokus der Aggression, welche die Fantasie auslösen, dass sie sich diesen Regeln gerade nicht unterwerfen. Vereinfacht gesagt übernehmen die abgewerteten Gruppen hier eine Sündenbockfunktion: Wer sich beispielsweise den Leistungsanforderungen des Arbeitsmarkts unterordnet, leitet möglicherweise die eventuell entstehende Aggression unbewusst auf Menschen um, welche die Vorstellung auslösen, dass sie sich diesen Anforderungen einfach entziehen und den Sozialstaat ausnutzen würden, z.B. Obdachlose oder Empfänger von Sozialhilfeleistungen. Neben den Beziehungen in der Familie und dem Erziehungsstil der Eltern können auch die Großeltern prägend bei der Entwicklung rechtsextremer Ideologien sein. Gerade in der Auseinandersetzung mit der NS-Zeit werden manchmal verzerrende Überzeugungen übernommen. So können die Verbrechen der NS-Zeit verharmlost oder die Verantwortung dafür zurückgewiesen werden (Aumüller 2014).

6. These: Rechtsextremismus ist kein isoliertes, individuelles Problem von Minderheiten in Deutschland, sondern öffentliche Bestätigung beschleunigt Radikalisierung

Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild wird nicht nur durch die Einstellungen im sozialen Nahraum – also Familie und Freunde – beeinflusst, sondern auch durch rassistische und menschenfeindliche Einstellungen der gesamten Gesellschaft befeuert (Aumüller 2014). Dass diese Einstellungen in Deutschland weit verbreitet sind, will die aktuelle Leipziger „Mitte“-Studie zeigen. Besonders stark verbreitet sei demnach die Islamfeindlichkeit; 41,4 Prozent der Befragten stimmen der Aussage zu, man sollte Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagen. Auch wenn einige Fragen der aktuellen Mitte-Studie umstritten waren – etwa wurde eine Ablehnung eines großzügigen Umgangs mit Asylanträgen als rechtsextremer Indikator gewertet – lieferte sie Hinweise darauf, dass einzelne Teile rechtsextremer Einstellungen in weiten Teilen der Gesellschaft hohen Anklang finden. Besonders die gruppenspezifischen Abwertungen – dazu gehören neben Islamfeindlichkeit und der Abwertung von Asylbewerber*innen auch Antiziganismus und Homophobie – erfahren hohe Zustimmung (Decker et al. 2016).

Nicht nur reines Wissen über Rechtsextremismus, sondern vor allem demokratische Grundkompetenzen beugen geschlossen rechtsextremen Weltbildern vor. Dazu gehören beispielsweise Toleranz, Empathie und Kompromissfähigkeit (Rippl 2008). Die Schulzeit ist theoretisch sehr gut geeignet, um solche Fähigkeiten auszubilden. Wenn Schüler*innen mehr Möglichkeiten zur ernsthaften Mitbestimmung gegeben würden, könnten diese demokratischen Kompetenzen gefördert werden. Umgekehrt leben demokratische Aushandlungsprozesse natürlich auch von aktiver Beteiligung. Die Mitgestaltung der jeweiligen Alltagswelt – sei es in der Schule, den Universitäten, am Arbeitsplatz, in Vereinen oder in Gemeinden – vermittelt grundlegende demokratische Handlungsfähigkeiten.

Wichtig ist aber auch zu sehen, dass Rechtsextremismus nicht nur ein Problem mit einer kleinen radikalen Gruppe am Rande der Gesellschaft ist, sondern dass rechtsextremes Gedankengut in Deutschland breiten Anklang findet (Decker et al. 2016). Denn hierin sehen Menschen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild ihre Legitimation. Gerade über soziale Medien wird dieser Eindruck noch bestärkt, da rechtspopulistische Inhalte meist vehementer verbreitet und verteidigt werden. Es gilt, mit den Menschen im eigenen Umfeld – sei es im persönlichen Kontakt oder in sozialen Medien – im Gespräch zu bleiben, eigene Vorurteile und Vorbehalte zu reflektieren, zu thematisieren und auch unbequemen Diskussionen nicht aus dem Weg zu gehen.

Literatur:

  • Adorno, T. W.; Frenkel-Brunswik, E.; Levinson, D. J.; Sandford, R. N. (1950): The Authoritarian Personality. New York: Harper.

  • Adorno, T.W. (1959): Was bedeutet: Aufarbeitung der Vergangenheit? In: T.W. Adorno (Hg.): Gesammelte Schriften Bd.10. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, S.555-572.

  • Aumüller, J. (2014): Forschung zu rechtsextrem orientierten Jugendlichen. Eine Bestandsaufnahme von Ursachen, Gefährdungsfaktoren und pädagogischen Interventionen. BIK Netz.

  • Decker, Oliver (2008): Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland. Berlin.

  • Decker, Oliver; Kiess, Johannes; Brähler, Elmar (Hg.) (2016): Die enthemmte Mitte. Autoritäre und rechtsextreme Einstellung in Deutschland/ Die Leipziger Mitte-Studie 2016. Gießen: Psychosozial-Verlag (Forschung psychosozial).

  • Heitmeyer, Wilhelm (Hg.) (2010): Deutsche Zustände. Folge 9. 1. Aufl. Berlin: Suhrkamp (edition suhrkamp, 2616).

  • Hopf, Christel (1993): Rechtsextremismus und Beziehungserfahrungen. In: Zeitschrift für Soziologie 22 (6). DOI: 10.1515/zfsoz-1993-0604.

  • Kiess, Johannes; Decker, Oliver; Brähler, Elmar (2015): Was ist rechtsextreme Einstellung und woraus besteht sie? Online verfügbar unter http://www.bpb.de/politik/extremismus/rechtsextremismus/198945/was-ist-rechtsextreme-einstellung-und-woraus-besteht-sie, zuletzt aktualisiert am 08.11.2016.

  • Rippl, S. (2008): Politische Sozialisation. In: Klaus Hurrelmann (Hg.): Handbuch Sozialisationsforschung. 7., vollst. überarb. Aufl. Weinheim: Beltz (Studium Paedagogik), S. 443–457.

  • Tajfel, H.; Turner, J. C. (1986): The social identity theory of intergroup behavior. In: S. Worchel und W. G. Austin (Hg.): Psychology of intergroup relations. Second edition. Chicago: Nelson-Hall, S. 7–24.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Siehe: http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2016/05/pks-und-pmk-2015.html

Die Psychologin Eva Eggers schloss ihr Studium 2015 an der Universität Leipzig ab. Seit Anfang des Jahres forscht sie als wissenschaftliche Hilfskraft an der Universität Leipzig in der selbstständigen Abteilung für Medizinische Soziologie und Medizinische Psychologie und führt unter anderem dort die Evaluation eines Erwachsenenbildungsprogramms zur Argumentation gegen Rechts durch. Frau Eggers ist Mitarbeiterin der 2016 erschienenen »Mitte«-Studie (Decker et. al 2016).