Die politische Landschaft hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Das zeigt sich besonders deutlich an den Gida-Protesten sowie am Einzug der erst 2013 gegründeten AfD in das Europäische Parlament und in – mittlerweile – 8 von 16 Landtage. Mit den rechtspopulistischen Strömungen gewinnt auch die Frage nach dem Umgang mit Rechtsextremisten, die ja durchaus bei den Gida-Märschen anzutreffen sind, wieder an Brisanz. Soll man mit ihnen reden? Ähnlich verhielt es sich schon im Jahr 2004, als die NPD mit 9,2 Prozent der Listenstimmen (zum Vergleich: SPD 9,8 Prozent) in den Sächsischen Landtag einzog. Damals wie heute zeigen sich die Repräsentanten der demokratischen Parteien dieser Herausforderung gegenüber leider oftmals uneinig, wenn nicht gar weitgehend ratlos.
Um es gleich vorweg zu nehmen: selbstverständlich soll, ja, muss man sowohl mit den Rechtspopulisten der AfD als auch mit Neonazis reden. Natürlich keinesfalls im Sinne vom freundlichen kleinen Nachbarschafts-Plausch über den Gartenzaun und auch nicht in der Hoffnung, die braunen Fanatiker dadurch zum Besseren zu bekehren. Es geht vielmehr darum, den grassierenden Rechtspopulismus, der ja durchaus anschlussfähig für rechtsextremes Denken sein kann, in all seinen Erscheinungsformen rechtzeitig und nachhaltig zu entlarven und zu entzaubern. Dabei ist es mit allgemeiner demonstrativer Empörung, mit pauschalen Verurteilungen, mit Ausgrenzung oder schweigender Verachtung allein nicht getan. Auch regelmäßige Blockaden von Neonazi- oder Pegida-Aufmärschen, Gegendemonstrationen, Menschenketten und ähnliche eher symbolische Aktionen packen – so wichtig sie als ermutigende Zeichen für den Zusammenhalt der Demokraten sind – das Übel des Rechtsextremismus nicht an der Wurzel. Dadurch lassen sich Neonazis kaum beeindrucken. Im Gegenteil, sie nutzen die willkommene Gelegenheit, sich als aufrechte Kämpfer für Wahrheit und Gerechtigkeit und als die wahren Volksvertreter oder gar als Märtyrer aufzuspielen. Die vielen Verirrten und Verführten aus der Mitte der Gesellschaft jedoch, die sich von den Parolen rechtsextremer oder rechtspopulistischer Vereinigungen und Parteien womöglich nur zeitweilig und eher vage angesprochen fühlen, gelangen zu dem Eindruck, mit ihren zum Teil ja durchaus verständlichen Sorgen, ihren diffusen Ängsten und ihren Fragen nicht gehört und allein gelassen zu werden. Dies wiederum führt zur Vertiefung des latenten Misstrauens zunehmend breiter Bevölkerungsschichten gegenüber dem vermeintlichen politischen Establishment der Bundesrepublik, zur Ausbreitung von absurden Verschwörungstheorien und zu einer für die Demokratie auf Dauer nicht zuträglichen weiteren Solidarisierung der Mitläufer mit den geistigen Brandstiftern.
Es reicht also nicht, nur an den Symptomen anzusetzen, sondern es bedarf vor allem der argumentativen Auseinandersetzung sowohl mit den Ideologien und Strategien der rechtspopulistischen und rechtsradikalen Parteien als auch mit deren konkretem tagespolitischem Handeln. Diese Auseinandersetzung muss auf allen Ebenen und bei allen sich bietenden Gelegenheiten offensiv geführt werden: öffentlich in den Parlamenten, in den Medien, in Talkshows und Podiumsdiskussionen vor und nach Wahlen und natürlich auch im privaten Gespräch mit den – aus welchen Gründen auch immer – Verführten. Dies setzt allerdings die möglichst genaue Kenntnis der politischen Programme dieser Parteien voraus, so verschwommen die auch formuliert sein mögen, und erfordert zugleich ein solides historisches, gesellschaftspolitisches und ökonomisches Wissen. Im Parlament sind angesichts der häufig unerträglichen Provokationen von Seiten der Rechtsradikalen emotionale Reaktionen, wie die Artikulation von Abscheu, lautstarke Proteste oder gar der Auszug der demokratischen Fraktionen aus dem Plenarsaal, nicht immer zu vermeiden. Sie sind zu bestimmten schwerwiegenden Anlässen – etwa gegenüber antisemitischen, fremdenfeindlichen oder anderen volksverhetzenden Ausfällen und bei offenkundigen Geschichtsfälschungen – zweifellos auch angebracht. Derartige Schritte müssen allerdings sparsam dosiert werden, da sie sonst ihre aufrüttelnde Wirkung verlieren. Im Parlamentsalltag ist es viel wirksamer (das jedenfalls zeigten sehr schnell die Erfahrungen im Umgang mit der NPD-Fraktion im Sächsischen Landtag), zu den Verfassungsfeinden zwar stets betont kühle Distanz zu wahren, ihren Reden und Erklärungen jedoch aufmerksam zu folgen, diese hinsichtlich ihres Inhalts, ihrer Wortwahl und ihrer oft verdeckten wahren Absichten nüchtern zu analysieren und möglichst sofort mit präzisen, für die Wählerinnen und Wähler verständlichen und zugleich wissenschaftlich nachprüfbaren Argumenten zu widerlegen. Das gilt sowohl für alle Plenar- und Ausschusssitzungen als auch für jene Politikfelder, die die rechtsradikalen Parteien außerhalb ihres üblichen Repertoires zunehmend in demagogischer Weise zu besetzen versuchen, zum Beispiel die Sozial-, Familien-, Bildungs- und Umweltpolitik.
Als sehr sinnvoller Schritt im Kampf gegen den Rechtsextremismus hat sich im Sächsischen Landtag der so genannte antifaschistische Konsens erwiesen. Darin verpflichteten sich die demokratischen Fraktionen (damals CDU, SPD, Linke, FDP und Grüne), niemals eigene politische Ziele mit Hilfe der NPD durchsetzen zu wollen sowie alle Anträge der NPD unabhängig von deren Inhalt geschlossen abzulehnen. Ebenso wichtig war der gemeinsame Beschluss, auf jegliche parlamentarische Initiativen der NPD stets nur mit einem Redebeitrag im Namen aller Demokraten zu reagieren. Damit waren die ständigen (zum Teil durchaus raffinierten) Versuche der Rechtsradikalen, zwischen die demokratischen Fraktionen einen Keil zu treiben, von vornherein zum Scheitern verurteilt.
Die demokratischen Parteien werden allerdings auch dem neuen Rechtspopulismus nur dann auf Dauer den Boden entziehen können, wenn sie die jüngsten Stimmengewinne der AfD und den Zulauf zu Pegida-Veranstaltungen als ernst zu nehmende Aufforderung begreifen, ihr eigenes Agieren im Hinblick auf dessen Glaubwürdigkeit gründlich zu überprüfen. Die viel zitierten mündigen Bürger erwarten von ihren demokratisch gewählten Volksvertretern zu Recht klar erkennbare gesellschaftspolitische Ziele und vor allem Kurstreue, also den strikten Willen, diese Ziele auch unter widrigen Umständen standhaft zu verfolgen. Und sie erwarten nicht zuletzt auch maximale Transparenz. Sie reagieren mit Abkehr und Politikverdrossenheit, wenn Wahlversprechen und politisches Handeln nicht wahrnehmbar übereinstimmen, wenn notwendige taktische Flexibilität zur Beliebigkeit verkommt oder zweifelhafte Kompromisse als "alternativlos" deklariert werden. Sie sind es leid, ständig wohlklingende Schlagworte ("Westliche Wertegemeinschaft") zu hören, aber gerade bei schwerwiegenden, das Leben eines jeden Einzelnen tangierenden Themen mit geradezu paranoider Geheimniskrämerei (z.B. TTIP-Verhandlungen), mit Verharmlosungen (NSA-Skandal) oder mit leichtfertiger Schwarz-Weiß-Malerei (Ukraine-Konflikt) konfrontiert zu werden. Sie wollen vielmehr die Wahrheit wissen, selbst wenn diese vielleicht besorgniserregend oder für die Regierenden peinlich ist. Der Souverän, das Volk, will und muss verstehen können, warum konkrete Entscheidungen der politisch Verantwortlichen schließlich so und nicht anders getroffen werden. Dann, und nur dann, wird die demokratische Bürgergesellschaft ihre singulären Stärken optimal entfalten und die braunen Verfassungsfeinde endgültig in ihre Schranken weisen können.