1. "Neue" contra "Alte" Rechte
Nach der Bundestagswahl 1969, bei der die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit 4,3 Prozent der Zweitstimmen nur knapp die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt hatte, geriet die Partei in eine tiefe innere Krise. Kritiker des betont legalistischen und besitzbürgerlichen Kurses der eher Interner Link: deutschnational ausgerichteten Parteiführung gründeten 1972 die Aktion Neue Rechte (ANR), in der zunächst nationalrevolutionäre Kräfte den Ton angaben. Sie forderten neue politische Konzepte für eine durch die Ergebnisse des Zweiten Weltkriegs veränderte Welt. Dem autoritären Etatismus der Alten Rechten und ihrem Credo vom Fortbestehen des Deutschen Reichs setzten sie die "nationale Revolution", die "Selbstverwirklichung des Volkes" entgegen. Ihre Sympathien galten dem nationalen Befreiungskampf der Völker Asiens, Afrikas und Lateinamerikas, in denen sie Leidensgefährten des angeblich von Kolonialherren besetzten und gespaltenen deutschen Volkes sahen. So hieß es in der Grundsatzerklärung der ANR: "Moderner Nationalismus ist antiimperialistisch. Moderner Nationalismus in Deutschland ist Befreiungspolitik." Die Nationalrevolutionäre konnten sich zwar politisch nicht gegen die Traditionalisten durchsetzen, ihre Ideen schlugen sich jedoch deutlich in den Diskursen der extremen Rechten nieder. Dazu später.
Der Begriff "Neue Rechte" stand also schon damals nicht nur für neue Entwicklungen innerhalb des organisierten Rechtsextremismus, sondern auch für den damit verbundenen ideologisch-programmatischen Wandel. So berichtete das Bundesamt für Verfassungsschutz zwischen 1971 und 1977 regelmäßig über eine Neue Rechte und grenzte sie gegenüber der Alten Rechten ab. Im Verfassungsschutzbericht des Jahres 1971 war von Gruppen die Rede, die den "bürgerlichen Konservatismus" des rechtsextremen Lagers (gemeint war vor allem die NPD) verurteilten und neue Wege für eine mehr in die Zukunft gerichtete nationalistische Politik aufzuzeigen versuchten. Weiter hieß es in dem Verfassungsschutzbericht: Die Neue Rechte distanziere sich nachdrücklich von den Veteranen der Alten Rechten und wolle sich nicht mehr als Aushängeschild vor den "reaktionären Karren" der "NPD-Clique" spannen lassen. "Mit kernigen Sprüchen und treudeutschem Aussehen" könne man keine nationale Revolution machen.
Die Neue Rechte lehnte es ab, der Vergangenheit nachzutrauern und über den Untergang des Deutschen Reiches zu klagen. Sie sah sich als nationale Befreiungsbewegung und wollte den Status quo des geteilten Deutschlands durch eine nationale Revolution überwinden. Daher bezeichnete sie sich selbst auch als "Nationalrevolutionäre" (Details bei Feit 1987).
Der Begriff "Neue Rechte" wurde wieder Ende der 1980er Jahre von Claus Leggewie (1989) zur Charakterisierung der Republikaner benutzt, die 1989 bei der Abgeordnetenhauswahl in (West-)Berlin und bei der Europawahl desselben Jahres ihre ersten Erfolge feierten. Die damals von dem Populisten Franz Schönhuber geführte Partei sollte mit dieser Begrifflichkeit von den (damals erfolglosen) altrechten Parteien NPD und DVU (Deutschen Volksunion) unterschieden werden. Als neuartiges Element galt auch der Umstand, dass sich der Aufstieg der Republikaner als Teil einer Europäisierung des Rechtsextremismus vollzog. In den 1980er Jahren hatten sich nämlich in Folge von Globalisierung, wachsenden Migrationsbewegungen, Massenarbeitslosigkeit, Abbau von sozialen Standards, Standortkonkurrenz und Verdrängungswettbewerb auf den Arbeitsmärkten die ökonomisch-sozialen und politisch-kulturellen Erfolgsbedingungen des Rechtsextremismus nicht nur in Deutschland, sondern in allen westeuropäischen Staaten wesentlich verbessert - und im Übrigen auch einander angeglichen. Erinnert sei an die Erfolge der italienischen Alleanza Nazionale (AN), der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ), des französischen Front National (FN), der Schweizerischen Volkspartei (SVP) oder des belgischen Vlaams Blok (VB) (Stöss 2006).
Als charakteristisch für diesen "neuen" Typ des Rechtsextremismus werden in der Literatur vor allem das populistische Auftreten, die die Beteuerung der Verfassungstreue Praxis sowie die Abgrenzung gegenüber dem historischen Faschismus und seinen orthodoxen Nachlassverwaltern genannt. Immer öfter findet dafür allerdings der Terminus "Rechtspopulismus" Verwendung (Decker 2004, 2006; Decker u.a. 2015) Zur Auflösung der Fußnote[1], während nun hauptsächlich die intellektuellen Vordenker des Rechtsaußenlagers als Neue Rechte bezeichnet werden. Auch innerhalb dieses Milieus wird der Begriff "Neue Rechte" häufig als Selbstbezeichnung gebraucht. Zur Auflösung der Fußnote[2]
2. Die "Klassiker" der Neuen Rechten
"Opas Faschismus ist heute tot"
Mittlerweile dient Neue Rechte als Sammelbezeichnung für die Theoretiker der extremen Rechten, unabhängig davon, ob sie rechtsextrem oder rechtskonservativ (oder auch, aber seltener, nationalliberal) orientiert sind. Gemeinsam ist ihnen die Gegnerschaft zur liberalen Demokratie. Sie vertreten ein nationalistisches und elitäres Gesellschaftsbild und streben einen nach innen und außen starken Staat an, der sich auch durch plebiszitäre Elemente legitimiert. Ihr Denken richtet sich gegen universalistische und egalitäre Philosophien (z.B. Liberalismus, Sozialismus, teilweise auch Christentum) und folglich auch gegen allgemein gültige Prinzipien wie etwa die Menschenrechte.
Intellektuelle Vordenker, Theoriedebatten und Weltanschauungsliteratur gab es schon immer am rechten Rand des politischen Spektrums, und auch die Grauzone zwischen (Rechts-)Konservatismus und Rechtsextremismus ist nicht neu (Stöss 2000). Von einer Neuen Rechten ist in der Literatur allerdings zumeist erst seit Mitte/Ende der 1960er Jahre die Rede. Damals begannen sich nationalistisch und widerständig gesinnte Konservative zu vernetzen, um in erster Linie publizistisch gegen den angeblich linken bzw. linksliberalen Zeitgeist und gegen den "kulturrevolutionären Radikalismus" der Achtundsechziger, teilweise aber auch gegen den als konformistisch empfundenen etablierten (laizistischen oder christlichen) Konservatismus zu kämpfen.
Daher wurde in den Sozialwissenschaften auch heftig darüber diskutiert, wie die Neue Rechte politisch einzuordnen sei. Wolfgang Gessenharter bezeichnete die Neue Rechte als ein "Scharnier Zur Auflösung der Fußnote[3] zwischen Neokonservatismus und Rechtsextremismus", als ein eigenständiges Netzwerk, das in die "Mitte der Gesellschaft" hineinwirke, um seine Vision einer "kulturellen Hegemonie" zu realisieren (Gessenharter 1998). Armin Pfahl-Traughber (1998) ordnete die Neue Rechte dagegen pauschal dem Rechtsextremismus zu. Er kritisierte an Gessenharter die mangelnde Trennschärfe gegenüber Rechtsextremismus und Konservatismus. Einerseits würden sich viele Vertreter der Neuen Rechten gegen fundamentale Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates richten und seien daher eindeutig als Gegner der Demokratie zu qualifizieren. Auf der anderen Seite berge Gessenharters Begriffsbestimmung die Gefahr, demokratische Konservative zu diffamieren, die sich zwar publizistisch in "zweifelhafte Gesellschaft" begeben hätten, aber keine Gegner der Demokratie seien.
Als Schlüsselfiguren der Neuen Rechten gelten zumeist Armin Mohler (1920-2003) und Gerd-Klaus Kaltenbrunner (1939-2011). Mohler bezeichnete sich selbst als konservativen Revolutionär Zur Auflösung der Fußnote[4], ging mit der Mentalität der Deutschen nach 1945 hart ins Gericht Zur Auflösung der Fußnote[5] und lieferte eine ätzende Kritik am Nachkriegskonservatismus, der nur am Erhalt und an der Pflege des Status quo interessiert sei ("Gärtnerkonservatismus"). Da er Christentum und Konservatismus für unvereinbar hielt, bezeichnete er den christlichen Konservatismus verächtlich als "Demutskonservatismus". Auch Kaltenbrunner befürwortete eine "Kulturrevolution von rechts", vertrat allerdings ein im Vergleich zu Mohler gemäßigtes Konservatismus-Konzept, das sich auch an das liberal- bzw. christlich-konservative Bürgertum richtete. Von 1974 bis 1988 gab er im katholischen Herder-Verlag die 75 Bände umfassende Taschenbuchreihe "Herder Initiative" heraus, die als konservatives Gegenstück zur eher link(sliberal)en "Edition Suhrkamp" gedacht war und tatsächlich auch bis weit in das Lager der Unionsparteien hinein wirkte.
Zur weltanschaulichen Profilierung der CDU sollte auch das 1979 entstandene "Studienzentrum Weikersheim" beitragen. Es wurde von dem ehemaligen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, Hans Filbinger, als christlich-konservative Denkfabrik gegründet. Mitgründer war unter anderen der Sozialphilosoph Günter Rohrmoser (1927-2008), der zumeist auch der Neuen Rechten zugeordnet wird.
Zu den Klassikern der Neuen Rechten zählt neben Mohler und Kaltenbrunner zweifellos auch Caspar von Schrenck-Notzing (1927-2009), der schon 1965 in einem viel beachteten Buch ("Charakterwäsche") die US-amerikanische Besatzungspolitik in Deutschland einer vernichtenden Kritik unterzog: Mit der Umerziehung sei nicht etwa die Demokratisierung der Deutschen, sondern die Schwächung Deutschlands beabsichtigt gewesen. 1968 folgte ein Rundumschlag gegen die politische Linke ("Zukunftsmacher"), und 1973 legte Schrenck-Notzing einen Verriss der Unionsparteien vor ("Honoratiorendämmerung"). 1970 schuf er mit der Zeitschrift "Criticón" ein wichtiges und einflussreiches Diskussionsforum der Neuen Rechten, in welchem alle ideologischen Spielarten am rechten Rand zu Wort kamen Zur Auflösung der Fußnote[6].
3. "Ethnopluralismus" als Kernstück der neurechten Ideologie
Vermeintlich harmlos
Die "Klassiker" der Neuen Rechten taten sich durch heftige Kritik an den politischen und gesellschaftlichen Verhältnissen im Nachkriegsdeutschland hervor. Sie argumentierten mit dem ideologischen Rüstzeug der Weimarer Konservativen Revolution, traten selbst aber nicht mit Beiträgen zur Modernisierung der völkisch-nationalistischen Weltanschauung in Erscheinung. Dies leisteten die eingangs erwähnten Nationalrevolutionäre mit dem Konzept des Ethnopluralismus. Es geht auf einen Aufsatz von Henning Eichberg (geb. 1942) aus dem Jahr 1973 zurück, in dem er den Ethnopluralismus als Alternative zum Ethnozentrismus entwickelte Zur Auflösung der Fußnote[7].
Neu ist im Kontext des extrem rechten Denkens, dass Rasse Interner Link: nicht mehr im althergebrachten biologischen Sinne verstanden wird und es auch nicht mehr um die Wertigkeit von Rassen oder um die Vorherrschaft einzelner Rassen geht, sondern um die Verschiedenartigkeit von Völkern und Kulturen und um das vermeintliche Recht jedes Volkes auf Bewahrung seiner Identität.
Eichberg war schon 1966 in Kontakt mit der französischen "Nouvelle Droite" und mit ihrem späteren Vordenker Alain de Benoist (geb. 1943) gekommen. Dieser gründete 1968 das Groupement de Recherche et d'Etudes pour la Civilisation Européenne (GRECE), das bald über verwandte Studiengruppen in der Bundesrepublik, der Schweiz, den Niederlanden, Belgien, Italien, Portugal, Spanien und England verfügte. Die bundesdeutsche Filiale ist das Thule-Seminar, sein Vordenker Pierre Krebs (geb. 1946). In diesem Netzwerk wurde das Konzept des Ethnopluralismus als Alternative zu Universalismus und Egalitarismus und damit als Kampfansage an die Prinzipien der Aufklärung und an die Ideen von 1789 weiterentwickelt. Das Weltsystem des "Judenchristentums" und des Marxismus (gemeint ist die Gleichheitslehre) sei die Rechtfertigung für den "größten Völkermord" in der Geschichte:
"Die Erde wurde ihrer Territorien beraubt, ihre Völker wurden entwurzelt. Sie stellt nur noch die Gemeinsamkeit von Handelszonen, von Verkehrsstraßen, von zerfließenden Austauschnetzen dar, die den Gesetzmäßigkeiten des Managements und des Marketings unterworfen sind." Zur Auflösung der Fußnote[8]
Daher wird das "Grundrecht auf Verschiedenheit" eingeklagt:
"Denn durch seine Vermischung der Rassen, der Kulturen und Weltanschauungen beseitigt der Egalitarismus nicht nur die grundlegendsten Begriffe von Achtung und Toleranz, sondern darüber hinaus die Freiheit und das Grundrecht auf Verschiedenheit. (...) Im Namen der Toleranz macht sich die Lehre von der völligen Gleichheit der Menschen der denkbar größten Intoleranz schuldig, die darin besteht, die Verschiedenheit, Originalität und Besonderheit überall da systematisch zu zerstören, wo sie sich der Mühle der Gleichmacherei nicht fügen." Zur Auflösung der Fußnote[9]
Der Grundgedanke des Ethnopluralismus-Konzepts findet sich mittlerweile mehr oder weniger kompakt in allen Programmen der europäischen extremen Rechten. Dies gilt insbesondere für die Sehnsucht nach nationaler Identität und völkischer Verwurzelung, für den Hinweis auf die Verschiedenheit der Ethnien und Kulturen und für die Forderung nach Bewahrung dieser Verschiedenheit (zugespitzt: nach "Rassentrennung") und schließlich für die Absicht, das eigene Volk gegenüber anderen Ethnien und Kulturen abzuschirmen ("Deutschland den Deutschen", "les francais d'abord", "eigen Volk eerst" etc.).
4. Neuere Entwicklungen im Bereich der Neuen Rechten
Die dem orthodoxen Rechtsextremismus zuzuordnende NPD war lange Zeit die einzige Organisation am rechten Rand des politischen Systems der Bundesrepublik, die das Konzept einer "kulturellen Hegemonie" zielstrebig verfolgte. Ihr Versuch, als Gegenstück zur linken "Frankfurter Schule" eine "Dresdner Schule" zu etablieren, die "volkstreue Theoriearbeit" leistet, war bislang allerdings nicht sonderlich erfolgreich. Zwar ist es den NPD-Ideologen gelungen, in ihr völkisch-nationalistisches Parteikonzept eine kapitalismuskritische Dimension zu integrieren. Als ideologische Innovation wird man das mit Blick auf die "Sozialisten" in der NS-Bewegung aber kaum bezeichnen wollen. Programmatisch orientiert sich die mittlerweile schwächelnde Partei ebenfalls am Konzept des Ethnopluralismus, und sie beteiligt sich auch mit eigenen Initiativen an den Protesten gegen die vermeintliche Überfremdung Deutschlands durch Flüchtlinge und Asylbewerber ("Nein zum Heim"). Aber an den entsprechenden intellektuellen Diskursen ist sie nicht beteiligt.
Die ideologische Unterfütterung der Politik der Alternative für Deutschland (AfD) oder der Proteste gegen die angebliche "Islamisierung des Abendlandes" erfolgt durch eine gut vernetzte jüngere Generation der Neuen Rechten, die sich zumeist an den "Klassikern" orientiert, teilweise aber auch eigene Akzente setzt.
Der wohl radikalste Vorschlag stammt von dem niederländischen Autor Thierry Baudet, der einen "multikulturellen Nationalismus" propagiert. Die Globalisierung mache zwar starke Nationalstaaten zwingend erforderlich, die "internationalisierte, moderne Welt" verlange aber auch einen "offenen Blick". Künftig könnten sich "neue nationale Staaten mit anderen Grenzen und mit neuen Völkern" entwickeln.
"Den offenen Nationalismus, für den ich plädiere, nenne ich multikulturellen Nationalismus - und er hebt sich ab vom Multikulturalismus auf der einen Seite und einem intoleranten, geschlossenen Nationalismus auf der anderen. Die internationale Zusammenarbeit auf der Basis von demokratischen Nationalstaaten nenne ich souveränen Kosmopolitismus - und er hebt sich ab vom Supranationalismus auf der einen und in sich gekehrten, geschlossenen Nationalismus auf der anderen Seite." Zur Auflösung der Fußnote[10]
Baudet wirft den europäischen Eliten vor, dass sie die Nationalstaaten gezielt Schritt für Schritt zerstören. Er will diesen Angriff abwehren, indem er einen für Zuwanderung offenen Nationalstaat propagiert, von den Zuwanderern aber verlangt, dass sie sich voll und ganz in die jeweilige nationale Kultur integrieren, sich also assimilieren. Es geht mithin nicht – wie beim alten Nationalismus – um ethnische, sondern um kulturelle Homogenität: Die Einheimischen – egal welcher ethnischen Herkunft – sollen eine auf kollektive nationale Identität gegründete Gemeinschaft bilden. Letztendlich wird damit der Gedanke des Ethnopluralismus nicht fallen gelassen, sondern lediglich durch einen Pluralismus nationaler Identitäten ersetzt.
Ob sich dieser "neue" Nationalismus in den Programmen der Gruppierungen am rechten Rand des politischen Systems durchsetzen wird, ist derzeit nicht absehbar. Aber der Vorwurf, dass die politischen Eliten Europas die Nationalstaaten absichtsvoll zerstören, wird allenthalben geteilt. Richtete sich die Antiislamkampagne ursprünglich unmittelbar gegen die muslimischen Einwanderer (Flüchtlinge, Asylbewerber), so gilt der Protest mittlerweile auch und gerade den nationalen Eliten in Politik ("Merkel muss weg") und Medien ("Lügenpresse"). Der "Bestsellerautor" und ehemalige FAZ-Redakteur Udo Ulfkotte wird nicht müde, Politikern und Journalisten vorzuwerfen, die Islamisierung Europas voranzutreiben und die "Milliardengeschäfte" der "Flüchtlingsindustrie" anzuprangern Zur Auflösung der Fußnote[11]. Sein Asyl-Buch beginnt er mit folgender Bitte an seine Leser:
"Richten Sie Ihren Unmut über die Zustände nicht gegen Asylbewerber. Bitte demonstrieren Sie nicht vor Flüchtlingsheimen, denn für die Zustände sind vor allem Politik und Medien verantwortlich. Wenn Sie etwas verändern wollen, dann sollten Politiker und Medien Ihren Unmut zu spüren bekommen."
Auch für Götz Kubitschek (geb. 1970) sind in erster Linie nicht die Ausländer, sondern die herrschenden Eliten für den "Vorbürgerkriegszustand" in Deutschland verantwortlich. Er gründete im Jahr 2000 gemeinsam mit Karlheinz Weißmann das Interner Link: Institut für Staatspolitik (IfS), das derzeit als maßgebliche Denkfabrik der Neuen Rechten gilt und seit 2003 die Zeitschrift "Sezession" Zur Auflösung der Fußnote[12] herausgibt. Kubitschek hob zudem 2000 den Antaios-Verlag aus der Taufe, der mittlerweile auf dem Rittergut Schnellroda in Sachsen-Anhalt residiert. Anders als die meisten Rechtsintellektuellen ist Kubitschek betont pragmatisch orientiert, führt provokative Aktionen (v.a. Veranstaltungsstörungen) durch und tritt auch als Redner bei Demonstrationen von Pegida Zur Auflösung der Fußnote[13] und deren Ablegern auf. Dass sich die Wege von Kubitschek und Weißmann im Sommer 2014 getrennt haben, mag daran liegen, dass Weißmann eher für gemäßigt neurechte Positionen steht und sich daher besser bei der Wochenzeitung Interner Link: "Junge Freiheit" aufgehoben fühlt. Denn sie vertritt keinen revolutionären, sondern einen eher "bürgerlichen" Konservatismus.
Weißmann (geb. 1959) gilt als maßgeblicher Vertreter der zeitgenössischen Neuen Rechten. Vorrangig pflegt er freilich das Erbe der "Klassiker", singt das Hohelied der Nation als identitätsstiftendes Fundament des modernen Staats im Zeitalter der Globalisierung, behauptet, dass die Deutschen 1945 besiegt und nicht befreit worden seien und bejammert den "Endsieg der Achtundsechziger", die "Marginalisierung der Konservativen" und die "Zerstörung des konservativen Elements in der Merkel-Union" Zur Auflösung der Fußnote[14]. Und auch er will im Sinne der Konservativen Revolution Gegenaufklärung betreiben und Gegenöffentlichkeit schaffen - derzeit neben seinen Buchpublikationen vor allem als Autor der "Jungen Freiheit". Das Blatt wurde 1986 von Dieter Stein (geb. 1967) als Schülerzeitung gegründet, erscheint seit 1994 als Wochenzeitung und soll mittlerweile über eine verkaufte Auflage von knapp 26.000 Exemplaren verfügen.
Neben Kubitschek und Weißmann wird oft auch Jürgen Elsässer (geb. 1957) als wichtiger Vertreter der Neuen Rechten genannt. Politisch hat er sich zwar von Linksaußen nach Rechtsaußen entwickelt, ist mit qualifizierten rechtsintellektuellen Beiträgen aber bislang noch nicht in Erscheinung getreten. Er ist Chefredakteur der seit 2010 erscheinenden Monatszeitschrift "Compact" Zur Auflösung der Fußnote[15] und tritt häufig als Veranstaltungsredner auf, wo er gerne auch gegen das "Merkel-Regime" hetzt. Gemeinsam mit Kubitschek hat er eine Verfassungsbeschwerde gegen die "rechtswidrige Asylpolitik" der Bundesregierung angekündigt, die auch auf die "vorläufige Suspendierung und spätere Amtsenthebung der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und ihres Stellvertreters Sigmar Gabriel" abzielt Zur Auflösung der Fußnote[16]. Elsässers Absicht, eine gemeinsame Front aus extrem linken und extrem rechten Kräften ("Querfront") gegen die politischen Eliten zu schmieden, war bislang nicht erfolgreich.
5. Fazit
Selbst wenn sich die meisten Autoren der Neuen Rechten nicht explizit gegen die Verfassungsordnung der Bundesrepublik richten, lehnen sie doch die einer liberalen Demokratie zugrunde liegenden Prinzipien ab und befürworten ein autoritär-etatistisches Gesellschaftsbild, insbesondere einen starken souveränen Staat, der sich auf eine durch kollektive nationale Identität geprägte, möglichst homogene (Volks-)Gemeinschaft gründet.
Wissenschaftliche Literatur:
Decker, Frank (2004): Der neue Rechtspopulismus, 2. Aufl., Opladen: Leske + Budrich.
Decker, Frank (Hrsg.) (2006): Populismus. Gefahr für die Demokratie oder nützliches Korrektiv?, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften. (Der Band ist auch unter dem Titel "Populismus in Europa" als Nr. 547 der Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung erschienen.)
Decker, Frank/Henningsen, Bernd/Jakobsen, Kjetil (Hrsg.) (2015): Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa, Baden-Baden: Nomos.
Feit, Margret (1987): Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik. Organisation - Ideologie - Strategie, Frankfurt a. Main/New York: Campus.
Gessenharter, Wolfgang (1998): Neue radikale Rechte, intellektuelle Neue Rechte und Rechtsextremismus: Zur theoretischen und empirischen Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes, in: Wolfgang Gessenharter/Helmut Fröchling (Hrsg.): Rechtsextremismus und Neue Rechte in Deutschland. Neuvermessung eines politisch-ideologischen Raumes?, Opladen: Leske + Budrich, S. 25-66.
Leggewie, Claus (1989): Die Republikaner. Phantombild der Neuen Rechten, Berlin: Rotbuch.
Pfahl-Traughber, Arnim (1998): "Konservative Revolution" und "Neue Rechte". Rechtsextremistische Intellektuelle gegen den demokratischen Verfassungsstaat, Opladen: Leske + Budrich.
Stöss, Richard (2000): Ideologie und Strategie des Rechtsextremismus, in: Wilfried Schubarth/Richard Stöss (Hrsg.): Rechtsextremismus in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Bilanz, Schriftenreihe der Bundeszentrale für politische Bildung, Bd. 368, Bonn, S. 101-130 (Buchhandelsausg.: Leske + Budrich).
Stöss, Richard (2006): Rechtsextreme Parteien in Westeuropa, in: Oskar Niedermayer/Richard Stöss/Melanie Haas (Hrsg.): Die Parteiensysteme Westeuropas, Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften, S. 521-563.
Stöss, Richard (2013): Der rechte Rand des Parteiensystems, in: Oskar Niedermayer (Hrsg.): Handbuch Parteienforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 563-618.