Neonazi-Sänger und NPD-Bundespräsidenten-Kandidat Frank Rennicke wurde als Kind in der 1994 verbotenen
Rechtsextreme Kindheit, was heißt das?
Die exemplarische, die "eine" rechtsextreme Kindheit gibt es nicht. Praktisch ist es für Kinder ein Unterschied, ob sie eher in eine "aktionsorientierte" Demo- und Konzert-Neonazifamilie geboren werden oder in eine seit Generationen bestehende völkische Sippe, die eher ein langfristiges "Blut-und-Boden"-Konzept verfolgt. Allerdings gibt es einige Gemeinsamkeiten, die für so gut wie alle Kinder in rechtsextremen Familien zutreffen:
Sie werden dazu erzogen, ihr demokratisches Umfeld als feindlich anzusehen, die Erzieher und Lehrer, Polizisten und die Eltern anderer Kinder. Deshalb dürfen sie diesem Umfeld vieles aus ihrer eigenen Familie nicht erzählen, müssen über Freizeitaktivitäten schweigen oder darüber, dass die Deutschlandfahne in Mamas und Papas Schlafzimmer schwarz-weiß-rot ist. Heidi Benneckenstein, geborene Redeker, eine der wenigen Aussteigerinnen aus einer rechtsextremen Familie, beschrieb diese Situation in einem Interview mit der ZEIT
: "Das war hart, andererseits kam ich mir unheimlich wichtig vor, weil meine Eltern mir Geheimnisse erzählt haben, die ich anderen nicht erzählen durfte." Zu diesen Geheimnissen gehört die Erzählung, dass das "deutsche Volk" bedroht sei, man selbst aber zu den "Auserwählten" gehöre, die das erkannt hätten. Im Gegensatz zu den anderen. Die Kinder werden zu Rassismus, Antisemitismus, Behindertenfeindlichkeit und Hass auf alles erzogen, was nicht dem "deutschen Volkskörper" dient oder als zugehörig definiert wird. Sie lernen, dass Menschen unterschiedlich viel wert seien und dass es deshalb in Ordnung sei, Menschen abzuwerten und zu verletzen. Die Bandbreite dieser Erziehung reicht von der alltäglichen Hass-Sprache über Teilnahmen an flüchtlingsfeindlichen "Nein zum Heim"-Demos bis hin zum Verbot von Freundschaften mit Kindern mit Migrationshintergrund – von denen etwa Aussteigerin Benneckenstein berichtet – oder szeneinternem Mobbing gegen behinderte Kinder. Für Kameradschaftsführerin Tanja Privenau war das Mobbing gegen ihren behinderten Sohn der ausschlaggebende Grund, die "Heimattreue Deutsche Jugend" (HDJ) zu verlassen und
Interner Link: aus der rechtsextremen Szene auszusteigen. Viele rechtsextreme Eltern erziehen ihre Kinder autoritär bis paramilitärisch, von Kindern wird Gehorsam bis zur Unterwerfung gefordert. Wird der Gehorsam verweigert, werden Sanktionen von Liebesentzug bis zu körperlicher Gewalt nicht nur angedroht, sondern auch vollzogen. Die Kinder sollen ja nicht "verzärtelt", sondern "hart wie Kruppstahl" werden. Dazu gehört auch ein "Abhärten" des Nachwuchses, der – so die Idee – die nächste Generation einer als herausragend verstandenen Linie "deutschen Blutes" sein soll. Konkret bedeutet das: Kinder werden im Winter ohne warme Kleidung nach draußen zum "Marschieren" geschickt, ihnen werden, wenn sie krank sind, Medikamente verweigert, damit sie aus eigener Kraft wieder gesund werden. 2009 starb ein vierjähriges Mädchen aufgrund dieser Erziehungsideologie, weil ihre rechtsextremen Eltern ihr die Diabetes-Medikamente verweigerten.
In allen rechtsextremen Familien wird den Kindern vermittelt: Wenn du dich gegen unsere Ideale wendest, den falschen Partner mitbringst oder die falsche Musik magst, wirst du verstoßen. Grundlegend wird ein antimodernes Geschlechterbild vermittelt: Männer müssen hart sein und kämpfen, mit Geschick, Strategieund Gewalt. Für Frauen ist die Mutterrolle vorgesehen, sie sollen den Nachwuchs im Sinne der völkischen Ideologie großziehen und den "Fortbestand" des "deutschen Volkes" sichern. Daher wähnen sie sich im "Geburtenkrieg".
Rechtsextremer Alltag
Grundsätzlich bleibt in rechtsextremen Familien kaum etwas "unpolitisch": Die Vereinnahmung der Kinder beginnt schon vor der Geburt, wenn in rechtsextremen Internetforen Mütter mit Nicknames wie "NoRemorse", "Raginhild" und "Pride Mother" über die Namen der zukünftigen Kinder diskutieren. Sie fragen, ob "Aryan Hope" ein guter Name wäre (Antwort: "Nein, zu englisch"), Anna, Josef oder Hans (Antwort: "Nein, hebräische Wurzeln – oder doch, wegen Joseph Goebbels?") oder ob germanisch-nordische Namen wie Svea, Sigrun, Mechthild oder Ragnar und Bernward zu bevorzugen seien.
NS-Verherrlichung lässt sich beim Backen von Runen-Keksen und Laubsägearbeiten mit Hakenkreuz-Verzierungen vermitteln, aber auch, indem Kinderbücher aus der NS-Zeit gelesen werden. Rechtsextreme Versände bieten für die "kleinen Germanen" Wikingerhelme nebst Holzschwertern und Plastikmorgensternen oder Memory-Spiele an, mit denen man nordische Götter, Runen und Jahreskreisfeste kennenlernt. In Mecklenburg-Vorpommern beobachtete ein Nachbar, wie Neonazi-Eltern ihrem Sohn zum dritten Geburtstag einen Mini-Baseballschläger schenkten und eine schwarze Puppe – "zum Üben".
Oft dürfen Kinder aus rechtsextremen Familien keine nicht-deutsch anmutenden Begriffe verwenden. Da bedeutet ein Leben mit Gemüsekuchen, T-Hemd und Funki statt mit Pizza, T-Shirt und Handy. Ein nicht ungewollter Nebeneffekt: Die Kinder werden so in ihren Klassen zu Außenseitern, haben wenig Kontakt zu Kindern außerhalb der Szene. Ulrike Privenau, Tochter von
Um welche Erziehungsideale geht es?
Der Grundkonsens in der heutigen neonazistischen Kindererziehung ist eine Mischung aus völkischem Denken, Nationalismus, Rassismus, Antiamerikanismus und Antisemitismus, Führerprinzip, soldatischen Idealen und Antikapitalismus. Ein User mit dem Nicknamen "Reichsbademeister" fasste es in einer Diskussion um "nationale Erziehung" in einem Szene-Forum so zusammen (Rechtschreibung übernommen): "Wir treffen uns öfters mit anderen [rechtsextremen] Eltern um etwas mit unseren Kindern zu unternehmen. Wir feiern gerne im Kreis der Familie. Wir meiden Fast-Food-Ketten-Besatzerfraß. Wir spielen Abends lieber als das wir Fernsehen schauen. Wir machen unsere Geschenke teilweise lieber selbst, als etwas zu kaufen. Wir sind oft in der Heimat unterwegs, Spazieren, Wandern, Zoobesuche, Spielplatz. Wir legen Wert auf Ordnung und Anstand. Wir überwachen was unser Kind sieht oder welche Musik sie hört. … und dann kommen noch andere Kleinigkeiten dazu."
Dabei wird den Kindern die völkische Ideologie vermittelt, die im Nationalsozialismus das Familienideal darstellte: Die eigene Gruppe, in diesem Fall die Gruppe weißer Deutscher, wird als "Volk" verabsolutiert und als "reine" Gemeinschaft definiert; sie wird als höherwertiger als andere angesehen. Keimzelle des „Volkes“ ist die Familie, die der Mann schützen soll und in der die Frau als Mutter die möglichst zahlreichen Kinder im Sinne der "Volksgemeinschaft" erziehen soll. Das heißt nicht nur, sie in verschiedenen Formen von Brauchtum zu unterrichten. Da zu diesem "Volk" bzw. der eigenen "Volksgemeinschaft" auch ein Lebensraum – der "Boden" zum "Blut" – gehört, der gegen die ständige Bedrohung von außen verteidigt werden muss, gehört zu dieser Erziehung häufig auch die Schulung des Nachwuchses in Gewalt und an Waffen.
Rechtsextreme Erziehung als politische Strategie: Völkische Jugendlager
Praktisch geschieht diese Erziehung auch durch politisch motivierte Kinder- und Jugendlager. Das begann 1926 mit der "Hitlerjugend" und wurde nach Ende des Zweiten Weltkriegs relativ nahtlos mit der
Opa war auch Nazi: völkische Sippen und Siedlungen
Die Langlebigkeit der zahlreichen NS-Ideale, die den Kindern vermittelt werden, fußt auch darin, dass sie in etlichen völkischen Familien seit dem Nationalsozialismus ungebrochen vertreten werden. Bei manchen Neonazi-Familien hing schon lange ein Hitler-Bild im Wohnzimmer; statt "Polen" hieß es immer "Ostpreußen", rassistisches Wettern gegen Schwarze, Juden und Roma gehört schon lange zum Alltag. Solche Familien sind unter anderem in Gruppierungen wie der
Das Prinzip
Und die demokratische Gesellschaft?
Diese gesellschaftlich engagierten und ideologisch sendungsbewussten Rechtsextremen – oft sind es Frauen – sind eine Herausforderung für Kitas und Schulen. Wenn sie sich als Erzieherinnen bewerben oder Kitas betreiben wollen, helfen Leitbilder, die die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf die freiheitlich demokratische Grundordnung verpflichten.
Für die Kinder aus rechtsextremen Elternhäusern jedenfalls ist der Kontakt zu nicht-rechten Menschen eine große Chance. So können sie ein positives Gegenbild demokratischen Zusammenlebens kennenlernen. Wenn in der Kita Kinder mitbestimmen dürfen, wenn vorurteilsbewusst erzogen wird, konstruktives Streiten gelehrt wird und ein Gemeinschaftsgefühl ohne Ausgrenzung gelebt wird, haben alle etwas davon.