Die Bürgernähe der rechtsextremen NPD hat im sächsischen Landkreis Meißen zwei Gesichter: die des politisch engagierten Ehepaares Ines und Peter Schreiber. Peter Schreiber, ehemals Mitarbeiter der hessischen Finanzverwaltung, arbeitet als Geschäftsführer des Parteieigenen Verlages "Deutsche Stimme" in Riesa und ist als NPD-Multifunktionär auf sämtlichen politischen Ebenen aktiv. Seine Ehefrau, eine gelernte Krankenschwester aus Mecklenburg-Vorpommern, Hausfrau und Mutter, kümmert sich ehrenamtlich um das Verbreiten der rechtsextremen Ideologie in der ländlich geprägten Gemeinschaft: Deshalb bietet sie sich allen möglichen gesellschaftlichen Einrichtungen an, dem Elternbeirat der Schule ihrer beiden Söhne, dem Schöffenamt des hiesigen Amtsgerichts oder bei der Hausaufgabenhilfe. Ines Schreiber ist überall dort zu finden, wo ehrenamtliches Engagement vor Ort gefragt ist.
Damit folgt sie der erklärten NPD-Strategie, durch Kümmern in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Wenn in Riesa die Elbe über die Ufer tritt, sind – wie andernorts auch – zahlreiche NPD-Mitglieder in der Fluthilfe aktiv. Die Partei wünscht das so – und das hat einen Grund: "Die NPD versucht systematisch, an zivilgesellschaftliche Institutionen anzudocken, um sich ein scheinbar bürgerliches Image zu verpassen”, erklärt ein sächsischer Verfassungsschützer diese Strategie, die besonders gut auf dem Land funktioniert – und im Osten Deutschlands. Seit das kleine rechtsextreme Verlagshaus "Deutsche Stimme" 2001 nach Sachsen gezogen ist, hat sich die Gegend westlich von Dresden zur bundesweiten Agitationszentrale der NPD entwickelt.
Von hier aus ging die Partei also ihren "sächsischen Weg". Getragen durch die Anti-Hartz-IV-Proteste zog sie 2004 erstmals in den sächsischen Landtag ein, konnte nach und nach in sämtlichen Landkreisen in Sachsen Mandate in Kommunalparlamenten erringen und verankerte sich tief in Sachsen. Erst 2014 war dann Schluss mit dem Aufwind, nach acht Jahren scheiterte die NPD bei den Landtagswahlen knapp an der Fünfprozenthürde. Seither kämpft die NPD um ihre politische Bedeutung als parlamentarischer Arm der rechtsextremen Bewegung. Immer noch aber versucht sie, sich über die Sorgen und Ängste der Menschen an potentielle Wähler heranzuarbeiten.
Unterwanderung der "Nein zum Heim"-Initiativen
So wie auf einer Anti-Asyl-Demonstration gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte in Riesa, die von der NPD organisiert wurde. Mit dabei: Die Schreibers. Ines marschiert vorneweg, neben ihr Ehemann Peter: "Deutschland den Deutschen – Asylbetrüger raus", brüllt sie angestrengt in ein Megafon, und die wütende Menge aus rund 400 Demonstranten stimmt ein. "Die machen wenigstens den Mund auf, die anderen kuschen ja nur", sagt eine alte Frau. "Wir haben alle Angst hier, aber die Leute von der NPD sind die einzigen, die das auch so sehen."
Viele Menschen in Sachsen machen keinen Unterschied zwischen der NPD und den demokratischen Parteien. Der Bielefelder Gewalt- und Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer spricht in diesem Zusammenhang von einem Gewöhnungseffekt: "Überall dort, wo die NPD schon mal in ein Parlament eingezogen ist, normalisiert sich das Verhältnis der Bevölkerung zu dieser Partei." Und mit der NPD normalisiere sich auch der Rechtsextremismus insgesamt. Auch wenn die NPD in Sachsen vorerst nicht mehr im Landtag vertreten ist – kommunal verankert ist sie weiterhin. Drei Viertel ihrer Mandate auf lokaler Ebene hält sie im Osten, rund ein Drittel in Sachsen. Diese Mandate bringen Sitzungsgeld, ein Kreistagsmandat rund 2.500 Euro im Jahr. Nach Auskunft der Partei ist dieser Betrag an den Kreisverband abzugeben. Sechs Kreistagsmandate können einen lokalen Wahlkampf finanzieren.
Die Schreibers machen auch bei der "Initiative Heimatschutz" im nahen Meißen mit. Gemeinsam mit anderen NPD-Funktionären haben sie sich gleich zu Beginn der rassistischen Bürgerinitiative angeschlossen, die sich aus Protest gegen Flüchtlinge in Meißen gegründet hatte. Für den Berliner NPD-Vorsitzenden Sebastian Schmidtke ist das wie früher, als die Partei schon einmal auf Ängste und Sorgen setzte – und sich an die Proteste gegen die Hartz-IV-Regelungen anhängte. "Das war damals der Schwung, der uns dann fast ins Saarland in den Landtag gespült hat. Und mit 9,6 Prozent in den Sächsischen Landtag. Ich gehe davon aus, dass man die Parallelen genau jetzt wieder anwenden kann, wenn das Verbotsverfahren erstmal gescheitert ist", so Schmidtke.
Wo immer sich also Protest regt, ob gegen Hartz-IV oder gegen Asylbewerber – es ist die Strategie der NPD, sich vorgeblich um das Anliegen der Menschen zu kümmern. Es ist auch ein Weg aus der Krise. Und eine prima Kampagne. "Die Bürgerproteste kommen anmeldetechnisch in der Regel immer von normalen Anwohnern. Wir unterstützen aber dort, wo es uns möglich ist. Wir haben zum Beispiel in Sachsen Sachsenfahnen, in Berlin Berlinfahnen, die wir dazugeben können. Wir können logistisch unterstützen mit Flugblätterdruck und so weiter", erklärt Sebastian Schmidtke.
Dabei ist das Protestthema lokal jeweils austauschbar. Das weiß auch Andreas Molau; der langjährige NPD-Spitzenfunktionär ist 2012 aus der rechtsextremen Szene ausgestiegen. Zuvor hat er die Kümmerer- und Protest-Strategie mit entwickelt und umgesetzt. "Die NPD versucht immer, auf Themen aufzuspringen, bei denen es in der Bevölkerung zu Ängsten kommt. Wenn etwa irgendwo eine forensische Klinik eröffnet wird und der Verdacht aufkommt, dass sich jemand an Kindern vergeht." Inzwischen laufe vieles über Facebook-Initiativen, die nur selten unter dem Parteinamen initiiert werden. "Wenn eine solche Kampagne dann anläuft, übernimmt die NPD die Kümmererposition", sagt Molau, "nach dem Motto, wir sind für euch da, wir nehmen eure Ängste als einzige wahr." Es gehe immer darum, ein Thema zu finden, bei dem man sich als letzte Hoffnung darstellen könne.
Ein geradezu klassisches NPD-Thema ist dabei die Angst vor Überfremdung, bei dem die Partei versucht anzudocken. Hier treffen Kümmerer-Strategie und Kernthema der Partei zusammen, sagt Rechtsextremismusforscher Hajo Funke: "Nämlich der Rückführung nicht nur von Asylflüchtlingen, sondern von Menschen, die nicht als ethnisch rein gelten."
AfD und Pegida laufen der NPD den Rang ab
Doch seit Pegida sich breit gemacht hat, ist die NPD bei diesem Thema nicht mehr allein. So stehen sie auch heute da, ein halbes Dutzend Spitzenfunktionäre der rechtsextremen NPD aus ganz Deutschland, und stecken vor der barocken Kulisse der Semperoper in Dresden die Köpfe zusammen. Sie sind – wie sie sagen – ganz privat hier, unter den 18.000 Demonstranten, die an diesem vorweihnachtlichen Montagabend 2014 den Theaterplatz füllen. Keine NPD-Fahnen, keine Spruchbanner, keine Parteipropaganda. Die NPD ist bei Pegida in Sachsen nur geduldet. Die islamfeindliche Initiative wollte niemanden ausschließen, aber Parteipolitik und allzu offene rechtsextreme Symbolik waren lange tabu, um den Zulauf aus der bürgerlichen Mitte nicht zu gefährden. Auch deshalb entwickelte sich Pegida zum zahlenmäßig stärksten Straßenprotest, der seit dem Ende des zweiten Weltkriegs aus dem rechten Milieu in Deutschland organisiert wurde. Und die NPD, die sich noch immer als bedeutendste rechtsextreme Kraft im Land versteht, durfte und darf nur zuschauen.
Das trifft sich schlecht, denn seit vier Jahren verliert die NPD ständig Mitglieder, bundesweit waren es zuletzt keine 5.000 mehr, nur noch etwa die Hälfte ihrer einstigen Mitgliederzahl. Parteiinterne Streitigkeiten, ein Finanzskandal sowie eine Glaubwürdigkeitskrise nach dem Auffliegen der rechtsextremen Terrorzelle NSU, mit der einzelne Funktionäre verstrickt waren, haben die NPD massiv geschwächt. Mit der verlorenen Landtagswahl in Sachsen 2014 verlor sie auch eine entscheidende finanzielle und personelle Basis für die bundesweite Agitation. Dann stiegen die Flüchtlingszahlen in Deutschland.
Sebastian Schmidtke, der Landesvorsitzende der Berliner NPD und vorbestrafter Neonazis, sah sich bestärkt in seinem eigenen Bemühen, Anwohnerproteste gegen Flüchtlingsunterkünfte in Berlin zu organisieren. Bereits im Sommer 2013 hatte er die Initiative "Nein zum Heim" gegründet, mit der die NPD Bürgerproteste gegen geplante Flüchtlingsunterkünfte in den Berliner Stadtteilen Köpenick, Buch und Marzahn-Hellersdorf gekapert hatte. Dort brachte die scheinbar überparteiliche Initiative "Nein zum Heim" bis zu 1.000 Menschen auf die Straße, hunderte nahmen an Demonstrationen teil. Mobilisiert wurde und wird vor allem unerkannt Mithilfe der sozialen Medien, via Facebook: Wo "Nein zum Heim" drauf steht, ist häufig die NPD drin. Irgendwie findet sich immer jemand vor Ort, der eine entsprechende Facebook-Seite betreibt.
Die NPD, sagt Schmidtke, versucht also überall dort, wo sich erkennbarer Protest regt, anzuknüpfen. "Und wenn es bereits Anwohner gibt, die das auch so sehen, dann helfen wir eben bei den Anmeldeformalitäten für Demonstrationen, gestalten Flugzettel, oder besorgen einen Lautsprecherwagen." Das finden nicht alle gut. Ingolf Pabst beispielsweise erinnert sich noch sehr gut an Schmidtkes Hilfe. Er sei "kein Rechter", betont Pabst gleich nach dem Handschlag. Gemeinsam mit sechs anderen Anwohnern steht er auf dem Fußweg zwischen seinem Wohnhaus, einem sanierten Plattenbau im Berlin-Köpenicker Allende-Viertel, und einem Containerdorf für Flüchtlinge. Er protestiert gegen die 365 Menschen, die darin leben. Ingolf Pabst ist angestellter Fahrlehrer, 54 Jahre alt, Ordner beim FC Union Berlin, Mittelscheitel, und findet: "Ham hier nüscht zu suchen", "scheißen in die Ecken", "klauen, randalieren", "alle ham´se Smartphones!" Er gehört zu jener Kategorie Fremdenfeind, die allzu oft unter dem Begriff des "besorgten Bürgers" im allgemeinen Sprachgebrauch auftaucht.
Aber der "besorgte Bürger" Pabst schimpft auf die NPD, fühlt sich von ihr "missbraucht", wie er sagt. Nachdem Berlins Sozialsenator Mario Czaja (CDU) bekannt gegeben hatte, dass die Container in Köpenick aufgestellt würden, gründete Pabst seine Initiative – noch bevor eine Bürgerversammlung einberufen wurde. Über eine junge Nachbarin, deren Freund als NPD-Kreisvorsitzender in Marzahn-Hellersdorf fungierte, fand Pabst willkommene Unterstützung: "Die NPD brachte dann den Lauti, hat eben ihre ganze Propagandamaschine angeschmissen, und lauter Hools hinter sich hergezogen, die das Ganze absichern." Pabsts Mahnwache entwickelte sich zur wiederkehrenden Neonazi-Demonstration, die von einem massiven Polizeiaufgebot begleitet wurden sowie von gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Berliner Antifa. Zwei Mal hat er bisher seinen Job verloren. Den Neonazi-Stempel wird er wohl nicht mehr los. Jetzt macht er wieder sein eigenes Ding – mit sechs Leuten.
Rückzug vom Verbürgerlichungskurs
Politikwissenschaftler Funke beobachtet, dass die NPD diese Kampagnen steuere. Für ihn ist die Partei längst wieder "eine neonazistische Kampfpartei", die ihren vormaligen Verbürgerlichungskurs verworfen hat. Seit sich die Wahlniederlagen häufen, ist der Glaube an den parlamentarischen Weg geschwunden. Der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete Mirko Schmidt aus Meißen, der sich inzwischen der rechtsextremen Kleinstpartei "Pro Deutschland" angeschlossen hat, sagt: "Viele Mitglieder haben sich von der NPD abgewandt und sind wieder zurück in die Kameradschaften gegangen. Und diese Kameraden sagen eben, dass sie nicht an den Parlamentarismus glauben. Sie haben sich weiter radikalisiert." Auch unter diesem Druck geht die NPD nunmehr ihren Weg über die Straße.
Was das heißt, hat sich in einigen ostdeutschen Kleinstädten, unter anderem in Nauen, Meißen, Heidenau, Freital und Tröglitz gezeigt. Überall dort sitzen NPD-Vertreter in den Kommunalparlamenten, überall dort haben sie massive Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte organisiert. Für Rechtsextremismusforscher Funke ist das eine Blaupause der aktuellen Parteistrategie: "Gehen wir mal von Tröglitz aus: Dort hat ein NPD-Kommunalpolitiker Anti-Asyl-Demonstrationen angezettelt, die über drei Monate liefen. Das Ganze hat sich radikalisiert, und man zog auch gegen das Privathaus des Bürgermeisters, der zurückgetreten ist, auch weil er zusätzlich bedroht wurde. Am Ende der Entwicklung stand dann der Brandanschlag auf eine geplante Flüchtlingsunterkunft."
Das gezielte Vorgehen gegen Kommunalpolitiker ist Teil der NPD-Strategie, bei der es darum geht, einzuschüchtern und Angst zu verbreiten. Das würde die NPD natürlich nie offen zugeben. Aussteiger Molau glaubt, dass die Partei offene Gewalt gegen Flüchtlinge und Demokraten durch Parteimitglieder nicht decken würde. "Wenn so etwas offenbar wird, dann würde man vermutlich auch die Reißleine ziehen", sagt er. "Man würde ein Parteiausschlussverfahren anregen, und dann müssten solche Leute auch gehen. Damit nach außen hin der Gewaltverzicht der NPD deutlich wird."
Nach außen hin gewaltfrei – das ist eine doppelbödige Strategie der NPD. Nicht nur, dass sie zeit ihrer Geschichte mit Hinblick auf Gewalt einen Wackelkurs gefahren ist und sich nach "bürgerlichen" und friedfertigen Phasen immer wieder neu gewaltbereiten Gruppen öffnete. Schon Rhetorik und ideologisches Programm sind auf Gewalt ausgerichtet. Politische Gegner werden von der Partei als "Abschaum" und "Geschmeiß" bezeichnet, die Partei stehe im "Krieg". Vom "Riesenkampf" und "Freiheitskrieg" schreibt sie in Flugblättern – und so reden ihre Funktionäre auch. Der Geschäftsführer des bayerischen Landesverbandes Sascha Roßmüller sprach 1998 gar von der Machtergreifung, nach der es keinem Gegner gelingen würde, zu entkommen, "dafür werden wir schon sorgen. Alle Flughäfen und Wege, die aus dem Land führen, werden dichtgemacht. Anschließend wartet der Strang". Wer so redet, für den scheint Gewalt ein legitimes Mittel zu sein.
17 Jahre später räumt NPD-Mann Schmidtke immerhin ein: "Es müssen auch manchmal die Menschen angeprangert werden, die gewisse Umstände ins Land bringen. Und deshalb ist es wichtig, denen zu zeigen, dass sie am besten zurücktreten sollen. So wie in Heidenau." "Zeigen" hieß in Heidenau, dass ein von einem örtlichen NPD-Stadtverordneten angeführter Mob vor das Privathaus von Bürgermeister Jürgen Opitz (CDU) zog. Bei der Randale wurden auch Polizisten verletzt. Die Eskalation nahm ihren Lauf, sagt Bürgermeister Opitz, "seitdem Herr Rentzsch von der NPD bei uns im Rathaus sitzt". Ein Jahr im Rathaus und die Ankündigung einer geplanten Flüchtlingsunterkunft genügten der NPD, um in Heidenau ein Szenario zu entwickeln, das international Schlagzeilen machte: Die Verbindung von Neonazis, Hooligans und so genannten "besorgten Bürgern" zu einem gewalttätigen Mob. So lässt sich Anschlussfähigkeit herstellen.