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Wo Demokraten gefährlich leben

Astrid Geisler

/ 5 Minuten zu lesen

Wer sich gegen Rechtsextremismus engagiert, lebt mitunter gefährlich. Nicht nur in Ostdeutschland, auch tief im Westen sind Drohungen und rohe Gewalt für Teile der ganz rechten Szene eine effektive Strategie, um politische Gegner einzuschüchtern. Immer mit dem Ziel, dass diese von ihrem Engagement absehen. Dabei werden die meisten Fälle rechtsextremer Gewalt nicht öffentlich.

Nazi-Schmierereien gibt es in fast jeder Stadt Deutschlands: Hier eine Todesdrohung im brandenburgischen Zossen.

Jahr für Jahr zählen die Sicherheitsbehörden um die 1000 Gewalttaten mit rechtsextremem Hintergrund in Deutschland, mal mehr, mal weniger. 2010 etwa kam das Bundesinnenministerium in seiner Statistik zur politisch motivierten Kriminalität auf "nur" 806 Fälle rechter Gewalt. 2014 waren es bereits wieder 1029 rechtsextreme Übergriffe – fast drei pro Tag.

Von den allerwenigsten erfährt die Öffentlichkeit. Auch das Auffliegen der rechtsextremen Terrorgruppe NSU im Herbst 2011 hat an der geringen Aufmerksamkeit nichts geändert. Allerdings stehen Politik und Medien nicht mehr unter Hysterieverdacht, wenn sie auf die dramatischen Zahlen hinweisen. Nach den NSU-Morden will wohl niemand mehr die Bedrohung durch Rechtsextreme kleinreden.

Doch immer noch kommen nur sehr wenige Fälle in die Schlagzeilen. Die Frage, warum sich die Aufmerksamkeit für rechtsextreme Angriffe in Grenzen hält, ist berechtigt. Als etwa der Bürgermeister von Tröglitz, Markus Nierth, Anfang 2015 wegen rechtsextremer Anfeindungen zurücktrat – angeführt von der NPD, die gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in Tröglitz mobil machte –, war das Entsetzen bei Politikern und Zivilgesellschaft groß. Reporter aller großen Medienhäuser drängten in den 2800-Einwohner-Ort in Sachsen-Anhalt. Nur: Was Nierth passierte, war, gemessen am rechtsextremen Alltag in Deutschland, vergleichsweise harmlos.

Angezündete Autos, eingeschlagene Scheiben, gesprengte Briefkästen – Rechtsextreme gehen zunehmend auch auf die ihnen verhassten Demokraten aller Parteien los. Seit Sommer 2014 flogen Brandsätze unter anderem auf den Reichstag und den Amtssitz des Bundespräsidenten, bis ein Berliner Musiklehrer nach einem weiteren Anschlag auf das Kanzleramt festgenommen wurde. Insgesamt zählte das Bundesinnenministerium 40 mutmaßlich rechtsextrem motivierte Anschläge auf Partei- und Abgeordnetenbüros zwischen Januar und November 2014. Immerhin: Es waren zehn weniger als 2013.

Vor allem in ländlichen Regionen werden immer wieder Parteibüros "entglast" oder mit rechtsextremen Parolen besprüht. Der offiziellen Statistik zufolge sind besonders häufig Einrichtungen der Linkspartei betroffen. Mit ihrem Engagement für Flüchtlinge brachte auch Bundestags-Vizepräsidentin Petra Pau eine fremdenfeindliche "Bürgerbewegung" gegen sich auf. Im Frühjahr 2015 versammelte diese sich sogar vor ihrem Berliner Wohnhaus. "Ich war zuhause und dachte erst, das wäre der Fernseher", berichtete die LINKE-Politikerin später in einem Interview. "Gespenstisch" sei das gewesen.

Zunehmend geraten Politiker ins Visier rechtsextremer Schläger

Wer sich öffentlich gegen Rassismus positioniert, gerät schnell ins Visier gewaltbereiter Neonazis. Und die Gewalt ist keineswegs nur ein ostdeutsches Phänomen. Auch tief im Westen müssen "Gesichtzeiger" mit Drohungen und Anschlägen rechnen. In Dortmund etwa verschickten Neonazis Anfang 2015 falsche Todesanzeigen an Journalisten. Daraufhin warnte der Polizeipräsident Gregor Lange in einem Interview, die rechtsextreme Szene versuche gezielt, "politische Gegner oder Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, mit öffentlichen Drohgebärden einzuschüchtern".

Nico Schmolke weiß, wie sich solche Einschüchterungen anfühlen. Ein paar Wochen lang übernachtete der Berliner Student nicht mehr alleine zu Hause. Es sollte immer jemand da sein, sonst schlief er lieber woanders. Sogar tagsüber scharte er sicherheitshalber Freunde um sich herum. Schon auf dem Heimweg in der S-Bahn scannte er die Mitreisenden: Sah in seinem Wagen irgendjemand aus wie ein Neonazi, der ihm vom Bahnhof aus folgen könnte? Das war im Sommer 2012, nach dem Angriff auf das Einfamilienhaus seiner Eltern am Berliner Stadtrand, in dem er damals wohnte.

Nico Schmolke, 24 Jahre, war zu dieser Zeit Vize-Chef der Berliner Jusos und engagierte sich gegen die aggressive Neonaziszene in seinem Bezirk Treptow-Köpenick. In der Nacht vor einem "Kiezspaziergang", bei dem Schmolke mit seinen Mitstreitern Neonazi-Aufkleber und Hakenkreuz-Schmierereien entfernen wollten, schleuderten Unbekannte einen Stein durchs Flurfenster seines Elternhauses und demolierten den Briefkasten. Ihre Botschaft: Wer sich gegen Rechts engagiert, lebt gefährlich.

Erst in dieser Nacht, sagt der Student, sei ihm richtig klar geworden, welches Risiko seine ehrenamtliche Arbeit barg. Ein Fernsehreporter wollte damals von ihm wissen, ob er sich vor weiteren Attacken fürchte. "Natürlich habe ich nicht zugegeben, dass ich Angst hatte", sagt Nico Schmolke heute. "Das war reiner Selbstschutz. Sonst hätte ich die Nazis ja noch ermuntert, mit ihren Attacken weiterzumachen."

Bloß keine Schwäche in der Öffentlichkeit zeigen: Auch andere Lokalpolitiker und Mitarbeiter von Beratungsstellen setzen auf diese Strategie. Was aber machen Angriffe und Bedrohungen mit denen, die sie treffen? Hierzu gibt es bisher weder systematische Untersuchungen, noch breite gesellschaftliche Debatten.

Drohungen und Gewalt als "effektive rechtsextreme Strategie"

Anette Hiemisch, Psychologie-Dozentin an der Universität Greifswald, hat in den vergangenen Jahren zwei kleinere Forschungsprojekte angestoßen,in denen sie Kommunalpolitiker und Mitarbeiter von Beratungsinstitutionen gegen Rechtsextremismus anonym zu Bedrohungserfahrungen durch Rechtsextreme befragt hat – mit besorgniserregenden Ergebnissen. Die Wissenschaftlerin fordert: Bedrohungserfahrungen und deren Folgen müssten umfassend dokumentiert und analysiert werden. Sie fürchtet, dass Drohungen eine für die rechtsextreme Szene durchaus effektive Strategie sind – und "belohnt" würden. Denn auch die verursachte Angst habe einen enormen "Wirkungsradius". Nur wollten die wenigsten Betroffenen – etwa Lokalpolitiker oder Mitarbeiter von Beratungsstellen – offen über ihre Ängste reden, aus Sorge, den Rechtsextremen damit noch ein Erfolgserlebnis zu verschaffen. Viele seien heute mit ihren Ängsten alleine, erführen wenig Solidarität, das persönliche Risiko lasse sich kaum abschätzen. Menschen mit Höhenangst könne man mit einem therapeutischen Gang über die hohe Brücke helfen. "Diesen Realitätscheck kann man bei der Angst vor Rechtsextremen nicht machen." Und wen solle angesichts des NSU-Terrors noch die Zusicherung beruhigen, meistens passiere doch nichts?

Nico Schmolke muss inzwischen nichts mehr beschönigen. Der Angriff auf sein Elternhaus liegt drei Jahre zurück. Der Politikstudent führt durch seine Nachbarschaft. Vor einem unscheinbaren Eckhaus unweit des Spreeufers bleibt er stehen. Dort trafen sich jahrelang Neonazis in der berüchtigten Eckkneipe "Zum Henker". Die Brückenstraße stand im Ruf, die "braunste Straße" der Hauptstadt zu sein. Eine Angstzone. Es gab rechtsextreme Wohngemeinschaften, der Berliner NPD-Chef Sebastian Schmidtke betrieb einen Militaria-Laden.

Aber der Stadtteil verändert sich. Am anderen Spreeufer hat ein Hochschul-Campus eröffnet. Der Eigentümer des Eckhauses setzte den Betreiber der Neonazi-Kneipe vor die Tür. Jetzt wirbt im Erdgeschoss ein neues italienisches Lokal für "die leckerste Pizza der Stadt". Auch der NPD-Funktionär musste seinen Laden mangels Kundschaft schließen. Ermutigende Erfolge für Nico Schmolke und seine Mitstreiter.

Doch bis heute weiß Nico Schmolke nicht, wer den Stein warf. Dafür hielt ihm der zuständige Polizeiführer in einem internen Schreiben vor, sein Engagement gegen Rechts diene auch der "Inszenierung und Positionierung der eigenen Person". Nico Schmolke klingt enttäuscht, wenn er über solche Erfahrungen mit der Polizei spricht. Sein Fall war schließlich keine Ausnahme. Auch bei einem Mitstreiter aus dem Bündnis für Demokratie und Toleranz schmissen Unbekannte einen Stein durchs Wohnzimmerfenster. Anfang 2015 dann: ein Brandanschlag auf das Auto dieses Mannes. Die Angreifer blieben unerkannt. "Ich kann mich an keine Einschüchterung eines politischen Gegners erinnern, die aufgeklärt wurde", versichert Schmolke.

Der Student kennt einige Mitstreiter, denen das Engagement irgendwann zu riskant wurde. Eine Bekannte zog sich aus der ersten Reihe zurück, nachdem die Reifen ihres Autos plattgestochen vorfand. Nico Schmolke selbst geht inzwischen zwar vorsichtiger mit seiner privaten Anschrift um, aber er macht weiter. Ihm habe immer geholfen, dass er so gut vernetzt sei, erzählt er. Nach dem Anschlag auf sein Elternhaus erhielt er sofort Unterstützung. Zum "Kiezspaziergang" am Tag danach kamen sogar mehr Menschen als erwartet. Der Bezirksbürgermeister solidarisierte sich öffentlich. Auch die Berliner SPD-Spitze stellte sich hinter den Juso. "Aber wenn das fehlt", fürchtet Nico Schmolke, "wird es total schwierig für die Betroffenen."

Astrid Geisler ist Parlamentskorrespondentin der Berliner Tageszeitung taz. Zusammen mit Christoph Schultheis hat sie 2011 das Buch „Heile Welten - Rechter Alltag in Deutschland“ veröffentlicht. Für ihre Recherchen über Rechtsextremismus erhielt sie unter anderem den Theodor-Wolff-Preis.