Meine Merkliste Geteilte Merkliste PDF oder EPUB erstellen

Wer sind die Opfer – und wie werden sie dazu gemacht? | Rechtsextremismus | bpb.de

Rechtsextremismus Was ist Rechtsextremismus? Rassismus Was ist eigentlich Rassismus? Rassen? Gibt's doch gar nicht! Warum ist es so schwer, von Rassismus zu sprechen? Alltagsrassismus Rassentheorien und Rassismus in Asien im 19. und 20. Jahrhundert Infografik Rassismus Verschwörungstheorien Jüdische Weltverschwörung, UFOs und das NSU-Phantom Die Reichsideologie Die Protokolle der Weisen von Zion Debatte: Extremismustheorie Der Extremismusbegriff Kritische Anmerkungen zum Extremismuskonzept Weiterführende Literatur Ideologie Rechtsextreme Einstellungen Zur Entwicklung des Rechtsextremismus in Deutschland Was denkt die NPD? Rechtsextremismus: die internationale Debatte Intellektueller Rechtsextremismus Muslimfeindlichkeit Islamfeindlichkeit, Islamophobie, Islamkritik Interview Hafez Muslimfeindlichkeit als rechtsextremes Einfallstor Virtuelle Kreuzritter Konkurrenz der Leidtragenden Quellentext: Islamfeindlichkeit und Antisemitismus ähneln einander Antisemitismus Antisemitismus heute Interview mit Marina Chernivsky Antisemitismuskritische Bildungsarbeit Die AfD und der Antisemitismus Verbreitung des Antisemitismus in Deutschland Ungezählte Opfer Ursachen und Prävention des Rechtsextremismus Wie organisieren sich Rechtsextreme? Internationale Netzwerke Die Eurasierbewegung und die Neue Rechte Die APF: Europas rechtsextremer Rand Rechtsextreme US-Szene Wie Russland den rechten Rand in Europa inspiriert Globalisierte Anti-Globalisten Die Identitären Neonazis in Russland Hammerskins Kampfsport, Runen, Rassenhass Rechtsextremistische Parteien in Europa Rechtsextremismus in Russland (Miss-)Erfolge der „Identitären“ NPD Mehr als 50 Jahre rechtsextrem Das Parteiprogramm der NPD Frauen in der NPD Radikal besorgte Bürger Wer wählt eigentlich rechtsextrem? NPD-Taktiken Das Potenzial der NPD NPD-Verbot und Parteienfinanzierung Autonome Nationalisten Turnschuhe statt Springerstiefel "Dortmund ist unsere Stadt" Aussteigerinterview Webtalk: Autonome Nationalisten Rechtsextreme Parteien in Europa Rechtsextreme Akteure in Deutschland Rechtsextreme Szenen und Medien Rechtsextremismus in der Einwanderungsgesellschaft Interview mit Eberhard Seibel Heimatliebe, Nationalstolz und Rassismus Graue Wölfe Nationalismus und Autoritarismus auf Türkisch Antisemitismus bei Muslimen Russlanddeutsche GMF bei Polnischstämmigen Debatte: "Deutschenfeindlichkeit" Jugendkulturen Runen gestern, heute, morgen Jugendkulturen im Wandel Codes der rechtsextremen Szene Interview mit Christoph Schulze Tipps für Jugendeinrichtungen Burschenschaften Kameradschaften Neonazis hinter weißen Masken Kameradschaften im Visier Einführung Jugendkultur Kampfsport Was liest der rechte Rand? Geschichte der rechtsextremen Presse Gegenöffentlichkeit von rechtsaußen Der rechte Rand: Verlage Der rechte Rand: Publikationen Audio-Slideshow Männer Männliche Überlegenheitsvorstellungen Homosexualität Rechtsextreme Männerbilder Soldatische Männlichkeit Burschenschafter Autoritär-rechte Männlichkeiten Musik Die neonazistische Musik-Szene Neue Töne von Rechtsaußen Rechtsrock für's Vaterland Rechtsrock: Millionen mit Hass Verklausulierte Volksverhetzung Interview mit David Begrich Elf rechte Bands im Überblick Frauen Auf die sanfte Tour Feminismus von rechts Rechte Aktivistinnen Frauen in der NPD Rechtsradikale Frauen Rechtsextrem orientierte Frauen und Mädchen Frauen im rechtsextremen Spektrum Aussteigerinnen Nazis im Netz Roots Germania Rechtsextremismus im Internet Das braune Netz Neonazis im Web 2.0 Zocken am rechten Rand TikTok und Rechtsextremismus Das Internet als rechtsextreme Erfolgsgeschichte? Rechtsextremismus und Presse Interview mit Ulrich Wolf Der NSU und die Medienberichterstattung Umgang mit Leserkommentaren Ein kurzer Ratgeber für Journalisten Krimi gegen Rechts Tonangebende rechtsextreme Printmedien Wenn Neonazis Kinder kriegen Die nächste Generation Hass Umgang mit Kindern von Neonazis Eine Mutter und ihre Kinder steigen aus "Mein Kampf" "Wir wollen den Zünder ausbauen" Helfen Gesetze gegen "Mein Kampf"? Gemeinfrei: "Mein Kampf" Hitlers "Mein Kampf" – ein unterschätztes Buch Rechtsextreme Kampagnen-Themen "Gender" und "Genderwahn" Ökologie Grüne Braune Wie grün waren die Nazis? Interview mit Elisabeth Siebert Debatte: Kommunale Flüchtlingspolitik Nach Köln Flüchtlingsunterkünfte Interview mit Oliver Malchow Was kommunale Flüchtlingspolitik leisten kann – und muss Deutsche Asylpolitik, europäischer Kontext Wer erhält welches Asyl? "Ich habe nichts gegen Flüchtlinge, aber …" – Ein Faktencheck Anstoß in der Kreisklasse Handlungsspielraum der Kommunen Meinung: Die Probleme waren schon vor den Flüchtlingen da Meinung: Kommunale Flüchtlingspolitik aus der Sicht des Bundes Meinung: Probleme und Lösungswege in der kommunalen Flüchtlingspolitik Meinung: Flüchtlingsarbeit in den Kommunen – Eine Herausforderung für Politik und Gesellschaft TwitterChat: Kommunale Flüchtlingspolitik Fußball Judenhass im Fußball Film: Rechtsextremismus und Diskriminierung in deutschen Fußballstadien Interaktiver Webtalk: Über den rechten Flügel – Neonazis und Fußball Fußball und Rechtsextremismus Interaktive Grafik: Rechtsextreme Vorfälle in Fußballstadien Angriff von rechtsaußen Rechtsextreme BVB-Fans Audio-Interview: Martin Endemann über Rassismus im deutschen Fußball Audio: Ronny Blaschke über rechte Fangesänge im Stadion Vereine und Verbände Extrem rechte Fußballfans und die Nationalmannschaft des DFB Die Erzählung vom ‘großen Austausch’ Krisen, Unsicherheit und (extrem) rechte Einstellungen Grauzonen Die "Neue Rechte" Interview mit Maren Brandenburger Der rechte Rand des politischen Systems der Bundesrepublik Die völkische Bewegung Die Junge Freiheit Das Institut für Staatspolitik Völkische Jugendbünde Die "Neue Rechte" in der Bundesrepublik Querdenken und Verschwörungserzählungen in Zeiten der Pandemie Rechtsextreme Esoterik Rechtsextreme Diskursstrategien Rechtsextreme Gewalt Rechtsextreme Gewalt Angriff auf die Lokalpolitik Rechtsterrorismus Der Einzeltäter im Terrorismus Der Weg zum NSU-Urteil NSU-Verfahren Storify des Chats zu #3JahreNSUprozess Der Anschlag auf Henriette Reker Video: Die migrantische Community und der NSU Der NSU-Untersuchungsausschuss Protokolle NSU-Ausschuss Chat: NSU-Untersuchungsausschuss Interaktive Grafik: Die Taten des NSU Der NSU Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) Die rechtsextreme Szene und der NSU Der Rechtsterrorismus im Verborgenen Chronik des Rechtsterrorismus Rechtsterrorismus in Europa PMK – Methoden und Debatten PMK – Statistiken Opfergruppen und Feindbilder Wo Demokraten gefährlich leben Die Geschichte des Orazio Giamblanco Wohnungslose Menschen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit Was ist Sozialdarwinismus? Wer sind die Opfer? Ausstieg Warum und wie aussteigen? Debatte über echten Ausstieg Interview mit Aussteiger Rochow Pädagogische Arbeitsfelder Netzwerke in Norddeutschland Gewalt gegen Geflüchtete Unvollständige Erinnerung Umgang mit Rechtsextremismus Debatte: Soll man mit Neonazis reden? Toralf Staud: Soll man mit Neonazis reden? Cornelius Weiss: Argumentieren auf allen Ebenen Grit Hanneforth: keine Nazis auf Veranstaltungen Stefan Niggemeier: Ablehnung begründen Andreas Hechler: Entscheidend ist der Kontext Klaus-Peter Hufer: Argumente wirken Simone Rafael: Rassismus widersprechen Initiativen und Zivilgesellschaft Debatte: Was tun bei einem rechtsextremen Aufmarsch? Der rechtsextreme "Kampf um die Straße" Wolfgang Thierse: Wir müssen den öffentlichen Raum gegen die Besetzung durch Rechtsextreme verteidigen Hans-Ernst Böttcher: Man muss nur das Recht anwenden … wollen! Anna Spangenberg: Erfolgreich rechtsextreme Aufmärsche verhindern Herbert Trimbach: Versammlungsfreiheit ist ein Menschenrecht Politische Konzepte Wie sag ich Dass Auschwitz sich nie wiederhole... Denkanstöße aus dem Kanzleramt Bildung, Bildung, Bildung NPD trockenlegen? Wie kann Aussteigern geholfen werden? Interview MVP Forderungen von Projekten an die Politik HDJ-Verbot Strategien im Umgang mit der NPD in Parlamenten Noch mehr Vorschläge Schule Hakenkreuze an der Tafel Interview Reinhard Koch Analyse Albert Scherr Aufsatz Scherr / Schäuble Schülerzeitung Martinshorn Neonazis auf SchülerVZ Studie Uni-Seminar Was können Schülerinnen und Schüler tun? Antidemokratische Positionen und Einstellungen in Schulen Strategien Offener Brief an einen Oberbürgermeister Wie man Hakenkreuze kreativ entschärfen kann Gewalt vermeiden, aber wie? Parolen parieren! Was tun als Opfer rechter Gewalt? Engagement – lohnt das denn? Guter Rat, wenn Nazis stören Rezepte gegen Rechtsextremismus Argumente gegen rechte Vorurteile Vom Hass verabschieden Marke gegen Rechtsextremismus Und Du? Podcasts und Audios Glossar und FAQs Videos und Bilderstrecken Angaben zur Redaktion

Wer sind die Opfer – und wie werden sie dazu gemacht?

Gideon Botsch Christoph Kopke

/ 9 Minuten zu lesen

Seit Jahren sorgen rechtsextrem oder rassistisch motivierte Gewalttaten, Körperverletzungen und Tötungsdelikte immer wieder für mediale Schlagzeilen und öffentliches Aufsehen.

Menschen werden aufgrund ihres Erscheinungsbildes, ihrer vermeintlich ausländischen Herkunft, ihrer politischen Einstellung oder ihrer sexuellen Orientierung u.a. zu Opfern der Hasskriminalität von rechts.

Ein Dorn im Auge der Nazis: Diese Demonstranten freuen sich über die Einführung der Homoehe im US-Bundesstaat North Carolina. (© picture-alliance)

Die extrem rechte Gewalt trifft regelmäßig u.a.:

  • Nicht-rechte Jugendliche; nicht rechte Jugendkulturen (z.B. Punks); linke und „alternative“ Jugendliche.

  • Sozialschwache und Obdachlose

  • Homosexuelle

  • „Fremde“ (Ausländerinnen und Ausländer, Muslima und Muslime bzw. Menschen, die dafür gehalten werden)

  • Angehörige der politischen Linken

  • Menschen die sich gegen Rechtsextremismus engagieren

  • Juden

  • Menschen mit Behinderung

Warum werden Angehörige dieser Gruppen zu Opfern rassistischer oder rechtsextremer Gewalt? Wo liegt der gemeinsame Nenner dieser Gruppen für die rechte Szene?

Zunächst einmal: Gewalt und Terror waren und sind zentrale Elemente jeder faschistischen, rechtsradikalen oder rechtsextremen Ideologie und immer wieder auch Teil ihrer Praxis. "Gewaltakzeptanz" erscheint geradezu als "Grundelement" des Rechtsextremismus. Ein striktes Freund-Feind-Denken und klare Feindbilder sind integraler Bestandteil rechtsextremer Einstellungen oder Weltanschauungen. Zwar bedienen sich auch andere politische Bewegungen der Gewalt als Mittel der Politik, auch sind Feindbilder an sich nicht spezifisch rechtsextrem. Aber rechtsextreme Ideologie lebt davon, Feindgruppen zu benennen und ihnen den Kampf anzusagen. Zu beobachten ist jedoch ein taktischer oder strategischer Verzicht auf die Anwendung von Gewalt.

Als ein Kern der rechtsextremen Ideologie bzw. des rechtsextremen Denkens erscheint die Vorstellung, Menschen seien grundsätzlich nicht gleich und vor allem auch nicht gleichwertig. Dies wird in der Politikwissenschaft auch als "Antiegalitarismus" bezeichnet. Das heißt, Menschen sind für die extreme Rechte nicht nur in ihren Eigenschaften, Fähigkeiten und Vorlieben unterschiedlich. Vielmehr sind sie als prinzipiell "ungleichwertig" anzusehen und entsprechend zu behandeln, weswegen ein Teil der Forschung rechtsextreme Ideologien als "Ideologien der Ungleichwertigkeit" bezeichnet.

Generell lässt sich sagen, dass übereinstimmend mit ihrer Ideologie Rechtsextreme idealtypisch drei Gruppen von Feinden benennen und bekämpfen, wobei diese Gruppen nicht isoliert voneinander existieren, sondern ineinander übergehen:

Erstens Menschengruppen, die sie für "weniger wert" halten als Angehörige der eigenen Gruppe, bzw. des eigenen nationalen Kollektivs. Oder Menschen, die das eigene als biologische Einheit bzw. Abstammungsgemeinschaft definierte "Volk" in seiner Existenz bedrohen. Dazu gehören "Ausländer", Juden, Muslime, Menschen mit anderer Hautfarbe, Homosexuelle, aber auch sozial Schwache, Obdachlose oder Menschen mit Behinderungen. Beispielhaft kann hier Emil Wendland aus Neuruppin herangezogen werden: Der Obdachlose wurde am 1. Juli 1992 im Rosengarten in Neuruppin erstochen. Drei Skinheads verabredeten sich zum ‚Penner klatschen‘ und stießen auf den 50-Jährigen. Nachdem sie ihn zusammengeschlagen hatten, stach einer der Angreifer mit einem Messer auf den Wehrlosen ein. Im Oktober 1993 verurteilt das Landgericht Potsdam den 20-jährigen Haupttäter Mirko H. wegen Totschlags zu sieben Jahren Jugendstrafe. Das Gericht stellte fest, H. habe sein Opfer für ‚einen Menschen zweiter Klasse gehalten‘. Ein Mittäter wurde wegen schwerer Körperverletzung zu drei Jahren Jugendhaft verurteilt."

Zweitens Menschen, die in ihren Augen dem Ideal einer Gesellschaft der "Ungleichen" entgegenarbeiten – das heißt vor allem Angehörige der politischen Linken, der Gewerkschaften usw. Darüber hinaus aber auch Menschen, die von gewohnten Verhaltensweisen abweichen, ungewohnte Wege gehen, Neues ausprobieren. Dies können Angehörige alternativer Jugendkulturen sein, die zugleich oftmals für "links" erklärt werden, wie Hip-Hopper und vor allem Punks. Auch Menschen gehören dazu, die Normen der Sexualität oder der Geschlechterverhältnisse hinterfragen oder auflösen wollen, ihre Homosexualität offen leben oder Feministinnen, die Frauen (und damit auch Männer) aus überkommenen Vorstellungen über die natürliche Rollenverteilung zwischen Mann und Frau befreien wollen.

Der Punk Torsten Lamprecht wurde 1992 bei einem Überfall auf eine Geburtstagsfeier in Magdeburg von Neonazis erschlagen. Mehr als 50 Rechtsextreme griffen die 30 Partygäste mit Baseballschlägern, Stahlrohren und Leuchtkugeln an. Acht Personen kamen schwer verletzt ins Krankenhaus. Lamprecht überlebte den Überfall nicht. Er starb zwei Tage später an den Folgen eines Schädelbasisbruchs.

Drittens Gegner des Rechtsextremismus im engeren Sinne, also alle Personenkreise in Staat, Gesellschaft, Kirchen und Weltanschauungsgemeinschaften, Schulen und Medien, die ihn politisch bekämpfen, über rechtsextreme Aktivitäten und Hintergründe aufklären, Straftaten verfolgen und ahnden.

Besonders ist hier der Mord an drei Polizisten in Dortmund im Jahr 2000 anzuführen. Täter war der 31-jährige Rechtsextremist Michael Berger, der sich nach der Tat selbst tötete. Der Polizeikommissar Thomas Goretzky und seine Kollegin wollten den Autofahrer kontrollieren, da dieser nicht angeschnallt fuhr und auf entsprechende Zeichen nicht reagierte, sondern die Flucht ergriff. Nach einer Verfolgungsjagd eröffnete Berger das Feuer. Thomas Goretzky starb sofort, seine Kollegin erlitt eine Schussverletzung. Im Verlauf seiner weiteren Flucht erschoss Berger die Polizisten Yvonne Hachtkemper und Matthias Larisch von Woitowitz. In der Wohnung des Täters fand die Polizei mehrere Schusswaffen, eine Splitterhandgranate, Munition, Stichwaffen sowie Bergers DVU- Mitgliedsausweis und weitere Materialien rechtsextremer Gruppierungen. Später tauchten in der Stadt Aufkleber und Flugblätter der Kameradschaft Dortmund auf: "Berger war ein Freund von uns. 3:1 für Deutschland." Die Trauerstätte für die Toten wurde verwüstet und mit dem Spruch "Scheiß Bullen! Krepieren sollen sie alle!" beschmiert. Zwar wurde der Fall offiziell nicht als Fall politisch motivierter Kriminalität eingestuft, dennoch dürfte der kaltblütige Mord Bergers mit seiner Gesinnung in engem Zusammenhang stehen.

Schaffung gemeinsamer Feindbilder zur Mitgliedergewinnung

Entsprechend dem im Rechtsextremismus weit verbreiteten Hang zum Verschwörungsdenken werden zum Verständnis komplexer gesellschaftlicher Prozesse (wie z.B. Globalisierung, Migration, demographischer Wandel) oft einfache Gründe ausgemacht und dafür zu benennende Verantwortliche gesucht. Häufig suchen Rechtsextreme nach einer Macht im Hintergrund, die für alle vermeintlichen und tatsächlichen negativen Tendenzen und Erscheinungsformen in der Gesellschaft insgesamt verantwortlich gemacht werden kann. Einer Macht, die auch die politischen Gegnergruppen steuert und die „weniger wertvollen“ Gruppen auf Kosten der „höherwertigen“ fördert. Schon seit Ende des 19. Jahrhunderts behaupten Rechtsextreme regelmäßig, dass „die Juden“ oder „das Judentum“ dafür verantwortlich seien und eine geheime Macht im Hintergrund darstellten.

So wird auch heute noch von einem Teil der Szene der gesamte Staat abgelehnt, da dieser im Auftrag des Weltjudentums an der Auslöschung des deutschen Volkes arbeite. Hinter dem Handeln der jeweiligen Regierung bzw. hinter unserem Staatswesen werden jüdische Drahtzieher vermutet. Die angeblich jüdisch beherrschte Regierung wird gelegentlich als „Zionist Occupied Government“ (ZOG) (Zionistisch besetzte Regierung) bezeichnet.

Die Benennung von Feindbildern und die – oftmals gewalttätige – Bekämpfung dieser Feindgruppen haben darüber hinaus wichtige Funktionen für rechtsextreme Gruppen und Cliquen. Indem verbreitete Vorurteile und Stereotype angesprochen und radikalisiert werden, gewinnt die Szene neue Mitglieder. Durch die gemeinsame Frontstellung gegen diese Feinde wird sie zusammen gehalten, und ihr Aktivismus wird auf konkrete Ziele gelenkt.

So berichtet ein Aussteiger aus dem Milieu der neonazistischen „Kameradschaftsszene“: „Das Schaffen von Feindbildern, die konkrete Identifizierung sowie das System und die Arten ihrer Bekämpfung sind in der Bindung, Bildung und in der mentalen Prägung von erstrangiger Bedeutung. Die Feindbilder sind Kategorien, die gebildet werden, um das Böse zu bezeichnen und die dahinter Stehenden bekämpfbar zu machen, den Kampf zu legitimieren und dazu grundsätzlich und in Situationen automatisiert anzustacheln. Das Feindbild liefert gleich Bekämpfungsansätze mit. Feindbilder sind: Demokraten, Linke, Gutmenschen, Israel /Judentum, Multikulti, Islam, Schwule, Behinderte und weitere ...“

Wichtig für die Produktion von Feindbildern ist es, diese in den Köpfen und im Unterbewusstsein der eigenen Klientel – und darüber hinaus möglichst auch in weiteren gesellschaftlichen Kreisen – fest zu verankern. Sie werden daher stetig wiederholt. Das lässt sich am besten an den Texten rechtsextremer Musikgruppen studieren, die wie kaum ein anderes Medium seit den 1990ern für die Verbreitung und Verfestigung von aggressiven Feindbildern gesorgt haben. Einige dieser Texte enthalten regelrechte Handlungsaufforderungen an die Zuhörer, detaillierte Beschreibungen, wie mit dem Feind zu verfahren sei. Das kann bis zu unmittelbaren Mordaufrufen reichen, wie in dem schon etwas älteren Lied „Kanacken“ der Band „Standarte“: „Siehst Du einen Türken/in einer Straßenbahn/Schaut er Dich irgendwie/provozierend an/dann stehst Du einfach auf/und haust ihm eine rein/Du ziehst Dein Messer/und stichst siebzehnmal hinein“. In mehreren Fällen von brutalen Übergriffen auf Ausländer - so etwa bei der tödlichen Hetzjagd von Guben‘ im Frühjahr 1999, bei der Faird Guendoul zu Tode kam, oder im Juni 2000 beim Mord an dem Mosambikaner Alberto Adriano in Dessau -, steht fest, dass die Täter zuvor rechtsextreme Musik konsumiert hatten und die Bereitschaft zur Tat dadurch angestachelt, befeuert oder sogar hervorgerufen wurde. Auch Printmedien und Internetseiten können der Erzeugung, Stabilisierung und Mobilisierung von rechtsextremen Feindbildern dienen.

Bei manchen rechtsextrem motivierten Gewalttaten handelt es sich um politisch zielgerichtete und konspirativ vorbereitete Angriffe und Überfälle. Dabei sind zumeist ideologisch hoch radikalisierte Täterinnen und Täter am Werk. Hier wären zahlreiche militante und terroristische Aktionen aus der rechtsextremen Szene seit den 1970er Jahren und vor allem die Mord- und Anschlagsserie des NSU zu erwähnen. Weitaus häufiger erscheinen allerdings ungeplante, sich aus einem konkreten Geschehen heraus situativ ergebene Taten. In der am Potsdamer Moses-Mendelssohn-Zentrum durchgeführten Externer Link: Untersuchung zu den Todesopfern rechtsextremer Gewalt in Brandenburg konnte beispielsweise nur in wenigen Fällen eine zielgerichtete Umsetzung politischer Absichten erkannt werden. „Festzustellen ist bei vielen Tätern der von uns untersuchten Fälle jedoch eine sehr schlichte, aber doch deutliche Gesinnung, insbesondere ein deutliches Feindbild. Die Täter geraten – manchmal durchaus eher zufällig – in Situationen (z.B. in Konflikte), die von ihnen mit Hilfe ihrer 'Ideologie' interpretiert und bewältigt werden. Da sich diese oft letztlich auf ein Feindbild reduziert, agieren sie häufig sehr brutal ('Feindvernichtung'), wo andere vielleicht nur verbal oder gar nicht reagieren würden.“

Das heißt, selbst wenn die Ideologie oft eher schwach ausgeprägt erscheint, existieren bei Rechtsextremisten klare Feindbilder, die je nach Gelegenheit handlungsleitend werden können. Auch in einer aktuellen Studie über „Rechts motivierte Mehrfach- und Intensivtäter in Sachsen“, die am Dresdner Hannah-Arendt-Institut erstellt wurde, wird auf den engen Zusammenhang von Feindbildern und entsprechenden Gewaltstraftaten hingewiesen. „Als signifikante Feindbilder wurden ‚Linke‘, ‚Staat‘, ‚Ausländer‘ und ‚Juden‘ identifiziert. Diese wurden als Verursacher aller von den ‚rechten‘ Aktivisten definierten Problemen bekämpft und diffamiert.“ Gleichzeitig erfolgt über die Benennung von Feinden auch eine Aufwertung des eigenen (gruppenbezogenen) Selbstbildes. Die größte Opfergruppe rechtsextremer Gewalt dieser Tätergruppe sind der Studie zufolge übrigens männliche Jugendliche und Heranwachsende, die von den Tätern als „links“ oder „alternativ“ identifiziert werden. Sie gelten geradezu als „prädisponierte Opfer“ rechter Gewalt.

Zusammenfassend lässt sich rechtsextreme Gewalt dadurch charakterisieren, dass sie sich gegen bestimmte Gruppen von Menschen richtet, die wiederum bestimmten Feindbildern entsprechen. Grundlage für diese Feindbilder sind rechtsextreme Weltbilder und ihre Versatzstücke, die verschiedenen Ideologien der Ungleichheit, an erster Stelle völkischer oder ethnischer Nationalismus. Dabei erfüllen Feindbilder verschiedene Funktionen. Sie stabilisieren das rechtsextreme Lager nach innen und dienen der Bekämpfung und Einschüchterung von Gruppen, die als gegnerisch markiert werden. Außerdem dienen sie der Durchsetzung der politischen Ziele des Rechtsextremismus. Ohne Feindbilder kommt die extreme Rechte grundsätzlich nicht aus.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. zu theoretischen Überlegungen und empirischen Forschungsergebnissen die Studie: Böttger, Andreas / Lobermeier, Olaf / Plachta, Katarzyna: Opfer rechtsextremer Gewalt. Wiesbaden 2014.

  2. In ihrer Studie Jugendliche im Dunkelfeld rechtsextremer Gewalt benennen Martin Schmid und Marcus Storni vier jugendliche Opfergruppen rechtsextremer Gewalt: engagierte Linke; alternative Linke; Randgruppen [z.B. jugendliche Drogengebraucher] und Jugendliche mit Migrationshintergrund. Vgl.: Schmid, Martin / Storni, Marcus: Jugendliche im Dunkelfeld rechtsextremer Gewalt. Viktimisierungsprozesse und Bewältigungsstrategien. Zürich 2009.

  3. Heitmeyer, Wilhelm u.a.: Die Bielefelder Rechtsextremismus-Studie. Erste Langzeituntersuchung zur politischen Sozialisation männlicher Jugendlicher. Weinheim/München 1992, S. 14.

  4. Vgl.: Schwagerl, H. Joachim: Rechtsextremes Denken. Merkmale und Methoden. Frankfurt/Main 1993, insbes. 44ff.

  5. Externer Link: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2010-09/todesopfer-rechte-gewalt/seite-4 (16.04.2015)

  6. Vgl. ausführlich: Gedenken an von Neonazi ermordete Polizisten, Externer Link: http://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2015/05/22/gedenken-an-von-neonazi-ermordete-polizisten_19413 (23.06.2015); Vgl. auch: Ministerium des Innern des Land Brandenburg (Hrsg.): Feindbild Polizei. Wie reden Rechtsextreme über die Polizei? Potsdam 2013.

  7. Sorge, Christoph: Rekrutierung und Zulauf zu den Freien Kräften des „Nationalen Widerstandes“, in: Journal EXIT-Deutschland. Zeitschrift für Deradikalisierung und demokratische Kultur, Nr. 1/2015, S. 161-166, hier: S. 165.

  8. Zit. nach Botsch, Gideon: Gewalt, Profit und Propaganda. Konturen des rechtsextremen Musiknetzwerkes, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 46 (2001), S. 335-344, hier: S. 341.

  9. Zu einzelnen Beispielen vgl.: Kleffner, Heike: Rechtsrock: Landser, Landser, gute Reise, in: Tageszeitung (Taz), 23. Dezember 2003. Vgl. generell auch.: Botsch, Gideon / Kopke, Christoph: Landser-Band (Berliner Rockmusikband), in: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Hg. von Wolfgang Benz. Band 7: Literatur, Film, Theater und Kunst. Berlin: de Gruyter Saur 2014, S. 274-276.

  10. Feldmann, Dorina / Kopke, Christoph / Schultz, Gebhard: Todesopfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg (1990-2008). Zur Problematik der statistischen Erfassung politisch motivierter Kriminalität, in: Frindte, Wolfgang/ Geschke, Daniel/ Haußecker, Nicole/ Schmidtke, Franziska (Hrsg.) (2015). Rechtsextremismus und „Nationalsozialistischer Untergrund“. Interdisziplinäre Debatten, Befunde und Bilanzen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaft, S. 341-358, hier: S. 349-350.

  11. Haase, Anna-Maria: Rechts motivierte Mehrfach- und Intensivtäter in Sachsen – Ergebnisse einer Studie des Hannah-Arendt-Instituts, in: Jahrbuch öffentliche Sicherheit (JBÖS) 2014/2015, Frankfurt: Verlag für Polizeiwissenschaft 2015, S. 261-271, 269.

  12. Ebd., S. 268.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autoren/-innen: Gideon Botsch, Christoph Kopke für bpb.de

Sie dürfen den Text unter Nennung der Lizenz CC BY-NC-ND 3.0 DE und der Autoren/-innen teilen.
Urheberrechtliche Angaben zu Bildern / Grafiken / Videos finden sich direkt bei den Abbildungen.
Sie wollen einen Inhalt von bpb.de nutzen?

Gideon Botsch ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Moses-Mendelsohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam. Der habilitierte Politikwissenschaftler veröffentlichte 2012 mit "Die extreme Rechte in der Bundesrepublik 1949 bis heute" eine umfassende Gesamtdarstellung der Geschichte des Neonazismus in der BRD. Mit Christoph Kopke schrieb er 2009 das Buch: "Die NPD und ihr Milieu. Studien und Berichte".

Christoph Kopke ist wissenschaftlicher Mitarbeiter im Forschungsprojekt "Überprüfung umstrittener Altfälle 'Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt in Brandenburg'" des Moses-Mendelsohn-Zentrums für europäisch-jüdische Studien der Universität Potsdam. Seine Forschungsschwerpunkte sind Rechtsextremismus und Antisemitismus. Mit Gideon Botsch schrieb er 2009 das Buch: "Die NPD und ihr Milieu. Studien und Berichte".