Tatsächlich gibt es Probleme, mit denen insbesondere die Kommunen konfrontiert sind. Doch keines davon ist ursächlich auf die Aufnahme von Flüchtlingen zurückzuführen. Die Probleme sind vielmehr die Folge politischer Fehlentwicklungen, die durch den schnellen Anstieg der Flüchtlingszahlen deutlicher zu Tage treten:
In Ballungsräumen fehlt schon lange bezahlbarer Wohnraum, unter anderem, weil vor Jahren der soziale Wohnungsbau eingestellt und öffentliches Wohneigentum weitgehend privatisiert wurde. Der sogenannte flüchtlingspolitische "Unterbringungsnotstand" ist Folge dieser Wohnraum- und Mietenpolitik, unter der inzwischen breite Schichten der Bevölkerung zu leiden haben. Statt der Forderung nach Sonderzahlungen für Flüchtlingsunterbringung könnten Kommunen die Wiederbelebung des Sozialen Wohnungsbaus aus Bundesmitteln auf die Tagesordnung setzen. Davon würden letztendlich alle profitieren.
Der massive Abbau von Infrastruktur vor allem in ländlichen Regionen – die Einstellung von Zug- und Busverbindungen, das Fehlen von Ärztinnen und Ärzten oder Psychotherapeutinnen und -therapeuten oder die Schließung von Schulen und Kitas – trifft die lokale Bevölkerung schon lange: Ohne Auto ist man auf dem Land aufgeschmissen, und das nicht nur in der tiefsten Provinz. Für Flüchtlinge sind die Auswirkungen dieser Unterversorgung besonders schwerwiegend, aber sie entsteht nicht durch ihren Zuzug. Im Gegenteil: der Zuzug kann hier und da Chancen eröffnen, um zum Beispiel die örtliche Kita oder Schule zu erhalten.
Auch der Rassismus, der sich vielerorts massiv gegen Flüchtlinge entlädt, ist nicht Folge ihres Zuzugs, sondern ein alt bekanntes und immer wieder neu angeheiztes Phänomen.
In einer Forsa-Umfrage 2014 lehnte ein Drittel der Befragten die Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften in ihrer Nachbarschaft rundweg ab. Aber immerhin gaben 66 Prozent an, nichts dagegen zu haben. Doch diese Befürworterinnen und Befürworter werden genauso wenig in kommunale flüchtlingspolitische Entscheidungen mit einbezogen wie die Flüchtlinge selbst. Kommunalpolitische Defizite an Transparenz und Bürgerbeteiligung sind wie alle anderen hier genannten Probleme nicht neu. Sie wirken sich oft negativ auf die Chancen gelingender Flüchtlingsaufnahme aus, und es liegt ausschließlich in der Hand der kommunalen Verwaltung, sie zu beheben. Deshalb soll hier am Beispiel von Kommunen in Brandenburg auf das Demokratiedefizit bei Entscheidungen über die Unterbringung von Flüchtlingen eingegangen werden.
Fakt ist: Fast jede Ankündigung einer neuen Flüchtlingsunterkunft mobilisiert Einheimische, die sich häufig zu Hunderten auf Bürgerversammlungen einfinden. Oft wird Hilfsbereitschaft artikuliert und Willkommensinitiativen werden gegründet. Häufiger jedoch bildet sich eine Front aus ressentimentgeladenen Bürgerinnen und Bürgern und "Nein-zum-Heim"-Neonazis. Die für die Flüchtlingsunterbringung zuständigen kommunalen Verwaltungen haben sich inzwischen Techniken angeeignet, um Anti-Asyl-Proteste gar nicht erst hochkochen zu lassen: Sie informieren frühzeitig über Entscheidungen, laden direkte Anlieger/innen ein, kontrollieren den Einlass zu Bürgerversammlungen, verzichten auf ein offenes Saalmikrofon und unterscheiden rassistische Vorurteile von lösbaren Problemen. Vor allem aber verfahren sie nach der Maxime: An den Entscheidungen der Verwaltung darf nicht gerüttelt werden. Begründet wird diese Einstellung entweder mit einem Bekenntnis zum Flüchtlingsschutz oder mit bloßen Rechtsvorschriften. In beiden Fällen lautet die Botschaft: Echte Bürgerbeteiligung an den Entscheidungen über die Art der Unterbringung von Flüchtlingen ist nicht vorgesehen.
So wichtig und richtig es ist, dass Kreisverwaltungen rassistischen Vorurteilen nicht nachgeben, so problematisch ist es, den Anspruch auf Bürgerbeteiligung generell abzuwehren. Verwaltungen sollten nicht alleine bestimmen, wie Flüchtlinge aufgenommen werden. Ihre Entscheidungen sind allzu oft desaströs, weil sie vor allem darauf zielen, so schnell wie möglich so viele Flüchtlinge wie möglich unterzubringen. Zwei Beispiele sollen verdeutlichen, wie wichtig eine konstruktive Bürgerbeteiligung ist.
Niederlehme: Ablehnung integrationsfeindlicher Planungen
Der Landkreis Dahme-Spreewald in Brandenburg kündigt im Januar 2015 an, in Niederlehme eine Gemeinschaftsunterkunft für 400 Personen in einer seit den 1990er Jahren leerstehenden Kaserne mitten in einem Wald einzurichten. Sogleich formiert sich eine Initiative gegen die Standortentscheidung. Sie nennt sich "Integration richtig & fair" und setzt sich sehr heterogen zusammen: aus Bürgerinnen und Bürgern, die schon in anderen Willkommensinitiativen engagiert sind, solchen, die noch keinen direkten Kontakt mit Flüchtlingen hatten, diese aber unterstützen würden, und auch Bürgerinnen und Bürger, die die Aufnahme von Flüchtlingen generell ablehnen. Die Initiative argumentiert, dass eine Gemeinschaftsunterkunft dieser Größe, Abgelegenheit und ohne Infrastruktur eine menschenwürdige Unterbringung unmöglich macht. Sie fordert die Unterbringung in Wohnungen oder in kleineren Einheiten, was im Norden des Landkreises Dahme-Spreewald, der zum Speckgürtel Berlins gehört, keine leichte Aufgabe ist.
Auf der Bürgerversammlung ist die Kreisverwaltung von den Argumenten der "Integration richtig & fair"-Initiative irritiert, eingestellt war man auf die üblichen rassistischen Ressentiments. Einen Monat später gibt die Kreisverwaltung ihren ursprünglichen Plan auf. Offiziell heißt es, man habe sich mit dem Eigentümer der Liegenschaft nicht einigen können. Der Bürgermeister von Königs Wusterhausen bestätigt jedoch, dass der Protest der Initiative eine Rolle gespielt habe.
Oderberg: Intransparenz und Diktat der Kreisverwaltung
Ab Dezember 2013 werden in Oderberg, einer Kleinstadt mit 2100 Einwohner/innen im Landkreis Barnim, unweit der Grenze zu Polen, in einem Plattenbau nach und nach zwölf Wohnungen mit bis zu 60 Flüchtlingen belegt. Einen Monat zuvor hatte die rechtsextreme Splitterpartei "Die Rechte" eine Kundgebung gegen die Unterbringung der Flüchtlinge abgehalten. Gekommen waren 35 Neonazis, doch die Bürger/innen von Oderberg schlossen sich weder den Nazis an, noch protestierten sie gegen sie. Es bildet sich jedoch eine kleine Willkommensinitiative, die die Flüchtlinge seitdem praktisch unterstützt. Im Sommer 2014 wird bekannt, dass die Kreisverwaltung den Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft für 100 bis 150 Flüchtlinge in Oderberg plant. Selbst die Stadtverordneten erfahren davon nur aus der Zeitung, offiziell werden sie erst informiert, als der Grundstückskauf durch den Betreiber bereits erfolgt und der Bauantrag gestellt ist. "Das hat nichts mit Demokratie zu tun", stellt die SPD-Stadtverordnete Jana Neick fest. "Hier gibt der Betreiber den Ton an, der Landkreis unterstützt alles und wir werden gezwungen, dem zuzustimmen."
Die Stadtverordneten sprechen sich gegen die Unterkunft aus, auch dann noch, als die Pläne geändert und die Unterkunft nur noch 80 Plätze bieten soll. Die Gründe für die Ablehnung sind erstens die schlechte Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel. Oderberg ist nur mit dem Bus zu erreichen, die Fahrt zu Rechtsanwält/innen, Beratungsstellen, Ärzt/innen und Therapeut/innen gestaltet sich äußerst schwierig. Da der Bus auf die Zeiten der einzigen Grundschule ausgerichtet ist, kämen die Flüchtlinge an Sonn- und Feiertagen überhaupt nicht weg. Zweitens sei die örtliche Willkommensinitiative zu klein, als dass sie 80 weitere Flüchtlinge unterstützen könnte. "Von einer Willkommenskultur kann nicht gesprochen werden", beklagen die Stadtverordneten in einem offenen Brief an die Kreisverwaltung vom 17. Dezember 2014.
Der Unmut der Oderberger Stadtverordneten war durch ein Schreiben der Kreisverwaltung vom Oktober 2014 verschärft worden. In Oderberg stehen viele Gebäude leer, manche rotten vor sich hin. Die Stadtverordnetenversammlung (SVV) hatte Fördermittel für ihren Abriss beantragt, benötigt dafür jedoch eine positive Stellungnahme der Kreisverwaltung. Die Kreisverwaltung knüpft ihre Zustimmung zum Abriss nun aber an das "gemeindliche Einvernehmen" von Oderberg. Im Klartext: Ein Ja zum Neubau der geplanten Gemeinschaftsunterkunft gegen ein Ja für die Fördermittel zum Abriss. Die SVV spricht von Erpressung und verweigert das "gemeindliche Einvernehmen", der Kreis setzte sich prompt darüber hinweg. Das Ergebnis: kein Abriss der maroden Bauten, dafür aber der Neubau gegen den Willen der SVV.
Die Ablehnung der geplanten Flüchtlingsunterkunft wird aus einem Amalgam unterschiedlicher Motive gespeist. Vorgetragen werden Argumente im Interesse der Flüchtlinge selbst, wie die fehlende Infrastruktur und die schlechte ÖPNV-Anbindung. Bezeichnend für diesen Fall ist jedoch, dass die Einwohnerinnen und Einwohner Oderbergs selbst unter diesen Mängeln leiden, zudem noch unter dem wirtschaftlichen Niedergang, der starken Abwanderung, dem Fehlen von Arbeitsplätzen, dem Verlust der Eigenständigkeit als Amt. Auf einer Bürgerversammlung im Dezember 2014 äußerte ein Bürger: "Wir haben hier so viele Probleme und da sprechen Sie von einem geeigneten Standort."
Verantwortliche Bürgerbeteiligung
In dieser Stimmung wird Oderberg nun im Juli 2015 Flüchtlinge aufnehmen. Das verheißt nichts Gutes. Die Auseinandersetzung um die neue Unterkunft in Oderberg hat jedoch auch gezeigt, wie Entscheidungen unter Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger getroffen werden können. Denn die kleine Oderberger Willkommensinitiative hat sich frühzeitig mit anderen Initiativen aus dem Landkreis vernetzt, man trifft sich regelmäßig, tauscht sich aus und entwickelt gemeinsame Forderungen an den Kreistag und die Kreisverwaltung. Ihr Selbstverständnis: Wie Flüchtlinge im Kreis untergebracht werden, geht alle an, nicht nur die Verwaltung. Die Kompetenz der Initiativen vor Ort sollte in den Entscheidungsprozess eingebracht werden: "Wir Barnimer Willkommensinitiativen und die Schutzsuchenden selbst wollen in die Planungen mit einbezogen werden", erklären die Aktivisten und fordern vom Kreistag, einen Steuerungsausschuss einzuberufen, "[…] der kompetent, handlungsfähig und transparent die weitere Aufnahme, Verteilung und fachgerechte Begleitung von Flüchtlingen im Barnim koordiniert."
Nachdem die Verwaltung den Vorschlag anfänglich abgelehnt hat, kündigt sie im Dezember 2014 zur Überraschung vieler die Einrichtung einer "Arbeitsgemeinschaft Unterbringung" an, an der auch Vertreterinnen und Vertreter der Willkommensinitiativen beteiligt sind. Das Gremium stehe allen Barnimer Bürgerinnen und Bürgern offen, die sich zum Thema einbringen wollen, so die Kreisverwaltung. Seine Aufgabe sei die Akquirierung von Liegenschaften für den steigenden Bedarf von Unterbringungsplätzen, die Auswahlentscheidungen und die Begleitung der Umsetzung. Institutionell verankert ist die AG als Unterausschuss des Sozialausschusses.
Ohne gemeinsame Zielperspektiven geht es nicht
Bei Bürgerbeteiligung an Entscheidungen über die Art der Unterbringung von Flüchtlingen geht es nicht um eine "Volksabstimmung zum Thema Asyl", wie es die extreme Rechte fordert, sondern um die Mitarbeit an Fragen, die die Flüchtlinge wie die Gemeinden gleichermaßen betreffen. In diesem Prozess ist der nächste Schritt schon erkennbar: die Forderung nach direkter Beteiligung der Flüchtlinge selbst an den Beratungen. Erst dann würde ihr Status als Objekte der Verwaltung überwunden, auf das sie das Ausländerrecht bisher festlegt. Es käme einer Einlösung des Versprechens von Integration gleich: der aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Leben. Ein solches Leitbild ist dringender denn je, denn dann bedeutet der Einsatz für bessere Lebensbedingungen von Flüchtlingen gleichzeitig das Eintreten für bessere Lebensbedingungen der einheimischen Bevölkerung, eine Zielperspektive, die den Gegensatz zwischen Einheimischen und Flüchtlingen überwindet.