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Vier Stimmen zum Handlungsspielraum der Kommunen in der Flüchtlingspolitik | Rechtsextremismus | bpb.de

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Vier Stimmen zum Handlungsspielraum der Kommunen in der Flüchtlingspolitik

/ 8 Minuten zu lesen

Für die Unterbringung und die Versorgung von Flüchtlingen sind in Deutschland die Kommunen zuständig – sie haben also einen großen Handlungsspielraum. Vier Akteure erzählen, was Flüchtlingspolitik auf kommunaler Ebene bedeutet und was sie leisten kann.

Dieter Reiter, Oberbürgermeister von München, besucht mit dem Bündnis für Toleranz, Demokratie und Rechtsstaat die überfüllte Erstaufnahmeeinrichtung für Asylsuchende in der Bayernkaserne in der Heidemannstraße. Das Bild zeigt ihn umringt von Flüchtlingen. (© picture alliance / SZ Photo )

Dr. Oliver Junk: Akzeptanz ist der Schlüssel!

Oliver Junk ist Oberbürgermeister von Goslar. Bekannt wurde der 39-jährige CDU-Politiker, als er Ende 2014 öffentlich darüber nachdachte, dass Goslar mehr Flüchtlinge aufnehmen könnte als es derzeit muss.

Fast zwei Jahrzehnte war das Thema Flüchtlingspolitik in Deutschland nicht existent. Im Frühjahr 2015 nun befindet sich Deutschland im Mittelpunkt einer hitzigen Debatte um die Unterbringung von Menschen in Not. Diese Diskussion wird unzulässigerweise vermischt mit dem gesellschaftlichen und politischen Diskurs um ein (notwendiges) Einwanderungsgesetz.

Unstrittig ist, wir müssen helfen, und wir können helfen! Kontrovers wird diskutiert, ob die Flüchtlinge zuerst Chance oder Last für unser Land sind. Und strittig ist auch, welche staatliche Ebene welche konkrete Aufgabe übernimmt und welche Kosten zahlt, die mit der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge vor Ort verbunden sind.

Bei diesen Diskussionen gerät zu kurz, dass eine heute – möglicherweise auch aus Kostengründen – unzureichende Integration morgen überhaupt nicht mehr oder nur mit erheblich höherem finanziellen Aufwand geheilt werden kann. Und es gerät zu kurz, dass Geld nur ein – wenn auch wesentliches – Mittel der Integration ist. Wichtiger ist Akzeptanz! Akzeptanz der Bevölkerung. Sie ist heute vorhanden, in hohem Maße – und darin unterscheidet sich unser Deutschland von dem der frühen 1990er Jahre.

Dies muss aber – und dieser Grat ist schmal – auch so bleiben. Damit es so bleibt, darf es keine Debatte darum geben, wo das vorhandene Geld gerade dringender benötigt wird. Wenn die Mehrzweckhalle in einer kleinen Stadt Vereinen und Verbänden deshalb nicht mehr zur Verfügung steht, weil hier Feldbetten für neu ankommende Menschen aufgestellt werden müssen, wenn das Jugendzentrum schließen muss, weil die Kosten für die Unterbringung von Flüchtlingen die Kommunen überfordert, dann geraten wir in eine nicht zu gewinnende Abwärtsdiskussion – zu Lasten von Akzeptanz, auf Kosten der Flüchtlinge.

Daher kann der Weg der optimalen Integration nur über zusätzliche – und ganz klar dezentrale – Angebote gegangen werden. Diese sind in kleineren Kommunen, in Mittelstädten, leichter zur Verfügung zu stellen als in den Großstädten mit überhitzten Wohnungsmärkten. Daneben müssen die Kommunen die entstehenden Kosten voll erstattet bekommen und so in die Lage versetzt werden, die vorhandene soziale Infrastruktur zu erhalten und – wo notwendig – auszubauen.

Ich werbe weiter dafür, Flüchtlinge stärker unter den Gesichtspunkten „Talent und Chance“ für unser Land zu sehen, gerade für Städte wie Goslar, die mit sinkenden Einwohnerzahlen konfrontiert sind. Bei allen Chancen für Gesellschaft und Ökonomie, die mit Flüchtlingen verbunden sind, sollten wir aber den wesentlichen Punkt nicht aus den Augen verlieren: Die Aufnahme von Flüchtlingen ist unsere humanitäre Pflicht und Verantwortung.

Dieter Reiter: Empathie wecken, nicht nur Sachinformationen vermitteln

Dieter Reiter (SPD) ist seit dem 1. Mai 2014 Oberbürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt München. Im Oktober 2014 hatte er beherzt eingegriffen und die Bayernkaserne, die völlig überfüllte Erstaufnahmeunterkunft für Flüchtlinge in München, kurzfristig geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits unzählige Geflüchtete bei eisigen Temperaturen im Freien ausharren müssen; viele von ihnen ohne Decken oder ausreichende Kleidung.

Eine kommunale Strategie zur angemessenen Unterbringung und Versorgung von Flüchtlingen kann nur gelingen, wenn sie einhergeht mit einem Konzept der Vermittlung und Erläuterung für die Bevölkerung. Die bundesweite Entwicklung zeigt: Neben der Verbreitung islamfeindlicher Parolen ist der Versuch, Vorurteile und Aktivitäten gegen Flüchtlinge im unmittelbaren Umfeld von Unterkünften zu schüren, auch Teil aktueller rechtsextremer Strategien. Kommunen können dieser Herausforderung mit einer Gesamtkombination aus abgestimmten Maßnahmen begegnen.

Information in Anwohnerversammlungen über geplante Unterkünfte
In München hat es sich bewährt, auf Veranstaltungen nicht nur "technische Details" zur geplanten Unterbringungsform, Betreuungsschlüssel und ähnliches darzustellen, sondern auch Menschen einzubinden, die das Schicksal von Flüchtlingen plastisch beschreiben (also entweder Flüchtlinge selbst oder Vertreter von Flüchtlingsorganisationen). Bürgerinnen und Bürger auf der empathischen Ebene anzusprechen, ist sehr hilfreich, um Akzeptanz und Verständnis zu erreichen.

Bürgerinnen und Bürger ernst nehmen
Anwohnerversammlungen sind auch ein geeignetes Forum, um Belangen der Bürgerinnen und Bürger gerecht zu werden, möglichen Sorgen und Ängsten zu begegnen und diese soweit wie möglich auszuräumen. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch zu betonen, dass die Artikulation eigener Ängste nicht zur Verletzung der Menschenwürde anderer Menschen führen darf.

Frühzeitige Einbindung und Sachinformation
Je besser Bürgerinnen und Bürger einbezogen werden, desto höher ist die Akzeptanz im Quartier. In München beispielsweise organisiert das Sozialreferat Anwohnerversammlungen, stellt transparent Standortinfos und eine Vielzahl an weiteren Informationen auf einer eigenen Website bereit. Beauftragte gegen Rechtsextremismus in den lokalen Bezirksausschüssen tragen dazu bei, dass radikale Agitation bei den Bürgerinnen und Bürgern nicht verfängt.

Förderung von Solidarität und Vernetzung
Toleranz, Integration und soziales Engagement können nicht von oben herab verordnet werden. Deshalb ermuntert und unterstützt München seine Bürgerinnen und Bürger, ehrenamtliche Aufgaben zu übernehmen. Hilfsbereitschaft und Solidarität gegenüber Flüchtlingen in unserer Stadt spiegelt sich auch bei Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Trägern wider.

Arbeitsmarktintegration
Hinsichtlich einer verbesserten Arbeitsmarktintegration von Flüchtlingen empfiehlt sich eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen Sozial- und Ausländerbehörde sowie ein gutes Kooperationssystem mit der Agentur für Arbeit, den Jobcentern und den Handwerkskammern. Wirtschaftsexperten weisen darauf hin, dass es sich für Kommunen langfristig sozial und materiell lohnt, die Kompetenzen und Fähigkeiten von Flüchtlingen von Anfang an zu fördern und in deren berufliche Weiterentwicklung zu investieren.

Martin Osinski: Nicht die Menschen hinter den Zahlen verschwinden lassen!

Martin Osinski koordiniert im Landkreis Ostprignitz-Ruppin die Beherbergung, Betreuung und Beratung von Asylsuchenden. Darüber hinaus ist er ehrenamtlicher Sprecher im Aktionsbündnis "Neuruppin bleibt bunt".

Politikversagen? Aber ja! Niemand ist wirklich zufrieden mit der europäischen und bundesdeutschen Flüchtlingspolitik. In Diskussionen mit deutschstämmigen Bürgerinnen und Bürgern ist das oft der kleinste gemeinsame Nenner: Menschen auf lokaler Ebene haben auszubaden, was anderenorts, auf höheren Ebenen, verbockt wird. Dieser Minimalkonsens ist manchmal hilfreich, um in der Flüchtlingsdebatte überhaupt ein gegenseitiges Zuhören zu ermöglichen.

Der Konsens endet meist, wenn Einzelheiten der Kritik an "denen da oben" zur Sprache kommen. Niemand will, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Mancher ist deshalb für Auffanglager in Nordafrika. Ich dagegen bevorzuge sichere Reiserouten und ein schlüssiges Zuwanderungsrecht. Mancher spricht von Wirtschaftsflüchtlingen und Scheinasylanten. Ich kritisiere Kapital- und Steuerflucht und die Ungerechtigkeit, dass multinationale Konzerne überall hin wandern dürfen, die Verlierer der Wohlstandspyramide aber nicht; das Freihandelsabkommen TTIP kommt, die Finanztransaktionssteuer kommt nicht usw.

Natürlich ist es unmöglich, einer brandenburgischen Einwohnerversammlung in 90 Minuten einen Crashkurs in Globalisierungskritik zu verpassen. Lassen wir also lieber die Finger von der großen Politik und wenden uns der Gestaltung dessen zu, was hier und jetzt ist.

Politikversagen? Auf jeden Fall liegt Politiker-Versagen vor, wo mit ängstlichem Blick auf Pegida und Umfragewerte die Verteidigung humanistischer Grundwerte aufgegeben wird. Bundes- und Landespolitiker machen sich gegenseitig verantwortlich. Sie gehen mit schlechtem Beispiel voran, indem sie Menschen hinter Zahlen verschwinden lassen. Kommen dieses Jahr 300.000 oder 600.000 Asylsuchende? Und wer soll das alles bezahlen? Aus dem Blick geraten Einzelschicksale und Fluchtgründe. Unterschlagen wird die Tatsache, dass Deutschland ohne Zuwanderung noch nie zukunftsfähig gewesen ist. Systematisch aus dem Bewusstsein herausgehalten werden die Chancen, die mit Zuwanderung verbunden sind. Hat jemand die Bertelsmann-Studie zur Kenntnis genommen, aus der hervorgeht, dass Migranten und Migrantinnen die deutschen Sozialkassen nicht belasten, sondern füllen?

Lokale Politik hat wenig Einfluss auf die gesetzlichen Grundlagen der Flüchtlingsarbeit. Ob Genfer Flüchtlingskonvention, Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, Asylverfahrensgesetz oder Asylbewerberleistungsgesetz – alles Rechtsnormen, die vor Ort anzuwenden, aber nicht zu verändern sind. Kommunale Politik und Verwaltung müssen dann schauen, wie sie mit beschränkten Ressourcen, unsicheren Planungsdaten und inkonsistenter Rechtslage die Hausaufgaben machen.

Was lokal und regional hilft, ist ein klares, weitsichtiges Konzept, breit getragen von Lokalpolitik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft. Diversity-Management als Masterplan – einfacher ausgedrückt: ein Bekenntnis zu Vielfalt, Toleranz, Weltoffenheit, Fairness, Und das nicht nur in Worten, sondern auch mit sichtbaren, zähl- und messbaren Auswirkungen. Der Anstoß kommt vielleicht zuerst aus der Wirtschaftsförderung, aus Kirchenkreisen oder einer zivilgesellschaftlichen Initiative gegen Rechtsextremismus. Die Umsetzung ist allemal Aufgabe der (Kommunal-)Politik. Sie kann nur gelingen, wenn die Bevölkerung ernsthaft in die Diskussion einbezogen wird. Dass hier schon viel Kredit verspielt wurde, ist keine Entschuldigung für weitere Versäumnisse.

Dr. Hanna Sommer: Bürgerschaftliches Engagement ist tragende Säule der Integration.

Dr. Hanna Sommer ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin des Deutschen Städtetages und dort für Flüchtlingsunterbringung und Integration zuständig.

Die Herausforderungen wachsen stetig, die an die Städte gestellt werden, um die Unterbringung, Versorgung und Integration einer steigenden Zahl von Flüchtlingen erfolgreich zu gestalten, die in Not zu uns kommen oder politisch verfolgt werden. Die Städte stehen ausdrücklich zu ihrer Verantwortung, diesen Menschen zu helfen. Neben der Unterbringung und Versorgung spielen immer stärker Fragen der eigentlichen und großen Aufgabe der Integration von Flüchtlingen in unsere Gesellschaft eine Rolle. Hier ergreifen und finanzieren die Städte eine Vielzahl von Maßnahmen. Sie unterstützen Flüchtlinge bei der Wohnungssuche, bieten Schulunterricht, Sprachkurse und Kindergartenplätze an, sind bei der Anerkennung von Qualifikation und der Vermittlung von Arbeit und Beschäftigung behilflich und bereiten somit der gesellschaftlichen Integration den Weg.

Die Bürgerschaft in den Städten ist eine tragende Säule für die Bewältigung der großen Aufgaben, vor denen die Städte stehen. Die Bereitschaft zum ehrenamtlichen Engagement für Flüchtlinge in der Bevölkerung vor Ort ist hoch. Ehrenamtliche unterstützen beim Spracherwerb, übernehmen Patenschaften oder Öffentlichkeitsarbeit und leisten Behördenhilfe und Lernunterstützung. Die Städte nutzen dieses große Potenzial bereits nach Kräften.

Es ist geboten, die insgesamt breite Zustimmung der Öffentlichkeit für die Aufnahme von Menschen in Not zu fördern und zu pflegen und Ängste vor Fremden erst gar nicht aufkommen zu lassen. Hierbei tragen die Kommunen eine große Verantwortung. Gemeinsam mit den Kirchen und Religionsgemeinschaften, Parteien, Gewerkschaften und politischen Repräsentanten stehen sie vor der Aufgabe, aufkeimenden Tendenzen von Fremdenfeindlichkeit mit Nachdruck entgegenzutreten. Sie stehen ein für Toleranz und eine menschliche und weltoffene Gesellschaft gegen Fremdenfeindlichkeit. Vielerorts gibt es neben dem ehrenamtlichen Engagement umfangreiche Hilfsangebote aus der Bürgerschaft, die die gesellschaftliche Solidarität deutlich machen.

Die Unterbringung, Versorgung und schließlich die Integration von Flüchtlingen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Die Kommunen sind bei der Bewältigung dieser Herausforderungen auf die auskömmliche, systematische und dauerhafte finanzielle Unterstützung durch den Bund und die Länder angewiesen. Nur so sind sie in der Lage, die ihnen gestellten Aufgaben auch weiterhin erfolgreich zu bewältigen und Menschen in Not ein neues, menschenwürdiges Zuhause zu bieten.