"Die Haltung der meisten klassischen Männerverbindungen gegenüber Frauen könnte man in etwa wie folgt beschreiben, wollte man das poetisch tun: Frauen sind wie das Meer – wunderschön, manchmal aufregend und wild, manchmal beruhigend und sanft. Sie fordern uns heraus, sie zu ergründen, sie zu bereisen und sie zu erobern. Nur – wie auch das Meer – wollen wir sie auf Dauer nicht im Haus haben", schreibt der Sängerschafter Karsten Hohage in seinem Buch "Männer-WG mit Trinkzwang". Zwar ist die Bezugnahme auf das traditionelle und stereotype Klischee von der "Frau als Meer" keine besonders originelle Metapher, sie verweist aber auf einen zentralen Aspekt der klassischen Männerverbindungen: Diese bilden Männerbastionen, in der Frauen allenfalls als "schmückendes Beiwerk", als "Couleurdamen", die offiziell zu Tanzveranstaltungen oder anderen Festlichkeiten eingeladen werden, oder bei Sängerschaften mit gemischten Chören als "Chordamen" akzeptiert werden. Auf Dauer aber will man(n) sie "nicht im Haus", sprich: nicht als Mitglied haben. Das Männerbundprinzip gehört bei den Sängerschaften nach wie vor zu den fundamentalen Traditionsbestandteilen, an denen nicht gerüttelt werden darf. Den wenigen nichtschlagenden Verbindungen und Dachverbänden, die das Männerbundprinzip seit den 1960er/1970er-Jahren in Frage gestellt und in der Folge auch Studentinnen aufgenommen haben, begegnen viele überzeugte Männerbündler mit Verachtung. Korporierte Frauen in gemischten Verbindungen oder Studentinnen in Damenverbindungen werden sexistisch als "Tittenbuxen" bezeichnet.
In den letzten Jahrzehnten waren es vor allem Burschenschaften und Burschenschafter aus dem Dachverband Deutsche Burschenschaft (DB), die durch rechtsextreme Aktivitäten für negative Schlagzeilen gesorgt haben. Seit 2011 haben insbesondere die auf der Internetplattform linksunten.indymedia.org veröffentlichten verbandsinternen Dokumente gezeigt, dass die ideologische und personelle Verankerung der extremen Rechten in der DB deutlich fortgeschrittener ist, als bislang angenommen worden war. Eine Folge der ausführlichen Berichterstattung und des damit verbundenen medialen Drucks war die rasante Beschleunigung eines schon Jahrzehnte zuvor begonnenen Erosionsprozesses des noch 1984 mit mehr als 25.000 Mitgliedern zweitgrößten und prominentesten korporationsstudentischen Dachverbands. Seit 1980 sind um die 100 Burschenschaften aus der DB ausgetreten. Derzeit (Stand: 10. Juli 2014) gehören ihr 67 aktive Burschenschaften an, 44 in Deutschland und 23 in Österreich. Die Zahl ihrer Mitglieder in den aktiven Burschenschaften und Altherrenschaften ist auf etwa 5.000 gesunken. Anders ausgedrückt: Die DB hat in den letzten 30 Jahren vier Fünftel ihrer Mitglieder verloren.
Staatsangehörigkeit vs. "Volk" bei den deutschen Burschenschaften
Der Verband begreift sich als explizit politisch, fakultativ schlagend und farbentragend. Seine Mitgliedsburschenschaften sind akademische Männerbünde mit Lebensbundprinzip, in denen nur "deutsche" Studenten Mitglied werden können. An der Frage, wer im Sinne des Art. 9 der Verfassung der Deutschen Burschenschaft (VerfDB) als "Deutscher" gelten kann und wer nicht, entzündete sich in den letzten Jahren eine heftige Kontroverse. In formaler Hinsicht ging es um die Interpretation des nicht erst seit 2011 kontrovers diskutierten sogenannten volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriffs nach Art. 9 VerfDB. De facto geht es um die Frage, ob und, wenn ja, unter welchen Bedingungen die DB studierende deutsche und österreichische Staatsbürger mit Migrationshintergrund als "Deutsche" klassifiziert und damit als Mitglieder akzeptiert. Auf dem Burschentag 2013 wurde dieser Streit damit beendet, dass ein Antrag der Rostocker Burschenschaft Redaria-Allemannia, den Begriff "Abstammung" in Art. 9 VerfDB aufzunehmen, mit Drei-Viertel-Mehrheit angenommen wurde. Art. 9 VerfDB lautet jetzt: "Unter dem Volk versteht sie [die DB, d. Verf.] die Gemeinschaft, die durch gleiches geschichtliches Schicksal, gleiche Kultur, verwandtes Brauchtum, gleiche Sprache und gleiche Abstammung verbunden ist." Nachdem die DB mit Bezug auf den genannten Artikel bereits seit 1971 österreichische Staatsbürger als "Deutsche" klassifiziert und österreichische Burschenschaften als Mitglieder in den Verband aufgenommen hatte, haben sich nun 2013 diejenigen Kräfte durchgesetzt, die einigen deutschen Staatsangehörigen aufgrund völkischer Kriterien das "Deutsch-Sein" absprechen. Damit positionierte sich die DB unter anderem offensiv und eindeutig gegen §1 des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, nach dem Deutscher ist, "wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt".
Teutonische Virilität und "teutsche" Männlichkeit
Das Männerbundprinzip wurde in der DB nie ernsthaft in Frage gestellt. Ihre Mitgliedsburschenschaften verorten sich allesamt in der Tradition der Jenaer Urburschenschschaft, welche 1815 im Gefolge der antinapoleonischen Kriege als bürgerlich-nationale Studentenvereinigung entstanden war. Die geschlechterpolitisch von Anfang an vor allem an den normativen Männlichkeitsentwürfen von Friedrich Ludwig Jahn und Karl Friedrich Friesen orientierten Burschenschaften haben sich an diesem Punkt gedanklich kaum weiter entwickelt. Immer wieder wurde seither auf "Volkstümlichkeit", "Vaterlandsliebe", "Ehre" und "Wehrhaftigkeit" als zentrale Elemente der anzustrebenden "teutonischen Virilität", der "teutschen Männlichkeit" zurückgegriffen und diese politisch je nach Gusto mit liberalen, konservativen oder aber rechtsextremen Ideen und Ideologieelementen verknüpft. Vor dem Hintergrund der nach wie vor dominierenden Vorstellung von der "Polarität der Geschlechter" verwundert es nicht, dass GenderMainstreaming in den Burschenschaftlichen Blättern (2010) als "direkter Angriff auf die Identität des Menschen", als "totalitär" und als "Gender-Schwindel" diffamiert wird. In dieser Lesart ist Gender-Mainstreaming keine Gerechtigkeitsfrage, sondern ein "Gleichschaltungsprozess" unter anderem "in der Meinungsfabrikationsanstalt 'Bundeszentrale für politische Bildung'", heißt es in der Verbandszeitschrift der DB.
Letztlich sind die DB-Burschenschaften völkische "Integrations-, Symbol-, Bluts-, Ritual-, Hierarchisierungs- und Weltanschauungsgemeinschaften" deutscher und österreichischer Studenten, die im Inneren von einem differenzierten Geflecht aufeinander abgestimmter Rituale zusammengehalten werden, das über alle Generationengrenzen hinweg als sinn-, gemeinschafts- und identitätsstiftend wirkt. "Um im Leben seinen Mann zu stehen, so […] die Quintessenz dieser Tradition, muß man hart sein. Sowie man sich schwach zeigt, ist man verloren. Deshalb ist es gut, seine eigene Stärke zu zeigen. Wer eine Schwäche zeigt, verdient, daß man auf seinen Platz verweist." Sowohl das akademische Fechten als auch die Trinkrituale gelten als Erziehungsmittel, mit denen die neuen Mitglieder im Sinne der burschenschaftlichen Wertvorstellungen integriert und gewissermaßen neu erschaffen werden. Anders ausgedrückt: Man wird nicht als (DB-)Burschenschafter geboren, sondern dazu gemacht.
Gleichzeitig zeigen die zahlreichen Austritte der letzten Jahrzehnte die Brüchigkeit der Traditionen und das von Beginn an ambivalente Verhältnis der Burschenschaften zur bürgerlichen Moderne. Während manche schon im 19. Jahrhundert für eine vergleichsweise radikale Überwindung vormoderner Traditionen plädierten, in denen unter anderem lokale Herkunft und sozialer Standort die Verbandszugehörigkeit bestimmt hatten, setzten sich andere für neue Inklusions- und Exklusionskriterien ein. Die Schaffung eines tatsächlich modernen bürgerlichen Gesellschafts- oder Vereinstypus, in dem Individuen verschiedener Herkunft sich freiwillig zur Verfolgung eines bestimmten Zwecks zusammenschließen, ohne den Anspruch, das Leben der Mitglieder umfassender zu regeln, ist den Burschenschaften letztlich – zumindest vorerst – missglückt.