Die Berichterstattung über eine neue Gefahr von rechtsaußen im Vorfeld der Europawahl 2014 trug alarmistische Züge. Wer den zahlreichen, auch außereuropäischen Medienberichten Glauben schenkte, sah Europa vor einem Rechtsruck, erkannte gar eine Populistische Internationale oder "eine Tea-Party-Bewegung“ (so der Titel des Economist vom 4. Januar) in Europa. Und in der Tat zeigen die Ergebnisse, dass sich rechtspopulistische Parteien in vielen Ländern etabliert haben und eine dauerhafte Erscheinung in der Parteienlandschaft geworden sind, so zum Beispiel in Frankreich und in Österreich. Auch manche weiße Flecken auf der Europakarte sind mit den letzten Wahlen verschwunden. Finnland, Schweden und nun auch Deutschland können hier als markante Beispiele genannt werden; in Großbritannien wiederum sorgt die euroskeptische UKIP für Furore.
Politische Analysen der jüngsten Zeit haben sich auf die Frage gestürzt, was die Erfolgsformel des Rechtspopulismus ausmacht. Eine Bandbreite an Erklärungen steht zur Debatte. Es ist besonders von Umstrukturierungsprozessen der Gesellschaft die Rede, die Modernisierungsverlierer en masse und damit ein potentielles Unterstützungsklientel für Populisten hervorbringe. Oder es wird damit argumentiert, dass in Zeiten fundamentalen Wandels die Gesellschaft intoleranter werde, Sündenböcke etwa in Immigranten finde. Gesucht wird in der politischen Diskussion über die Gründe für Europas Rechtsruck nach dem "festen Rezept“. Rütteln die Bewegungen am rechten Rand die etablierten Kräfte auf? Ist Populismus eine Folge der viel diskutierten Eurokrise, zumal Euroskeptizismus ein wichtiges Mobilisierungsthema geworden ist? Ist Rechtspopulismus vielleicht ein Automatismus, leben wir also unter den Vorzeichen eines "populistischen Zeitgeists", wie es der Politikwissenschaftler Cas Mudde
Es lohnt ein Blick in die Länder Europas, die unter der Finanz- und Wirtschaftskrise besonders zu leiden (gehabt) haben. Kein Zweifel: Tiefe Rezession erzeugt allgemeine Tristesse, damit auch Unzufriedenheit mit dem politischen Establishment. Doch gerade in Ländern wie Spanien, Portugal, Irland und Zypern – alles Länder, die Hilfen des EU-Rettungsschirm in Anspruch nehmen mussten – konnten Rechtsaußenparteien bei der jüngsten Europawahl nicht punkten, geschweige denn Parlamentsmandate erringen. Nur Griechenland, das fünfte Rettungsschirmland, bildet eine Ausnahme: Hier hat sich mit der Goldenen Morgenröte eine genuin faschistische Kaderpartei etabliert, die auch vor kriminellen Übergriffen etwa auf Einwanderer nicht Halt macht.
Doch zurück zu den Ländern, in denen es anders läuft. Dass Rechtsextreme und Rechtspopulisten in einigen EU-Mitgliedstaaten so groß geworden sind, liegt auch in der Perspektivlosigkeit und damit verbundenen Gegenwarts- und Zukunftsängsten der Bevölkerung. Mit der Eurokrise sind vielerorts die Arbeitslosenquoten stark angestiegen. Gerade in Spanien hat fast die Hälfte der jungen Generation keine Perspektive auf einen Job. Das gilt auch für gut ausgebildete Kräfte. Und dennoch: In Spanien konnten Rechtsaußenparteien bislang keine Brücke zu den Jugendprotesten bauen, die seit Mai 2011 von mehreren spanischen Städten aus ihre Wut gegen die Banken, die Kapitalisten und die Sparmaßnahmen der Regierung zum Ausdruck brachten. Stattdessen formierte sich 2014 am linken Rand eine von Intellektuellen begleitete Protestalternative zum Zweiparteiensystem, die Bewegung Podemos ("Wir können“), die bei der Europawahl fast acht Prozent der Stimmen erhielt und den jüngsten Umfragen zufolge weiter im Aufwind ist.
Die spanischen "Indignados", die "Empörten" der Podemos-Bewegung, üben Globalisierungs- und Kapitalismuskritik. Wie die Occupy-Bewegung geht es auch bei ihnen "gegen die Eliten" – und damit in eine typisch populistische Stoßrichtung. Doch der Rechtspopulismus in Europa entsteht eher nicht an den Nahtstellen gesellschaftlicher Konfliktlinien und neuer sozialer Bewegungen. Insgesamt gelten Populisten zwar als Kräfte, die Probleme offensiv ansprechen, aber wenig lösungsorientiert denken. Obwohl also die Spanier – wie die Portugiesen auch – ihren nationalen Regierungen misstrauen, geht es ihnen nicht um eine Renationalisierung ihres Landes und eine Abschottung gegenüber Europa. Die Bewegung kritisiert die spanische Sozial- und Wirtschaftspolitik. In dieser Hinsicht aber haben rechtspopulistische Parteien in der Regel wenig anzubieten – und in Spanien hat sich der Protest nach links orientiert.
Das mag auch daran liegen, dass der iberische Faschismus in der Öffentlichkeit diskreditiert ist. Dort waren die Faschisten länger – von 1939 bis 1975 – als in irgendeinem anderen europäischen Land an der Macht. Schon im Mai 1975 wünschten sich nach Zahlen des Centro de Investigaciones Sociológicas (CIS) 74 Prozent, dass sich das Land zu einer Demokratie entwickle. Bis heute wird die Demokratie als Regierungsform bevorzugt: Nach Zahlen des Eurobarometers – dem von der Europäischen Kommission herausgegebenen repräsentativen Umfragen – ist die Zufriedenheit mit dem Funktionieren der Demokratie stets beträchtlich höher als im europäischen Durchschnitt gewesen. Die noch verhältnismäßig frische Erinnerung an die eng miteinander verflochtenen Regime Franco und Salazar, die im Unterschied zu den anderen Faschismen erst in den 1970er Jahren zusammenbrachen, sorgt dafür, dass innerhalb der demokratischen Nachzügler die Öffentlichkeiten in Spanien und Portugal gegenüber rechtsextremen, brandstiftenden Ideologien offenbar immun sind. In Spanien war nach dem Tod des Diktators Francisco Franco nur eine Rechtsaußenpartei im Parlament vertreten. Die Fuerza Nueva ("Neue Kraft") erhielt 1979 lediglich ein Abgeordnetenmandat. Ähnliches gilt für Portugal, wo die Partei der Nationalen Erneuerung (PNR) bisher kein Parlamentsmandat erringen konnte. Auch öffentlichkeitswirksame Aktionen wie Plakate mit dem Titel "Immigration? Wir sagen nein!“ an den Verkehrsknotenpunkten in der Lissabonner Innenstadt ändern nichts an der marginalen Stellung des Rechtsextremismus in Portugal. "Rechtsextreme Akteure sind in Portugals Gesellschaft seit der Revolution von 1974 fast vollständig desavouiert", erklären die Experten Carlos Jalali und Teresa Pinheiro.
Spanier und Portugiesen misstrauen dem "Führerprinzip"
Rechtspopulistische Parteien sind oftmals "kopflastig", existenziell auf die Strahlkraft ihres Zugpferdes angewiesen. Haider, die Le Pens, Strache und Wilders lassen grüßen. Im iberischen Kontext gilt der politische Führer aber offenbar, negativ konnotiert, durch die faschistische Vergangenheit als Verführer. Zwar bescheinigen vergleichende Umfragen, etwa Studien des amerikanischen "PEW Research Center“, immer wieder, dass es in Spanien etwa antisemitische Einstellungen in der Bevölkerung gibt, doch werden solche Ressentiments im parteipolitischen Wettbewerb nicht geschürt.
Dass sich im spanischen oder portugiesischen Parteiensystem eine rechtspopulistische Partei ernsthaft etablieren kann, von einer solchen grundlegenden Transformation ist die politische Landschaft dort weit entfernt. Drastische Stimmgewinne oder -verluste wie zum Beispiel bei den letzten spanischen Parlamentswahlen von 2011 spielen sich innerhalb der Mainstreamparteien ab. Die etablierten Parteien konnten ihre Hegemonialstellung bewahren, auch, weil sie zum rechten Rand hin integrierend wirken – ähnlich dem Diktum des früheren CSU-Chefs Franz Josef Strauß, "rechts von der CSU” dürfe es keine rechte Partei mehr geben. So hat die portugiesische Mitte-Rechts-Partei Partido Popular immer wieder einmal Kampagnen zur inneren Sicherheit und rigorosen Kontrolle der Zuwanderung durchgeführt. Auch ihr spanischer Namensvetter hat vor der Nationalwahl von 2011 das Thema "illegale Einwanderer“ in den Mittelpunkt gerückt. Dennoch gilt: Die spanischen und portugiesischen Mitte-Rechts-Parteien sind – nicht nur ihrem Namen nach – klassische Volksparteien, etwa fest innerhalb der Europäischen Volkspartei (EVP), dem Verbund der Mitte-Rechts-Parteien, integriert. Sie pflegen keine Verbindungen zu den rechtspopulistischen Vertretern der anderen europäischen Länder. Auch im linksgeneigten Parteiensystem Portugals hat die Vorherrschaft der beiden größeren Parteien weiterhin Bestand. Das ist in manchen europäischen Ländern anders. Etwa in Österreich, der Schweiz, Dänemark und Finnland haben die Rechtspopulisten den Burgfrieden der Etablierten empfindlich gestört und – zum Beispiel in Österreich durch ihre Kritik am "Parteienfilz“ und "Parteienproporz“ – gepunktet. Auch in Spanien gäbe es durch parteiinterne Skandale, schwarze Kassen und Spendenaffären der Partido Popular populistisch ausbeutbare Anknüpfungspunkte. Sie haben bislang aber nicht zu einer Auffächerung am rechten Rand geführt.
Dabei haben sich im Vorfeld der Europawahlen Rechtsaußen-Bündnisse gebildet. In Spanien waren das "Vox" (Stimme) und "La España en Marcha" (Spanien auf dem Marsch), in Portugal bereits seit einigen Jahren die Partido Nacional Renovador (PNR). Sie konnten sich aber bei den Wahlen nicht durchsetzen. Weder die hohe Arbeitslosigkeit noch die Einwanderungswelle hat dem rechten Rand genützt, beide Länder sind eher nach links gerückt. Dass gerade die Einwanderung nicht, wie in anderen europäischen Ländern, dem rechten politischen Lager genutzt hat, erstaunt nur auf den ersten Blick. Portugal beispielsweise ist – vor der großen Krise – vom Auswanderungsland der 1960er und 70er Jahre zum Einwanderungsland geworden, viele Immigranten stammen aus den ehemaligen Kolonien. Das hat in diesem Zusammenhang auch zu Diskussionen um die Ursachen für die steigende Kriminalität in den Großstädten geführt. Auch in Spanien wurde über Einwanderung diskutiert – es ist das einzige europäische Land, von dem einst ein beträchtlicher Teil unter islamischer Herrschaft gestanden hat. Debatten etwa um die Rolle des Islam in Europa und um die Integrationsfähigkeit von Muslimen finden hier nicht in einer solchen polemischen Schärfe statt wie in anderen europäischen Ländern. Vor allem aber waren es die etablierten, nicht die Rechtsaußenparteien, die über Zuwanderer und Bootsflüchtlinge aus Afrika debattierten. Illegale Einwanderung ist gerade in Spanien, einem Tor zu Afrika, ein offenkundiges Problem, das jedoch nicht populistisch instrumentalisiert wird. Die Parteien bemühen sich vielmehr konstruktiv um eine europäische Lösung. Selbst die separatistischen Katalanen und Basken haben sich als überzeugte Europäer präsentiert. Auch daran zeigt sich, dass der Siegeszug der europäischen Integration nicht aufzuhalten ist. Europas Demokratien scheinen auch in Krisenzeiten gefestigter denn je und in der Regel vor autoritären Politikkonzepten gefeit.
Denn schließlich hat Europas schwerste Krise 1945 nicht zu einer demokratischen Erosion oder einem Rechtsruck geführt. Rechtspopulismus in Europa ist keine Normallage, de facto betrifft sie nur einen Teil der europäischen Länder – nicht mehr, aber auch nicht weniger. Das rechte Lager konnte in den letzten Jahren besonders dort zulegen – in Skandinavien, Finnland oder der Schweiz –, wo es den Menschen im Allgemeinen gut geht und der Wohlfahrtsstaat funktioniert. Umso merkwürdiger erscheint es, dass der nationalkonservative ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán unlängst in einer Rede