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Frankreich hat rechtsaußen gewählt - Wie konnte das passieren?

Valérie Dubslaff

/ 9 Minuten zu lesen

Der rechtsextreme Front National ging aus der Europawahl in Frankreich als stärkste Kraft hervor. Ihren Aufstieg hat der FN vor allem seiner neuen Vorsitzenden Marine Le Pen zu verdanken. Doch dass die Franzosen eine Partei nach Brüssel schicken, die den europäischen Integrationsprozess nicht nur stoppen, sondern rückgängig machen will, hat auch noch ganz andere Gründe.

Ein politisches Erdbeben erfasste Frankreich, als am 25. Mai 2014 die Ergebnisse der Europawahl bekanntgegeben wurden: Der Front National hatte als stärkste Partei fast 25 Prozent der Stimmen erhalten und stellte von nun an die größte Anzahl an französischen Abgeordneten im europäischen Parlament. Noch nie war es in der Geschichte der Fünften Republik einer rechtsextremen Partei gelungen, bei Wahlen eine solche Vormachtstellung einzunehmen. Diese verdankt der FN der tiefen sozialpolitischen Krise im Lande, aber auch ihrer eigenen politischen Kehrtwende, die seit 2011 unter dem Vorsitz Marine Le Pens stets vorangetrieben wurde. In den Medien, in der Politik und weiten Teilen der Bevölkerung war die Erschütterung groß – doch unerwartet kam der Triumph des Front National nicht: Seit Monaten deuteten Umfragen auf einen bahnbrechenden Erfolg der Rechtsextremisten hin. Und doch schauten die etablierten Parteien dem Aufwärtstrend des Front National bisher nur hilf- und tatenlos zu. Eine Herausforderung für Frankreich und Europa.

Der Front National als "erste Partei Frankreichs"?

Der Front National hat sich bei dieser Europawahl in Frankreich eindeutig als erste politische Kraft durchgesetzt. Mit 24,8 Prozent der Stimmen hat die rechtsextreme Partei ihr historisch bestes Ergebnis eingefahren, jenes von 2009 fast vervierfacht (6,3 Prozent), die konservative UMP (20,7 Prozent) und vor allem die Sozialisten (13,9 Prozent) weit hinter sich gelassen. Dennoch wäre es falsch, den FN als "erste Partei Frankreichs“ zu bezeichnen, auch wenn sie sich gerne als solche präsentiert: Die Gewinner dieser Wahl bleiben nämlich die Nichtwähler, die 57 Prozent der Wahlberechtigten ausmachten. Die geringe Wahlbeteiligung relativiert das überragende Ergebnis der Rechtsextremisten. Berücksichtigt man die Nichtwähler, haben umgerechnet ca. 10 Prozent der stimmberechtigten Franzosen ihre Stimme Marine Le Pens Partei gegeben. Und doch ist der Erfolg des Front National beachtlich. Anders als die etablierten Parteien hat es der FN vermocht, seine Stammwählerschaft zu mobilisieren, seinen Einfluss in seinen regionalen Hochburgen in den Wahlregionen Nord-West (33,6 Prozent), Ost (28,9 Prozent) und Süd-Ost (28,1 Prozent) deutlich auszuweiten und sich in neuen Regionen zu verankern: Auch in dem als krisenresistent und europafreundlich geltenden Wahlkreis West konnte der FN 2014 sein Ergebnis auf 19,3 Prozent steigern – bei der Europawahl von 2009 hatte er dort lediglich 3 Prozent der Stimmen erhalten. In 71 von 101 französischen Departements gelangte er auf den ersten Platz.

Bemerkenswert ist ebenfalls das Sozialprofil der FN-Wähler. Wegen mangelnder Zukunftsperspektiven und ihrer Politikverdrossenheit hat sich vor allem die französische Jugend massiv enthalten (73 Prozent). Gleichzeitig haben sich 30 Prozent der unter 35jährigen, die sich an der Wahl beteiligten, für den FN entschieden. Auch die traditionell eher sozialistische oder kommunistische Stammwählerschaft hat sich von den etablierten Parteien abgewandt: Nur 8 Prozent der Arbeiter haben der PS ihr Vertrauen ausgesprochen, 43 Prozent hingegen haben die Rechtsextremen gewählt. So ist es dem FN gelungen, vor allem Menschen aus prekären Lebensverhältnissen wie Arbeitslose (37 Prozent), Angestellte (38 Prozent), Personen mit niedrigem Bildungsstand (37 Prozent) und Einkommen (30 Prozent) an sich zu binden und ihrer Angst vor der Globalisierung und einer in ihren Augen oft übermächtigen Europäischen Union Ausdruck zu verleihen.

Dieses Phänomen ist nicht neu, es bestätigt den seit 2012 anhaltenden Aufwärtstrend des Front National, der im Wahljahr 2014 eine besondere Beschleunigung erfuhr. Schon im März war es der Partei bei den Kommunalwahlen gelungen, in elf Rathäuser – unter anderem in Hénin-Beaumont, Fréjus und Béziers – einzuziehen. Mit ihren mehr als tausend Kommunal- und Stadträten und ihren zwei Abgeordneten im französischen Parlament ist die rechtsextreme Partei heute nicht mehr nur externe Beobachterin des politischen Geschehens: Sie ist schon lange in den Institutionen der französischen Republik angekommen. Dabei erweist sich die verheerende politische, soziale und wirtschaftliche Lage Frankreichs als besonders günstig für den Machtausbau des FN.

Rechtsextreme Profilierungsversuche im krisengebeutelten Frankreich

Die Franzosen gelten schon lange als misstrauisches und pessimistisches Volk, das vom unvermeidbaren Niedergang der Grande Nation überzeugt ist. Dieses Krisenbewusstsein scheint jedoch seit 2012 und dem Amtsantritt Präsident Hollandes zur französischen Obsession mutiert zu sein. Die jüngsten Korruptionsskandale und politischen Affären, in denen sowohl die konservative UMP und mit ihr der ehemalige Präsident Nicolas Sarkozy und der ex-Parteivorsitzende Jean-François Copé als auch die Parti Socialiste verstrickt sind, haben die politische Elite nach Ansicht vieler Wähler disqualifiziert. Mit einer Zustimmungsrate von rund 20 Prozent ist François Hollande der unbeliebteste Präsident der Fünften Republik; dementsprechend kämpft auch die sozialistische Regierung um ihre politische Legitimität.

Das konservative Lager seinerseits bildet keine starke Opposition: Seit dem Rückzug Sarkozys aus der Politik lähmen interne Querelen und Missstände die UMP, die zu implodieren droht. Was bleibt, ist ein gestörtes Verhältnis der Franzosen zu den politischen Institutionen und zum demokratischen System allgemein: 69 Prozent der Franzosen meinen, die Demokratie funktioniere schlecht, nur 8 Prozent vertrauen den politischen Parteien.

Die politische Krise sowie die schwächelnde Wirtschaft, die fortschreitende Deindustrialisierung des Landes und die hohe Arbeitslosigkeit spielen den Rechtsextremisten in die Hände. In weiten Teilen der Bevölkerung herrschen Verunsicherung und soziales Unbehagen. In diesem Kontext ist der von der Regierung seit 2013 angesetzte Sparkurs, der die Steuern der Franzosen in die Höhe trieb und ihre Kaufkraft reduzierte, besonders unpopulär. Die politisch-wirtschaftliche Perspektivlosigkeit löst bei vielen Menschen Frustrationen aus, und das Aussetzen wichtiger Strukturreformen nährt die Angst vor einer allgemeinen Deklassierung Frankreichs.

In diesem brisanten Klima nutzen rechtsextreme Kreise jeden Anlass, um sich öffentlich hervorzutun und ihre Ideen und Werte medienwirksam in Szene zu setzen. Dabei wird unter anderem die Gesellschafts- und Familienpolitik zum Anlass genommen, um die sozialistische Regierung anzugreifen und rechtsextremes Gedankengut zu verbreiten. Das wohl markanteste Beispiel war die homophobe "Demo für alle“ (Manif pour tous), die Ende 2012 von Erzkonservativen als konterrevolutionäre Bewegung ins Leben gerufen wurde und viele Monate lang über die reaktionären Kreise hinaus Abermillionen Franzosen gegen die "Ehe für alle“ (Mariage pour tous) und die rechtliche Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mobilisiert hat.

Die Auseinandersetzungen um das neue Ehegesetz spalteten die Gesellschaft und führten auch zu rassistischen Auswüchsen: Die aus dem Überseedepartement Französisch-Guayana stammende Justizministerin, Christiane Taubira, die das Gesetz vorangetrieben hatte, wurde in den sozialen Netzwerken und in Minute, einer rechtsextremen Zeitschrift, wiederholt als "Affe“ diffamiert. 2013 führte der Regierungsplan zum Abbau von sexistischen Stereotypen im Schulunterricht, das sogenannte "ABCD der Gleichheit“ (ABCD de l’égalité), zur Auflehnung konservativ-reaktionärer Kreise gegen den sozialistischen Staat. Diesen gesellschaftlichen Unmut haben rechtsextreme Kreise in den letzten zwei Jahren für ihre Zwecke instrumentalisieren können und sich in der Öffentlichkeit einen für sie wohligen Platz verschafft. Der Erfolg des FN aber ist nicht allein auf diesen Kontext zurückzuführen, auch der innerparteiliche Strategiewechsel, der seit 2011 mit der Modernisierung des Parteiimages einherging, hat wesentlich zum Erstarken der Partei beigetragen.

Ein "neuer" Front National? Der Kurswechsel einer alten rechtsextremen Partei

Das Hauptanliegen Marine Le Pens ist die Normalisierung jener rechtsextremen Partei, die ihr Vater, Jean-Marie Le Pen, als Mitbegründer und langjähriger Vorsitzender wegen seiner Radikalität in der Vergangenheit oft ins politische Abseits befördert hatte. Der neue Kurs, den sie seit ihrer Amtsübernahme 2011 eingeschlagen hat, ist vor allem der Deradikalisierung und der politischen Rehabilitierung der Partei gewidmet: Unliebsame neonazistische Aktivisten wurden aus der Partei ausgeschlossen, das Auftreten der Parteikader professionalisiert und die FN-Rhetorik verfeinert.

Die Neuausrichtung geht auch mit der symbolischen Abkehr von Jean-Marie Le Pen einher, der wohlgemerkt weiterhin Ehrenvorsitzender des FN ist. Um ihre Selbstständigkeit zu betonen, schuf Marine Le Pen sich ihre eigene politische Marke, den "Marineblauen Zusammenschluss“ (Rassemblement bleu marine), der zwar an die Parteifarbe erinnert, dabei aber genauso ihrem Persönlichkeitskult dient und gleichzeitig von dem zu martialisch wirkenden "Front“ ablenkt. Außerdem distanzierte sich Marine Le Pen auch inhaltlich von ihrem Vater, indem sie die eher traditionalistisch-katholische Ausrichtung der Partei durch eine laizistisch-republikanische Linie mit sozialem und antikapitalistischem Schwerpunkt ersetzte. Trotz dieser ideologischen Kehrtwende hat sich die Partei kaum von ihren althergebrachten Prinzipien verabschiedet: Die rassistische "nationale Priorität“ (priorité nationale) bleibt eine der Hauptsäulen ihres Programms.

Durch ihre Modernisierungsbemühungen hat sich vor allem das Parteiimage grundlegend verändert. Der FN hat sich vom Ruch des systemfeindlichen Rechtsextremismus entfernt und tritt immer mehr mit als regierungsfähige Partei in Erscheinung. Es ist ihr gelungen, weit über ihre historische Stammklientel hinaus neue Mitglieder und Sympathisanten an sich zu binden. Auch ihre Wahrnehmung in der Öffentlichkeit hat sich fundamental verändert: Umfragen zufolge betrachten 53 Prozent der Franzosen den FN nun als normale Partei. Dies ist vor allem Marine Le Pens Verdienst, die den neuen Kurs der Partei verkörpert und ihn in den Medien für viele Franzosen anscheinend überzeugend verteidigt. Der herausragende Erfolg des FN bei der Europawahl zeugt von Le Pens außerordentlicher Fähigkeit, die Stimmung im Lande einzufangen, ideologisch aufzuladen und in politisches Kapital umzumünzen.

Die Europawahl als trojanisches Pferd: das FN-Programm gegen Europa

Marine Le Pen nahm die Europawahl zum Anlass, um einen doppelten rhetorischen Schachzug auszuführen: Einerseits geißelte sie die Europäische Union als Ausgeburt der Globalisierung; andererseits distanzierte sie sich als "Patriotin" sowohl von der UMP als auch von der PS, die sie als "UMPS“ und "Globalisten“ (mondialistes) bezeichnete und für den vermeintlichen Ausverkauf französischer Interessen verantwortlich machte.

Während des Wahlkampfs erhob der FN die Zurückeroberung der französischen Souveränität und die Einführung eines "intelligenten Protektionismus“ (protectionnisme intelligent) zum obersten Ziel: Er forderte unentwegt den Austritt Frankreichs aus der EU, die Auflösung der Schengener Abkommen, die Wiedererrichtung staatlicher Grenzen, die Einführung von Schutzzöllen sowie die Aufgabe der europäischen Währung und die Rückkehr zum französischen Franc. Besonders betonte er dabei die als verheerend präsentierten Folgen der "Masseneinwanderung" in Europa und verlangte ihre drastische Reduzierung. Die Europäische Union erklärte der FN kurzerhand zur Wurzel allen Übels – der sozialen Ungerechtigkeit, der Arbeitslosigkeit oder der "kulturellen Überfremdung" Frankreichs. Der FN fand so bei jenen Franzosen Anklang, die sich von der Abschottung des Landes ein besseres Leben versprechen.

Auch wenn Europawahlen im Vergleich zu nationalen Wahlen in Frankreich traditionell als abkömmlich empfunden werden und oft auch zum Anlass für eine Protestwahl genommen werden, ergaben Umfragen, dass 2014 vor allem "europäische Fragen" (gemeint ist die Zuwanderung), soziale Belange (Arbeitslosigkeit, Kaufkraft) und die Krise der Euro-Zone die Stimmenabgabe der Franzosen maßgeblich beeinflusst haben. Die europäischen Werte, die Wahrung des Friedens, der Sicherheit oder des Umweltschutzes konnten wiederum nur wenige Menschen mobilisieren.

Das ist ein Trend: Seit 2008 hat sich das Verhältnis der Franzosen zur EU kontinuierlich verschlechtert. Galt sie vor der Wirtschaftskrise noch als konsensstiftendes Schutzschild, so werten nur noch 40 Prozent der Franzosen ihre Zugehörigkeit zu Europa als etwas Positives; vielen ist sie gleichgültig geworden. Das mag auch daran liegen, dass im Vorfeld der Europawahlen die Franzosen von staatlicher Seite wenig über das Wesen und die Vorzüge der EU aufgeklärt wurden und auch die etablierten Parteien jahrelang gegen das zu "liberale", zu "freizügige", zu "bürokratische" oder zu "mächtige" Europa Stimmung machten.

Frankreich, was nun?

Auch wenn das spektakuläre Ergebnis des Front National die Franzosen vorerst aufgescheucht hat, bleibt es fraglich, wie es in Frankreich politisch weitergehen soll. Zwar zeigten sich 65 Prozent der Franzosen über das Voranschreiten der rechtsextremen Partei besorgt, dennoch hat es in Frankreich nach der Wahl im öffentlichen Raum kaum Proteste gegen den FN gegeben.

Noch ist der Front National nicht am Ziel, noch nicht stärkste Partei Frankreichs – einige Hürden muss er noch überwinden. Der Partei fehlt es landesweit z.B. weiterhin an qualifizierten Kadern und erfahrenen Mandatsträgern. Auch der Umgang mit Jean-Marie Le Pen und seinen Provokationen fällt ihr nicht immer leicht. Mit seinen 23 Abgeordneten im EU-Parlament hat der Front National zwar einen komfortablen Platz eingenommen, doch ist es ihm nicht gelungen, mit seinen europäischen Verbündeten eine Interner Link: eurofeindliche Fraktion zu gründen, die ihm zu mehr Einfluss und finanziellen Mitteln verholfen hätte. Noch muss er um seine politische Glaubwürdigkeit kämpfen.

Für Marine Le Pen bleibt diese Wahl ein wichtiger Etappensieg auf ihrem Weg zur erstrebten Macht: 2014 versteht sie als Vorspiel für die Präsidentschaftswahlen von 2017, wo sie sich schon in der Stichwahl sieht. 2022 will sie dann die erste FN-Präsidentin Frankreichs werden. Es bleibt den Demokraten wenig Zeit, um dieses schauerliche Szenario abzuwenden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Angaben des französischen Innenministeriums.

  2. IPSOS/Steria: Elections européennes: comprendre le vote des Français, 29.5.2014.

  3. Ipsos/Cevipof/Fondation Jean-Jaurès: France 2014: Les nouvelles fractures, Januar 2014.

  4. Die "Ehe für alle“ auch Taubira-Gesetz (loi Taubira) genannt, trat nach hitzigen parlamentarischen Debatten, Massendemonstrationen und zahlreichen Ausschreitungen am 18. Mai 2013 in Kraft.

  5. BVA: La place du Front National dans la vie politique française, 31.05.2014.

  6. Ipsos/Cevipof/Fondation Jean-Jaurès: France 2014: Les nouvelles fractures, Januar 2014.

  7. BVA: La place du Front National dans la vie politique française, 31.05.2014.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 3.0 DE - Namensnennung - Nicht-kommerziell - Keine Bearbeitung 3.0 Deutschland" veröffentlicht. Autor/-in: Valérie Dubslaff für bpb.de

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Valérie Dubslaff (Jg. 1986) arbeitet als Dozentin an der Universität Paris-Sorbonne. Zu ihren Forschnugsschwerpunkten gehören Frauen im Rechtsextremismus und rechtsextreme Strömungen in Frankreich.