Dass dem vorbestraften Gewalttäter Siegfried Borchardt, genannt "SS-Siggi", seitens des Fußballbundesligisten Borussia Dortmund schließlich gerichtlich untersagt wurde, den Slogan "Von der Südtribüne in den Stadtrat" zu verbreiten, konnte auch nichts mehr daran ändern: Nun ist er drin. Reingewählt - in den Stadtrat. Im vergangenen Jahr hatte Borchardt als lokaler Spitzenkandidat der neu gegründeten rechtsextremen Partei "Die Rechte" unter diesem Spruch mit seinem weithin bekannten Gesicht geworben. Dagegen hatte der BVB erfolgreich geklagt, weil er die Strahlkraft der größten Stehplatztribüne Europas nicht mehr mit Rechtsextremisten teilen möchte.
Denn der Ballspielverein Borussia hat ein rechtsextremes Problem, nicht als einziger der insgesamt 38 Vereine in der Ersten und Zweiten Fußballbundesliga. Aber er ist der prominenteste unter den Betroffenen, derjenige mit den meisten Fans und noch dazu einer, an dessen Standort die Rechtsextremisten zahlreich und besonders aktiv sind. So war es eine Bundestagsabgeordnete aus einem Dortmunder Wahlkreis, die mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag die Bundesregierung zur Rede über die rechtsextreme Anhängerschaft der Bundesligavereine stellte. Und immerhin: 16 Bundesligavereine seien betroffen, heißt es in der Antwort von Beginn dieses Jahres. Fachleute wie der Fanforscher Gerd Dembowski von der Universität Hannover gehen sogar davon aus, dass es noch mehr Vereine sind. Diese Meinung teilt er mit Verantwortlichen der bereits bekannten Clubs, zu denen neben dem BVB unter anderen Eintracht Braunschweig, Fortuna Düsseldorf, Mönchengladbach, Bremen und Köln gehören. Clubs aus westdeutschen Großstädten, wo
Die Südtribüne stärkt die rechte Szene
Dortmund ist nicht nur die deutsche Fußballhauptstadt, als die sie der Verein und mit ihm eine große Zahl der Menschen in dieser Stadt sieht, Dortmund ist auch eine Hochburg der rechtsextremen Szene, die Hauptstadt der bundesweiten AN-Bewegung. Hier ist die Szene dicht, gut organisiert, ideologisch gefestigt und seit Jahren straff geführt von denselben Kadern, von denen die meisten selbst aus der Fanszene stammen. Über Jahre konzentrierte sich die rechtsextreme Gewalt im bevölkerungsreichen Nordrhein-Westfalen. Alleine fünf Menschen kamen hier durch die Hände von Neonazis seit 2000 zu Tode, Dutzende wurden verletzt. Die Gewaltforscherin Claudia Luzar von der Fachhochschule Dortmund sagt, dass in fast allen dieser Fälle die Täter aus der Fanszene des BVB kommen. "Das sind Kinder dieser Stadt. Ohne die Südtribüne und ohne den BVB würde die rechtsextreme Szene nicht so stark sein, wie sie ist." Zwar ist "SS-Siggi" längst nur noch die Ikone der Szene und nicht mehr deren Anführer, aber seine bundesweiten Kontakte nutzen auch der jungen Generation. Zum Freundeskreis von "SS-Siggi" zählte vor Jahren auch ein schwerbewaffneter BVB-Anhänger, der auf einer Amokfahrt in Dortmund und Umgebung drei Polizisten erschossen hat, bevor er sich schließlich selbst richtete. Dessen Kameraden verteilten anschließend Aufkleber mit einer höhnischen Fußballanalogie in der Stadt: "B. war ein Freund von uns, 3:1 für Deutschland."
Ein anderer Bekannter von SS-Siggi und immer noch aktiver Neonazi-Hooligan des BVB, Sven K., erstach 2005 auf dem Rückweg von einem Amateurspiel einen Punk mit einem Wurfmesser in der am stärksten besuchten Dortmunder U-Bahn-Station "Kampstraße". Nach der Verbüßung seiner Jugendstrafe wurde der Kampfsportler wieder gewalttätig: Unmittelbar nach einem Derbysieg über Schalke 04 schlug er mit anderen rechtsextremen BVB-Anhängern zwei türkische Jugendliche in der Innenstadt zusammen - aus Hass auf Muslime. Beide Opfer kommen aus der Gegend um den berühmten Borsigplatz, der Wiege des BVB, wo der Verein bis heute seine größten Siege feiert. Die beiden Jugendlichen sind auch noch zwei Jahre nach dem Angriff traumatisiert, wollen selbst nicht darüber reden. Einer der beiden Väter, Murat S., spricht über seinen Sohn, einen glühenden BVB-Fan, der sich nun aber nicht mehr ins Stadion traut. Aus Angst vor den Neonazis, die ihm eine Bierflasche auf dem Kopf zertrümmert haben. "Wenn ich meinen Sohn jetzt sehe, tut es mir in der Seele weh, ihn nicht da hin zu bringen, obwohl er BVB-Fan ist."
Der Verein hat das Problem jahrelang ignoriert
Als Claudia Luzar vor drei Jahren in Dortmund die erste westdeutsche Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt aufgebaut hat, musste sie feststellen, dass die meisten der betreuten Opfer, vor allem Migranten und Linke, von rechtsextremen Gewalttätern angegriffen wurden, die aus dem Fanumfeld des BVB stammten. Für ihre Forschung hat die Wissenschaftlerin etliche Interviews mit Neonazis und deren Opfern geführt. Häufig habe die Radikalisierung der Täter im Umfeld des Fußballs ihren Ursprung gehabt, sagt sie. Aber lange Zeit hat es der Verein negiert, dass er von Neonazis für deren politische Zwecke missbraucht wurde. Aus Sicht der Gewaltforscherin hatte das Wegsehen des BVB unübersehbare Folgen: "Dass die Szene größer geworden ist, dass die rechtsextreme Szene auch über den BVB rekrutiert hat, auch mit dem Mittel der Gewalt, was für viele Fußball-Fans ja attraktiv ist." Auch wenn der Verein das Problem inzwischen erkannt hat, wirft Luzar ihm vor, dass er jahrelang der sozialen Verantwortung nicht gerecht wurde, die ihm angesichts seiner riesigen Bedeutung für die Stadtgesellschaft zukommt. Denn für sie ist der BVB der größte gemeinsame Nenner, für die Stadt ist er das wichtigste Aushängeschild.
Auch Fabian B. kam über den BVB in die rechtsextreme Szene. Sein wirklicher Name muss geheim bleiben, weil er Angst hat vor der Rache seiner ehemaligen Kameraden. Vor zwei Jahren ist er ausgestiegen; zuvor stand er jahrelang mit auf der Südtribüne. Dort kann er sich heute nicht mehr blicken lassen. Der Verein, sagt er, habe den Neonazis im Stadion kaum etwas entgegengesetzt. "Bis vor ein paar Jahren hat der BVB das alles total locker gehandhabt. Maßnahmen wie Stadionverbote sind nur ganz selten umgesetzt worden. Der BVB hat das Problem nicht ernst genommen und hat das lange schludern lassen." Die Einschätzung von Fabian B. zeigt sich auch in einer schriftlichen Antwort des ehemaligen BVB-Pressesprechers Josef Schneck auf eine Recherche des "Stern", der die rechtsextremen Aktivitäten auf der Tribüne 2010 erstmals dokumentierte. Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, äußerte sich Schneck wie folgt: "Ich darf Ihnen mitteilen, dass von einem ‘Nazipulk‘ weder Borussia Dortmund noch unserem Ordnungsdienst etwas bekannt ist (…). Bisher sind nach Kenntnis des BVB auch keine Bestrebungen von Nazis im Gange, im Fußball Fuß zu fassen." Immer wieder wurde der Verein zu dieser Zeit von der Stadt Dortmund angefragt, sich über prominente Gesichter Vereins bei öffentlichen Auftritten gegen die Rechtsextremisten in der Stadt zu positionieren. Und immer wieder fiel die Antwort negativ aus. Dabei hätte die direkte Ansprache von jungen Spielern zweifelsfrei eine Wirkung auf Jugendliche gehabt, von denen viele schon früh in Dortmund Sympathien für den BVB hegen. Für Kevin Großkreutz, Mats Hummels, Nuri Sahin, und nicht zuletzt auch für den Trainer Jürgen Klopp.
Ein "Soli-Banner" auf der Südtribüne brachte die Wende
Für den erwähnten Ordnungsdienst, dem von einem "Nazipulk nichts bekannt" war, arbeiteten zu diesem Zeitpunkt selbst noch einige aktive Rechtsextremisten während der BVB-Heimspiele. Junge Männer mit Kontakten zu den Ultras, vor allem zu der Gruppe "Desperados", die sich selbst als "rechtsoffen" bezeichnet. Die rund 150 Mitglieder wähnen auch Rechtsextremisten unter sich und unter ihren Freunden. Etwa den ehemaligen Stadionordner Tino K., einen Hooligan und Wettkampf-Freefighter, der Dortmunder Neonazis im Kampfsport schult. Erst nachdem dieser als Fan auf der Südtribüne bei einem Heimspiel gegen Werder Bremen zu Beginn der Saison 2012/2013 ein Banner ausrollte, auf dem Solidarität mit der kurz zuvor verbotenen Dortmunder Neonazis-Kameradschaft "Nationaler Widerstand Dortmund" gefordert wurde, änderte sich die ignorante Haltung des BVB. Das Foto von dem stadtbekannten Neonazi-Hooligan mit dem Soli-Banner in Block 15 wurde zigfach in Fernsehen, Print und Internet verbreitet. Von nun an hatte der BVB ein Problem, dass sich nicht mehr wegkomplimentieren ließ. Von nun an war die Öffentlichkeit aufmerksam, registrierte eine lange Liste von Vorfällen: Den Angriff auf zwei Fanarbeiter durch Neonazis bei einem Auswärtsspiel in der Champions-League, eine Fanrandale rechtsextremer Hooligans beim anschließenden Finale in London, einen provokativen Hitlergruß auf dem Absperrzaun der Südtribüne während eines Heimspiels.
All das wurde nun auch von den Mitgliedern eines Runden Tisches gegen Rechtsextremismus bewertetet. Daran sitzen Vertreter vom Fanprojekt, des Vereins, polizeiliche Staatsschützer, die Stadt Dortmund sowie einzelne Wissenschaftler. Hier wurden seither Stadionverbote verhängt, der Ordnungsdienst wurde von der Polizei darauf geschult, wie Rechtsextremisten unter den Fans zu erkennen sind und angewiesen, das fast 82.000 Menschen fassende Stadion vor den Heimspielen auf rechtsextreme Symbole, Aufkleber und Schriftzüge zu durchsuchen. Inzwischen gibt es einen ganzen Katalog von Maßnahmen, in dem sich ein hektischer Aktionismus gegen rechts ausdrückt, wie ihn die Bundesliga in ihrer 50-jährigen Geschichte noch nicht erlebt hat. Inzwischen gibt der BVB auch zu, dass er zu spät auf das Problem mit den rechtsextremen Fans reagiert hat: "Wir müssen uns dieser Kritik grundsätzlich stellen", sagt der Fanbeauftragte Daniel Lörcher, "ich möchte aber viel mehr betonen, dass wir jetzt das Problem erkannt haben und etwas machen. Und dass wir das auch nachhaltig und mit einem unglaublichen finanziellen, logistischen und inhaltlichen Aufwand machen." So könnte es dem BVB kurzfristig gelingen, die wertvolle Marke eines überaus beliebten Fußballvereins zu schützen. Aber die Neonazis, die aus seinem Umfeld gewachsen sind, wird der Verein und mit ihm die Stadt so schnell wohl nicht wieder los.