Für die Beamten vom Staatsschutz war es nur eine von vielen Razzien in der rechtsextremen Musikszene. Seit Jahrzehnten ging es dabei stets um Rockmusiker mit E-Gitarren und Schlagzeug. Doch bei dieser Hausdurchsuchung im September 2012 suchten die Beamten lediglich Mikrofone, Laptop und DJ-Pult. Ziel der Polizeiaktion waren die Wohnungen des damals 24-jährigen rechtsextremen Rap-Musikers "Makss Damage" in Gütersloh und seines Kollegen Björn B. in Bielefeld, der unter dem Pseudonym "King Bock" auftritt. Ihr Lied "Die Faust geht zum Kopf" setzt sich aus brutalen Gewaltfantasien gegen Migranten und nicht-rechte Jugendliche zusammen. Die Staatsanwaltschaft sah darin den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllt und ordnete die Durchsuchung an.
Neonazis, die rappen? Das schien einige Jahre zuvor noch undenkbar. Bislang war der in US-amerikanischen Ghettos entstandene Sound den meisten Neonazis regelrecht verhasst. Der NPD-Abgeordnete Tino Müller bezeichnete im Schweriner Landtag Hip-Hop als einen "krankhaften Auswuchs".
Erst mit dem Aufstieg der Autonomen Nationalisten ab 2003 erweiterte sich langsam auch die Spannbreite rechtsextremer Musik. "Ob du Hip-Hopper, Rapper oder sonst irgendwas [bist], ob du Glatze oder lange Haare hast: Völlig egal! – Hauptsache du bist gegen das herrschende System!"
Die Wandlung des Julian Fritsch
Das weiß auch Neonazi Julian Fritsch, der sich hinter dem Pseudonym Makss Damage verbirgt. Seine Lieder veröffentlicht er meist kostenlos zum Herunterladen auf seiner Webseite. 2011 wurde er über Nacht zum neuen Stern am deutschen Neonazi-Hip-Hop-Himmel. Dabei verstand ausgerechnet er sich früher als glühender Kommunist. Sein Werdegang erinnert an die bizarre Wandlung von Horst Mahler vom RAF-Terroristen zum Neonazi und Holocaustleugner. Der 1988 geborene Fritsch trat bereits seit 2008 unter dem Künstlernamen Makss Damage auf. Er bezeichnete sich selbst als Stalinisten und provozierte mit sexistischen, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Texten. "Ich leite Giftgas lyrisch in Siedlungen, die jüdisch sind", hieß es in einem seiner Songs. In anderen Liedern forderte er: "Lass den Davidstern brennen!" und "Tötet diese antideutschen Hurensöhne!" Wegen Protesten linker Gruppen musste Fritsch mehrfach Auftritte absagen.
Im Jahr 2010 verschwand Makss Damage plötzlich von der Bildfläche, um ein dreiviertel Jahr später genauso überraschend wieder aufzutauchen. Im März 2011 veröffentlichte ein rechtsextremes Webportal ein Videointerview mit ihm.
Der schlecht gefilmte Auftritt von Fritsch in einem schummrigen Ruhrpott-Café wirkte so skurril, dass viele die Aufnahmen anfangs für eine Fälschung hielten. Doch kurze Zeit später marschierte der Musiker tatsächlich bei Naziaufmärschen mit, und auf seiner Webseite erschien ein offizielles Statement: "Ich habe mich komplett vom Marxismus-Leninismus losgesagt und werde dies auch noch öfters unter Beweis stellen. Ich verstehe mich als angehender Nationaler Sozialist."
Seither gilt Makss Damage als erster ernstzunehmender Neonazirapper. Textlich hat er sich weiter radikalisiert. Auf seiner ersten CD als Neonazi mit dem Titel "Sturmzeichen" breitet er Vergewaltigungsfantasien gegen linke Aktivistinnen aus: "Antifantenmädchen, wollt ihr was erleben? Wenn ihr Bock auf blasen habt, dann sehen wir uns in Dresden!" An anderer Stelle ruft er zum Mord an Gegendemonstranten auf: "Knack-di-Knack, die Knochen brechen, Pech gehabt, das Zeckenpack platt, Tetrapack-ähnlich auf seinem Weg in den Getränkesack. Für dein Geschrei […] kriegst du eine Kugel geschenkt."
Die NPD erkannte Fritschs Talent schnell, im September 2011 erschienen gleich zwei seiner Lieder auf einer Schulhof-CD für den Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus. Prompt wurde die CD indiziert. Die Begründung der Bundesprüfstelle unterstützt das Image des Musikers als brutaler Neonazi-Rapper. In seinen Texten "eskaliert der dort propagierte Hass in Aufrufen zur gewaltsamen physischen Vernichtung der beschriebenen Gegner", heißt es dort. "In jugendaffiner Weise werden hier die Auseinandersetzungen Jugendlicher deutscher und türkischer Herkunft beschrieben und kompromisslose Gewalt als Mittel der Auseinandersetzung ausdrücklich bejaht."
Seit er Neonazi geworden ist, genießt der Musiker Fritsch seine Rolle als Tabubrecher – und die Huldigungen, die ihm von linker Seite so lange verwehrt blieben. "Rechtsrap ist auf dem Vormarsch und hält Einzug auf den Festplatten, MP3-Playern und in den Herzen der deutschen Jugend", tönt er auf seiner Webseite. "Diese Entwicklung ist jetzt nicht mehr aufzuhalten."
Musik als Transportmittel politischer Weltanschauung
Fritsch war nicht der erste, der den populären Hip-Hop für rechtsextreme Zwecke nutzte, aber er war der erste, dem es gelang, die Musik authentisch rüberzubringen. Bis dahin war es ein langer Weg. "Ich bin der deutsch gebliebene Deutsche in der Sprechgesangsmusik, der anstatt Koks lieber rot-weiß-schwarze Flaggen hochzieht", texteten beispielsweise 2010 n'Socialist Soundsystem (NSS) aus dem Raum Ludwigshafen. Aber hier standen keine echten Hip-Hopper hinter den Mikros, es handelte sich lediglich um ein Nebenprojekt der bekannten Rechtsrockband Häretiker. Nach ähnlichem Muster wagten sich im selben Jahr Mitglieder der Neonazi-Band Eternal Bleeding aus Altenburg (Thüringen) ins Studio. Mit Reimen wie "ist das Banner und die Fahne auch mal zerfetzt – Nationaler Sozialismus, jetzt, jetzt, jetzt!", holperten die Rechtsrocker zu knarzenden Synthesizer-Beats durch sechs Songs. Aus der Szene schlug den Musikern Häme und Kritik entgegen. Der Sänger rechtfertigte sich in einem Interview, man habe die Musik "als Transportmittel politischer Weltanschauung" nutzen wollen. Die Begeisterung bei Jugendlichen für diese unauthentischen Neonazi-Rapper hielt sich erwartungsgemäß in Grenzen. Doch spätestens mit dem Erfolg von Makss Damage hat sich der von Rechtsextremisten "NS-Rap" getaufte Musikstil einen festen Platz in der Szene erobert.
Noch schneller, noch härter – National Socialist Hardcore
Wer nicht auf Hip-Hop, sondern auf harte Gitarrenmusik steht, wird ebenfalls mit Neuem aus der Szene bedient. Die Zeiten in denen es nur schlechte Aufnahmen mit rumpligem Rechtsrock gab, sind lange vorbei. "National Socialist Hardcore", abgekürzt NSHC, heißt der neuste Musiktrend unter jungen Neonazis. Extrem schnelles Schlagzeug, harte Riffs und bis zur Unverständlichkeit geschriene Texte machen ihn aus. Es ist der Soundtrack der neuen Generation von Neonazis, es ist die Musik der Autonomen Nationalisten. Mit der platten Neonazirockmusik der 1990er Jahre hat das kaum noch etwas zu tun.
Wo früher ausschließlich Skinheads vor der Bühne johlten, bestimmen jetzt Piercings, Turnschuhe, Kapuzenjacken und die aus US-amerikanischen Ghettos entlehnten Bandana-Kopftücher das Bild. So wie das Publikum an der Kleidung nur noch schwer als rechtsextrem zu erkennen ist, verhält es sich auch mit der Musik. Eindeutige Parolen, die sonst die Refrains von Neonazibands ausmachen, sucht man meist vergeblich. Statt auf Deutsch singen die meisten Bands englische Texte.
Ein Protagonist aus dem NSHC-Milieu ist der aus Thüringen stammende Rene Weiße. Seine Arme sind bis zu den Handgelenken mit bunten Tätowierungen überzogen, er trägt Koteletten und hat übergroße Löcher in den Ohren. Seine NSHC-Band Brainwash genießt unter den Autonomen Nationalisten Kultstatus. Das erste Album "Moments of truth" sei für ihn "ein ganz neues Erlebnis gewesen", schreibt ein Rechtsextremist im Internet. "Das ist genau das Extrem, was mir Gänsehaut verschafft. Ich bin hin und weg!"
Die musikalische Vorlage für die heutigen NSHC-Bands kommt aus den USA und versteht sich eigentlich explizit als antirassistisch. Hardcoremusik war und ist eng mit der linksalternativen Szene verbunden. In den USA hatten sich zu Beginn der 1980er Jahre aus der Punkbewegung heraus die ersten Hardcorebands entwickelt. Ihre Musik war noch schneller, aggressiver und härter als der bis dahin die Subkultur dominierende Punkrock. Dessen selbstironische Elemente verschwanden im Hardcore und wichen einer überbetonten Männlichkeit. Der politische Anspruch, Missstände der Gesellschaft radikal zu kritisieren und positive Veränderungen einzufordern, blieb jedoch – zumindest bei den meisten Musikern – erhalten.
Doch im Laufe der Jahrzehnte wurde die Musik von großen Plattenfirmen entdeckt und erreichte über das Musikfernsehen Ende der 1990er Jahre auch den Mainstream. Gleichzeitig ging bei manchen Bands der ursprüngliche emanzipative Grundgedanke des Hardcore verloren. Vereinzelt hielten abfällige Aussagen über Drogenabhängige und sozial Schwache Einzug in die Texte und dienten als Anknüpfungspunkt für rechtsextreme Strategen. Der Wunsch, immer härter, extremer und schneller zu werden, wirkte anziehend auf Jugendliche, denen es mehr um Gewalt ging als um Musik. Neonazis erkannten das Potential und die Attraktivität von Hardcore und begannen, den Musikstil für sich zu nutzen. Ab 1997 kamen erstmals US-Neonazibands wie Aggravated Assault und Blue Eyed Devils auf Deutschlandtournee und spielten in Hallen vor bis zu tausend Zuschauern.
Bald entstanden die ersten deutschen Hardcorebands aus dem rechtsextremen Milieu, damals noch mit wenig Außenwirkung. "Als die Amis anfingen, die ersten Scheiben nach Europa zu verschiffen, waren wir sehr angetan von dieser Energie, der Kraft, die von dieser Musik ausgeht", schwärmen zwei Mitglieder der sachsen-anhaltinischen Band SEK in einem Interview mit der Szene-Zeitschrift "Blood&Honour Deutschland". "Diese Musikrichtung gab vielen Bands eine neue Richtung."
Neue rechte Musik: klandestiner und verklausulierter
In den vergangen Jahren ist der NSHC-Sound durch die Autonomen Nationalisten endgültig in der Szene angekommen. Die Zahl der Bands und Labels steigt kontinuierlich. Das Bundesamt für Verfassungsschutz geht davon aus, dass es sich bei 15 Prozent aller aktiven rechtsextremen Musikgruppen um NSHC-Bands handelt. Einstige Kultbands wie Skrewdriver, Landser oder Störkraft werden langsam, aber sicher vom musikalischen Nachwuchs überholt und abgelöst. Denn der Neonazi-Hardcore schafft es, eine ungleich größere Dynamik zu entwickeln als die musikalisch wie textlich stets begrenzt gebliebenen Skinhead-Bands.
Ganz bewusst und im Gegensatz zu den traditionellen Rechtsrockern verzichten diese neuen Bands meist auf plakativen Rassismus und eindeutige Mordfantasien. Sie geben sich lieber sozialkritisch und antikapitalistisch – und verbinden das mit neonazistischer Propaganda. "We take it from the rich und give it to the poor. No communism. No capitalism. National Socialism", singen beispielsweise Path of Resistance aus Rostock in ihrem Lied "The Third Way". Die Band empfiehlt als Lösung für das wachsende Armutsproblem eine neue NS-Diktatur.
Vor allem bei den jüngeren NSHC-Gruppen gibt es nur selten eindeutige Hinweise auf den rechtsextremen Hintergrund, egal ob in den Texten, der Kleidung oder der Bandsymbolik. Wie bei linken Hardcore-Bands geht es in den Liedern oft um kontroverse Themen wie soziale Ungerechtigkeit, Globalisierung oder Umweltzerstörung. Die Neonazikapellen aber sprechen solche Probleme an, um sie dann – oft unterschwellig – mit antisemitischen oder rassistischen Thesen aufzuladen. Dank dieser Strategie der Uneindeutigkeit will man auch Jugendliche erreichen, die sich für expliziten Rechtsrock nicht interessieren würden.
Die Argumentationsmuster der Texte sind typisch für Neonazi-Propaganda: Komplexe gesellschaftliche Probleme werden simpel erklärt, Kriege und die Schattenseiten der Globalisierung zum Beispiel werden pauschal den USA und einer herbeifantasierten "jüdischen Weltherrschaft" in die Schuhe geschoben. Der in der Hardcore-Szene seit den 1980er Jahren weitverbreitete Straight-Edge-Lebensstil (Verzicht auf Drogen, Fleisch und ständig wechselnde Sexualpartner) wird geschickt umgedeutet zu einem Mittel, den „gesunden deutschen Volkskörper“ zu erhalten. Die subkulturell geprägte, aber dennoch mainstreamfähige urbane Hardcore-Musik (und Mode) ist dynamisch und modern – genau so, wie die Autonomen Nationalisten sein wollen. Stylisches Auftreten und Männlichkeit werden in den Vordergrund gerückt, die rechtsextreme Ideologie ist erst zwischen den Zeilen zu erkennen. Nur auf szeneinternen Webseiten sprechen die Musiker offen. "Wir sind politische Kämpfer", sagt beispielsweise die Gruppe Moshpit aus Altenburg (Thüringen). "Wir sind Nationale Sozialisten und wollen mit intelligent verpackten Texten unseren Beitrag leisten, im Kampf gegen Ungerechtigkeit, Meinungsdiktatur und Unterdrückung der freien Entfaltung der Völker."