Das Interview führte Toralf Staud
Seit rund zehn Jahren versucht die NPD regelmäßig, mit sogenannten Schulhof-CDs Aufmerksamkeit zu erregen. Erstmals im sächsischen Landtagswahlkampf 2004 verteilte sie diese Tonträger, in denen Lieder verschiedener rechtsextremer Bands zusammengestellt sind. Die jeweiligen Auflagen gehen nach eigenen Angaben in die Zehn- oder gar Hunderttausende, verifizieren lassen sich solche Zahlen nicht. Die Sampler werden auch zum Herunterladen auf Partei-Webseiten angeboten. Die NPD preist sie als "effektive Jugend-Propaganda-Mittel". Lehrer und Sozialarbeiter sind oft unsicher, wie sie reagieren sollen.
Versetzen wir uns in die Situation eines Direktors: Die NPD verteilt auf dem Hof seiner Schule ihre Schulhof-CDs – was sollte er tun?
David Begrich: Drei Dinge würde ich vorschlagen: Er sollte – erstens – unter Berufung auf sein Hausrecht die Verteiler des Schulhofs verweisen. Die werden dann sicherlich vor die Tore gehen und weitermachen. Aber daran sollte man sie nicht zu hindern versuchen, ich würde zum Beispiel nicht die Polizei rufen ...
Aber könnte das nicht sinnvoll sein? Um vorsorglich die Personalien festgestellt zu haben, falls die Verteiler jemanden angreifen oder verbotene Nazi-Symbole tragen.
Vor Schülern ad demonstrandum die Polizei zu holen für vielleicht ein, zwei strafrechtlich relevante Symbole halte ich – in diesem Fall – für am Ziel vorbeigehend. In einer solchen Situation sind Schule und Schüler gefordert, nicht die Polizei. Andere Konstellationen können andere Entscheidungen erfordern.
Aber zurück zur Frage. Es sollte – zweitens – anschließend an der Schule einen Projekttag geben, an dem erst einmal nur über die Verteilaktion gesprochen wird, also darüber, welche Funktion solche Auftritte für die NPD haben, was sie damit beabsichtigt und so weiter. Der dritte Schritt wäre, die Inhalte der CD fächerübergreifend zu behandeln, also im Sozialkunde-, im Musik-, im Geschichtsunterricht. Man sollte dabei exemplarische Themen herausgreifen und sich nicht die ganze CD vornehmen, denn das wäre kaum zu schaffen.
Insgesamt ist es extrem wichtig, souverän zu reagieren. Denn die NPD saugt unheimlich Honig daraus, wenn an einer Schule Panik ausbricht. Man sollte keinesfalls einen Gefährlichkeitspopanz um diese Schulhof-CDs aufbauen.
Auffälligerweise gibt die NPD stets Presseerklärungen heraus, wenn sie solche Verteilaktionen startet …
… weil sie hofft, dass die Medien das Thema aufgreifen und die Wirkung multiplizieren, dass Kultusministerien aufgescheucht reagieren und so weiter. Häufig wird ja tatsächlich getan, als würden da Drogen verteilt. Dabei ist es nur eine Musik-CD! Na klar, die ist mit bestimmten Inhalten gespickt, aber es gibt keine Konsumentenlogik. Der Stoff – um mal im Bild zu bleiben – macht ja nicht sofort abhängig wie Chrystal Meth oder Crack.
Außerdem verteilt die NPD etwas, das ohnehin längst da ist. An den meisten Schulen kann der Konsum neonazistischer Musik als gegeben vorausgesetzt werden. Bands wie Hassgesang oder Stahlgewitter werden – auch wenn Lehrer das nicht mitbekommen mögen – genauso viel gehört wie die Mainstream-Musik, die den ganzen Tag im Radio hoch- und runterläuft. Das bedeutet natürlich nicht, dass die Schülerinnen und Schüler durchgängig Nazis sind. Jugendliche hören grundsätzlich alles, was ihnen auf den mp3-Player, aufs Smartphone oder sonst wohin gerät, ohne dass damit gleich eine rechtsextreme Einstellung verbunden ist. Sie konsumieren Hip-Hop neben Landser und empfinden das gar nicht als Widerspruch, weil sie erst einmal keinen ideologischen Zugang dazu haben. Erstes Ziel der NPD ist nicht, durch die Inhalte der Musik zu überzeugen, sondern sie setzt auf den Coolness-Faktor. Und den muss man entkräften. Aufgeregte Reaktionen hingegen bestärken den Mythos.
Von Verboten halten Sie deshalb wenig?
Was verboten ist, wirkt ja oft extrascharf. Diesen Mechanismus muss man durchbrechen. Und in der Regel sind Verbote juristisch auch gar nicht möglich, weil die NPD die Songs vorher von Anwälten prüfen lässt. Vielleicht könnte man für den einen oder anderen Titel eine Indizierung bei der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien erreichen. Aber auch da ist fraglich, was es bringt. Im Zeitalter des Internets und der permanenten Verfügbarkeit digitaler Medien sind Verbote kaum mehr als hilflose Gesten.
Kurz gesagt würde ich das Verteilen einer NPD-CD zum Anlass nehmen, an meiner Schule grundsätzlich die Frage zu stellen: Welche Musik hört ihr eigentlich? Ich würde einen Blick in den Abgrund wagen.
Was finden Jugendliche cool an rechtsextremer Musik?
Jugendliche haben ein feines Gespür dafür, was ein Tabubruch ist. Und natürlich bricht es ein Tabu, mehr oder weniger offen rassistische oder neonazistische Musik zu hören und dadurch eine gewisse Zustimmungsbereitschaft oder rebellische Haltung zu dokumentieren. Schule und Sozialarbeit haben es in der Hand, dieses Moment zu verstärken oder zu schwächen. Egal ob bei einem Projekttag oder in einer spontanen Lehrerreaktion: Wichtig ist immer, möglichst sachlich und analytisch an die Musik heranzugehen und nicht seinen eigenen moralischen Affekten zu erliegen. Bekommt ein Lehrer mit, dass ein Schüler auf dem Handy einen Song hört, in dem der Holocaust geleugnet wird, dann bringt es nichts, das Gerät einzuziehen. Oder zu fordern: "Lösch' das jetzt, ich bleibe so lange hier stehen."
Wenn man in die Analyse einsteigt, was ist das Wichtigste?
Man sollte sich als erstes das klarmachen, was Siegfried Kracauer die "auratische Gesamtwirkung" genannt hat. Man sollte also die Aura analysieren, die diese Musik umweht: nämlich eine Ästhetisierung von Gewalt – und zwar auch dort, wo es vordergründig nicht um Gewalt geht. Schauen Sie zum Beispiel auf die Gruppenkonstruktion in Rechtsrock-Texten. Da wird die Wir-Gruppe stets als Kollektiv beschrieben, das von außen bedroht ist. Und die Gegner sind keine Gegner auf Augenhöhe, sondern weltanschauliche Feinde, die verschiedenen Vernichtungsphantasien preisgegeben werden, denen das Lebensrecht und das Menschsein abgesprochen werden. Dies zieht sich wie ein roter Faden durch rechtsextreme Musiktexte. Kracauer und Walter Benjamin haben dieses Muster in faschistischen Texten der 1920er und 1930er Jahre beschrieben, und ihre Analyse stimmt heute noch.
Gibt es etwas, das musikalisch auffällt an rechtsextremer Musik? Sind Melodie und Rhythmus irgendwie besonders?
Nein, das glaube ich nicht. Natürlich sind rechtsextreme Songs oft musikalisch eingängig gemacht. Aber das ist nichts Besonderes, das ist bei Schlagern genauso. Auch dort wird ja Emotion nicht nur textlich transportiert, sondern auch über den Notensatz: Melodieabläufe wiederholen sich, der Rhythmus ist gleichmäßig. Der Mechanismus ist einfach: Ein gleichmäßiger Verlauf von Melodie und Rhythmus mobilisiert, ein ungleichmäßiger Verlauf irritiert. Ersteres formt das Publikum leichter zu einer Masse als letzteres.
Aber das ist, wie gesagt, nicht nur bei rechtsextremer Musik so. Deshalb ist es auch wenig überraschend, dass Frank Rennicke …
… der momentan wohl populärste rechtsextreme Liedermacher …
… jemanden wie Reinhard Mey so grandios findet. Mey hat Melodien geschaffen, die sehr eingängig sind, die hierzulande praktisch jeder im Kopf hat. Rechtsextreme Musiker bedienen sich gern Varianten eingängiger Melodien, bei denen sie einen hohen Bekanntheitsgrad voraussetzen können. Das gilt ebenso für Rechtsrock-Bands wie Hassgesang, die sich an Mainstream-Punkrock im Stil der Toten Hosen anlehnen. Rechtsextreme Musikproduzenten leben ja nicht im kulturellen Outback. Sie hören jeden Tag Radio, sie merken, was funktioniert und adaptieren es, um ebenfalls beim Publikum anzukommen.
Aber natürlich gibt es auch Musik, die nach außen gar nicht attraktiv sein will, sondern sich ausschließlich an die eigene Kernklientel richtet. Wenn bei einem Rechtsrock-Konzert irgendwann SA-Lieder gesungen werden, geht es nicht mehr um irgendeine Anschlussfähigkeit an eine breitere Jugendkultur. Wenn da angestimmt wird: "Hoch auf dem gelben Wagen, sitz’ ich beim Führer vorn…" – dann soll das nicht attraktiv sein, sondern dient der Selbstvergewisserung.
Es gibt also keine typische Begleitmusik zu Neonazi-Liedtexten?
Die Grenzen dessen, was im Bereich rechtsextremer Musik möglich ist, sind unglaublich weit geworden …
… und inzwischen existiert sogar NS-Hip-Hop, obwohl dieser Musikstil doch eigentlich aus der afroamerikanischen Jugendkultur stammt.
Wenn Sie mich fragen, ob es irgendwann auch Jazz oder Reggae mit rechtsextremen Texten geben könnte – keine Ahnung. Eigentlich dürfte es nicht gehen. Denn in der Kernlogik neonazistischer Ideologie ist das alles, um mit Richard Wagner zu sprechen, Ausfluss des "Judentums in der Musik". In der Logik von Nazis haben Jazz, Rock und Hip-Hop einen zersetzenden Einfluss auf die angeblich urdeutsche Kultur. Für viele rechtsextreme Musikproduzenten ist das aber nur ein musiktheoretisches Problem, weil sie politisch-strategisch denken und zur Musik ein instrumentelles Verhältnis haben: Sie nehmen halt, was ihnen hilft, Inhalte an Leute zu bringen. Ideologische Widersprüche sind da erst einmal egal.
Schauen wir nun auf die Texte – worauf sollte man bei deren Analyse achten?
Die Texte haben sich, das sollte man vorausschicken, seit den 1990er Jahren stark gewandelt. Sie sind heute weniger eindeutig, arbeiten mehr mit einer metaphorischen Sprache, mit Andeutungen, mit Chiffren. Aber aus dem Gesamtkontext mit der Musik und der Gestaltung des Covers lässt sich der Text durchaus entschlüsseln.
Natürlich gibt es auch weiterhin Lieder, die so krass provokativ und abscheulich sind, dass sie geil gefunden werden. Wenn zum Beispiel Schüler vor dem Sportunterricht in der Umkleidekabine ein Lied von Kommando Freisler singen, wo es zur Melodie der Vogelhochzeit heißt: "In Belsen, in Belsen, da häng' sie an den Hälsen. In Buchenwald, in Buchenwald, da machen wir die Juden kalt" und so weiter, da würde ich nicht von einem gefestigten neonazistischen Weltbild ausgehen. Sondern davon, dass die Schüler testen wollen, ob der Sportlehrer auf den Tisch haut.
Und, sollte er das tun?
Er sollte sich nicht von seinen moralischen Affekten leiten lassen.
Aber er muss doch zumindest sagen: Das akzeptiere ich nicht.
Natürlich. Aber ihm sollte klar sein, dass es passende und unpassende Momente gibt, Schülern etwas nahe zu bringen. Und in einer gruppendynamischen Situation, in der Schüler provozieren wollen, muss man manche Sachen, so hart es klingt, an sich abtropfen lassen. Sie aber später umso deutlicher auf den Tisch bringen, wenn die Schüler es nicht erwarten.
Wie das? Soll er die nächste Sportstunde in eine Diskussionsstunde umwandeln?
Nein. Aber er sollte die Schüler nochmal auf den Vorfall ansprechen, wenn sie zum Beispiel nach dem Basketballspiel alle erschöpft sind. Dann hören sie eher zu als im Moment der Provokation.
Ist der Sportlehrer überhaupt der richtige für eine inhaltliche Auseinandersetzung?
Ich finde schon. Man sollte es bei dem Lehrer lassen, bei dem ein solcher Vorfall passiert ist. Alles andere wirkt unsouverän.
Woran erkennt man – bei weniger expliziten Texten –, dass es sich um rechtsextreme Musik handelt?
Häufig werden Stereotypen wiedergegeben, die in der Gesellschaft ohnehin verbreitet sind. Die Argumentationsweise in diesen Texten geht dann immer vom Konkreten zum Allgemeinen. Als erstes wird eine kleine Anekdote erzählt, eine persönliche Erfahrung. Im zweiten Schritt wird diese verallgemeinert. Und dann drittens radikalisiert. Diese Abfolge lässt sich oft anhand der Strophen nachvollziehen: Da gibt es eine Eröffnungsphase, in der ein gesellschaftlicher Ist-Zustand beschrieben wird, zum Beispiel ein Gefühl von Ohnmacht. In Phase 2 wird dann proklamiert, es gebe feindliche Mächte, die mich allseitig einengen und reglementieren, die meine Zukunft und den Bestand des deutschen Volkes bedrohen. Phase 3 ist dann der Aufruf, gegen diese vermeintlichen Mächte zu kämpfen.
Hellhörig sollte man immer werden, wenn gesellschaftliche Zustände grundsätzlich als negativ beschrieben werden, als unveränderbar und sackgassenhaft. Oder wenn gesellschaftliche Widersprüche eindimensional dargestellt und personalisiert werden. Man sollte zudem auf geschichtliche Bezüge achten, ob etwa als Ausweg aus der vermeintlichen Sackgasse in die Vergangenheit oder in die Zukunft verwiesen wird, wenn von "einer glorreichen Epoche" die Rede ist und so weiter.
Bezüge auf den historischen Nationalsozialismus sind vermutlich relativ leicht erkennbar.
Das ist sicher so. Daneben wird aber oft auch auf Motive zurückgegriffen, die nicht unmittelbar an die NS-Zeit gebunden sind, sondern auf die Jahre davor, die von Nazis als "Kampfzeit" bezeichnet werden. Häufig wird zum Beispiel auf präfaschistische Bewegungen zurückgegriffen. Weil die Verherrlichung von SS- oder SA-Männern strafrechtlich bewehrt ist, werden eben Freikorps-Kämpfer aus der Weimarer Republik glorifiziert. Dabei macht man sich zunutze, dass das Wissen über die Zwischenkriegszeit sehr lückenhaft ist. Albert-Leo Schlageter zum Beispiel kennt heute wohl kaum jemand, für die Neonazis aber ist er ein wichtiges Mitglied ihrer Ahnenreihe und wird heiß verehrt.
Wie häufig findet sich Antisemitismus in rechtsextremen Songs?
Sehr häufig, aber meist ist auch er verschlüsselt. Offen kommt "der Jude" selten in den Texten vor. Stattdessen werden nicht genau benannten "Mächtigen" Eigenschaften zugeschrieben, die typischen antisemitischen Klischees entsprechen. "Sie besitzen unsere Wirtschaft und kaufen unsere Seelen", heißt es etwa in einem Lied der Band Faustschlag. Und weiter: Sie seien "verschlagen, raffiniert, getrieben von Habgier". Nicht ein einziges Mal wird explizit von Juden gesprochen, aber es ist klar, dass sie in diesem Lied mit dem Titel "Die Macht des Kapitals" gemeint sind.
Solche Songs bedienen sich klassischer Formeln des Antisemitismus wie sie auch unter Hitler gepflegt wurden: Der Jude saugt aus, er raubt Identität, ist heimatlos. Auch die uralte Unterscheidung zwischen schaffendem und raffendem Kapital findet sich wieder: Auf der einen Seite der ehrliche deutsche Arbeiter, der im Schweiße seines Angesichts Werte schafft – auf der anderen der raffende Jude, der faul auf der Haut liegt, der den Arbeiter und auch ehrbare deutsche Kaufleute mit Zinsen ausraubt oder mit Spekulationsgewinnen an der Börse reich geworden ist. Das "Finanzjudentum" wird in Chiffren codiert. Wenn da "die Ostküste" erwähnt wird, ist klar, dass die New Yorker Wallstreet gemeint ist, mittels derer angeblich das Finanzjudentum die Weltwirtschaft steuert. Diese Personalisierung unterscheidet rechten Antikapitalismus ganz klar von linkem, der nicht Einzelne als Schuldige ausmacht, sondern Strukturen kritisiert.
Antisemitismus ist in rechtsextremen Songtexten in Globalisierungskritik verpackt oder auch in Anti-Amerikanismus. Nur: Sogar viele Lehrer erkennen das nicht, sondern gehen oft selbst der vulgären Kapitalismus- oder Globalisierungskritik auf den Leim.
Was sind weitere typische Themen in den Texten?
Häufig finden sich Verschwörungstheorien. Der Tod von Rudolf Heß wird da beispielsweise dem britischen Geheimdienst in die Schuhe geschoben. Oder die Terroranschläge des 11. September 2001 gelten als Tat des israelischen Geheimdienstes Mossad. Und so weiter. Solche Verschwörungstheorien dienen dazu, ein Szenario allumfassender Manipulation unseres Geistes und unseres Wesens zu konstruieren – in der dann die Neonazis als diejenigen erscheinen, die als einzige noch den Durchblick haben.
Überaus typisch sind zudem Schwarz-Weiß-Dichotomien, also klare Gegensätze zwischen Gut und Böse. Sie helfen dabei, die komplexe Welt schlicht zu erklären und einfache Schuldzuweisungen vorzunehmen. Ständig werden krisenhafte Szenarien gesellschaftlicher Zustände gezeichnet. Da heißt es etwa, wir würden in einem Chaos leben, in dem uns multikulturell-kriminelle Banden terrorisieren und der Staat uns nicht schützt. Als Ausweg werden dann autoritäre Lösungen propagiert.
Eine wiederkehrende Figur ist auch, dass die Kultur des hochgelobten deutschen Volkes seit mehr als 50 Jahren in einer rasanten Abwärtsfahrt begriffen sei. Angeblich gibt es daraus nur zwei Auswege: Entweder den Volkstod oder einen phönixhaften Aufstieg unter völlig neuen politischen und kulturellen Vorzeichen.
Und was tun Sie, wenn ein Schüler vor Ihnen sitzt, der sagt: "Ist doch wahr! Es geht doch alles bergab!"?
Naja, ich würde zunächst einmal genau zuhören, was er wirklich sagt. Und darauf schauen, ob es sich um eine Provokation handelt, um eine Teil-Überzeugung oder eine völlige Überzeugung. Aber das bekommt man eben nur heraus, wenn man den Schüler oder die Schülerin reden lässt. Und dabei werden Sie fast immer sehen, dass seine Wahrnehmung der Gesellschaft widersprüchlicher ist, als es ein Neonazi-Text formuliert. Die Schüler werden sich mit bestimmten Aspekten identifizieren, mit anderen aber auch nicht. Erst wenn ich an dieser Stelle bin, kann ich mir eine Argumentationsstrategie zurechtlegen. Dagegen bringt es nichts, auf eine hingeworfene Schimpftirade über "das System" mit moralischer Übersteigerung zu reagieren. Etwa zu kontern: "Wenn Du das sagst, bist Du ein Nazi." Damit legt man die Jugendlichen fest, die meist selbst noch gar nicht festgelegt sind.
Das allerwichtigste in solchen Diskussionen ist Gelassenheit. Dafür braucht es aber Lehrer, die in demokratischen Überzeugungen ruhen, die selbst über die Stärken und Schwächen von Demokratie reflektieren und ein fundiertes Geschichtswissen haben. Die können dann auch souverän entscheiden, wo man am besten auf der faktischen Ebene widerspricht. Wo man am besten widerspricht, indem man karikiert. Wo ein Verweis auf einen relativierenden Kontext sinnvoll ist. Es gibt ja viele Möglichkeiten der Auseinandersetzung – nur vor einem sollte man sich hüten: Eine moralische Überlegenheit auszuspielen.
Wichtig ist auch ein differenzierter Blick auf Geschichte. Es nützt der extremen Rechten argumentativ, wenn – wie hierzulande ja durchaus üblich – sehr glatt auf die Geschichte des 20. Jahrhunderts und speziell des Nationalsozialismus geschaut wird. Wenn platt gesagt wird: Was da passiert ist, ist böse. Und was heute passiert, ist gut. Natürlich gab es im Dritten Reich auch das ganz normale Leben ganz normaler Menschen. Das darf man nicht verteufeln. Sondern man muss verstehen und erklären, was die Mechanismen eines politischen Systems waren, das der Mehrheit der Bevölkerung Lebensstandard, Normalität und Identifikation gegeben hat – einer Minderheit aber nicht nur mit dem Ausschluss drohte, sondern sie der Vernichtung preisgab.
Und das muss jeder Lehrer können?
Natürlich müssen Lehrer nicht alles wissen. Man muss nicht auf jeden historischen Detailfakt, den die Schüler aus irgendeiner Militaria-Zeitschrift haben, mit einer Gesamtgeschichte des Zweiten Weltkriegs parieren können. Das ist zu viel verlangt, und das ist auch nicht notwendig. Aber es hilft zu verstehen, dass bestimmte Mechanismen im Rechtsextremismus und in rechtsextremen Musiktexten überhaupt nicht neu sind. Dass die Affekte, auf die die Gewaltästhetik setzt, selbst schon ziemlich alt sind. Lehrer haben ja einen großen Vorteil gegenüber Schülern, zumindest müssten sie ihn haben: Sie haben im Studium gelernt, mit Quellen zu arbeiten, Kontexte im Blick zu haben und so weiter.
Wichtig ist nicht zuletzt auch Authentizität in solchen Diskussionen. Die Lehrer sollen selbst Position beziehen und natürlich auch zugeben, wenn sie etwas nicht wissen. Dass man mal sagt, sorry, dieses Thema können wir heute nicht bearbeiten, ich muss erst ein paar Sachen nachlesen, und dann diskutieren wir nochmal – da bricht einem nun wirklich kein Zacken aus der Krone.
Zurück zur Schulhof-CD. Eine häufige Reaktion ist, eigene CDs mit nicht-rechter Musik zu verteilen. Was halten Sie davon?
Das ist ein schöner PR-Gag. Aber er tut so, als litten Jugendliche unter einem Mangel an Musik – dabei leben die doch nicht in der DDR, wo man sich begehrte Westmusik von irgendwelchen Freunden von Freunden auf Kassette überspielen ließ. Die Jugendlichen haben keinen Mangel an medialem Input, sondern an positiven Erfahrungen. Deshalb sollte man nicht Geld in CDs investieren, sondern in kleine Jugendclubs oder Skaterbahnen. Irgendwelche Bands sollten nicht einen Song spenden. Es brächte viel mehr, wenn sie einen Tag in einen Jugendclub in der Provinz fahren, ein Unplugged-Konzert geben, und anschließend gibt’s Schokoeis für alle. Wenn da Bela B. von den Ärzten auftaucht und vermittelt, die Jugendlichen interessieren ihn, das bewirkt etwas. Das beste Gegenkonzept gegen Rechtsextremismus ist eine gute, reichweitenstarke Jugendkultur mit demokratischen Inhalten.
Mit einer Gegen-CD lässt man sich letztlich auf das Muster ein, das die NPD vorgibt. Ich als Direktor würde asynchron reagieren, also nach einem pädagogischen Format suchen, das einen eigenen Akzent setzt. Ich würde zum Beispiel einen Wettbewerb zur Geschichte jüdischer Schüler meiner Schule ausschreiben. Die werden dann porträtiert, es gibt Video-Podcasts und eine Internetseite und, und, und. Rechtsextreme behaupten ja oft, die Schüler hätten gar keine realen Handlungs- und Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Gesellschaft und der sie politisch indoktrinierenden Schule und so weiter. Als Antwort auf die NPD-Agitation könnte man beweisen, dass das nicht wahr ist, dass es durchaus partizipative Möglichkeiten gibt. Aber eigentlich muss man damit nicht auf die CD-Verteilaktion warten.
Links zu Argumentationshilfen gegen die Schulhof-CDs der NPD:
Externer Link: http://osz-gegen-rechts.de/#c326
Externer Link: http://www.miteinander-ev.de/index.php?page=73&modaction=detail&modid=297
Externer Link: http://www.netz-gegen-nazis.de/files/Argumente_gegen_NPD_CD.pdf