"Ihr seht blendend aus!" Das wird uns immer wieder versichert. Wir – das ist eine Gruppe von rund 250 Menschen, darunter alte und junge, manche mit Kindern, Leute von der Antifa, Politikerinnen und Politiker aus der Region und dem Landtag, Menschen aus Cottbus, Zossen und Potsdam. Einige sind wohl das erste Mal dabei, andere kennen sich zum Teil und können gar nicht mehr zählen, wie oft sie auf den Straßen von Brandenburg standen. "Ihr steht hier genau richtig!" - immer wieder lächeln sich die Leute an und rücken noch näher zusammen. Das Polizeiaufgebot lässt uns kaum eine Sicht in die Straße. Dicht an dicht stehen die Einsatzwagen. Wo wir stehen, verläuft die Marschroute der Nazis. Doch wir bleiben hier. Die Straße wird blockiert.
Es ist der 15. Februar 2014, und wie jedes Jahr wollen die Nazis am Jahrestag der Bombardierung von Cottbus im Zweiten Weltkrieg aufmarschieren und ihre Art des Gedenkens praktizieren. Wir aber blockieren diesen Marsch. Je mehr Menschen sich auf der Straße befinden, umso bunter wird die Gemeinschaft, die das Marschieren der Nazis verhindern will. Alle hier wissen, dass es uns im letzten Jahr endlich, erstmalig gelungen war, die Demonstration der Nazis durch Cottbus zu stoppen. Vieles haben wir probiert, aber 2013, da hat es endlich geklappt. Zum Erfolg geführt hat die Einigkeit und Entschlossenheit von Menschen aus Cottbus und ganz Brandenburg, von Vereinen und Initiativen, Betrieben, Sportgruppen, Schulen, Parteien und Kirchen.
Ein gemeinsamer Nenner, ein gemeinsames, erklärtes Ziel hat zum Erfolg geführt
Auch 2014 wurde der Aufruf zum Protest in Cottbus von einem vielfältigen Bündnis getragen. Der Weg zu diesem Bündnis war nicht einfach, ebenso wenig wie in Wittenberge, Fürstenwalde und all den anderen Kommunen landauf und -ab. Es gibt viele Berührungsängste und starke politische Vorbehalte zwischen Linken und Konservativen, zwischen Jüngeren und Älteren, zwischen Ortsansässigen, Zugezogenen und Auswärtigen, zwischen der Antifa und der Stadtverwaltung – und manchmal auch innerhalb eines Bündnisses.
Einen gemeinsamen Nenner zu finden heißt: sich austauschen, die Anliegen der anderen erkennen und anerkennen. Das braucht Zeit und Offenheit. Der gemeinsame Nenner muss stabil sein – muss tragfähig sein im wahrsten Sinne des Wortes: getragen von vielen durch den Tag und darüber hinaus, durch das Engagement gegen Nazis. Der gemeinsame Nenner heißt: den rechten Aufmarsch verhindern, er stand 2014 auf jedem Plakat: "Cottbus wird sich wi(e)dersetzen!" Aufeinander abgestimmte, sich ergänzende Proteste, viele verschiedenen Aktionsformen – in Cottbus hat ein breites Bündnis mit einem gemeinsame Aufruf den Nazimarsch verhindert.
Die Blockade, eine spontane Aktion, verhindert das "Heldengedenken" in Halbe
Etwa alle sechs Wochen rufen Brandenburger Nazis zu Demonstrationen in verschiedenen Regionen des Landes auf. Mahnwachen, Infostände und andere Auftritte, die sich gerade in einem Wahljahr wie diesem häufen, sind da nicht mitgezählt. Das heißt auch, dass etwa alle sechs Wochen mindestens eine Kommune in Brandenburg betroffen und mit dem Ansinnen der Nazis konfrontiert ist. Seit Jahren gibt es eine Debatte über den „richtigen“ Umgang mit rechtsextremen Aufmärschen. Überall wird sie geführt, in Brandenburg, und in allen anderen Bundesländern auch.
Schon Mitte der 2000er Jahre wurde in Brandenburg versucht, rechte Aufmärsche durch große Menschenansammlung auf der Straße zu verhindern. Zum Beispiel in Halbe. Jahrelang hatte sich das "Heldengedenken" in Halbe zu einer regelmäßigen und auch bundesweit bedeutenden Versammlung mit historischem Bezug zum Nationalsozialismus entwickeln können. An der größten Kriegsgräberstätte Deutschlands gedachten jedes Jahr Hunderte von Nazis der Toten von Wehrmacht und Waffen-SS. Als im Jahr 2005 Antifa-Gruppen und viele Bürgerinnen und Bürger, Ministerinnen und Minister, Bürgermeisterinnen und Bürgermeister sowie Landtagsabgeordnete spontan stehenblieben, war die Marschroute der Nazis plötzlich stundenlang gesperrt. Die rund 2.000 "Blockierer" waren sich einig: Sie wollten die Nazis nicht noch einmal durch die Straßen ziehen lassen.
Der lange Weg zum Konsens
In den Jahren zuvor waren es viel zu wenig engagierte Bürgerinnen und Bürger sowie Antifa-Gruppen gewesen, die sich den Rechten in den Weg stellen wollten – und meist von der Polizei eingekesselt in die Ecke gedrückt wurden. Diese kleinen und recht heterogenen Gruppen gaben nicht auf. Immer wieder rangen sie darum, den Nazi-Aufmarsch in Halbe gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern, den Vereinen der Region, der Stadtverwaltung und mit landesweiten Organisationen zu verhindern.
Auch die Blockade des europaweit größten Naziaufmarsch in Dresden 2010 hatte einen längeren Vorlauf. Erstmalig war es in jenem Jahr gelungen, die übergreifende Zusammenarbeit zwischen Antifagruppen, lokalen Initiativen, Gewerkschaften, Parteien und zahlreichen weiteren Organisationen auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Die Einigung mündete in den Konsens von Dresden: "Dieses Ziel eint uns über alle sozialen, politischen und kulturellen Unterschiede hinweg. Wir sind bunt, und wir stellen uns den Nazis in den Weg. Von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen. Wir sind solidarisch mit allen, die mit uns das Ziel teilen, den Naziaufmarsch verhindern zu wollen." Tausende von Menschen folgten diesem Konsens und dem Aufruf zur – gewaltlosen – Blockade und stellten sich den Nazis in den Weg.
Keine drei Monate später kündigte die Kameradschaft Märkisch Oder Barnim sieben Demonstrationen durch verschiedene Städte und Dörfer im Osten Brandenburgs an. Aus lokalen und landesweiten Initiativen und Gruppen, Organisationen und Vereinen, Gewerkschaften, Kirchgemeinden und vielen anderen, gründete sich das Bündnis "Brandenburg Nazifrei". In zahlreichen Zusammenkünften wurde ein gemeinsamer Aufruf verfasst, in dem sich das Bündnis ausdrücklich auf den Dresdner Aktionskonsens bezog. "Brandenburg Nazifrei" konnte einige Aufmärsche extrem rechter Gruppen durch vielfältigen und starken Protest auf der Straße verhindern.
Expertenkommission erarbeitet Handlungsempfehlungen
Immer wieder wird in Brandenburg über Proteste gegen rechtsextreme Aufmärsche diskutiert. Hitzig wurde es vor allem dann, wenn es um die Form und die Mittel dieses Protestes geht. Um die oft getrennt geführten Diskussionen zusammenzuführen, entschied im Mai 2011 das Plenum des Aktionsbündnisses Brandenburg, dem mehr als 60 Organisationen, Bündnisse und Persönlichkeiten angehören, eine Arbeitsgruppe einzuberufen, um Erfahrungen von Demonstrantinnen und Demonstranten, aber auch die Sichtweisen der Polizei, der Versammlungsbehörde und der betroffenen Kommunen zu hören und einzubeziehen.
Einige Empfehlungen hat die Arbeitsgruppe "Umgang mit rechtsextremen Aufmärschen" in ihrem Abschlussbericht April 2013 vorgelegt. Die Auseinandersetzung mit rechtsextremen Aufmärschen solle in erster Linie Sache der Bürgerinnen und Bürger sein, schlussfolgert die Arbeitsgruppe und empfiehlt der Polizei, sie solle ihre Deeskalations- und Kommunikationsstrategien unbedingt verbessern. Versammlungsbehörden sollten die bestehenden Möglichkeiten zur Beschränkung rechtsextremer Aufmärsche besser nutzen, und Kommunen täten gut daran, ein Leitbild zu entwickeln, dass es ihnen ermöglicht, die Bürgerinnen und Bürger und ihre Organisationen in ihren Aktivitäten gegen extrem rechte Aufmärsche zu unterstützen. Außerdem empfiehlt die Arbeitsgruppe, den § 21 des brandenburgischen Versammlungsgesetzes so zu ändern, dass Störungen von Versammlungen ohne Anwendungen von Gewalt nicht mehr strafbar sind.
An diesen Handlungsempfehlungen orientiert sich das landesweite Aktionsbündnis und versucht, diese mit all seinen Mitgliedern umzusetzen. Konsens im Aktionsbündnis ist es, dass es vor allem um die Entwicklung einer politischen Kultur gehen muss, die auf der Eigeninitiative und dem Mitdenken der Beteiligten basiert. Eine gute Voraussetzung also für das Erreichen des gemeinsamen Nenners!