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Interaktiver Chat: Die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag | Rechtsextremismus | bpb.de

Interaktiver Chat: Die Ergebnisse des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag

Moderator: Herzlich willkommen beim Expertenchat der Bundeszentrale für politische Bildung zu den Ergebnissen des NSU-Untersuchungsausschusses im Bundestag mit Heike Kleffner und Dr. Andreas Feser.

Unsere Experten haben die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss unterstützt: Frau Kleffner die Linksfraktion, Herr Dr. Feser die CDU/CSU-Fraktion. Sie beantworten Ihre Fragen ab 13.00 Uhr an dieser Stelle live. Ihre Fragen können Sie gerne schon jetzt an uns Moderatoren senden.

Liebe Nutzerinnen und Nutzer, bevor der Chat startet, hier noch Antworten auf häufig an uns gestellte Fragen. Dies ist ein moderierter Chat! Ihre Fragen werden von den Moderatoren an die Experten weitergeleitet. Uns erreicht häufig eine große Zahl von Fragen. Wir können den Experten nicht alle stellen, dafür bitten wir um Verständnis! Wenn Sie mehrere Fragen haben, stellen Sie diese bitte einzeln nacheinander! Ganz wichtig: Präzise Fragen haben eine größere Chance, ausgewählt zu werden. Warum? Weil wir wollen, dass unsere Experten genauso präzise antworten! Wenn Sie nachhaken möchten, nennen Sie bitte auch in einem Stichwort die Frage oder die Antwort, auf die Sie sich beziehen. Der Chat startet um 13.00 Uhr! Stellen Sie jetzt Ihre Fragen, wir freuen uns auf Ihre Beiträge! Es ist jetzt 13 Uhr. Hier im Chat begrüße ich Heike Kleffner und Dr. Andreas Feser. Vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen und die Fragen unserer Chatterinnen und Chatter beantworten.

Vor dem Chat hatten die Nutzerinnen und Nutzer bereits die Möglichkeit, Fragen zu stellen und zu bewerten. Hier die Frage aus dem Pre-Chat mit den meisten Stimmen:

Nutzer: Wie bzw. nach welchen Kriterien haben die drei ihre Opfer gesucht und gefunden?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Das ist die Frage, die die Angehörigen der Ermordeten [und alle] Opfer der Terrorgruppe am meisten bewegt. Sie kann bisher nicht beantwortet werden. Klar ist bislang: Die Opfer sollten als Angehörige einer gesellschaftlichen Gruppe getroffen werden. Alle sind Migranten, Männer mittleren Alters, Kleinunternehmer. Das Nagelbombenattentat in der Keupstraße in Köln sollte ein Sinnbild dafür treffen, dass Migranten zum Alltag in Deutschland gehören.

Moderator: ... und hier die Top 2-Frage:

poppey: Sind bereits Reformen umgesetzt worden, insbesondere, was die bessere Kommunikation zwischen den Ländern anbelangt? Stichwort: Föderalismus

Dr. Andreas Feser: Eine bessere Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern ist der Schwerpunkt der schon kurz nach dem November 2011 ergriffenen Maßnahmen: die gemeinsame Gewalttäterdatei Rechtsextremismus sowie das gemeinsame Abwehrzentrum Rechtsextremismus zum raschen Informationsaustausch.

Heike Kleffner: Die Wirksamkeit dieser Maßnahmen und Einrichtungen ist umstritten. Bislang jedenfalls hat sich nichts an der Tatsache geändert, dass sich täglich zwei bis drei politisch rechtsextrem motivierte oder rassistische Gewalttaten in Deutschland ereignen.

Moderator: ... und die Top 3-Frage:

Nutzer: Woher stammt der Name NSU?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Der Name ist hier Programm. Es ist eine Verherrlichung des Nationalsozialismus und verweist auf das Ziel aller Neonazis: in Deutschland wieder eine nationalsozialistische Diktatur zu errichten.

Uuhlan: Seit wann wusste man von den Machenschaften der Terrorzelle genau? In den Medien erfährt man nur Widersprüchliches.

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Die Terrorgruppe ist bekannt, seit am 4. November 2011 nach einem Bankraub in Eisenach die beiden [erschossenen] Täter als Neonazis aus Jena identifiziert, bei ihnen und in einem Haus in Zwickau Waffen, mit denen zehn Morde begangen wurden, gefunden wurden und das "NSU-Video" öffentlich wurde.

Susa: Haben die Ergebnisse des Schlussberichts in irgendeiner Weise Eingang in den Kolalitionsvertrag gefunden?

Dr. Andreas Feser: Die Koalitionspartner haben sich verpflichtet, die Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses umzusetzen, soweit der Bund zuständig ist und sich auch bei den Ländern für eine Umsetzung einzusetzen.

Heike Kleffner: Inwieweit die Umsetzung zeitnah und unter Berücksichtigung aller Aspekte erfolgt, muss sowohl durch die Oppositionsparteien als auch die kritische Öffentlichkeit genau verfolgt werden. Und in den Ländern bedarf es sicherlich eigener politischer Initiativen, aber auch außerparlamentarischen Engagements, um hier an der einen oder anderen Stelle noch mehr Druck zu entfalten.

Maxen: Stimmt es, dass staatsanwaltliche Ermittlungen zur Aufklärung von Verfehlungen seitens BKA, LKAs und Verfassungsschutz NICHT erfolgen, weil diese dem Ansehen der BRD Schaden zufügen würden?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Nein, das stimmt nicht.

hieronymus: Warum fällt es den Akteuren so schwer, von "institutionellem Rassismus" zu sprechen und die entsprechenden Konsequenzen für die Organisationsentwicklung der Polizei zu ziehen, wie in Großbritannien im Fall Steven Lawrence?

Heike Kleffner: Anders als in klassischen ehemaligen Kolonialstaaten tut man sich in Deutschland immer noch sehr schwer damit, überhaupt von Rassismus zu sprechen. Das hat auch etwas mit der Geschichte von Staatsbürgerschaft für Migranten zu tun. In Großbritannien und den USA bedurfte es einer Bürgerrechtsbewegung, um Rassismus in staatlichen Institutionen zum Thema zu machen und rechtliche Veränderungen durchzusetzen. Diese Bewegung fehlt hier.

Dr. Andreas Feser: Kommen wir zurück zum Untersuchungsausschuss: Der Ausschuss hat unter diesem Gesichtspunkt intensiv alle verfügbaren Akten ausgewertet. Das Ergebnis im [gemeinsamen] Abschlussbericht ist, dass für einen pauschalen Vorwurf dieser Art kein Anlass besteht.

Thüringer: Herr Dr. Feser, die Linke sieht eindeutig rassistische Vorurteile bei der Polizei bestätigt, ja sogar "Formen eines strukturellen bzw. institutionellen Rassismus“. Wie schätzt die Union das ein?

Dr. Andreas Feser: Die Union hält diesen Vorwurf für pauschal und falsch. Die Formulierung hilft weder die gemachten Fehler präzise zu beschreiben, noch solche Fehler in Zukunft zu vermeiden.

Waschbrett: Welche Konsequenzen haben die Erkenntnisse bezüglich der z.T. vorurteilsgeleiteten Handlungen von Mitarbeitern bei Polizei und Verfassungsschutz?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Die Empfehlungen sind auch mit der Hoffnung verbunden, denjenigen Polizisten und Staatsanwälten, die sich schon lange um eine effektive und angemessene Strafverfolgung von rechtsextremen und rassistisch motivierten Gewalttaten bemühen, den Rücken zu stärken.

Moderator: Hier noch eine aktuelle Frage, die per Twitter kam:

Twitter!: Gab es jemals offizielle Entschuldigungen an die verleumdeten Angehörigen inklusive der in der Türkei belästigten? Falls ja, von wem?

Dr. Andreas Feser: Die Bundeskanzlerin hat das bei der Gedenkfeier für die Opfer der Terrorgruppe im Februar 2012 sehr gut zum Ausdruck gebracht.

Heike Kleffner: Viele der von einseitigen Ermittlungen Betroffenen kritisieren jedoch, dass sie immer noch auf individuelle Entschuldigungen warten. Hier gibt es sicherlich auch in unterschiedlichen Tatort-Städten noch Nachholbedarf bei den Strafverfolgungsbehörden und politisch Verantwortlichen.

Moderator: ... und noch eine aktuelle Frage:

Frank: Im Schlussbericht wird unter anderem eine verbesserte Kontrolle des Verfassungsschutzes empfohlen. Wie genau soll die aussehen, um ein solches Versagen des Verfassungsschutzes nicht zu wiederholen?

Dr. Andreas Feser: Dazu äußert sich der Abschlussbericht ja in vielen Details. Wichtig ist, dass die Parlamente in Bund und Ländern die Kontrolle der Nachrichtendienste sehr ernst nehmen.

Heike Kleffner: Es liegt in der Natur von Geheimdiensten, dass sie sich jeglicher Kontrolle und Transparenzbemühungen am liebsten entziehen. Deshalb wollen die Linksfraktion und viele andere den Verfassungsschutz in seiner jetzigen Form abschaffen. Klar ist, dass als erster Schritt die Kontrolle erheblich ausgeweitet werden muss.

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Der Fall der Terrorgruppe NSU hat gezeigt, dass bei den Verfassungsschutzbehörden schwere Fehleinschätzungen erfolgten. Die richtige Schlussfolgerung daraus ist: Die Arbeit muss besser werden.

Heike Kleffner: Das war zwar nicht als gemeinsame Antwort gedacht, aber auch ich hoffe, dass erst einmal die Arbeit besser wird ... Alles Weitere wird die Zukunft zeigen.

Friedensbl: Der "Vertrauensmann" der Polizei Thomas S. lieferte TNT-Sprengstoff für NSU-Bomben - ist die TNT-Herkunft bekannt?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Nein, die Herkunft ist nicht bekannt. Leider hat das LKA Thüringen das Beweismittel Sprengstoff schon vor Jahren vernichtet.

Friedensbl: War der Verfassungsschutz-Beamte Andreas T. zufälligerweise am Tatort zur Tatzeit anwesend?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Ja - etwas anderes ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen nicht bekannt.

Friedensbl: Wurden geheimdienstliche NSU-Akten, etwa von Thomas S., aus "Bescheuertsein" (Sebastian Edahty) vernichtet?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Der Untersuchungsausschuss hat kein schlüssig nachvollziehbares Motiv für die Aktenvernichtungen im Bundesamt für Verfassungsschutz im November 2011 gefunden. Die später vernichteten Akten zu Thomas S. im Bundesamt für Verfassungsschutz wurden vollständig rekonstruiert.

Moderator: ... und eine aktuelle Nachfrage:

Waschbrett: Nochmal zu den Konsequenzen für Polizei und Verfassungsschutz: Ihre Antwort ist mir nicht konkret genug. Ich habe leider den Untersuchungsbericht nicht komplett gelesen. Gibt es konkrete Empfehlungen z.B. bezüglich der Ausbildung oder Prüfverfahren, um ähnliche Fehler in der Zukunft zu verhindern?

Dr. Andreas Feser: Bitte lesen Sie den Bericht [S. 861 ff.]. Es gibt viele Empfehlungen zur Personalauswahl ebenso wie zur Aus- und Fortbildung.

Arthur82: Was halten Sie von der Forderung der Linken, den Verfassungsschutz abzuschaffen und dessen Aufgaben der Polizei zu übertragen?

Dr. Andreas Feser: Nichts. Das wäre ein Fehler.

Heike Kleffner: Die Linke will den Verfassungsschutz durch eine Bundesstiftung ersetzen, die alle Aspekte von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit beobachten und untersuchen soll, und dies im Dialog mit zivilgesellschaftlichen Gruppen. Keineswegs sollen die Aufgaben des Verfassungsschutzes der Polizei übertragen werden.

Nutzer: Warum schweigt Zschäpe beharrlich? Hat sie ihre Lebensgesichte an ihren Anwalt (oder jemanden anderen) verkauft?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Beschuldigte und Angeklagte haben das Recht, zu schweigen - so sehr dies auch bei den Angehörigen und Opfern auf nachvollziehbaren Unmut stößt.

Nutzer: Mich interessiert, ob es sozialpsychologische Untersuchungen darüber gibt, wie die Gruppe der drei – Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe – zu Rechtsextremismus mit systematischer Gewaltanwendung gekommen ist.

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Es gibt keine konkreten Untersuchungen zu Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe. Es gibt viele Berichte aus Jena aus den 1990er Jahren über die dortige Neonazi-Szene. Und es gibt Forschungen zu Ein- und Ausstiegsprozessen in der Neonazi-Szene, zum Beispiel Interner Link: hier. Wichtig ist: Alle drei waren teilweise erheblich straffällig, bevor sie als Neonazis auffällig wurden.

Klaro: Werden der Prozess und eventuell auch die Ergebnisse des Untersuchungsausschuss dazu beitragen, dass zukünftig kritischer mit rechtspopulistischen Parteien und Organisationen umgegangen wird? Eventuell sogar Verbote schneller kommen?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Prozess und Untersuchungsausschuss haben sicher bei allen Zuständigen das Problembewusstsein geschärft.

Heike Kleffner: In der Fläche kommt es weiterhin gerade auf die Beratungsprojekte für Opfer rechter Gewalt und die mobilen Beratungsteams an.

Lora: Mit welchen strafrechtlichen Konsequenzen hat Frau Zschäpe zu rechnen, was ist das Mindeststrafmaß?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Das zu entscheiden, obliegt dem Oberlandesgericht München und, falls es Rechtsmittel gibt, dem Bundesgerichtshof.

Moderator: Und noch eine aktuelle Frage per E-Mail:

Email!: Bei den Versuchen, die rechtsterroristische Gruppe aufzudecken, wird deutlich, dass rassistische und geschlechterstereotype Bilder die Wahrnehmung von Polizei und Verfassungsschutz beeinträchtigen. Welche Rolle spielt das Problem der Nichtwahrnehmung rechter Frauen im Bericht des Untersuchungsausschusses und in den Empfehlungen? Wie schätzen Sie dieses Phänomen ein und welche Empfehlungen würden Sie geben?

Heike Kleffner: Tatsächlich findet die wichtige Rolle der Unterstützerinnen im NSU-Netzwerk weder im Abschlussbericht noch in der öffentlichen Wahrnehmung ausreichend Aufmerksamkeit. Wichtig ist: Ohne die Unterstützerinnen hätte das NSU-Trio möglicherweise nicht so gut in die Nachbarschaft von Zwickau gepasst und Beate Zschäpe wäre ohne falsche Papiere gewesen. Zukünftig müssen Frauen in der Neonazi-Szene wesentlich mehr beachtet werden.

Dr. Andreas Feser: Im Allgemeinen ist das richtig, im konkreten Fall gelten die genannten Aspekte (falsche Papiere ...) für Frauen wie Männer.

bürger: Warum wurde die Schuld von Böhnhardt und Mundlos schon beim Einsetzungsbeschluss des Bundestages postuliert?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Klar und belegt ist die Verantwortung von Böhnhardt und Mundlos für Straftaten vor ihrem Untertauchen, klar und belegt ist die Urheberschaft für das NSU-Video. Mehr wird weder im Einsetzungsbeschluss noch im Abschlussbericht behauptet - und keinesfalls wird dem Urteil der Gerichte vorgegriffen.

Melsa: Wie kann es sein, dass der Verfassungsschutz keine adäquate Form der Überwachung rechtsextremer und verfassungsfeindlicher Organisationen gewährleisten kann? Die V-Mann-Methode scheint sich doch als bewiesen problematisch darzustellen. Im NSU-Fall wurden zudem Unsummen von Geld für rechte Aktivitäten ausgegeben. Das schreit allerdings sehr nach einer Reformation, oder was meinen sie?

Heike Kleffner: Das Problem im NSU-Komplex war, dass der Verfassungsschutz bestritten hat, dass in Deutschland rechtsterroristische Gruppen und Netzwerke aktiv waren. Das ist ein politisches Problem und hat auch viel mit mangelnder Analysefähigkeit zu tun. Aus der Überwachung hätte es genügend Material gegeben, um vor Rechtsterrorismus zu warnen und rechtsterroristische Strukturen zu erkennen. Insofern: Ja, hier sind mehr als grundsätzliche Reformen angebracht.

Dr. Andreas Feser: Die Fehleinschätzungen und Pannen rufen sicher nach Konsequenzen - und dazu gibt der Abschlussbericht auch konkrete Empfehlungen.

Bernd: Inwiefern kann man davon ausgehen, dass die deutschen Geheimdienste bzw. der Verfassungsschutz ebenfalls eine Strafe erhalten?

Dr. Andreas Feser und Heike Kleffner: Wie will man Organisationen bestrafen? Strafe kann nur individuell sein. Für Organisationen sind sicher Ansehen und Vertrauen wichtig. Die betroffenen Behörden werden hart arbeiten (müssen), um den Verlust an Ansehen und Vertrauen wieder wettmachen zu können. Eventuelle strafrechtliche Verfehlungen Einzelner in den Sicherheitsbehörden sind im Übrigen verjährt.

Moderator: Kommen wir zu unserer letzten Frage im heutigen Chat:

Bürgerin: Ich habe den Eindruck, dass mit dem Abschlussbericht das Thema "erledigt" war. Das darf doch nicht sein. Was passiert nun mit den Ergebnissen?

Dr. Andreas Feser: Wir haben ja schon festgestellt: Der geschlossene Koalitionsvertrag verpflichtet zur Umsetzung der Empfehlungen.

Heike Kleffner: Es liegt auch an jedem und jeder Einzelnen, dafür zu sorgen, dass sowohl der NSU-Komplex weiterhin im öffentlichen Bewusstsein bleibt, als auch rechter und rassistischer Gewalt entgegen zu treten. Ich kann aber auch verstehen, wenn Opfer rechter Gewalt, beispielsweise in der Sächsischen Schweiz, den Eindruck haben, nichts hätte sich geändert.

Moderator: Das waren 60 Minuten bpb-Expertenchat. Vielen Dank an die Nutzerinnen und Nutzer für die vielen Fragen, die wir aus Zeitgründen leider nicht alle beantworten konnten. Vielen Dank auch an Heike Kleffner und Dr. Andreas Feser, dass Sie sich die Zeit für die Nutzer genommen haben.

Folgende Fragen unserer User haben es nicht mehr in den Livechat geschafft. Unsere beiden Expert/-innen waren aber so nett, diese Fragen nachträglich noch zu beantworten:

Frage: Hat das Auswirkungen auf die Arbeitsmoral der Beteiligten bei Ermittlungen um politisch motivierte Verbrechen?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Ziel des Ausschusses war es auch, einen Ansporn zu geben, aus Fehlern zu lernen. Die Wucht des öffentlichen Interesses hat sicher auch manchen verunsichert – wir hoffen, dass die positiven Impulse stärker wiegen. Schließlich wollte der Ausschuss eben auch denjenigen den Rücken stärken, die schon lange – und oft ungehört – vor rechtsextremer Gewalt gewarnt haben.

Frage: Die "Bombenbastler"-Garage soll am 26. Januar 1998 entdeckt worden sein. Wieso erging wegen der Garage zuerst am 23. Juni 1998 Haftbefehl, davor war es nur wegen Verdacht der sogenannten Theater-Bombe

Dr. Feser und Heike Kleffner: Die Funde in der Garage belegten zunächst den fuer einen Haftbefehl erforderlichen dringenden Tatverdacht zu den Bombenatrappen. Erst als Sprengstoff und Sprengvorrichtung ausgewertet waren, wurde der Haftbefehl neu gefasst. Nach Auffassung des Ausschusses hat das zu lange gedauert. Rein in Bezug auf die Fahndung nach den Dreien war das aber nicht so wichtig, denn: "Haftbefehl ist Haftbefehl".

Frage: Nach meinen Informationen war auch Braunschweig ein Ziel des NSU. Gibt es Informationen, warum es zu keinen Anschlägen in Braunschweig kam?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Nein – potentielle Tatorte ausgespäht wurden laut der Akten noch in weiteren Städten, so auch in Stuttgart, ohne dass es dort zu Mordtaten der Terrorgruppe kam.

Frage: Können Sie die Argumentation von BW-Innenminister Gall nachvollziehen, der sich gegen einen Landes-Untersuchungsausschuss ausgesprochen hat?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Die Entscheidung, einen Untersuchungsausschuss einzusetzen oder nicht, treffen die Abgeordneten im Landtag von Baden-Württemberg – und nicht der Landesinnenminister. Als Mitarbeiter von Bundestagsfraktionen dazu öffentlich Stellung zu nehmen, wäre unangemessen.

Frage: Ist das NSU-Drama auch durch die Beschwichtigungspolitik vieler Politiker ermöglicht worden? Z. B: Bürgermeister, die aus Imagegründen das Problem des Rechstextremismus leugnen. Oder die unterschiedlichen Zahlen zu den Todesopfern rechtsextremer Gewalt (1990 - 2012: offiziell 63, laut u.a. ZEIT online über 150)?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Der Ausschuss hat auf viele Formen der Verharmlosung und Unterschätzung rechtsextremistischer und rassistischer Gewalt aufmerksam gemacht – seine Empfehlungen haben zum Ziel, dass künftig eine realistische Gefahreneinschätzung vorgenommen und nichts beschönigt wird. Dazu gehört auch die Empfehlung, die bislang nicht anerkannten Tötungsdelikte erneut zu überprüfen.

Frage: Konnte der Untersuchungsausschuss in Sachen NSU wirklich alles untersuchen oder wurden Unterlagen vorenthalten? Mal abgesehen von den Akten, die vernichtet wurden.

Dr. Feser und Heike Kleffner: Die Beweisbeschlüsse des Untersuchungsausschusses wurden erfüllt – wenn auch manchmal mit Verzögerungen. Der Ausschuss konnte in den übersandten Unterlagen keine Lücken feststellen.

Frage: Wie kann die Herkunft des TNT ungeklärt sein, wenn Thomas S. ein "Vertrauensmann" der Polizei ist?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Thomas S. war „Vertrauensperson“ erst ab dem Jahr 2000 – das TNT wurde schon 1997 übergeben - und er war Vertrauensperson in einem ganz anderen Verfahren, in dem es um die Verbreitung und die Herstellung indizierter neonazistischer Musik ging. Nach dem TNT wurde er erst in den aktuellen Ermittlungen befragt – nicht als „Vertrauensperson“, sondern als einer der Beschuldigten im Ermittlungsverfahren.

Frage: Es gibt in den rekonstruierten NSU-Akten eine Frau, die wie Zschäpe als eine “in Katzen vernarrte Frau geschildert" wird "die viel mit ihrer Oma machte". Haben Sie nachgeprüft, ob diese Frau so wirklich vorhanden ist?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Die Mitglieder des Ausschusses haben die Klarnamendateien ansehen können. Danach ist ausgeschlossen, dass sich der hier genannte Aktenvorgang auf Frau Zschäpe bezogen hat.

Frage: Der Verfassungsschutzmitarbeiter Andreas Temme soll an 6 der 10 Tatorte gesehen worden sein, gibt es dazu irgendeine Erklärung?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Für dieses Gerücht gibt es in den Ermittlungsakten keine Grundlage.

Frage: Kann das eine Lösung für die falschen Ermittlungsansätze sein, die es vielfältig nach den Morden gab?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Nein – aus dem genannten Grund.

Frage: Stimmt es, dass die Polizei eine Dönerbude aufgemacht hatte, um so die Täter zu überführen?

Dr. Feser und Heike Kleffner: Nach einem der Morde gab ein Zeuge an, bei der Tat sei es um einen Streit wegen unbezahlter Rechnungen für Dönerfleisch gegangen. Diese Spur prüfte die Polizei mit der geschilderten verdeckten Ermittlungsmaßnahme.

Frage: Was passierte mit der Serie der Ceskas mit Schalldämpfer, ich meine es waren 29 Handfeuerwaffen die an das MfS der Ex-DDR gingen? Wurden die vernichtet? Wenn ja, wer hat diese vernichtung, bzw den Rückbau der Waffen beaufsichtigt.

Dr. Feser und Heike Kleffner: Diese Frage hatte für die Arbeit im Ausschuss keine Bedeutung, denn durch die Geschossspuren ist zweifelsfrei die Identität der Tatwaffe geklärt – und diese gehört nicht zu dem hier genannten Kontingent von Ceska-Pistolen.

Frage: Wie kann in Zukunft verhindert werden, dass V-Leute einerseits die wesentlichen Informationen zurückhalten, andererseits das Geld wiederum in rechte Strukturen fließt? Der Staat sich selbst also einen Bärendienst erweist?

Heike Kleffner: Die Linksfraktion hat als eine der zentralen Konsequenzen aus dem NSU-Komplex ein sofortiges Ende des V-Leute-Systems gefordert. Denn der Schaden durch das V-Leute –Wesen ist zu groß.