Redaktion InfoPool: Wie entstand die Idee zu eurem Theaterprojekt „König von Deutschland“ und was hat euch dazu inspiriert, dieses Thema als dokumentarisches Theater auf die Bühne zu bringen?
Fabian Rosonsky: Ich selber bin in Wittenberg geboren und in der Nähe aufgewachsen. Als 15-Jähriger war ich mal in dem Esoterikladen, den Herr Fitzek in Wittenberg betrieben hat – ohne zu dem Zeitpunkt zu wissen, was dahintersteckt. Im letzten Jahr kam die Idee auf, ein Theaterstück über das „Königreich Deutschland“ zu machen. In der Planung ist uns schnell klar geworden, dass mandem Thema eigentlich nur dokumentarisch begegnen kann, weil man sich, egal welche Form von Berichterstattung oder Auseinandersetzung man wählt, den Vorwurf einfängt, das wäre realitätsverzerrend oder diffamierend. Aus diesem Grund haben wir beschlossen, dass wir uns für die Inszenierung nichts ausdenken, sondern das ganze Stück aus Quellen zusammenbauen: einerseits Quellen vom „Königreich“ selber ‒ die haben ja unwahrscheinlich viel Material produziert ‒ andererseits existierende Berichterstattung darüber. Zudem haben wir Material aus öffentlichen Telegram-Gruppen herangezogen, juristische Urteile gelesen sowie Interviews mit verschiedenen Expert:innen geführt. Aus diesen ganzen Informationen haben wir schließlich das Stück „König von Deutschland“ entwickelt. Die Texte unseres Theaterstücks wurden also alle irgendwo so gesagt oder geschrieben – und die Versatzstücke haben wir dann zu neuen Szenen zusammengebaut. Das ist natürlich auch schon ein Eingriff, aber eben ein sanfterer, als wenn wir jetzt irgendwas erfunden hätten.
Inwiefern ist das dokumentarische Theater besonders geeignet, die Geschichte von Peter Fitzek und seinem „Königreich Deutschland“ zu erzählen? Welche Vorteile bietet es für die Vermittlung komplexer und kontroverser Themen?
Sarah Methner: Ich würde sagen, das dokumentarische Theater funktioniert gut, weil die Schauspieler:innen kurzzeitig in Rollen reinschlüpfen und dann aber auch wieder rausgehen können. Dadurch haben sie die Möglichkeit, immer wiederzwischen Innen- und Außenperspektive zu changieren. Auf diese Weise können sowohl Fakten aufbereitet werden als auch einemotionaler Zugriff zum Thema erfolgen – um so zum Beispiel Beweggründe zu finden, warum sich jemand einer Bewegung anschließt. Gleichzeitig kann auch deutlich werden, worin dabei die Gefahren liegen oder wie leicht man da reinrutschen kann – weil man selber bestimmte Denkmuster hat, sich vielleicht zur esoterischen Szene hingezogen fühlt oder einen leichten Einstieg beispielsweise über Yoga findet und sich dann plötzlich in einer Gruppe verortet sieht, wo man vielleicht erst mal gar nicht merkt, dass es sich auch um braune Esoterik handeln könnte. Um das Bewusstsein dafür zu schärfen, funktioniert es ganz gut, zu fragen: „Moment mal, was ist denn jetzt gerade auf der Bühne passiert? Und was ist kritisch daran?“
Fabian Rosonsky: Dieseemotionale Komponente öffnet vielen die Augen. Es ist hilfreich, dass die Informationsvermittlung nicht nur auf intellektueller Ebene geschieht, sondern dass sich die Zuschauer:innen hineinfühlen können. Und ich würde noch hinzufügen wollen, dass Theater immer auch ein Ort direkter sozialer Interaktion ist, der einen Diskussionsraum aufmacht. Indem ich eben nicht in meinem stillen Kämmerlein vor einem Buch sitze, sondern mit anderen Leuten zusammen bin, mit denen ich während oder nach der Aufführung sprechen kann. Wir haben die Inszenierung bewusst so gestaltet, dass es dortGesprächsräume gibt, was die Leute auch nutzen. Unsere Inszenierung ist wie eine Art Parcours gestaltet, sodass die Leute von einem Ort zum anderen wandern und zwischendrin Zeit haben, miteinander zu reden. Zusätzlich bieten wiram Ende noch ein Publikumsgespräch an. Ich denke, das ist neben der emotionalen Komponente ein zweiter Vorteil, den das Theater im Vergleich zu anderen Medien hat: sofort eine Möglichkeit zur Diskussion zu bieten, sodass Leute nicht nur mit dem Themenfeld Reichsbürger:innen in Kontakt kommen, sondern auch darüber reden können.
Der Austausch steht also im Mittelpunkt der Inszenierung, richtig?
Sarah Methner: Genau. Aus dem Grund haben wir uns bewusst für kleinere Spielstätten entschieden, um einen Austausch zwischen den Schauspieler:innen und dem Publikum zu ermöglichen. Die Hemmschwelle ist bei einem Publikum mit vier- oder fünfhundert Personen einfach viel größer und das Setting frontal, sodass kein richtiges Gespräch stattfinden kann. Daher die kleinen Orte.
Fabian Rosonsky: Es war auch von vornherein das Ziel, die Leute da ein bisschen herauszufordern. Ich sage immer spaßeshalber, es ist irgendwie Vollkontakt-Theater, weil es eben keine Distanz zwischen Publikum und Schauspieler:innen gibt. Wir spielen nicht von der Bühne herab, sondern die Darsteller:innen und Zuschauer:innen sitzen zusammen an einem Tisch. Ich finde diese Herangehensweise total wichtig, weil ein Thema wie das „Königreich Deutschland“ dazu verleitet, sich in seinem Sitz zurückzulehnen. Dass man auf die Reichsbürger:innen guckt, sie belächelt, abtut und sich zurückzieht, war eben genau das, was wir vermeiden wollten. Mit unserer Inszenierung wollen wirbewirken, dass sich die Zuschauer:innen mit dem Thema auseinandersetzen.
Wie geht ihr mit der Herausforderung um, eine Balance zwischen künstlerischer Freiheit und Verantwortung für eine sachliche Darstellung zu finden? Verfolgt ihr den Anspruch überhaupt?
Sarah Methner: Die Balance zwischen künstlerischer Freiheit und sachlicher, differenzierter Darstellung hängt vom Thema des Stückes ab. An ein Stück, das sich mit demokratiefeindlichen Ideologien und extremistischen Gruppierungen auseinandersetzt, gehen wir anders heran als etwa an die Inszenierung eines Romans.
Fabian Rosonsky: Für unser Theaterprojekt „König von Deutschland“ haben wir den Anspruch gehabt,so sachlich wie möglich zu sein. Einerseits, weil man sich sonst angreifbar macht. Und andererseits, weil auch derAnspruch ist, aufzuklären und eine Auseinandersetzung zu fördern. Das geht am besten, wenn man sich auf einer sachlichen Ebene bewegt.
Letztes Jahr haben wir auch ein dokumentarisches Stück über Landwirtschaft gemacht, bei dem wir uns mehr künstlerische Freiheit erlaubt haben als hier. Da ist dann eine Kartoffel aufgetreten und hat von ihrem Leben erzählt, oder ein Schwein hat kurz vor der Schlachtung noch ein Interview gegeben – beides auf Grundlage von dokumentarischem Material, aber trotzdem mit größerer künstlerischer Gestaltungsfreiheit.
Welchen Herausforderungen seid ihr bei der Inszenierung und Aufführung des Stücks begegnet? Habt ihr Strategien entwickelt, um euch im Umgang mit den Themen zu schützen, etwa bei der intensiven Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Ideologien?
Sarah Methner: Es gab immer wieder mal Ängste, die im Raum schwebten, etwa von den Schauspieler:innen, die mit ihrem Gesicht dastehen, dass die zu Marketingzwecken aufgenommenen Fotos zweckentfremdet werden und diese Bilder plötzlich in anderen Kontexten auftauchen könnten. Die Sorge war, dass sie mit der Reichsbürger:innenszene assoziiert werden anstatt mit einem dokumentarischen Stück über die Szene.
Und dann stallt sich natürlich immer die Frage: Ist die Veranstaltung für alle zugänglich, oder schließen wir Menschen aus, weil wir uns einfach nicht sicher fühlen, wenn wir vor ihnen spielen? Geht das überhaupt? Darf man das? Auch damit haben wir uns in der Arbeit an diesem Stück auseinandergesetzt.
Fabian Rosonsky: Eine persönliche Herausforderung ist außerdem, die Lust an der Sache und den Humor nicht zu verlieren. Es ist sehr belastend, wenn man sich im Zuge der Recherche über Wochen mit den ganzen demokratiefeindlichen Inhalten beschäftigt. Da muss man aufpassen, dass man sich davon nicht fertigmachen lässt, weil es natürlich in einem kocht, wenn man bestimmte Sätze liest oder Dinge beobachtet. Eine emotionale Hygiene zu betreiben ist da, glaube ich, tatsächlich wichtig. Und gleichzeitig muss man darauf achten, sachlich und ausgewogen zu bleiben, das Publikum zwischendrin zum Lachen zu bringen und trotzdem der Ernsthaftigkeit des Themas gerecht zu werden.
Darüber hinaussetzt man sich natürlich auch einer gewissen Gefahr aus, indem man solche Projekte macht, und es schwingt immer die Frage im Hintergrund mit: Kann da irgendwas passieren? Wir hatten etwa die konkrete Situation, dass Peter Fitzek plötzlich bei unserer Aufführung in Halle/Saale vor der Tür stand. In dem Fall ist nichts passiert. Aber wir waren alle sehr nervös, denn wir waren zu dem Zeitpunkt noch nicht darauf vorbereitet. Es war nämlich unsere Vor-Aufführung zwei Tage vor der Premiere. Danach haben wir Maßnahmen ergriffen, beispielsweise indem wir immer die Polizei über die Vorstellungen informiert haben.
Und wir haben auch eine Ausschlussklausel, sodass wir Personen, die durch antisemitische, rassistische oder andere diskriminierende Äußerungen aufgefallen sind, per Hausrecht von der Veranstaltung ausschließen können. Gleichzeitig war nie unsere Idee, Reichsbürger:innen generell nicht reinzulassen, weil es uns auch wichtig ist, nicht nur über Leute zu reden, sondern, wenn das gewünscht ist, auch mit ihnen.
Wir hatten im Kollektiv lediglich die Entscheidung getroffen, dass wir bekannte Personen der Reichsbürger:innenszene wie Herrn Fitzek selbst nicht reinlassen würden, da dann alle nur noch auf ihn statt auf das Stück schauen und wir ihm diese Bühne nicht bieten wollen. Es ist aber schon passiert, dass Szeneangehörige zu einer Aufführung kamen. Unser Publikum bekommt als Teil der Inszenierung am Einlass ein Visum – das braucht man ja, wenn man ins „Königreich“ einreisen will. Und eine Zuschauerin legte einfach ihren originalen Ausweis vom „Königreich“ auf den Tisch mit den Worten: „Ich brauche kein Visum, ich bin hier Staatsangehörige.“ Für solche Fälle haben wir inzwischen auch passende freundliche Antworten parat. Aber trotzdem schwingt immer eine Unsicherheit mit.
Wie haben denn die Personen aus der Reichsbürger:innenszene auf euch und das Stück reagiert?
Fabian Rosonsky: Die Frau mit dem Ausweis vom „Königreich“ schien mir nach unserer Aufführung ein bisschen geläutert. Im Publikumsgespräch hat sie sich auch kritisch über das „Königreich“ geäußert. Was das am Ende bei ihr bewirkt hat, kann ich nicht sagen. Das haben wir nicht nachverfolgt. Aber in dem Fall habe ich den Eindruck, dass unser Theaterstück sie ein bisschen wachgerüttelt hat.
Außerdem waren auch einmal drei ältere Herren da, die dachten, unser Programm wäre eine Art Infoveranstaltung vom „Königreich“. Die waren trotzdem sehr interessiert und haben sich das ganze Recherchematerial angeschaut, das wir ausgelegt haben. Anfangs haben sie noch intensiv mit diskutiert. Irgendwann wurde es ihnen dann aber doch zu bunt, und sie sind gegangen.
Sarah Methner: Ja, es gab auch noch einen Aussteiger, der unser Stück besucht hat. Mit dem haben wir uns im Anschluss ziemlich lange unterhalten. Er hatte viele Anmerkungen und hat uns bestätigt, dass das Stück gut aufgearbeitet war und er sehr viele Details wiedererkannt hat. Und dass er zwischendurch auch lachen musste, weil er so vertraut damit war.
Und wie waren die Reaktionen des Publikums insgesamt? Wie wurde das Stück aufgenommen?
Fabian Rosonsky: Bei den bisherigen Vorstellungen war das Publikum sehr gemischt, von Richter:innen über Student:innen bis hin zu „ganz normalen Leuten“, die man so auf der Straße treffen könnte.
Sarah Methner: Ich habe mich mal mit einer Verwaltungsbeamtin unterhalten, die durch ihre Arbeit Schriftverkehr mit einzelnen Leuten aus der Szene hat und die auch extra ziemlich weit angereist ist, um sich das Stück anzugucken, weil sie direkt konfrontiert ist mit dem bürokratischen Aufwand, den sie verursachen.
Fabian Rosonsky: Stimmt. Es waren auch Leute aus Grabow da, also das „Goldene Grabow“, wo die Anastasia-Bewegung
Wo seht ihr die Schnittstellen eures Stücks zu politischer Bildungsarbeit? Oder würdet ihr überhaupt sagen, dass es als politisch bildnerisches Projekt zu verstehen ist?
Sarah Methner: Es wäre sehr schön, wenn unser Theaterstück so verstanden wird, weil es ja eine Aufbereitung von Fakten ist, informativ ist und einen Raum für Diskussionen schafft.
Fabian Rosonsky: Das Stück hat auf jeden Fall einen Aufklärungsanspruch, dem wir hoffentlich gerecht werden können. Darüber hinaus versuchen wir, die Beschäftigung mit dem Thema anzuregen, Wissen zu vermitteln und eine Auseinandersetzung herbeizuführen. Das sind Dinge, die wir uns zum Ziel gesetzt haben und bei denen ich denken würde, dass sie eine Verbindung zur politischen Bildung darstellen. Trotzdem ist es immer noch Theater. Aber eben Theater, das durch das dokumentarische Arbeiten an vielen Stellen an die Realität andockt und versucht, etwas zu bewegen.
Vielen Dank für das Interview.