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Haltung zeigen, Demokratie stärken Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Kontext Schule

Sarah Fey

/ 13 Minuten zu lesen

Rechtsextreme Ereignisse sowie der häufig unzureichende staatliche Umgang damit führen vor allem in migrantisierten und jüdischen Communitys zu kollektiven Traumata und Unsicherheitsgefühlen. Dies gilt auch für Kinder und Jugendliche, was in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Vorkommnissen im Kontext Schule mitzudenken ist.

Mobile Beratungsteams bieten Unterstützung, um demokratische Strukturen in der Schule zu stärken und Schutzräume für Betroffene zu schaffen. (© Adobe-Stock/Corri Seizinger )

Rechtsextreme Denk- und Handlungsmuster sind leider in der deutschen Gesellschaft fest verankert (vgl. Decker et. al. 2022; Zick et al. 2023) und fanden ihre erschreckenden Höhepunkte zum Beispiel in der Mordserie des sogenannten Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) und den rechtsterroristischen Anschlägen von Halle 2019 und Hanau 2020. Diese Ereignisse sowie der häufig unzureichende staatliche Umgang damit führen vor allem in migrantisierten und jüdischen Communitys zu kollektiven Traumata und einem konstanten Gefühl von Unsicherheit (vgl. Arslan/Ünsal 2022, S. 22f.) Wenn auch nicht immer bewusst, so haben auch migrantisierte und jüdische Kinder und Jugendliche diese Erfahrungen und Gefühle in sich eingeschrieben, was somit in der Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Vorkommnissen im Kontext Schule mitzudenken ist.

Schule als Spiegel der Gesellschaft

Die hessische Landesschüler:innenvertretung veröffentlichte 2022 die Ergebnisse einer landesweiten Befragung, in der 70 Prozent der Schüler:innen angaben, Rassismus im Schulalltag zu erleben. Und 25 Prozent bekundeten, von Lehrkräften rassistisch diskriminiert worden zu sein (vgl. LSV Hessen 2022). Generell lässt sich ein Anstieg von rechter und rassistischer Gewalt gegenüber Kindern und Jugendlichen beobachten (vgl. Tagesschau 2023). Diese Zahlen zeigen, dass insbesondere rassistische Gewalt an Schulen virulent ist. Zudem wird auch vermehrt von antisemitischen und queerfeindlichen Anfeindungen im Schulkontext berichtet (vgl. LSVD 2020). Diese Formen von Gewalt betreffen dabei nicht nur Schüler:innen, sondern alle Akteur:innen im Schulalltag.

Neben verschiedenen diskriminierenden Vorkommnissen können rechtsextreme Akteur:innen auch dezidiert versuchen, den Raum Schule zu dominieren und dort ihre demokratie- und menschenfeindlichen Inhalte zu verbreiten. Das kann durch Wortergreifungsstrategien im Politikunterricht geschehen, durch dezidierte Angriffe und Diskriminierung von Schüler:innen und Lehrer:innen mit Migrationsgeschichte, über das Verteilen von Flyern oder das Setzen von Themen in öffentlichen Diskursen wie zum Beispiel dem Titel des Schulfestes.

Wenn Betroffene diese Vorfälle bei Schulangehörigen, aber auch darüber hinaus zum Beispiel bei der Polizei melden und thematisieren, werden sie häufig nicht ernst genommen oder ihre Erfahrung wird bagatellisiert. Teilweise wird auch die Schuld bei der betroffenen Person gesucht (vgl. u. a. Geschke/Quent 2021, S. 75). Dann findet eine klassische Täter:innen-Opfer-Umkehr statt, die betroffene Person befindet sich unter Rechtfertigungsdruck; eine psychische Folge ist hier häufig die sekundäre Viktimisierung, das Gefühl von Entsolidarisierung und Ohnmacht. Der Raum Schule kann von der betroffenen Person somit nicht mehr als Schutzraum wahrgenommen werden und es erfolgen keine Konsequenzen für die gewaltausübende Person. Häufig findet seitens der Verantwortlichen nicht deutlich genug eine Positionierung gegen Rassismus, Queerfeindlichkeit oder Antisemitismus statt.

Wer wird von wem diskriminiert?

Es gilt bei der Analyse von diskriminierenden Vorfällen im Kontext Schule zu unterscheiden, wer von wem diskriminiert wird. Denn es macht einen Unterschied, ob Schüler:innen durch Lehrkräfte oder umgekehrt Lehrkräfte von Schüler:innen diskriminiert werden, ob Erwachsene andere Angehörige der Schulgemeinde diskriminieren oder Schüler:innen untereinander dies tun – dennoch ist jede Form von Diskriminierung eine Form von Gewalt und hat Folgen für die Betroffenen. Da Schule jedoch hierarchisch aufgebaut ist und durch ein Machtgefälle strukturiert wird, findet die Auseinandersetzung mit Diskriminierung und rechtsextremer Gewalt nicht für alle einheitlich statt. Wenn beispielsweise Lehrer:innen Schüler:innen diskriminieren, ist die Hürde, dies gegenüber der Schulleitung zu thematisieren, sehr viel höher, als wenn es zu Diskriminierungen unter Schüler:innen kommt, weil die Angst vor schlechten Noten oder Bagatellisierung besteht. Aber auch die Angst unter Lehrkräften ist vorhanden, Kolleg:innen auf ihre demokratiefeindlichen oder diskriminierenden Aussagen hinzuweisen oder diese zu melden, da sie Sorge vor Ausschlussmechanismen oder Anfeindungen haben.

Die häufig mangelnde Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Strukturen im Kontext Schule und dem Nicht-Ernstnehmen von Betroffenenperspektiven hat verschiedene Gründe. Neben strukturellen Rahmenbedingungen wie mangelnder Zeit, Angst vor Fehlern oder öffentlicher Kritik, Abwehr sich mit eigenen Ressentiments und Vorurteilen befassen zu müssen oder Personalmangel spielen Überforderung und vor allem Unsicherheit entscheidende Rollen (vgl. Georg 2021, S. 9). Interner Link: Schule ist aber eine gesellschaftliche Institution, die sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzen muss – und die Mobilen Beratungsteams (MBT) können dabei helfen.

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus als Unterstützungsmöglichkeit

Die Menschenrechtsorientierung ist einer der zentralen Aspekte der Haltung Mobiler Berater:innen (Bringt/Klare 2022, S. 398). Die Grundhaltung von MBTs sollte daher humanistisch, demokratisch undpartizipativ sein. Das eigene Eingebundensein in gesellschaftliche Machtstrukturen und die Reflexion selbiger sowie von Involviertheiten in Beratungsprozessen gelten als weitere wichtige Haltungsannahmen Mobiler Berater*innen. Außerdem ist es Aufgabe von Mobilen Berater:innen, Sensibilisierungs- und Veränderungsprozesse im Sozialraum und bei den Beratungsnehmenden anzustoßen, die auch ein Abbild gesellschaftlicher Diskurse sind.

Die meisten Mobilen Beratungsteams im Kontext Rechtsextremismus orientieren sich an den Grundsätzen des Bundesverbandes der Mobilen Beratung (vgl. BMB 2021). Darin wird auch deren Arbeitsweise beschrieben. Viele Beratungsteams arbeiten ausgehend von den Ressourcen und Bedarfen ihrer Beratungsnehmenden sowie sozialraumorientiert. Das heißt konkret für den Beratungskontext Schule mitzudenken, ob sich der Lernort zum Beispiel in einem ländlichen oder städtischen Raum befindet, es dort starke oder eher schwache demokratiefeindliche und rechtsextreme Strukturen und Wähler:innenpotenzial gibt, wie die Zusammensetzung der Schüler:innenschaft und des Kollegiums hinsichtlich des Migrationsanteils ist, ob es eine aktive Schüler:innenvertretung und AGs gibt, die sich mit den Themen Rassismus, Diversität etc. auseinandersetzen. Oder ob die Schulleitung hinter dem Anliegen der Beratungsnehmenden steht oder selbst Beratungsnehmende ist und dafür entsprechende Ressourcen wie Zeit für den Beratungsprozess und Weiterbildung und ggf. auch finanzielle Mittel zur Verfügung stellt oder aber eher das Bild der „diskriminierungsfreien und problemlosen Schule“ aufrechterhalten will.

Diverse Teams für eine multiperspektivische Beratung

Es wird in der Regel zu zweit beraten und nach Möglichkeit darauf geachtet, die Teams möglichst divers zu besetzen, um einerseits für die Beratungsnehmenden verschiedene Identifikationsmöglichkeiten und Zugänge für die Beziehungsgestaltung zu bieten und andererseits unterschiedliche Perspektiven in den Beratungsprozess einzubringen. Als analytisch-fachliche Ausgangspunkte verfolgt Mobile Beratung rassismuskritische, betroffenenzentrierte und machtkritische Ansätze. Die Mobilen Berater:innen verfügen in der Regel über ein breites Wissen zu Ideologien der Ungleichwertigkeit, Demokratieförderung, über Methoden- und Moderationskenntnisse sowie Ansätze der systemischen Beratung, die sie in die Beratungsprozesse einfließen lassen. Die Beratungsgespräche und -inhalte sind vertraulich, auf Wunsch können Beratungen auch anonym stattfinden.

Wie die Unterstützung konkret aussehen kann

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus wird häufig von Schulen angefragt, wenn es bereits demokratiefeindliche Vorkommnisse gab. Der Wunsch ist mehrheitlich, dass ein schneller Lösungsansatz wie beispielsweise Workshops mit der betreffenden Schulklasse, ein Vortrag oder eine Publikation mit Hintergrundinformationen für Lehrkräfte geliefert wird. Um Diskriminierung und rechte Gewalt nachhaltig zu verhindern bzw. zu minimieren, braucht es aber strukturelle langfristige Veränderungsprozesse innerhalb der ganzen Schulgemeinde. Diese kosten wiederum zeitliche und personelle Ressourcen und Bildungsangebote können nur ein Teil des Prozesses sein.

Ein Fallbeispiel

Um zu veranschaulichen, wie die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus im Kontext Schule arbeitet, werden verschiedene Beratungsschritte und Herangehensweisen an einem Fallbeispiel exemplarisch aufgezeigt.

Ausgangssituation

Eine Gesamtschule im ländlichen Raum, die für mehrere Gemeinden zuständig ist, fragt das Mobile Beratungsteam an. Im Zuge der Abschlussfeierlichkeiten für die 10. Klassen wurde ein rassistisches Motto anonym eingereicht. Die Geschichtslehrerin der Stufe berichtet, dass sie von mehreren Schüler:innen erfahren habe, dass eine Gruppe Jugendlicher regelmäßig Mitschüler:innen mit Migrationsgeschichte beleidige und teilweise bedrohe. Die Gruppe nehme wohl auch an Veranstaltungen einer rechtsextremen Gruppierung in einem Nachbarort teil. Diese Clique gibt es an der Schule wohl schon länger und viele der Mitschüler:innen sind eingeschüchtert und/oder desinteressiert. Die Geschichtslehrerin ist selbst Person of Color (PoC) und leitet die AG zum Thema „Vielfalt und Demokratie“. Sie berichtet der Schulleitung von den Vorkommnissen, diese meldet sich bei der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus .

Vorgehensweise des Mobilen Beratungsteams (MBT)

Erstgespräch
An diesem auch Auftragsklärungsgespräch genannten ersten Treffen nehmen neben dem/der Beratungsnehmenden (hier die Schulleitung) weitere Schlüsselfiguren aus dem Kollegium wie zum Beispiel die Geschichtslehrerin, Schulsozialarbeiter:innen oder Vertrauenslehrkraft sowie Lehrkräfte der involvierten Schüler:innen teil. So können schon zu Beginn des Prozesses verschiedene Perspektiven auf den Fall eingebracht und in der Entwicklung von Handlungsstrategien mitgedacht werden.

Betroffenenschutz
Insbesondere wenn Personen direkt betroffen sind, weisen die MBT auf die Notwendigkeit des Betroffenenschutzes durch die Schule hin und betonen die Notwendigkeit von Schule als Schutzraum für alle. Zusätzlich wird häufig Kontakt zu den Betroffenenberatungsstellen hergestellt, die dezidiert Betroffene rassistischer, antifeministischer und antisemitischer Gewalt unterstützen. Teilweise werden Beratungsfälle dann gemeinsam begleitet: Das MBT begleitet die Institution Schule und die Betroffenenberatungsstelle die betroffenen Personen.

Distanzierungsberatung
Bei Fällen, in denen rechtsaffine Jugendliche beteiligt sind, gibt es auch die Möglichkeit, Distanzierungsberatungsstellen hinzuziehen, die in solchen Fällen pädagogische Angebote machen können.

Definition langfristiger Beratungsziele
Je nach Vorfall wird der Wunsch nach einer diskriminierungsarmen Schule, einem besseren Schulklima, einem sichereren Umgang mit diskriminierenden Vorkommnissen von Lehrkräften und Personal, der (Weiter-)Entwicklung eines Leitbildes oder eben von Anlaufstellen, bei denen Vorkommnisse auf struktureller Ebene gemeldet und behandelt werden können, geäußert. Bei der Erreichung und Umsetzung dieser Ziele sowie bei der Entwicklung von bedarfsspezifischen Bildungsangeboten für Lehrkräfte unterstützt das MBT. Für die Schüler:innenschaft sind regelmäßig Workshops zur Stärkung von Zivilcourage und zur Wissensvermittlung zu Ideologien der Ungleichwertigkeit gewünscht – hierfür können spezielle Bildungsträger angefragt werden. Je nach langfristigem Ziel werden Zwischenschritte in fortlaufenden Terminen und unter Berücksichtigung neuer Vorkommnisse besprochen.

Beratung an Schulen ist besonders komplex, da dort unterschiedliche Akteur:innen mit verschiedensten Anliegen und Aufträgen zusammenkommen und viele Ebenen mitgedacht werden müssen. Es hat sich herausgestellt, dass Beratungsprozesse an Schulen häufig nur dann funktionieren, wenn die Schulleitung dahintersteht, da sie die Entscheidungsmacht über zeitliche, personelle und inhaltliche Ressourcen hat. Daher kann allen Schulangehörigen, die an ihrer Schule Prozesse hin zu einem nachhaltigen demokratischen Miteinander anstoßen wollen, empfohlen werden, ihre Schulleitung von Anfang an in den Prozess miteinzubeziehen.

Haltung zeigen, Selbstreflexion und Betroffenenzentriertheit als zentrale Aspekte der Auseinandersetzung

Es gibt kein Patentrezept für den Umgang mit demokratiefeindlichen Vorkommnissen im Kontext Schule. Aber es lassen sich drei zentrale Punkte für alle Schulangehörigen nennen, die empfohlen werden können: Haltung zeigen gegen demokratiefeindliche und diskriminierende Vorkommnisse, (Selbst-)Reflexion sowie Betroffene wahrnehmen und schützen. Wie das konkret aussehen kann, soll im Folgenden näher beschrieben werden.

Haltung zu zeigen im Umgang mit demokratiefeindlichen Vorkommnissen, wird nicht nur im Kontext Schule häufig gefordert, sondern zeigte sich Anfang 2024 etwa auch in den vielen zivilgesellschaftlichen Protesten im Nachgang der correctiv-Recherche . In Beratungsprozessen stellt sich vielen Lehrkräften die Frage, ob sie trotz oder gerade wegen des „Neutralitätsgebots“ (vgl. Hufen 2021) auch zu Protesten gegen Rechts aufrufen dürfen oder mit ihren Schüler:innen über die AfD und deren in Teilen demokratiefeindliche Positionen diskutieren können. Das Bedürfnis von Lehrkräften, dies zu tun und „Haltung zu zeigen“, ist häufig groß. Es ist jedoch von der Unsicherheit begleitet, inwiefern und in welchem Maße sie das überhaupt dürfen. Dieses Spannungsverhältnis erschwert eine Positionierung für Demokratie und Menschenrechte im Arbeitsalltag. Die Soziologin Eva Georg betont bezogen auf schulische Neutralität die Bedeutung der Menschenrechte und des Grundgesetzes: „Aus dem Bezugspunkt Menschenrechte ergibt sich eine klare Handlungsorientierung und sogar Pflicht, bei menschenverachtenden Äußerungen einzuschreiten“ (Georg 2021, S. 33); und diese Pflicht ist sogar „im schulgesetzlich manifestierten und formalisierten Erziehungs- und Bildungsauftrag von Schulen angelegt“ (Breuer 2023). In der Praxis ist die Umsetzung für Lehrkräfte teilweise schwierig, da ihnen Handlungssicherheit im Umgang mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Vorkommnissen fehlt. Daher ist es relevant, sich auf die eigene Haltung beziehen und verlassen zu können und vor allem danach zu handeln. Haltungs- und Handlungskompetenzen sind demnach eng miteinander verknüpft.

Gemeinsame Haltungs(entwicklung) und Fortbildungsbereitschaft im Kollegium

Um dies zu vereinfachen, wird zum Beispiel in Workshops an einer gemeinsamen Haltung im Kollegium gearbeitet, häufig sind diese verknüpft mit methodischen Teilen, in denen Handlungssicherheit erprobt wird. Diese Bildungsangebote für Multiplikator:innen werden durch MBT an den Bedarfen der Lehrkräfte orientiert konzipiert und umgesetzt. Ein Schulleitbild ermöglicht zudem allen Schulangehörigen, sich auf gemeinsame Werte und Vorgehensweisen zu beziehen, und erleichtert teilweise Argumentationen gegenüber Schüler:innen, Kolleg:innen und Eltern, die sich diskriminierend äußern.

Pädagogische Kompetenzen wie wertschätzender Umgang, Kommunikation auf Augenhöhe und Authentizität sollten Teil der sogenannten Pädagog:innenpersönlichkeit sein (vgl. Becker et al. 2013, S. 280). Als notwendige Grundsätze einer Haltung im Umgang mit diskriminierenden Vorkommnissen können folgende Aspekte benannt werden: Menschenrechtsorientierung, Ambiguitätstoleranz und (Selbst-)Reflexion.

Diese drei Aspekte ermöglichen eine differenzierte und wertebasierte Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen und diskriminierenden Vorkommnissen. Wie bereits erwähnt, entwickelt sich Haltung ein Leben lang weiter. Das heißt, Fortbildungen und Workshops für Lehrkräfte und Schulangehörige, um Haltungs- und Handlungskompetenzen zu stärken, sind bei der Entwicklung und Festigung hilfreich, insbesondere für junge Kolleg:innen, wie die Praxis zeigt. Aus der Praxisperspektive lässt sich konstatieren, dass der Austausch mit Kolleg:innen über Fallbeispiele und das Üben des Argumentierens gegen demokratiefeindliche Parolen von Lehrkräften als sehr hilfreich wahrgenommen werden. Schlussendlich bedeutet dies, Lehrkräften diese Räume zum Austausch und Üben zur Verfügung zu stellen und in den Schulalltag zu implementieren.

Betroffenenperspektive mitdenken und sichtbar machen

Ein weiterer zentraler Aspekt, um Schule zu einem Schutzraum für alle Schulangehörigen (dazu zählen neben Schüler:innen und Lehrkräften auch alle Mitarbeiter:innen vom Sekretär bis zur Hausmeisterin, von der Schulsozialarbeiterin bis zum Reinigungspersonal) zu machen, ist das Ernstnehmen und Mitdenken der Betroffenenperspektive. Im Fachjargon wird hier von Betroffenenzentriertheit gesprochen, was bedeutet, bei rassistischen, rechten, antisemitischen und antifeministischen Vorkommnissen die Perspektive der (potenziell) Betroffenen als Ausgangspunkt der Aufarbeitungs- und Veränderungsprozesse zu setzen. Häufig wird sich in solchen Fällen auf den Umgang mit den Täter:innen fokussiert und Betroffene dabei aus dem Blick verloren . Das kann zu einer Sekundärviktimisierung führen. Die Auswirkungen von Ideologien der Ungleichwertigkeit auf Betroffene sind für diese alltäglich spürbar, für Angehörige der Dominanzgesellschaft jedoch häufig unsichtbar. Daher ist es wichtig, neben der individuellen Ebene, auf der die Gewalterfahrungen stattfinden, auch gesellschaftliche Machtverhältnisse mitzudenken, die diese Erfahrungen ermöglichen, und alltägliche Formen von Diskriminierung zu kennen, die außerhalb des Kontexts Schule stattfinden, wie beispielsweise auf dem Wohnungs- oder Jobmarkt, im öffentlichen Nahverkehr etc. Das führt einerseits zu einem besseren Verständnis von betroffenen Schüler:innen und Kolleg:innen und kann andererseits auch dazu anregen, eigene Rassismen zu erkennen und zu reflektieren.

Impulse für den Umgang mit demokratiefeindlichen Vorkommnissen

Ein Beratungsprozess der Mobilen Beratung dauert – egal in welchem Kontext - unterschiedlich lange. Gerade im Kontext Schule hängt der Erfolg des Beratungsprozesses stark von zeitlichen und personellen Ressourcen, der Bereitschaft der Schulleitung, Kolleg:innen für zum Beispiel Fortbildungen freizustellen, oder einem Problembewusstsein ab, aber auch davon, in was für einer Sozialraum die Schule liegt.

Abschließend werden knappe Handlungsempfehlungen vorgestellt, um Demokratiefeindlichkeit, Diskriminierung und Rechtsextremismus im Schulkontext zu begegnen.

Damit die Beratungsangebote der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus funktionieren können und es zu strukturellen Veränderungs- und Sensibilisierungsprozessen an der Schule kommt, sind einige Grundvoraussetzungen hilfreich:

  • Problembewusstsein (schaffen) und demokratiefeindliche Vorkommnisse ernst nehmen: Einige Kolleg:innen, die Schulleitung, das Personal und engagierte Schüler:innen erkennen Rechtsextremismus, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus und benennen diese Phänomene deutlich als demokratiefeindlich. Wenn solche Vorkommnisse artikuliert werden, müssen diese ernst genommen und ein Umgang mit ihnen gesucht werden.

  • Hilfsangebote annehmen: Das System Schule ist komplex. Aufgrund von verschiedenen Macht- und Hierarchiestrukturen fällt es nicht immer leicht, Hilfe anzunehmen oder nach Hilfsangeboten zu fragen. Die externe Perspektive auf das System und die fachliche Expertise werden von vielen Beratungsnehmenden als hilfreich beschrieben, weil dadurch neue Möglichkeiten, Ideen und Blickwinkel entstehen.

  • Fehlerfreundlichkeit und (Selbst-)Reflexionsbereitschaft: Gerade im Kontext Schule, in dem es viel darum geht, gute Leistungen zu erbringen, gibt es häufig wenig Fehlertoleranz. Fehler gehören aber gerade in Lernprozessen dazu, ebenso wie die Bereitschaft zur Reflexion eigener und struktureller diskriminierender Mechanismen und Ressentiments.

  • Zeit und Raum für Weiter- und Fortbildungen: In der Lehrkräfteausbildung wird selten Wissen zu Ideologien der Ungleichwertigkeit, den sozialpsychologischen und gesellschaftlichen Folgen der Shoah oder zu strukturellen Macht- und Diskriminierungsmechanismen vermittelt. Dies führt zu beschriebener Unsicherheit im Umgang. In Beratungsprozessen werden häufig genau diese Bedarfe artikuliert und darauf aufbauend Bildungsangebote konzipiert und umgesetzt.

  • Gemeinsam statt allein: Diskriminierungsstrukturen kann nur gemeinsam etwas entgegengesetzt werden, weshalb es wichtig ist, sich im Kollegium Unterstützer:innen für das eigene Anliegen zu suchen und am besten möglichst früh mit der Schulleitung ins Gespräch zu kommen.

  • Betroffenenperspektive sehen und Schutzräume schaffen: Es gilt immer Betroffene von rechtsextremer, antisemitischer, antifeministischer und rassistischer Gewalt zu schützen und Schule als diesen Schutzraum zu begreifen.

  • Haltung zeigen gegen Menschenfeindlichkeit als Schule und Schulangehörige:r: So wird deutlich, welche Werte die Schule nach außen und innen verkörpern und leben möchte, und dass es Konsequenzen für menschenverachtende Vorkommnisse gibt.

Die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antifeminismus und Antisemitismus ist aufgrund des gesellschaftlichen Klimas, der gesellschaftlichen Diversität und der teils populistischen Forderung nach vermeintlicher Neutralität von Schulen eine Herausforderung, aber eine notwendige Aufgabe. Schule ist der Ort, an dem demokratische Prinzipien und „Demokratie als Lebensform“ (vgl. Krause 2011, S. 55f.) vermittelt, verstanden und gelernt werden sollen. Dies kann jedoch nur geschehen, wenn es nachhaltige demokratische Strukturen und Haltungen bei allen Schulangehörigen gibt. Bei deren Entwicklung und Etablierung kann Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus unterstützen.

Quellen / Literatur

Arslan, Ibrahim; Ünsal, Nadiye (2022): Wenn Verlust zum Urteil wird und Gerechtigkeit eine Utopie. Gedenken und Widerstand von Rassismusbetroffenen und sein gesellschaftlicher Kontext. In: Gille, Christoph; Jagusch, Birgit; Chehata, Yasmine (Hg.): Die extreme Rechte in der Sozialen Arbeit. Grundlagen – Arbeitsfelder – Handlungsmöglichkeiten. Weinheim/Basel, S. 20–26.

Becker, Reiner; Palloks, Kerstin; Hafeneger, Benno; Krafeld, Franz Josef; Steil, Armin; Möller, Kurt (2013): Die Pädagogenpersönlichkeit oder: Wie spricht man mit denen, mit denen man eigentlich nicht sprechen möchte? In: Becker, Reiner; Pallocks, Kerstin (Hg.): Jugend an der roten Linie. Analysen und Erfahrungen mit Interventionsansätzen zur Rechtsextremismusprävention. Schwalbach/Taunus, S. 279–289.

Becker, Reiner; Klare, Heiko (2019): Mobile Beratung – Entwicklung, Grundlagen und Spannungsfelder. In: Becker, Reiner; Schmitt, Sophie (Hg.): Beratung im Kontext Rechtsextremismus. Felder – Methoden – Positionen. Frankfurt/Main:, S. 21–38.

Breuer, Stefan (2023): Antidemokratische Positionen und menschenfeindliche Einstellungen als Herausforderung für die Schule. Herausgeforderte Demokratie – Herausgeforderte Schule. In: InfoPool Rechtsextremismus. Online: Interner Link: www.bpb.de/541523 (Abruf am 3.6.2024).

Bringt, Friedemann;/ Klare, Heiko (2022): Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Standortbestimmung eines innovativen Handlungsansatzes zur Förderung der Alltagskultur im Gemeinwesen im internationalen Vergleich. In: Gille, Christoph;/ Jagusch, Birgit;/ Chehata, Yasmine (Hrsg.): Die extreme Rechte in der Ssozialen Arbeit: Grundlagen – Arbeitsfelder – Handlungsmöglichkeiten. Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 397–410.

Bundesverband Mobile Beratung (BMB) (2021): Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Inhaltliche und methodische Grundsätze. Online (PDF-Download): Externer Link: bundesverband-mobile-beratung.de/wp-content/uploads/2022/12/BMB_Grundsatzpapier_2021.pdf (Abruf am 19.3.2024).

correctiv (2024): Geheimplan gegen Deutschland; Online unter: Externer Link: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (Abruf am 13.6.2024).

Decker, Oliver; Kies, Johannes; Heller, Aylin; Brähler, Elmar (2022): Autoritäre Dynamiken in unsicheren Zeiten. Neue Herausforderungen – alte Reaktionen? Leipzier Autoritarismus Studie 2022. Gießen.

Dürr, Tina (2019): Der schwierige Einstieg in ein komplexes System – Mobile Beratung an Schulen. In: Becker, Reiner; Schmitt, Sophie (Hg.): Beratung im Kontext Rechtsextremismus. Felder – Methoden – Positionen. Frankfurt/Main, S. 148-162.

Georg, Eva (2021): Haltung zeigen. Reagieren auf Diskriminierung, Rechtspopulismus und Rassismus in der Schule. Frankfurt/Main.

Geschke, Daniel; Quent, Matthias (2021): Zweimal Opfer werden. Sekundäre Viktimisierung durch Polizei und Justiz. In: Cholia, Harpreet Kaur: Jänicke, Christin (Hg.): Unentbehrlich. Solidarität mit Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Münster, S. 74–80.

Hufen, Friedhelm (2021): Das Neutralitätsgebot. Ein Maulkorb für die politische Bildung? Thesen zum aktuellen Problem. In: Facetten der politischen Bildung, 1/2021, S. 30–32. PDF online unter: Externer Link: https://www.kinder-undjugendarbeit.de/fileadmin/user_upload/FORUM_2021/Hufen_FORUM_1-2021.pdf(Abruf am 19.3.2024).

Krause, Hans-Ullrich (2011): Brauchen Professionelle eine Orientierung? In: Düring, Diana; Krause, Hans-Ullrich (Hg.): Pädagogische Kunst und professionelle Haltungen. Frankfurt/Main, S. 45–64.

Landesschüler:innenvertretung Hessen (LSV) (2022): Hessische Schüler:innenbefragung deckt zahlreiche Missstände an Hessens Schulen auf! Online: Externer Link: https://www.lsv-hessen.de/blog/2022/09/15/pm-2-hessische-schuelerinnenbefragung-deckt-zahlreiche-missstaende-an-hessens-schulen-auf/ (Abruf am 19.3.2024).

Lesben- und Schwulenverband (LSVD) (2020): LSBTI AN DER SCHULE: FAST ALLE LEHRKRÄFTE BEKOMMEN HOMOPHOBIE UND TRANSPHOBIE MIT. Online unter: Externer Link: https://www.lsvd.de/de/ct/2566-LSBTI-an-der-Schule-Fast-alle-Lehrkraefte-bekommen-Homophobie-und-Transphobie-mit (Abruf am 27.6.2024).

Tagesschau (2023): Rassistisch motivierte Gewalt gegen Kinder nimmt zu. Online: Externer Link: https://www.tagesschau.de/inland/rassistische-gewalt-kinder-100.html (Abruf am 19.3.2024).

Zick, Andreas; Küpper, Beate; Mokos, Nico (2023): Die distanzierte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2022/2023. Bonn.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Einen Überblick über verschiedene Beratungsanliegen von Schulen im Kontext Rechtsextremismus findet sich unter anderem bei Dürr, Tina (2019): Der schwierige Einstieg in ein komplexes System – Mobile Beratung an Schulen. In: Becker, Reiner; Schmitt, Sophie (Hg.): Beratung im Kontext Rechtsextremismus. Felder – Methoden – Positionen. Frankfurt/Main, S. 148–162.

  2. Eine Übersicht über alle bundesweiten Mobilen Beratungsteams findet sich hier: Externer Link: https://bundesverband-mobile-beratung.de/mobile-beratung#Beratungsteams (Abruf am 13.6.2024).

  3. Eine Übersicht über alle Betroffenenberatungsstellen findet sich hier: Externer Link: https://verband-brg.de/ (Abruf am 13.6.2024).

  4. Eine Übersicht über die Angebote der Distanzierungsberatungsstellen findet sich hier: Externer Link: https://bag-ausstieg.de (Abruf am 13.6.2024).

  5. Falls das nicht von Anfang an möglich ist, wird gemeinsam mit dem MBT eine sogenannte Ressourcen- und Netzwerkanalyse durchgeführt, in der zum Beispiel überlegt wird, welche Kolleg:innen oder andere Institutionen im Schulkontext für das Anliegen hilfreich sein könnten und Möglichkeiten hätten, mit der Schulleitung zu kommunizieren.

  6. Vgl. correctiv (2024): Geheimplan gegen Deutschland; Online unter: Externer Link: https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/ (Abruf am 13.6.2024).

  7. Ein Modell, das pädagogisch versucht, das Ineinanderwirken verschiedener Perspektiven aufzugreifen, ist das sogenannte Täter-Opfer-Zuschauer Modell, welches eine Fokusverschiebung weg von der diskriminierenden Person hin zu den anderen anwesenden Personen vornimmt (Vgl. Georg 2021, ,S. 48ff.).

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Sarah Fey ist Soziologin und Erziehungswissenschaftlerin (M.A.). Seit 2021 ist sie Projektleitung der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Südhessen.