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Gegensteuern Konzepte und Ansätze der Beratung im Kontext Rechtsextremismus

Anne Mehrer Petra Schickert

/ 13 Minuten zu lesen

Die Landschaft der Beratungsangebote im Kontext Rechtsextremismus ist vielfältig. Wie hat sie sich entwickelt? Wer sind die wichtigsten Akteur:innen und wie lauten ihre Themenschwerpunkte?

Die Beratungslandschaft gegen Rechtsextremismus in Deutschland, geprägt von mobilen Beratungsteams und regionalen Netzwerken, zielt darauf ab, demokratische Strukturen zu stärken und extrem rechte Bedrohungen zu bekämpfen. (© Adobe-Stock/pressmaster)

Einleitung

Die Beratungslandschaft im Kontext Rechtsextremismus ist bezüglich der Trägerlandschaft, der Ansätze und Zielgruppen sehr vielfältig. Das liegt einerseits an unterschiedlichen Bedarfen und Problemwahrnehmungen in Ost- und Westdeutschland, andererseits an zur Verfügung stehenden Ressourcen und der Stärke der demokratischen Zivilgesellschaft in den jeweiligen Regionen. Eine zentrale Rolle in der Beratung gegen Rechtsextremismus spielt in den östlichen Bundesländern seit 2001 sowie in den westlichen Bundesländern seit 2007 die Interner Link: Mobile Beratung. Beratungsgegenstände sind Rechtsextremismus, Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit wie zum Beispiel Rassismus, Antisemitismus und Antifeminismus sowie Verschwörungserzählungen. Waren in den frühen 2000er-Jahren vor allem klassische extrem rechte Partei- und Kameradschaftsstrukturen und deren Aktivitäten der Beratungsgegenstand, haben sich durch den zunehmenden Bewegungscharakter – einzelne Parteien und Gruppierungen verstehen sich inzwischen als Teil einer „Bewegung“ – der extrem rechten Szene, ausgehend von der sogenannten Neuen Rechten, und das Andocken an unterschiedliche Milieus wie Corona-Leugner:innen, rechte Esoteriker:innen oder Verschwörungsgläubige „Mischszenen“ gebildet, die die Komplexität der Beratung erhöht haben. Ihnen allen gemein ist die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Institutionen. Hinzu kommen häufig völkische, rassistische und antisemitische Ideologiesegmente.

Neben der Mobilen Beratung sind entlang der Bundesprogramme weitere thematische und regionale Beratungsangebote entstanden. Charakteristisch ist eine sehr große Trägervielfalt von Wohlfahrtsverbänden über Evangelische Akademien, den Bund der Deutschen Katholischen Jugend (BDKJ) bis hin zu regionalen Vereinen. Kollegiale Zusammenarbeit der Beratungsangebote mit gegenseitiger Verweiskompetenz trägt dazu bei, die Arbeit für eine menschenrechtsorientierte demokratische Kultur erfolgreicher zu gestalten.

Beratung im Kontext Rechtsextremismus

Beratung im Kontext Rechtsextremismus ist historisch gewachsen – Ausgangspunkt waren die 1990er-Jahre im Osten der Republik. Um diese geschichtliche Entwicklung und aktuelle Herausforderungen geht es im Folgenden.

Ein kurzer geschichtlicher Abriss

Nach der politischen Wende 1989/90 entstanden und festigten sich extrem rechte Strukturen im Osten des geeinten Deutschlands. In weiten Teilen Ostdeutschlands war eine extrem rechte Jugendkultur dominant. In dieser, seit 2019 auch als Interner Link: Baseballschlägerjahre betitelten Zeit waren Übergriffe auf nichtrechte Jugendliche an der Tagesordnung. Die rassistischen Ausschreitungen in Rostock-Lichtenhagen und Hoyerswerda fanden stille Zustimmung bis hin zu lautem Jubel. Rechtsextreme Gruppen wie der rechtsterroristische, selbsternannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) und die militante Kameradschaft Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) entstanden in den 1990er-Jahren. Sie machten Jagd auf Menschen, die aufgrund ihrer Religion, Herkunft, politischen Überzeugung oder ihres sozialen Status nicht in ein rechtsextremes Weltbild passten, und begingen rassistisch motivierte Morde. Andererseits behinderten gewaltige ökonomische und soziale Veränderungsprozesse in der ostdeutschen Bevölkerung sowie Erfahrungen von Arbeitslosigkeit und Entwertung der eigenen Berufsbiografie in den 1990er-Jahren demokratisches Engagement (Mau 2020). Eine schwache demokratische Zivilgesellschaft und fehlende Sensibilität bei den politisch Verantwortlichen, in Verwaltung und Sicherheitsbehörden ermöglichten zusätzlich den Aufstieg der extremen Rechten.

Auf die massiven Gewaltphänomene reagierte die Bundesregierung Anfang der 1990er-Jahre mit dem Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt (AgAG), das von 1992 bis 1996 umgesetzt wurde. Es war auf junge Menschen in Ostdeutschland mit extrem rechten Einstellungen ausgerichtet mit dem zentralen Ansatz der Akzeptierenden Jugendarbeit – auch mit potenziellen Täter:innen. Dies Umsetzung des Konzepts insbesondere die Rahmenbedingungen, wie zeitliche Befristung, wenig Personal, mangelnde Qualifikation und fehlende Mindeststandards (Supervision, Arbeit im Team, Zeit für Reflexion und Evaluation), die in einem so schwierigen Feld Sozialer Arbeit zu gewährleisten sind, riefen vielfach Kritik aus Wissenschaft und Praxis hervor. Das AgAG-Programm ist als „Glatzenpflege auf Staatskosten“ (Krafeld 1996, 2000) in Erinnerung geblieben. Franz Josef Krafeld, der Begründer des Konzepts der Akzeptierenden Jugendarbeit, hat einige Jahre nach dem Ende des Programms kritisch die konkrete Umsetzung in Ostdeutschland reflektiert und seine Prämissen klarer formuliert: Gegen Rechtsextremismus und Gewalt können nur Menschen mit einer grundverschiedenen anderen ethischen und politischen Orientierung wirken, die diese auch zeigen und in ihrem Handeln lebendig werden lassen. Es geht um die Akzeptanz des Gegensätzlichen als Ausgangspunkt von Einmischungs- und Veränderungsprozessen. Für die Umsetzung des Konzepts braucht es eine genaue Analyse der Situation vor Ort, die Umsetzung fachlicher Standards und Sozialarbeiter:innen mit einer demokratischen, menschenrechtsorientierten Haltung. Soziale Arbeit kann das gesamtgesellschaftliche Problem Rechtsextremismus nicht allein lösen. (Krafeld 1999, S. 9)

Mit dem Aktionsprogramm Jugend für Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus erfolgte eine programmatische Umorientierung von der Täter: innen-Perspektive hin zur Stärkung einer demokratischen Zivilgesellschaft. Während die Teilprogramme ENTIMON – gemeinsam gegen Gewalt und Rechtsextremismus und XENOS – Leben und Arbeiten in Vielfalt weiter einen starken Fokus auf Jugendliche legten – bei letzterem verbunden mit einem Arbeitsweltbezug –, begann mit CIVITAS 2001 zunächst im Osten Deutschlands der systematische Aufbau von Beratungs- und Netzwerkstrukturen mit sozialraumorientierten Angeboten. So entstanden nach dem Vorbild des Brandenburger Mobilen Beratungsteams – dies arbeitet bereits seit 1992 und wird seit 1998 durch das Land Brandenburg gefördert – in allen anderen ostdeutschen Bundesländern Mobile Beratungsteams und Beratungsstellen für Opfer bzw. potenzielle Opfer extrem rechter Straf- und Gewalttaten. Es „sollte eine demokratische, gemeinwesenorientierte Kultur in den neuen Bundesländern entwickelt werden, die sich dezidiert gegen eine Ideologie der Ungleichwertigkeit von Menschen abgrenzt, wie sie sich in Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus materialisiert. Die Arbeit sollte sich an den Menschenrechten orientieren und dabei die Perspektive der Opfer rechtsextremistischer Gewalt einbeziehen“, heißt es im Abschlussbericht (BMFSFJ 2006, S. 41). Damit markierte das Programm einen Paradigmenwechsel: Der sozialraum- und betroffenenorientierte Ansatz wurde zur Regel der Beratungsarbeit.

In den Folgejahren wurden im Rahmen verschiedener Bundesprogramme die Beratungsstrukturen weiter ausgebaut und ihre Vernetzung gefördert. Mit den Bundesprogrammen kompetent. für Demokratie – Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus (Förderphase 2007 bis 2010), Toleranz fördern – Kompetenz stärken (von 2011 bis 2014) und Demokratie leben (seit 2015) entstanden die Interner Link: Ausstiegs- und Distanzierungsberatung, mit der Ausdehnung des Fördergebiets auf die gesamte Bundesrepublik in den westdeutschen Bundesländern die Mobile Beratung und Interner Link: Opferberatung sowie die landesweiten Beratungsnetzwerke.

Neben den vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ) verantworteten Programmen gibt es seit 2010 das Programm Zusammenhalt durch Teilhabe (Z:T) des Bundesministeriums des Innern (BMI). Im Rahmen dieses „Programms für demokratisches Handeln gegen Extremismus“ wird unter anderem die Ausbildung von Demokratietrainer:innen in Wohlfahrts-, Sport-, Feuerwehr- und Naturschutzverbänden gefördert. Diese beraten innerhalb ihrer Verbandsstrukturen. In komplexeren Fällen erfolgt das gemeinsam mit der Mobilen Beratung. Die Verbindung von Kenntnissen der Verbandsstrukturen, der Kommunikationswege in den Verbänden und der zur Verfügung stehenden Ressourcen einerseits sowie die langjährige Expertise der Mobilen Beratung im Themenfeld „Rechtsextremismus“ andererseits führen zu Synergien und damit zu qualitativ besseren Beratungsergebnissen.

Strukturelle und inhaltliche Entwicklungen

Nach dem Brandenburger Vorbild entstanden 2001 in allen ostdeutschen Bundesländern und Berlin Mobile Beratungsteams: Wie in Brandenburg war es in Sachsen und Thüringen jeweils ein Träger, der für das gesamte Bundesland mit Regionalbüros tätig war. In Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Berlin teilen sich mehrere Träger regional das Beratungsgebiet auf. Vertreter:innen der Teams treffen sich seither zum länderübergreifenden Austausch. Zwei Jahre später wurde in Hessen 2003 das erste Mobile Beratungsteam in Westdeutschland gegründet – allerdings noch ohne Förderung. Ab 2007 gingen mit dem folgenden Bundesprogramm Mobile Beratungsteams in allen westdeutschen Bundesländern an den Start: zunächst in Bayern, Bremen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und im Saarland, 2008 dann in Baden-Württemberg, Hamburg und Nordrhein-Westfalen sowie letztendlich 2009 in Schleswig-Holstein. Seit 2009 treffen sich Mobile Berater:innen aus West- und Ostdeutschland zu selbst organisierten, bundesweiten Austauschen. Aufgrund der unterschiedlichen Förderphasen und regionalen Besonderheiten sind heute die Selbstbezeichnungen der Mobilen Beratung heterogen. Während sie beispielsweise in Brandenburg, Sachsen, Nordhessen, Niedersachsen, Bremen und Hamburg Mobiles Beratungsteam (MBT) heißen, nennen sie sich in Berlin, Nordrhein-Westfalen und Bayern Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus (MBR), in Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein Regionales Beratungsteam (RBT) sowie in Rheinland-Pfalz und Südhessen Regionalstellen bzw. in Mecklenburg-Vorpommern Regionalzentren für demokratische Kultur. Dabei handelt es sich ausschließlich um interne Trägerentscheidungen. Hinsichtlich der Arbeitsansätze unterscheiden sich die Teams der Mobilen Beratung nicht.

In Dresden gründeten 2014 Mobile Berater:innen den Bundesverband Mobile Beratung e. V. Der bis dahin selbst organisierte Austausch der Teams erhielt damit eine formale Struktur: Der Verein dient seit 2024 als Dachverband von rund 50 Mobilen Beratungsteams bundesweit. Er fördert den fachlichen Austausch innerhalb des Verbandes – und mit Fachveranstaltungen, Vorträgen, Publikationen sowie Interviews in der Öffentlichkeit auch darüber hinaus. In Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen bietet der Verband Weiterbildung an und engagiert sich in der Berufsfeldentwicklung.

Eine ähnliche Entwicklung wie die Mobile Beratung weisen auch die zwei weiteren Säulen der Beratungsangebote im Kontext Rechtsextremismus auf – die Ausstiegs- und Distanzierungsberatung sowie die Beratung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt. Auch die Opferberatung entstand zunächst im Kontext von CIVITAS in den ostdeutschen Bundesländern. Inzwischen ist sie in allen Bundesländern integraler Bestandteil der Beratungslandschaft. Mit Ausnahme von Berlin, Bayern, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt gibt es jeweils einen Träger im Bundesland, der in einigen Fällen mehrere Beratungsstellen betreibt. Im Verband der Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt (VBRG e. V.) haben sich 17 Beratungsstellen in 14 Bundesländern mit über 25 Anlaufstellen und Onlineberatung zusammengeschlossen (Stand: Februar 2024). Die professionelle Beratung und Unterstützung der Beratungsstellen richten sich an direkt und indirekt Betroffene, deren Angehörige sowie an Zeug:innen eines Angriffs. Darüber hinaus dokumentieren die Beratungsstellen in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin seit ihrem Entstehen (2001) rassistische und antisemitische Gewalt aus der Betroffenenperspektive. Seit 2015 stellen auch die Beratungsstellen in den westdeutschen Bundesländern ein unabhängiges Monitoring zur Verfügung. Alle Angebote und Standards sind auf der Seite des Verbandes kommuniziert.

Personen, die sich aus dem Einflussbereich demokratiefeindlicher Gruppierungen lösen wollen, erhalten Hilfe von der Interner Link: Ausstiegs- und Distanzierungsberatung. Diese beinhaltet die Unterstützung beim Aufbau eines neuen sozialen Umfelds oder beim In-Blick-Nehmen neuer beruflicher beziehungsweise schulischer Perspektiven. Auch Angehörige können sich an die Beratungsstellen wenden. Von 2009 bis 2014 förderte das XENOS-Sonderprogramm „Ausstieg zum Einstieg“ Projekte, Vereine und Initiativen, die den Ausstieg aus einem rechtsextremen Umfeld mit dem Einstieg in Arbeit verknüpften. Aus den ehemaligen Ausstiegsprojekten wurde Anfang 2014 die Bundesarbeitsgemeinschaft Ausstieg zum Einstieg e. V. (BAG Ausstieg) gegründet, der bundesweite Dachverband zivilgesellschaftlicher Akteure der Ausstiegs- und Distanzierungshilfe aus extrem rechten Zusammenhängen. Seit 2014 sind die sogenannten Aussteigerprojekte teilweise in die Förderung der Beratungsnetzwerke gegen Rechtsextremismus der Länder integriert. Seit dem Start des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ 2015 sind die Angebote der Ausstiegs- und Distanzierungsberatung flächendeckend Teil der Beratungsnetzwerke. Mit Ausnahme von Rheinland- Pfalz – hier ist es das Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung – sind diese Angebote bei freien Trägern angesiedelt.

Im Rahmen des Bundesprogramms „Demokratie leben!“ wurden während der letzten Jahre in allen Bundesländern Landesdemokratiezentren eingerichtet. Diese entwickeln Strategien zur Unterstützung von demokratischem Engagement auf Landesebene und stärken die Rahmenbedingungen für lokale Akteure, die sich für eine pluralistische Gesellschaft sowie gegen Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und jede Form von Demokratiefeindlichkeit einsetzen. Sie koordinieren die Zusammenarbeit von staatlichen und zivilgesellschaftlichen Trägern. Unter dem Dach der Landesdemokratiezentren bieten die Beratungsnetzwerke professionelle Beratung in den Bereichen Interner Link: Prävention und Intervention an. Die drei zentralen Beratungsträger arbeiten innerhalb der Länder in den Beratungsnetzwerken und auf Bundesebene über ihre Dachverbände eng zusammen, kennen die inhaltlichen Schwerpunkte und Zielgruppen der jeweils anderen Träger und verweisen entsprechend dem Bedarf aufeinander. Darüber hinaus haben sich zusätzlich – häufig der Logik der Bundesprogramme folgend – regionale und thematische Beratungsangebote entwickelt. So zum Beispiel in den Themenfeldern „Verschwörungserzählungen“, „Antisemitismus“, „Hass im Netz“ und mit Blick auf die Zielgruppe Familie Eltern- und Familienberatungsstellen. Im Zusammenhang mit Phänomenen der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit wie Antisemitismus, Rassismus, und im Speziellen antimuslimischem Rassismus spielen im Beratungskontext Rechtsextremismus in einigen Bundesländern auch die Antidiskriminierungsstellen eine Rolle. Die Demokratiezentren geben darüber Auskunft und vermitteln weiter.

Herausforderungen des Arbeitsfelds

Mit der zunehmenden Diversifizierung extrem rechter Strukturen braucht es für die Berater: innen eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit aktuellen Entwicklungen in den Szenen und deren medialer Verbreitung eigener Wahrheiten sowie mit neuen Phänomenbereichen, wie beispielsweise in der Corona-Pandemie der Zunahme von Verschwörungserzählungen, oder den antidemokratischen Entwicklungen im Reichsbürger- und Selbstverwaltermilieu. Der Bereich „Recherche und Monitoring“ darf dabei nicht vernachlässigt werden. Von den Ergebnissen profitieren Berater:innen, staatliche und zivilgesellschaftliche Akteure sowie die Öffentlichkeit. Zu den besonderen Herausforderungen des Arbeitsfelds zählen auf Trägerseite die Projektfinanzierung und die damit häufig verbundene jährliche Beantragung. Das erschwert die langfristige Planung materieller Ressourcen und der fachlichen Arbeit. Um fachlich hochqualifiziertes Personal und damit die vorhandene Expertise zu halten, braucht es eine stabile längerfristige Finanzierung und gute Arbeitsbedingungen.

Die Zahl der Anfragen an die Beratungsträger hat sich in den letzten Jahren stetig erhöht . Dies ist insbesondere auf eine gewachsene Sensibilität bei Beratungsnehmenden für Formen von Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zurückzuführen. Die gestiegenen Bedarfe von demokratischen Akteuren sind angesichts einer weiteren Radikalisierung und „Normalisierung“ extrem rechter Strukturen und Diskurse nicht verwunderlich. Positiv ist, dass es in allen Regionen demokratische zivilgesellschaftliche und staatliche Akteure gibt, die Demokratiegefährdungen in den Blick nehmen, Veränderungen wollen und sich an verlässliche und kompetente Ansprechpartner:innen in der Beratung im Kontext Rechtsextremismus wenden.

Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und für Demokratiestärkung

Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus und für Demokratiestärkung hat sich als eigenständiges Beratungsangebot für Einzelpersonen, zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Kommunalpolitik und -verwaltung in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen bundesweit etabliert. Das Berufsfeld der Mobilen Beratung versteht sich komplementär zu anderen Beratungsansätzen wie der Opferberatung oder der Ausstiegs- und Distanzierungsberatung. Zentrales Ziel ist die professionelle Unterstützung von lokalen und regionalen Akteuren und Engagierten durch die Stärkung einer menschenrechtsorientierten demokratischen Kultur vor Ort – im Sinne des Prinzips „Hilfe zur Selbsthilfe“.

Das Berufsfeld Mobile Beratung hat seinen Ursprung in der Auseinandersetzung mit dem erstarkenden Rechtsextremismus insbesondere in Ostdeutschland in den 1990ern. Die bundesweit geführten rassistischen und asylfeindlichen Debatten in jenen Jahren fielen insbesondere in der ostdeutschen Transformationsgesellschaft auf fruchtbaren Boden. Gleichzeitig konnten sich extrem rechte Strukturen nahezu ungehindert von Staat und Sicherheitsbehörden lokal verankern und beeinflussten örtliche Diskurse und die politische Alltagskultur insbesondere im Umgang mit marginalisierten Gruppen. Angriffe auf und Morde an Asylsuchenden, migrantisierten Personen, nichtrechten Jugendlichen und Obdachlosen bestimmten die Zeit bis weit in die 2000er-Jahre hinein und prägen die politische Kultur in bestimmten ostdeutschen Regionen bis heute. Vor diesem Hintergrund entwickelten engagierte Initiativen auf lokaler Ebene den Ansatz, Rechtsextremismus durch die langfristige Unterstützung und Stärkung zivilgesellschaftlicher und demokratischer Strukturen in Ostdeutschland etwas entgegenzusetzen.

Beratungsgegenstand und Zielgruppen

Beratungsgegenstand sind die Kernelemente des Rechtsextremismus wie zum Beispiel Sozialdarwinismus, Antisemitismus, Verherrlichung des Nationalsozialismus und die von der extremen Rechten besetzten Themen. Der zugrunde liegende Rechtsextremismus-Begriff ist ein sozialwissenschaftlicher – es handelt sich um Einstellungen, Verhaltensweisen und Aktionen, die demokratische Strukturen, Menschenrechte und die Gleichwertigkeit aller Menschen ablehnen.
Der Fokus liegt auf Ideologien der Ungleichwertigkeit wie von Heitmeyer im Syndrom Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (GMF) beschrieben (Heitmeyer 2005). Dazu gehören unter anderem Rassismus, Antisemitismus, Abwertung von langzeitarbeitslosen, wohnungslosen und asylsuchenden Menschen, Antifeminismus sowie die Abwertung homosexueller und Trans*Menschen und Etablierten-Vorrechte.
Im Zusammenhang mit der Ablehnung der Corona-Schutzmaßnahmen sind zunehmend auch Verschwörungserzählungen zum Beratungsgegenstand geworden.
Ziel ist es, eine menschenrechtsorientierte demokratische Zivilgesellschaft als Gegenkraft zu extrem rechten Orientierungen und demokratiefeindlichen Einstellungen und Aktivitäten zu stärken.

Die Mobilen Beratungsteams unterstützen alle Menschen und Organisationen, die sich mit Rechtextremismus, Rassismus, Antisemitismus und anderen Ungleichwertigkeitsvorstellungen auseinandersetzen wollen oder müssen und für die Stärkung einer demokratischen Kultur aktiv werden wollen. Dazu zählen insbesondere Politik und Verwaltung auf kommunaler und Landesebene, zivilgesellschaftliche Initiativen und Netzwerke, Wirtschaftsunternehmen und Gewerbetreibende, Gewerkschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften, Kunst- und Kultureinrichtungen, Migrant:innen-Organisationen, Polizei, Journalist:innen, Einzelpersonen, Schulen und andere Bildungseinrichtungen, Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, soziale Einrichtungen, Sport- und Heimatvereine sowie Wohlfahrtsverbände.

Inhaltliche und methodische Grundsätze

Mobile Beratung zeichnet sich durch eine menschenrechtsorientierte Haltung und eine Stärkung demokratischer Kultur aus. Das zugrunde liegende Demokratieverständnis ist ein dynamisches im Sinne einer Demokratisierung der Demokratie, also prozess- und partizipationsorientiert. Reale Demokratiedefizite in der politischen Kultur vor Ort sowie menschenverachtende Einstellungen werden in den Blick genommen. Der Beratungsauftrag speist sich zum einen aus den formulierten Bedarfen und Veränderungswünschen der Beratungsnehmenden, die mit demokratiefeindlichen Problemlagen in ihrem Sozialraum (Kommune, Organisation, Arbeitsumfeld) konfrontiert sind. Zum anderen arbeiten die Beraterinnen nicht als „neutrale Instanz“, sondern mit einer Haltung als normativem Fundament, das „untrennbar mit den universellen Menschenrechten und der Idee der Freiheit, Gleichwertigkeit und Würde aller Menschen“ verbunden ist (BMB e. V. 2020, S.13). Das Rollenverständnis der Berater:innen ergibt sich aus einer klaren Positionierung gegen Rechtsextremismus und einem positiven Bezug auf eine engagierte Zivilgesellschaft und eine demokratische Kultur. Letztlich wird die Beratungsarbeit durch die Fördermittelgebenden und die jeweiligen Richtlinien gerahmt.

Die Beratung ist anlass-, bedarfs-, ressourcen- und gemeinwesenorientiert und befähigt die Beratungsnehmer:innen, Veränderungsprozesse in ihrem Sozialraum anzuregen und umzusetzen. Sie folgt damit dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ (BMB e. V. 2020, S.7). Es handelt sich um ein niedrigschwelliges Angebot vor Ort, bei dem Berater:innen in einem demokratischen dialogischen Prozess nach für die Situation passenden Handlungsmöglichkeiten suchen.

In einem zweijährigen partizipativen Prozess verabschiedeten Mobile Berater:innen aus allen Bundesländern 2017 die inhaltlichen und methodischen Grundsätze Mobiler Beratung.

Ausblick

Die zunehmende Diversifizierung extrem rechter Strukturen und die weitere „Normalisierung“ von extrem rechten und rassistischen Positionen stellen die Beratung im Kontext Rechtsextremismus vor immer neue Herausforderungen. Erschwerend kommen bedrohte und überlastete zivilgesellschaftliche Strukturen insbesondere in ländlichen Räumen und in Ostdeutschland sowie Forderungen nach Kürzung staatlicher Finanzierung für Demokratieprojekte hinzu. Die Beratungsträger sehen sich nicht zuletzt aufgrund gewachsener Sensibilität in der Gesellschaft mit einer permanent hohen Nachfrage konfrontiert. Die drei Hauptsäulen der Beratung im Kontext Rechtsextremismus – Mobile Beratung, Betroffenenberatung sowie Ausstiegs- und Distanzierungsberatung – konnten seit Beginn der 2000er-Jahre verlässliche Strukturen mit festen, vertrauensvollen Ansprechpartner:innen in allen bundesdeutschen Regionen aufbauen und sich zu einer wichtigen Unterstützungsstruktur für eine demokratische Kultur entwickeln. An diese langjährigen Beratungsstrukturen können Modellprojekte, Regionalnetzwerke, Partnerschaften für Demokratie andocken und von der Expertise der Berater:innen profitieren.

Weitere Inhalte

Anne Mehrer, Politikwissenschaftlerin, Fachreferentin im Kulturbüro Sachsen e.V. , 2007 - 2022 Mobile Beraterin bei Miteinander e. V. in Sachsen-Anhalt. Sie ist Gründungsmitglied und aktuell ehrenamtliche Vertreterin im Bundesverband Mobile Beratung e.V.

Petra Schickert, Dipl. Sozialpädagogin (FH), ist promovierte Chemikerin und studierte nach der politischen Wende Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule Dresden. Seit 2001 arbeitet sie in der Mobilen Beratung und seit 2020 als Fachreferentin im Kulturbüro Sachsen e.V.