Einleitung
Täglich werden in Deutschland mindestens fünf Menschen Opfer von rechter, rassistischer oder antisemitischer (im Folgenden kurz: rechter
Die Erfahrung rechter Gewalt stellt für Betroffene meist ein einschneidendes, krisenbehaftetes Ereignis dar, das schwerwiegende negative Folgen für das physische und psychische Wohlergehen haben kann. Die Erstattung einer Strafanzeige gegen die Täter:innen sowie die darauf basierende Einbindung in einem polizeilichen Ermittlungsverfahren und gegebenenfalls in einem juristischen Verfahren sind darüber hinaus eine außeralltägliche Erfahrung, die mit konkreten Erwartungshaltungen, aber auch mit Ängsten verbunden sein und Viktimisierungserfahrungen vertiefen kann. Die Praxis der spezialisierten Beratungsstellen für Betroffene rechter Gewalt ist darauf ausgerichtet, Betroffene und deren soziales Umfeld bei der individuellen Bewältigung der materiellen und immateriellen Angriffsfolgen zu unterstützen und ihre subjektive Handlungsfähigkeit zu stärken. Rechte Gewalt als krisenhafte Zuspitzung struktureller Macht- und Ausschließungspraxen erfordert darüber hinaus eine gesellschaftspolitische Intervention der Beratungsstellen auf Basis der Betroffenenperspektive.
Der folgende Artikel beschreibt die Herausforderungen, mit denen Betroffene rechter Gewalt im Kontext juristischer Verfahren konfrontiert sind, und welche Möglichkeiten im Rahmen einer professionellen Beratungspraxis bestehen, Betroffene parteilich und solidarisch zu unterstützen. Der Artikel basiert vornehmlich auf Erfahrungswerten aus der praktischen Beratungs- und Unterstützungsarbeit sowie auf den Perspektiven und Expertisen von betroffenen Personen. Hier gilt das Plädoyer, Erfahrungswissen von betroffenen Personen als relevantes Wissen und als Realität anzuerkennen. Der Beitrag hat keinesfalls den Anspruch, diverse Lebensrealitäten und Erfahrungswerte von betroffenen Personen allumfassend darzustellen.
Justiz im Kontext struktureller Abwertungs- und Ausschließungspraxen
Da sich rechte Gewalt vermehrt gegen Menschen richtet, die von verschiedenen Formen struktureller Abwertungs- und Ausschließungsmechanismen betroffen sind, weisen viele Betroffene einen sehr eingeschränkten Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen sowie oft negative Erfahrungswerte mit Strafverfolgungsbehörden oder Justiz auf. Rassistische Alltagserfahrungen und institutionelle Diskriminierungen führen demnach häufig dazu, dass das Vertrauen in Behörden, insbesondere Strafverfolgungsbehörden, fehlt oder schwer beschädigt ist. Die strafrechtliche Verfolgung der Täter:innen und eine juristische Aufarbeitung, die (vermeintlich) eine gesellschaftspolitische Wahrnehmung und Ächtung der Tat beinhaltet, sind für viele Betroffene dennoch konkret mit der Hoffnung auf Gerechtigkeit, Wiedergutmachung, Rechtszuspruch und Anerkennung nach einer erlebten Gewalterfahrung verknüpft. In der Praxis müssen Betroffene rechter Gewalt jedoch häufig die Erfahrung machen, dass diese Hoffnung durch juristische Verfahren nicht erfüllt wird.
Abwertungs- und Ausschließungspraxen sowie die fehlende Repräsentation von strukturell benachteiligen und rassifizierten Menschen finden sich somit ebenfalls in juristischen Verfahren. Wie viele Menschen in Deutschland direkt von Rassismus betroffen und wie tief rassistische Wissensbestände in der Gesellschaft verankert sind, zeigen unter anderem die Ergebnisse der Auftaktstudie zum Nationalen Diskriminierungs- und Rassismusmonitor (vgl. DeZIM 2022, S. 5ff.). Der Bereich der Justiz ist, ebenso wie die in ihm beschäftigten Personen, Teil dieser Gesellschaft, in der Rassismus und andere Ideologien der Ungleichwertigkeit wesentliche Strukturierungsmerkmale darstellen und strukturell verankerte Diskriminierung reproduziert wird. Die Vorstellung einer Rechtsanwendung als neutraler, objektiver Vorgang muss in diesem Sinne als ein utopisches Ideal betrachtet werden, da subjektive und wertende Präferenzen und Vorverständnisse der am juristischen Verfahren beteiligten Personen für die Auslegung von Rechtsnormen sowie für die Ermittlung und Bewertung der relevanten Sachverhalte konstitutiv sind (vgl. Grünberger et al. 2021, S. 59).
Gefahr der Täter:innen-Opfer-Umkehr
Dies wird in der Beratungspraxis besonders durch die schmerzhafte Erfahrung der von rechter Gewalt Betroffenen verdeutlicht, wenn diesen in juristischen Verfahren im Sinne einer Täter:innen-Opfer-Umkehr teilweise oder gänzlich der Status der geschädigten Person abgesprochen wird. Dies kann beispielsweise durch die Selbstinszenierung der Täter:innen als vermeintliche Opfer der Tat und/oder durch verfahrensbeteiligte Personen geschehen, die den Betroffenen eine Mitschuld an dem erlebten Angriff zuschreiben. Oftmals sind betroffene Personen gar dem Umstand ausgesetzt, durch Gegenanzeigen selbst als Tatverdächtige geführt und als Beschuldigte Gegenstand von Ermittlungsverfahren und juristischen Prozessen zu werden. Eine solche Täter:innen-Opfer-Umkehr kann sekundäre Viktimisierungsaspekte
Rassistische Diskriminierung im Justizalltag
Die Praxis der spezialisierten Beratungsstellen zeigt, dass Betroffene immer wieder die belastende Erfahrung machen müssen, dass beispielsweise (intendierte oder nicht intendierte) rassistische Verhaltensweisen und Bewertungsmuster von Richter:innen, Staatsanwält:innen oder anderen Personen nicht nur verfahrensbegleitend, sondern oft verfahrensbestimmend sein können. Trotz des eigenen Anspruchs der Justiz auf richterliche Unabhängigkeit, Objektivität und unparteiische Rechtsprechung sind die Reproduktion rassistischer Vorerfahrungen und die Ausblendung beziehungsweise Nicht-Wahrnehmung rechter Tatmotive häufig inhärente Bestandteile juristischer Verfahren. Somit führt gerade der gerichtliche Anspruch, auf Basis von vermeintlicher Neutralität jenseits rassistischer Unterscheidungen zu urteilen, häufig zur Reproduktion rassistischer Diskriminierung (vgl. Köbberling 2018, S. 320).
Die Perspektiven von Betroffenen spielen dabei in juristischen Verfahren nur eine sehr untergeordnete Rolle, indem eine strukturelle Diskrepanz zwischen dem individuellen Wunsch nach Anerkennung, Gerechtigkeit und Aufarbeitung sowie den gesellschaftlichen Aufgaben, Arbeitsweisen und rechtsstaatlichen Prinzipien der Gerichte besteht, die die juristische Aufklärung des Tatgeschehens zum Ziel haben.
Juristische Verfahren aus Betroffenen- und Beratungsperspektive
Juristische Prozesse stellen insgesamt einen fremdgesetzten Rahmen dar, in dem sich Betroffene zu einem nicht selbst gewählten Zeitpunkt für häufig lange Zeitspannen erneut mit dem erlebten Angriff auseinandersetzen müssen. Dies kann eine emotionale Bewältigung oder einen gedanklichen Abschluss mit den Angriffsfolgen deutlich erschweren.
Lange Verfahrensdauern und fehlende Transparenz
Überlange Verfahren, in denen teilweise mehrere Jahre zwischen dem Angriff und der Prozesseröffnung liegen können, stellen ein großes Problem dar. So können verschiedene Faktoren Auswirkungen auf die konkrete Terminierung von Gerichtsprozessen haben, unter anderem die Dauer des polizeilichen Ermittlungsverfahrens, die Erhebung öffentlicher Klage durch die Staatsanwaltschaft, Rechte und Pflichten von Verfahrensbeteiligten, die Koordinierung von Terminen mit allen Verfahrensbeteiligten, Auffindbarkeit von Angeklagten, Einladung von Zeug:innen oder auch das Nicht-Vorhandensein adäquater Gerichtssäle. Vor dem zusätzlichen Hintergrund der mangelnden personellen Ausstattung und Überlastung der Justiz können diese und andere Faktoren überlange Verfahrensdauern bedingen, die sich teilweise zudem über mehrere gerichtliche Instanzen erstrecken können.
Eine Transparenz bezüglich dieser Verfahrensvorgänge ist für die Geschädigten meist nur sehr bedingt sichergestellt. Über die Ansetzung und Durchführung juristischer Verfahren werden die Betroffenen erst dann informiert, wenn sie selbst als Zeug:innen geladen werden. Zwar haben Betroffene die Möglichkeit, Sachstandsanfragen bezüglich des Verfahrensstandes an die Staatsanwaltschaft zu stellen, Erfahrungswerte der Beratungsstellen zeigen jedoch, dass die Erreichbarkeiten, Zugänglichkeiten und Auskunftsbereitschaften in regionaler und personeller Hinsicht große Unterschiede aufweisen können. Die fehlende Transparenz hinsichtlich des Ablaufs und der zeitlichen Dimension juristischer Verfahren gegenüber Betroffenen kann massiv negative Auswirkungen auf therapeutische Stabilisierungsmaßnahmen und Bewältigungsstrategien von Betroffenen haben. Eine Rücksichtnahme auf Einzelschicksale findet in diesem Rahmen nicht statt (Grüter 2023, S. 10).
Vor allem die erneute Konfrontation mit den Täter:innen oder deren Gesinnungsgenossen im Gerichtssaal kann darüber hinaus erhebliche Sorgen und Ängste bei den Betroffenen auslösen und im schlimmsten Fall weitere Gewalterfahrungen mit sich bringen. Die Involvierung in juristische Prozesse kann somit erhebliche negative Konsequenzen auf die gesundheitliche Rehabilitation von Betroffenen haben und gegebenenfalls zu einer Retraumatisierung führen.
Belastende Rollenreduzierung der Betroffenen
Die Betroffenen werden in juristischen Verfahren lediglich auf die Rolle der Zeug:innen des Geschehens reduziert, deren Aussagen und geschilderte Erinnerungen auf Widersprüche zu prüfen und zu hinterfragen sind. Diese Rollenreduzierung kann ein Gefühl mangelnder Anerkennung sowie eine Infragestellung der eigenen Glaubwürdigkeit hervorrufen. Teilweise müssen Betroffene in der Praxis gar die Erfahrung machen, dass juristische Verfahren gänzlich ohne die persönliche Anhörung verhandelt werden. So beschreibt ein Betroffener rassistischer Gewalt, der vier Jahre lang auf die Eröffnung des Prozesses gegen die Täter:innen warten musste und letztlich selbst nicht in den Zeugenstand gerufen wurde, diese Erfahrung folgendermaßen: