Einleitung
Die Beratung im Kontext von Rechtsextremismus und Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit blickt auf eine inzwischen über zwanzigjährige Geschichte zurück. Sie wird von vier Säulen getragen: der „Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus“, der „
Der Beitrag konzentriert sich auf die externe Evaluation und wissenschaftliche Begleitung der Mobilen sowie der Gewaltopferberatung gegen Rechtsextremismus vor allem im Bundesprogramm „Demokratie leben!“. Punktuell nimmt er auch auf Landesprogramm- und Einzelprojektevaluationen der Beratungsarbeit Bezug. Die Autor:innen dieses Beitrages sind selbst als Evaluator:innen in beiden Beratungsfeldern tätig (gewesen) und stellen im Beitrag ihre Perspektive auf die eigene Arbeit dar.
Zunächst werden der Gegenstand und die Aufgaben der Evaluation vorgestellt. Danach erfolgt eine Diskussion der Möglichkeiten und Grenzen der Bundesprogrammevaluation vor dem Hintergrund des Föderalismus in Deutschland. Denn Bund und Länder stellen gemeinsam sicher, dass Angebote der Mobilen und der Gewaltopferberatung in allen Bundesländern existieren. Schließlich veranschaulichen die Autor:innen den Nutzen von Evaluation exemplarisch anhand von Wirkungsuntersuchungen zur Beratung von Betroffenen rechter
Entwicklung und Aufgaben von Mobiler und Gewaltopferberatung sowie deren Evaluation
Die Beratung im Kontext von Rechtsextremismus und ihre
Angebotserweiterung von Ost nach West
Aufgrund einer Reihe antisemitischer und rassistischer Anschläge förderte auch der Bund, namentlich das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (BMFSFJ), ab dem Jahr 2001 im Rahmen verschiedener Bundesprogramme die Beratung für Gewaltopfer und die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus. Dies zunächst aber nur in Ostdeutschland, da man Rechtsextremismus damals für ein vorwiegend ostdeutsches Phänomen hielt. Ab dem Jahr 2007 dehnte der Bund seine Förderung dann auch auf die westdeutschen Länder aus. Inzwischen werden aus Bundesmitteln zivilgesellschaftliche Angebote der Mobilen und der Gewaltopferberatung im gesamten Bundesgebiet gefördert. Eine Voraussetzung dafür ist, dass sich die Bundesländer an der Finanzierung beteiligen. Das geschieht in unterschiedlichem Umfang.
Die Mobile Beratung hat sich als ein Angebot etabliert, das vielfältige Zielgruppen in ihrer Auseinandersetzung mit demokratiegefährdenden und -feindlichen Phänomenen in oft längerfristig angelegten, problemorientierten Beratungsprozessen vor Ort begleitet. Die Gewaltopferberatung berät und begleitet Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt parteilich bei der Verarbeitung und Bewältigung der Gewalttaten in individuellen Stabilisierungs- und Veränderungsprozessen. Sie unterstützt die Betroffenen bei der Durchsetzung ihrer Rechte. Beide, die Mobile wie die Gewaltopferberatung, engagieren sich für gesellschaftliche Veränderungsprozesse. Dabei müssen sie auch die sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen und fachlichen Entwicklungen in den relevanten Bezugssystemen berücksichtigen (unter anderem Soziale Arbeit, politische Bildung).
Das zuständige Bundesministerium hat nicht nur den Aufbau von Beratungsstellen und die Arbeit der Berater:innen gefördert, sondern mit jedem neuen Programm auch die Evaluation dieser Prozesse. Über die Jahre waren daran verschiedene wissenschaftliche Einrichtungen beteiligt, die jeweils spezifische Evaluationsansätze verfolgten.
Fragestellungen der Evaluation
Eine zentrale Aufgabe der Programmevaluationen war und ist es zu untersuchen und darzustellen, wie sich sowohl der geförderte Strukturaufbau als auch die konkrete Beratungsarbeit im Spiegel der Programmziele entwickeln. Die Evaluator:innen bewerten diese Prozesse und geben gegebenenfalls Empfehlungen für die Weiterentwicklung der Beratungsarbeit und -strukturen sowie ihrer Förderung. Sie gehen hierbei unter anderem folgenden Fragen nach:
Wer wird aus welchem Grund mit welchen Mitteln und Methoden beraten und begleitet?
Welches Problemverständnis und welche fachlichen Prinzipien leiten die Berater:innen?
Inwieweit entspricht die Förderung durch die öffentlichen Geldgeber:innen dem Bedarf der Beratungsangebote an materieller und ideeller Unterstützung?
Wie reagieren die Berater:innen auf sich stetig verändernde gesellschaftliche Rahmen- und Förderbedingungen?
Wo bestehen Lücken im Beratungsangebot?
Damit erfüllt die Evaluation drei Funktionen (vgl. Heiner 2007, S. 832):
eine „summative“ beziehungsweise bilanzierende, indem sie Geldgeber:innen, (fach-)politisch Interessierten und potenziellen Angebotsnutzer:innen einen Nachweis über die Leistungen und den Nutzen der Angebote zur Verfügung stellt,
eine „formative“ beziehungsweise lernanregende, indem sie zur Praxisreflexion vor allem der Berater:innen beiträgt, sowie
eine „regulative“, indem sie der Programmsteuerung Wissen für die Ausgestaltung der Förderung und die Koordinierung der Beratungsfelder zur Verfügung stellt.
Wie an anderer Stelle ausgeführt
Chancen und Grenzen der Bundesprogrammevaluation
Über die Jahre haben sich die Beratungsangebote gegen Rechtsextremismus zu eigenständigen professionellen Beratungsfeldern entwickelt. Das heißt, dass sich die Mobile wie die Gewaltopferberatung zu Tätigkeitsfeldern mit jeweils speziellen Fachstandards, Dachverbänden und inzwischen auch Ausbildungsgängen entwickelt haben. Diese Entwicklungen sind im Rahmen ihrer Evaluation kontinuierlich wissenschaftlich begleitet worden – im Bundesmaßstab, aber auch bezogen auf einzelne Länder. Dabei haben die Evaluator:innen für die Bundesebene nachgezeichnet, wie und unter welchen Bedingungen die Beratungsangebote sowohl fachlich als auch in ihren Strukturen als Praxisfelder herangereift sind und sich Schritt für Schritt in allen Bundesländern etabliert haben.
Die Herausforderungen der föderalen Struktur
Eine der Herausforderungen in der Evaluation der Beratung auf Bundesebene besteht darin, zu berücksichtigen, dass sich sowohl solche Strukturentwicklungsprozesse als auch die konkrete Beratungsarbeit in Deutschland in einem föderalen Kontext vollziehen. Der Bund gibt durch besondere Förderrichtlinien zwar einen einheitlichen Rahmen vor und auch die Berater:innen selbst stellen über ihre bundesweite Vernetzung sowie die gemeinsame Formulierung von Qualitätsstandards eine bundesweit geteilte fachliche Grundlage für ihre Arbeit her. Dennoch weisen die Beratungsstrukturen im Vergleich der Bundesländer bedeutsame Unterschiede auf. Diese Differenzen ergeben sich vor allem aus den Eigenheiten der Länder (Fläche, Ressourcenausstattung, Problemlast und politische Aufmerksamkeit für letztere), den Merkmalen der Träger der Beratungsangebote sowie deren spezifischen fachlichen Ausdifferenzierungen. So können die Beratungsangebote etwa bei großen konfessionellen wie nichtkonfessionellen Wohlfahrtsverbänden oder auch kleinen freigemeinnützigen Vereinen, die sich aus dem Engagement unter anderem gegen Rechtsextremismus entwickelt haben, angesiedelt sein. Aus der Trägerschaft ergeben sich spezifische Ressourcen für die Beratungsarbeit.
Die Evaluator:innen begegnen dieser Herausforderung, indem sie – je nach Fragestellung – länder- oder angebotsvergleichend vorgehen. Solche vergleichenden Ansätze bieten die Chance zu untersuchen, welchen Einfluss bestimmte Kontextbedingungen auf die heterogene Ausgestaltung von Strukturen und Arbeitsprozessen haben. Das kann zu einem besseren Verständnis sowohl der strukturellen Besonderheiten der Angebote als auch der Beratungsarbeit selbst beitragen. Außerdem ermöglicht es, gegebenenfalls gezielt auf Kontextfaktoren einzuwirken. Zugleich liefern die dabei gewonnenen Untersuchungsergebnisse den Berater:innen und den Koordinierenden der Beratungsangebote in den Bundesländern eine Vergleichsfolie, vor deren Hintergrund sie das eigene Handeln einordnen und reflektieren können. Darüber hinaus hat sich in Interviews, die die Evaluierenden mit Vertreter:innen der Ministerialverwaltung in den Bundesländern geführt haben, herausgestellt, dass die Evaluationsergebnisse in Kombination mit den Förderbedingungen des Bundes in einzelnen Bundesländern auch eine Legitimationsressource in der Koordinierung und für die Ausgestaltung der Beratungsarbeit darstellen.
Wertvolle Hinweise für den Programmgeber Bund
Den Programmgeber Bund konnte das Evaluationsteam in diesem Zusammenhang zum Beispiel darauf hinweisen, dass eine Top-down-Steuerung der Beratungsarbeit von der Bundesebene aus nur eingeschränkt möglich und sinnvoll ist (vgl. König et al. 2014). Eine solche Steuerung gerät nämlich in Spannung sowohl zur Eigenstaatlichkeit der Bundesländer als auch zum Eigensinn einer pluralen, zivilgesellschaftlichen Trägerlandschaft der Beratungsarbeit. Außerdem hat die Evaluation mit ihren Empfehlungen an das BMFSFJ Impulse für den bundesweiten Strukturausbau der Beratungsangebote gegeben und so dazu beigetragen, dass seit 2015 in allen Bundesländern ein Mindestangebot an Gewaltopferberatung bereitgehalten wird.
Mit Blick auf die Beratungsangebote konnten sich die Evaluator:innen von der Bundesebene aus in ihrer formativen Funktion unter anderem in die Entwicklung von bundesweit anwendbaren Fachstandards einbringen (vgl. für die Mobile Beratung Bringt 2023, S. 229; für die Gewaltopferberatung VBRG 2018, S. 5). So diskutierten sie im Entstehungsprozess der Qualitätsstandards für die professionelle Unterstützung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt die Standards mit den Berater:innen und gaben aus ihrer wissenschaftlichen Perspektive Hinweise für deren Formulierung.
Eine Nebenwirkung der übergreifenden Sicht auf die Beratungsfelder ist allerdings, dass die Evaluation im Bundesmaßstab angesichts der Heterogenität und Leistungsbreite der Angebote nur sehr begrenzt auf Detailfragen der konkreten Beratungsarbeit eingehen kann. Das schränkt den individuellen Nutzen der Evaluation für einzelne Beratungsangebote deutlich ein (so schon Heiner 2007, S. 831). Ein solcher entsteht dann, wenn eine Evaluation beispielsweise im Rahmen von Fallstudien mit einzelnen Beratungsstellen zusammenarbeitet und ihre Befunde dorthin zurückspiegelt.
Detaillierte Einblicke durch Evaluation auf Landes- und Einzelprojektebene
Dafür sind vor allem Evaluationen auf Landesebene oder von einzelnen Angeboten bedeutsam. Erstere dienen im Wesentlichen dazu, die Landes-Beratungsinfrastruktur weiterzuentwickeln, das Zusammenwirken von Angeboten dort zu verbessern und die Leistungen der Angebote gegenüber den Landesparlamenten als Geldgeber zu belegen. Evaluationen einzelner Angebote sind dagegen darauf ausgerichtet, die Arbeit der Berater:innen zu reflektieren, sichtbar zu machen, was gut läuft und wo möglicherweise Veränderungsbedarf besteht, und auf diese Weise Organisationsentwicklungsprozesse vorzubereiten. Solche Evaluationen beschäftigen sich mit den konkreten Bedingungen der Beratungsarbeit, mit einzelnen Beratungsfällen oder – noch kleinteiliger – mit Schlüsselsituationen in der Beratungsarbeit.
Eine grundsätzliche Voraussetzung dafür, dass Evaluationen den erhofften Nutzen stiften, ist, dass nicht nur die Evaluationsteams, sondern auch die evaluierten Beratungsstellen angemessen mit Ressourcen ausgestattet sind, um sie in den Evaluationsprozess einbringen zu können. Aber auch gegenseitige Akzeptanz und Vertrauen sind wichtig. Das gilt umso mehr, wenn nicht nur Fragen der Struktur- und Prozessqualität oder der Zielerreichung evaluiert werden sollen, sondern es um Fragen der Wirksamkeit von Beratung geht, wie nachfolgend geschildert wird.
Was wirkt wie und warum?
In den Untersuchungen zur Wirksamkeit der Beratung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in der zweiten Programmperiode von „Demokratie leben!“ (2020 bis 2024) (vgl. Haase/Rottinghaus 2024) wurden zwei Arbeitsschwerpunkte ausgewählt: die Einzelberatung von Betroffenen und lokale Interventionen. Die Einzelberatung von Betroffenen ist ein zentraler Bestandteil des Beratungsfeldes. Die konkreten Beratungs- und Unterstützungsleistungen sind individuell sehr vielfältig und greifen meist ineinander. Dazu zählen unter anderem die psychosoziale Beratung, die Beratung bei der Beantragung von Entschädigungsleistungen oder die Beratung zu Fragen, die die Strafverfolgung der Täter:innen betreffen. Die Berater:innen begleiten auf Wunsch zu Gericht oder zur Polizei oder vermitteln in andere Hilfestrukturen. Lokale Interventionen sind komplexe sozialraumorientierte Vorhaben der Beratungsstellen. Akteur:innen im Gemeinwesen sollen in die Problembearbeitung einbezogen werden. Damit wird die räumliche Dimension rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalttaten berücksichtigt. Zu denken ist hierbei etwa an die Raumnahme durch rechtsextreme Akteur:innen. Lokale Interventionen können vor allem dann sinnvoll sein, wenn Verantwortliche in einem Sozialraum rechte, rassistische und antisemitische Angriffe unzureichend wahrnehmen und bearbeiten.
Erkenntnisreicher Ansatz der „Realist Evaluation“
Die Untersuchungen waren von der Frage geleitet, was wie und warum in der Gewaltopferberatung wirkt. Mit dieser Frage orientierten sie sich am Ansatz der Realist Evaluation (vgl. Pawson/Tilley 1997). Der Ansatz betont den Einfluss von Kontextbedingungen auf die Entstehung von Wirkungen. In Wirkungsanalysen nach der Realist Evaluation werden die komplexen Bedingungen anerkannt und untersucht, unter denen spezifische Maßnahmen oder Angebote kontextabhängige Wirkung entfalten. Damit können die Besonderheiten Sozialer Arbeit gegenstandsangemessen berücksichtigt werden. Dazu zählt, dass Veränderungen und Stabilisierungen bei Adressat:innen in Koproduktion hervorgebracht werden. Sie sind ein Ergebnis sozialer Interaktionen von Professionellen und Adressat:innen.
Anliegen der Untersuchungen war es, komplexe Wirkungszusammenhänge empirisch fundiert zu erschließen und daraus Gelingensbedingungen wirksamer Gewaltopferberatung abzuleiten. Es sollten praxisrelevante Erkenntnisse zu den Veränderungsmöglichkeiten der Beratungsarbeit gewonnen werden. Dafür wurden Fallstudien und eine Befragung von Beratungsnehmenden mittels standardisiertem Fragebogen durchgeführt. Erhebung und Auswertung basierten gegenstandsangemessen auf einem Methodenmix von quantitativen und qualitativen Verfahren. Der Forschungsprozess war partizipationsorientiert angelegt. Instrumente wurden teilweise gemeinsam mit den Berater:innen entwickelt oder abgestimmt. Befunde konnten im Austausch der Perspektiven von Praxis und wissenschaftlicher Begleitung geprüft, reflektiert und eingeordnet werden. Dieser Austausch von Perspektiven nützte sowohl der Evaluation für eine fundierte und validierte Darstellung der Ergebnisse als auch der Praxis für die kritische Reflexion ihrer Arbeit.
Die Fallstudien und die standardisierte Beratungsnehmenden-Befragung besitzen jeweils unterschiedliche Potenziale. Die Fallstudien ermöglichten es, die Wirkungszusammenhänge und die Bedeutung der Kontexte am konkreten Fall empirisch nachzuvollziehen. Im Rahmen der Studie zur individuumsbezogenen Beratung konnte die Prozesshaftigkeit der Beratung in den Blick genommen werden. Konkret handelte es sich dabei um den Veränderungsprozess von einer schweigenden, unterstützungsbedürftigen hin zu einer politisch aktiven Überlebenden eines rassistisch motivierten Anschlags.
Parteiliche Unterstützung durch Berater:innen
Wirkungen können sehr unterschiedlich eingeschätzt werden. Deshalb waren die Fallstudien multiperspektivisch angelegt. Dafür wurden die Perspektiven der Beratungsnehmenden, der Berater:innen und von adressierten Akteur:innen im Sozialraum (zum Beispiel Vertreter:innen der Stadtverwaltung) eingeholt. Ein besonderes Augenmerk lag in den Fallstudien darauf, sogenannte Wirkmechanismen zu erschließen. Diese wurden als haltungsbasierte Handlungen der Berater:innen konzipiert. So konnte etwa deren parteiliches Beiseitestehen als zentraler Schlüssel in Veränderungsprozessen von Adressat:innen ermittelt werden. Parteilichkeit ist als Arbeitsprinzip in den Qualitätsstandards der Beratung von Betroffenen rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt verankert (vgl. VBRG 2018). Das bedeutet unter anderem, dass sich die Berater:innen konsequent an die Seite der Betroffenen stellen und die politische Dimension der Gewalttaten glaubwürdig anerkennen. Diese parteiliche Haltung der Berater:innen wird von den Beratungsnehmenden als Differenz zu der erfahrenen Verharmlosung und Verleugnung rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt wahrgenommen.
Große Zufriedenheit der Beratungsnehmenden
Mit der Fokussierung auf solche Binnenlogiken der Beratungsarbeit ist es in besonderer Weise möglich, im Sinne formativer Evaluation zur Professionalisierung der Beratungsfelder beizutragen. In der standardisierten Befragung von 98 Beratungsnehmenden konnten statistische Aussagen unter anderem zu deren Zufriedenheit mit den in Anspruch genommenen Beratungsleistungen sowie zu ihren Einschätzungen zum Beratungsverlauf gewonnen werden. Die Beratungsnehmenden zeigten sich sehr zufrieden mit den in Anspruch genommenen Leistungen der Gewaltopferberatung und der Beratung insgesamt. Die Einschätzung bezog sich zum einen auf die Beratungsbeziehung, etwa auf das Gefühl, sich auf die Berater:innen verlassen zu können. Sie umfasste zum anderen eine Gesamtbewertung der Beratung, zum Beispiel, dass die Beratung insgesamt als hilfreich empfunden wurde. Die Beratungsnehmenden schätzten außerdem ein, dass die Beratung dazu beigetragen hat, die Folgen der Tat besser zu verarbeiten.
Die Befragung ermöglichte auch Aussagen darüber, welche Kontexte die Einschätzungen der Beratungsnehmenden zum Beratungsprozess und -ergebnis beeinflussen. Als ein Befund ließ sich etwa festhalten, dass deutschsprachige Beratungsnehmende mehr von der Beratung profitieren als solche ohne gute Deutschkenntnisse. Anzunehmen ist, dass es sich bei Letzteren primär um Menschen mit jüngerer Fluchtgeschichte handelt. Bei dieser Gruppe ist von Betroffenen mit besonderen psychosozialen Belastungs- und Exklusionsfaktoren auszugehen. Zu diesen Faktoren zählen beispielsweise eine durch ihren Aufenthaltsstatus verursachte existenzielle Unsicherheit und ein eingeschränkter Zugang zu Sozial- und Gesundheitsleistungen (vgl. Kluge 2016, S. 40).
Durch die Befragung konnte die Bedeutung einer zielgruppenspezifischen, für die Problemlagen von Geflüchteten sensibilisierten Beratungsarbeit unterstrichen werden. Sie zeigte außerdem, dass der fach- und gesellschaftspolitische Einsatz der Gewaltopferberatung für die Belange sowohl der Betroffenen als auch deren Communitys wichtig ist. Denn spezifische Belastungs- und Exklusionsrisiken, etwa durch das Aufenthalts- und Asylrecht sind in der Beratungsbeziehung selbst nicht oder nur begrenzt beeinflussbar. Die Berater:innen setzen sich in diesem Zusammenhang unter anderem für eine dezentrale Unterbringung von Geflüchteten und für ein humanitäres Bleiberecht für Betroffene rechter und rassistischer Gewalt ein.
Herausforderungen und Ausblick
Evaluation kann die Erträge, Chancen und Grenzen von Beratungsarbeit sichtbarer machen. Sie ist in der Lage, Entwicklungen ganzer Praxisfelder aber auch einzelner Angebote wissenschaftlich zu begleiten und zu deren Professionalisierung beizutragen. Untersuchungen, die nicht nur die Existenz von Wirkungen erheben, sondern auch deren Zustandekommen aufhellen, sind in besonderer Weise geeignet, die Berater:innen in ihrer professionellen Entwicklung zu stärken und einen Beitrag zur Professionalisierung der Beratungsarbeit zu leisten.
Am besten gelingt das, wenn die Forschung partizipationsorientiert ausgerichtet ist. Solche Forschung ist in der Lage, gezielt Lernprozesse anzustoßen. Dies bedeutet, dass bestehende Annahmen, Perspektiven und Denkweisen der Beteiligten durch den Wissenschaft-Praxis-Austausch und die Forschungsergebnisse hinterfragt und erweitert werden (vgl. Giel et al. 2021, S. 337f.). Das Erkenntnispotenzial dieses Forschungsstils kann angesichts der Ressourcenproblematik oft nur begrenzt ausgeschöpft werden. Hinzu kommt die Herausforderung, dass sich Evaluation an den Interessen unterschiedlicher Nutzer:innen ausrichten muss.
Die Aufgabe der Evaluation in einem Bundesprogramm bezieht sich konkret auf die in den jeweiligen Programmen geförderten Angebote. Zugleich ist es für die Einordnung von Befunden aber auch wichtig, über die Grenzen eines Programms hinauszuschauen. Evaluation sollte so ausgerichtet sein, dass die Entwicklungen in der Beratungslandschaft im Themenfeld auch jenseits der Bundesprogramm-Förderung im Blick behalten werden können. Zu solchen Entwicklungen zählen die weiter zunehmende Diversifizierung der Beratungsangebote und in diesem Zusammenhang die Durchführung von Modellvorhaben in der Beratung wie die Community-basierte Antirassismusberatung.
Um diese Entwicklung durch Evaluationsbefunde unterstützen zu können, halten die Autor:innen dieses Beitrages für die Zukunft eine ressortübergreifende Querschnittsevaluation der verschiedenen Beratungsangebote im Kontext von Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Demokratiegefährdung für sinnvoll. Diese könnte sich konkret und empirisch fundiert Fragen ihres Ineinandergreifens und den Herausforderungen abgestimmten Handelns sowie von Verweisberatung widmen. Daraus ließen sich Hinweise sowohl zur Weiterentwicklung der Beratungsinfrastrukturen als auch zu deren Koordinierung gewinnen. Zuletzt hat die Evaluation von der Bundesebene aus in diesem Zusammenhang auch eine empirisch fundierte Bedarfsforschung empfohlen. Diese kann eine Grundlage bieten, um Bedingungen bedarfsgerechter Beratungsinfrastrukturen gegen Rechtsextremismus, Rassismus, Antisemitismus und Demokratiegefährdung zu beschreiben, und darauf aufbauend eine gezielte Angebotsentwicklung ermöglichen.