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Distanzierungsarbeit als Handlungsfeld und Querschnittsaufgabe im Verhältnis zur Ausstiegsberatung

Judith Meixner Peer Wiechmann

/ 12 Minuten zu lesen

Was bedeutet Distanzierungsarbeit im Präventionskontext und wie lässt sie sich als pädagogischer Aufgabenbereich der Sozialen Arbeit unabhängig von Ausstiegsberatung umsetzen?

Distanzierungsarbeit ist durch einen konsequent aufsuchenden Charakter gekennzeichnet. Dabei sollen Hinwendungsprozesse zu rechtsextremem Strukturen bereits vor einer offenkundigen Organisiertheit in den Blick genommen und kritisch begleitet werden. (© Adobe-Stock/Photographee.eu )

Ausstiegsberatung und Distanzierungsarbeit: Diese beiden Bezeichnungen werden oft als gemeinsam stehendes Begriffspaar genannt, um die Arbeit von Trägern der Ausstiegsberatung zu beschreiben. Dabei stellt Distanzierungsarbeit im Kontext der Rechtsextremismusprävention in Deutschland einen eher neuen Ansatz dar. Aus Sicht der Autor:innen liegt die fehlende Trennschärfe an dem durchaus wichtigen Anspruch der Ausstiegsberatungen, Distanzierung von menschenverachtenden Einstellungen auch als ein Ziel gelungener Ausstiege anzustreben. In den wenigsten Fällen ist hiermit allerdings der Anspruch von Distanzierungsarbeit als eigenständiges Handlungsfeld gemeint. In Abgrenzung dazu werden in diesem Text „Ausstieg“ und „Distanzierungsarbeit“ unterschieden. Es wird ein Ansatz vorgestellt, der Distanzierungsarbeit als pädagogische Querschnittsaufgabe im Sinne von Sozialer Arbeit als Menschenrechtsprofession verankert sieht. Distanzierung von menschenverachtenden Einstellungen ist demnach weder auf den Kontext der Ausstiegsberatung zu reduzieren noch als alleinige Aufgabe spezialisierter Träger der Distanzierungsarbeit zu verstehen.

Distanzierungsarbeit im Verhältnis zur Ausstiegsberatung

Die Distanzierungsarbeit entstand ab den 2010er-Jahren als internationaler Ansatz aus verschiedenen Präventions- und Interventionspraxen. In Deutschland gewann die Arbeit im Bereich des Rechtsextremismus besonders seit 2015 an Bedeutung. Pädagog:innen sahen sich mit menschenfeindlichen Einstellungen konfrontiert, die bereits seit Jahrzehnten in der Gesellschaft existierten, wie die Mitte-Studien zeigen. Die erstarkte mediale Thematisierung im Kontext der Fluchtbewegungen verschob die Grenzen des Sag- und Machbaren, wodurch Tabubrüche und deren Relativierungen zu Strategien rechtspopulistischer Bewegungen wurden. Die Distanzierung von menschenverachtenden Einstellungen ohne einen Einstieg in eine erkennbare extrem rechte Szene wurde somit zur Herausforderung und zum Kern der Distanzierungsarbeit.

Die begriffliche Verortung

Zwar weisen Distanzierungsarbeit und Ausstiegsberatung methodische Überschneidungen auf, sie sollten jedoch als unterschiedliche Handlungsfelder verstanden werden. Die Begriffe „Distanzierung“ beziehungsweise „Distanzierungsarbeit“ werden meist im Kontext von „Deradikalisierung“ benutzt – nicht selten ohne Unterscheidung konkreter Arbeitsfelder. Es wird zwar beschrieben, dass Deradikalisierung angezeigt ist, wenn eine Person in ihrer Radikalisierung fortgeschritten ist, jedoch ist nicht klar definiert, was als „fortgeschritten“ bezeichnet wird und wie Radikalisierung in Bezug zu Gewalt gesetzt ist. Diese Diffusität resultiert aus der Tatsache, dass Hinwendungsprozesse in extrem rechte Weltbilder unterschiedlich ausfallen können. Die Dynamik von Radikalisierungsprozessen wurde vielfach analysiert und ein zu enges Verständnis von „Radikalisierung“ problematisiert (Gaspar et al. 2018). Auch der Begriff der „Deradikalisierung“ wurde beispielsweise von Kurt Möller kritisiert, da er „keine ausreichende Perspektive für die demokratiefördernde Arbeit und damit die professionelle, pädagogische Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Ablehnungsdiskursen“ (Dietrich 2016; Möller et al. 2016, S. 97 f.) böte.

Der Eingriff in Radikalisierungsprozesse wird auch als „Einstiegsprävention“ oder „Radikalisierungsprävention“ beschrieben. Distanzierungsarbeit wird im Feld der Rechtsextremismusprävention oftmals als Interner Link: „sekundäre“ oder „selektive Gewaltprävention“ verortet. Diese schematischen Einordnungen schaffen zwar grobe Unterscheidbarkeiten zur Interner Link: primären/Interner Link: tertiären oder universellen/indizierten Gewaltprävention, tragen aber nicht ausreichend zum Verständnis des Handlungsfeldes bei.

Eine mögliche Unterscheidung von „Ausstiegsberatung“ und „Distanzierungsarbeit“ lässt sich auf den ersten Blick am Organisationsgrad betreffender Personen festmachen: Distanzierungsarbeit vermittelt den Anspruch, Prozesse bereits vor einer offenkundigen Organisiertheit in den Blick zu nehmen und den Hinwendungsprozess kritisch zu begleiten. Nicht allein die Verortung in einer erkennbar extrem rechten Szene, das Tragen von extrem rechten Codes oder der Eintritt in eine Kameradschaft kann als Kriterium für eine problematische Radikalisierung dienen. Denn so geriete ein Personenkreis aus dem Blick, der in seinen Handlungen und Haltungen bereits menschenverachtend agiert und andere gefährdet. Das Spektrum von Distanzierungsfällen setzt damit deutlich früher an als bei der Ausstiegsberatung. Die Adressat:innen der Distanzierungsarbeit grenzen sich meist sogar von Strukturen mit hohem Organisiertheitsgrad ab und teilen zugleich Einstellungsfacetten mit der extrem rechten Szene. Ein bekanntes Beispiel hierfür ist die Floskel: „Ich bin kein Nazi, aber …“ In zunehmend komplexer werdenden Hinwendungsprozessen ist es also durchaus herausfordernd, zu analysieren, wann ein „Einstieg“ als vollzogen bewertet werden kann. Die Ausdifferenzierung extrem rechter Identifikationsangebote erschwert diese Einordnung zusätzlich.

Junge Menschen als Zielgruppe

Distanz e. V., als ein Träger im Feld, begreift Distanzierungsarbeit als das Eingreifen in einen Hinwendungsprozess zu extrem rechten Ideologiefragmenten, das heißt vor einer fortgeschrittenen Radikalisierung und dem klar erkennbaren Anschluss an extrem rechte Organisationen. Die Zielgruppe wird als heterogenes Spektrum begriffen. Distanzierungsarbeit beginnt dort, wo junge Menschen vermehrt visuell (durch szeneaffine Marken beispielsweise) und/oder durch diskriminierende Handlungen oder diskriminierende Äußerungen auffallen. Distanzierungsarbeit adressiert jene, die gefährdet sind, den Einstieg in extrem rechte Weltbilder oder Szenen zu vollziehen, oder die angeworben werden könnten. Zugleich können auch Personen adressiert werden, die an extrem rechten Denkmustern bereits orientiert sind. Es werden junge Menschen in den Blick genommen, die in ihrer (adoleszenten) Identitätsentwicklungsphase stecken und bei denen die Suche nach der eigenen Identität noch Sphären der Auseinandersetzung beinhaltet.

Distanzierung als Ziel

Wie bereits erwähnt, ist die Bezugnahme von Trägern der Ausstiegsberatung auf „Distanzierung“ als Zielanspruch zu bewerten. Die Aussteiger:innen-Initiative EXIT etwa definiert in ihrem Online-Glossar Distanzierung auf zwei Ebenen:

  1. „Prozess der inneren Entfernung und Entbindung von Personen, Gruppen und Bewegungen von den Dimensionen der Radikalität (Ideologie/Religionsmodus; kollektives Missionshandeln; ideologisch intendierte Aggression und Gewalt)

  2. Tätigkeit der unmittelbaren Einflussnahme nichtradikaler Personen und Organisationen auf radikale Personen, Gruppen und Bewegungen zum Zwecke der ausstiegsorientierten inneren Entfernung und Entbindung von den Dimensionen der Radikalität“ (EXIT o. J.)

Die Distanzierung als Entwicklungsprozess im Hinblick auf kognitive und sozialräumliche Faktoren ist demnach zentraler Aspekt in einem Ausstiegsprozess. Im Wesentlichen unterscheiden sich die Werkzeuge für dieses Ziel nicht erheblich von denen der Distanzierungsarbeit. Doch die Ausstiegsberatung wirkt in einem gänzlich anderen Kontext und muss nicht als pädagogische Querschnittsaufgabe gedacht werden.

Die Distanzierungsarbeit ist durch ein pädagogisches Setting gerahmt und nimmt selbst Anlässe zur Auseinandersetzung wahr. Der Initiative solcher Interventionen im Sinne der Distanzierungsarbeit kann ein Vorfall (beispielsweise diskriminierende Äußerungen oder das Tragen extrem rechter Codes) zuvorkommen. Diese Anlässe brauchen einerseits eine klare Grenzsetzung und andererseits auch ein Angebot zur kritischen Reflexion. Hier haben konkrete lebensweltorientierte, beziehungsgestützte Ansprachen das Potenzial, zu einer persönlichen Auseinandersetzung zu motivieren. Der Unterschied zur Ausstiegsberatung wird deutlicher, wenn Distanzierungsarbeit als Handlungsfeld wie folgt definiert wird:

  1. als Aufgabe von pädagogischen Berufen, die sich mit einstiegsgefährdeten Menschen entsprechend ihren Ressourcen und Kontexten auseinandersetzen;

  2. als Aufgabe von spezialisierten Trägern, die spezifische Angebote der Distanzierungsarbeit machen und für Pädagog:innen beratend tätig sind sowie Regelstrukturen unterstützen.

Der entscheidende Unterschied zum Handlungsfeld der Ausstiegsberatung besteht also im konsequent aufsuchenden Charakter der Distanzierungsarbeit. Beratungskontexte sind in der Regel Kontexte, in denen die Beratungsnehmenden selbstinitiierte (oder durch Impulse gestützte) Beratungssettings aufsuchen. Ein Ausstieg und die vorangestellte Zugewandtheit zur extrem rechten Szene gehen mit dem Entschluss einher, „dem bisherigen Kontext der radikalen/extremistischen Gruppe, Bewegung nicht mehr anzugehören“ (EXIT o. J.). Diese Begleitung erfordert Maßnahmen im Bereich der Sicherheitsvorbeugung und -intervention, der sozialen Integration und der Reflexion einer meist längeren Episode im Erwachsenenalter. Distanzierungsarbeit richtet sich jedoch an Menschen, die ihre Einstellungen und Handlungen nicht problematisieren und noch kein Anliegen formuliert haben. Diese Personen waren nicht jahrelang in Szenezusammenhängen aktiv. Der selbstinitiierte Ausstieg aus einer extrem rechten Szene hat gänzlich andere Rahmenbedingungen. Die entscheidende Herausforderung der pädagogischen Fachkraft im Kontext der Distanzierungsarbeit ist daher zunächst, einen Hinwendungsprozess (auch im Frühstadium) zu erkennen. Weiterhin muss diese Hinwendung im weiteren Verlauf kritisch fachlich gespiegelt und reflektiert, ein konstruktiver Zugang hergestellt, eine kritikgetragene Beziehung entwickelt und die gewonnene Motivation zur Auseinandersetzung aufrechterhalten werden.

Distanzierungsarbeit als Handlungsfeld

Distanzierungsarbeit vermittelt die Überzeugung, dass die Arbeit mit extrem rechts einstiegsgefährdeten und orientierten jungen Menschen nötig und möglich ist, wenn sie klar definierten Qualitätsstandards folgt. Sie benötigt dafür ausreichend Ressourcen und Fachlichkeit, kollegiale Reflexion und eine demokratisch wie menschenrechtsorientierte Ausrichtung der eigenen Haltung.

Junge Menschen, die kontinuierlich mit diskriminierenden Aussagen und Handlungen auffallen, laufen Gefahr, durch das Raster präventiver oder allgemeinbildender Angebote zu fallen. Häufig stören oder unterlaufen sie sogar diese Angebote und gefährden den Mehrwert für andere. Diese Dynamik stellt Pädagog:innen vor große Herausforderungen. Junge Personen, die durch diese Angebote nicht erreicht werden, benötigen eine grundsätzlichere Auseinandersetzung im Sinne der Distanzierungsarbeit. Dies bedeutet meist ein intensiveres und ressourcenaufwendigeres Setting für die Arbeit mit ihnen. Wird der Weg der Abwertung oder gar Ausgrenzung bereits bewusst gewählt, gilt es, verantwortungsvoll Wege auszuloten, um nachhaltig klare Grenzen vermitteln zu können und gegebenenfalls auch ihr Umfeld zu schützen.

Eine aufsuchende Querschnittsaufgabe

Ein relevanter Ansatz in der Praxis stammt von der Sozialarbeitswissenschaftlerin Silvia Staub-Bernasconi, wonach Soziale Arbeit eine Menschenrechtsprofession ist (vgl. 2009: S. 10ff.). Davon ausgehend wird Distanzierungsarbeit als Querschnittsaufgabe pädagogischer Auseinandersetzung begriffen. Je weiter ein Radikalisierungsprozess fortschreitet, umso schwerer wird es, die Hinwendung zu bremsen. Pädagog:innen und Multiplikator:innen aus diversen Feldern der Jugendhilfe, Jugend(sozial)arbeit sowie Schule spielen eine wesentliche Rolle in der Früherkennung, da gerade in den Anfängen eines Hinwendungsprozesses die erste irritierende Wirkung ein großes Potenzial entfalten kann. Diese Früherkennung erfordert eine aufsuchende Arbeit. Stefan Tepper führt hierzu aus:

„Es sollten vielmehr darüber sowohl Personen adressiert werden, die sich noch im Hinwendungsprozess befinden, als auch solche, die bis dato nichts haben verlauten lassen, sich von rechtsextrem orientierten Szene- und Haltungszusammenhängen abzuwenden zu gedenken.“ (Tepper 2021, S. 399).

Und weiter führt er aus, dass es wichtig ist:
„… über aufsuchende Arbeit – sowohl in virtuellen wie auch in der gegenständlichen Welt – in Kontakt mit Assoziierten rechtsextrem orientierter Szene- und Haltungszusammenhänge zu treten, eine Beziehung aufzubauen, gezielt Abwendungsmotive befördern zu können oder aber bereits bestehende aufzunehmen und Hilfe bei der Transformation von Abwendungsideen zu Abwendungshandeln anzubieten“ (ebd.).

Erfolgen frühe Formen der Interventionen nicht, besteht im weiteren Verlauf der Entwicklung die Gefahr, dass sich Jugendliche mit einem Hang zur Abwertung und Gewalt ein entsprechendes Angebot suchen, in dem sie Anerkennung finden und in ihren destruktiven Haltungen bestärkt werden. Eine pädagogische Intervention im Frühstadium der Hinwendung ist zentral, um Entwicklungstendenzen in menschenverachtende Einstellungen und Handlungen sowie eine extrem rechte ideologische Rechtfertigung und Verfestigung zu verhüten. Dies dient zugleich dem präventiven Schutz (zukünftiger) Betroffener von Gewalt und Abwertung.

Pädagogische Ziele, Methoden und Techniken

Distanzierungsarbeit nimmt folgende Ziele in den Blick:

  1. die Distanzierung von menschenverachtenden Einstellungen und Verhalten: Gruppenzuschreibungen und kollektive Abwertungen werden infrage gestellt und alternative, menschenrechtsorientierte Perspektiven angeboten. Menschenfeindliche Aussagen werden bewusst gemacht und die Pluralität der Lebensentwürfe diskriminierter Menschen thematisiert. Es müssen in diesem Prozess Hinwendungsfaktoren berücksichtigt werden, die die Einstellung des jungen Menschen bedingt haben.

  2. die Reduktion von Gewalt befürwortenden Einstellungen und gewalttätigen Handlungen sowie das Aufzeigen von Konsequenzen für die eigene Biografie und die möglicher Betroffener: Adressat:innen werden so in die Lage versetzt, eigene Konfliktmuster zu erkennen und konstruktivere Strategien im Umgang mit dem eigenen Konfliktverhalten zu entwickeln.

  3. die Stärkung von Selbstreflexion und die Entwicklung eines konsistenten Selbstwerts: Es werden soziale Kompetenzen gefördert, die resilient gegen Abwertungsmuster wirken, wie beispielsweise Selbstbewusstsein, Selbstwirksamkeitsempfinden und die Ausbildung von Ambiguitätstoleranz.

  4. Die Entwicklung von eigenen individuellen Lebensperspektiven und sinnstiftenden Alternativen zur extrem rechten Orientierung unterstützt die Adressat:innen beim Finden einer konstruktiven Arbeits-, Familien- und Freizeitgestaltung.

Der BRAKE-Ansatz von Distanz e. V.

Distanz e. V. hat im Rahmen der Distanzierungsarbeit den BRAKE-Ansatz entwickelt, der Methoden und Techniken zur Zielerreichung beschreibt. Dieses Akronym greift die beschriebenen Ziele insofern auf, als dass der Radikalisierungsprozess bei einem jungen Menschen möglichst frühzeitig gebremst werden soll (engl. brake = Bremse). BRAKE steht für:

  • Beziehungsgestützt: Distanzierungsarbeit benötigt eine pädagogische und professionelle Beziehung, um eine nachhaltige und konflikttragende Interventionsberechtigung zu etablieren.

  • Reflexionsanregend: Die Reflexion wird durch gezielte Fragetechniken sowie biografische und systemisch-lösungsorientierte Methoden zur Aufarbeitung und zur Setzung neuer Ziele gestärkt.

  • Aufsuchend: Die Zielgruppe wird proaktiv erschlossen, angesprochen und in einen Prozess der Auseinandersetzung involviert.

  • Kritikgetragen: Kritische Interventionen sind von einer klaren und offenen demokratischen, antidiskriminierenden und humanistischen Haltung getragen und setzen Grenzen.

  • Entwicklungsprozess: In der Summe wird ein Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, der eine (weitere) Radikalisierung verhindern soll und neue Perspektiven für ein respektvolles Miteinander eröffnet.

Distanz e. V. vermittelt u. a. als Zentrum für Distanzierungsarbeit in Thüringen seine Expertise in Form von Fortbildungen, Beratungen und Coachings für diverse Fachkräfte der Jugendhilfe, Jugend(sozial)arbeit und Schule. So können kontext- und ressourcenabhängig Methoden der Distanzierungsarbeit Eingang in die pädagogische Handlungspraxis finden.

Für die Zielgruppe der extrem rechts einstiegsgefährdeten und orientierten jungen Menschen hält Distanz e. V. die intensivpädagogische Maßnahme der Distanzierungstrainings vor.

Zudem sucht Distanz e. V. auch junge Menschen in Form von Workshops und Schulprojekttagen direkt auf. Der Fokus liegt hier insbesondere auf extrem rechts belasteten Regionen und Institutionen. Dieser Erstkontakt dient als Auftakt für ein mögliches Distanzierungstraining oder einen Beratungsprozess. Eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem professionellen und bestenfalls auch familiären Umfeld des jungen Menschen ist in allen Fällen wichtig und unausweichlich.

Fazit

Im Handlungsfeld der Distanzierungsarbeit liegt der Fokus vor allem auf Personen im Frühstadium einer möglichen Radikalisierung, bevor eine offenkundige Organisiertheit erkennbar wird. Es gilt, diese Situation zu erkennen sowie eine lebensweltorientierte Ansprache durchzuführen, um den kritischen Begleitungsprozess der Personen zu fördern. Die Ausstiegsberatung bezieht sich wiederum auf Maßnahmen, die ergriffen werden, um Personen bei einem Ausstieg aus extremen Ideologien zu unterstützen. Diese Personen haben bereits eine Motivation zur Loslösung und fragen Beratung an.

Die Zielgruppe der Distanzierungsarbeit wird in Zeiten des grassierenden Rechtspopulismus immer größer. Das Arbeitsfeld eröffnet sich bereits bei Menschen mit starken Vorurteilen und endet bei Personen, die sich stark menschenfeindlich äußern beziehungsweise verhalten, allerdings keiner Organisation zuzuordnen sind. Das Handlungsfeld für diese letzteren Personen wird durch das Internet nochmal um ein Vielfaches erweitert und erschwert besonders hier die Einschätzung eines Organisationsgrades beziehungsweise einer hohen gewaltbereiten Radikalisierungsstufe gänzlich ohne organisierten Hintergrund.

Mit der Zunahme des Rechtspopulismus weiten sich auch die Grenzen des Sagbaren. Nahezu alle Multiplikator:innen und Pädagog:innen – mithin alle Menschen, die ehrenamtlich oder professionell mit anderen Menschen in Kontakt treten – haben verstärkt mit Konfrontationen und Vorurteilen Einzelner und/oder aus einer Gruppe heraus zu rechnen.

Was es braucht? Ansätze der Distanzierungsarbeit müssen in der Breite an alle Pädagog:innen vermittelt werden, sodass diese mit mehr (Selbst-)Sicherheit eine Grenze ziehen und/oder eine Intervention führen können. Das Handlungsfeld der Distanzierungsarbeit avanciert somit zum Querschnittsthema für die Soziale Arbeit. Daraus resultiert der Arbeitsauftrag, relevante Kompetenzen möglichst breit in diversen pädagogischen Feldern zu schulen.

Um zudem von einer reaktiven in die proaktive Position zu kommen, bedarf es der Unterstützung durch Träger der Distanzierungsarbeit, die zum einen die Zielgruppe aufsuchend und lebensweltorientiert ansprechen, um dann durch geeignete Maßnahmen mit ihr in die Distanzierungsarbeit zu kommen.

Um diese Zielgruppe zu erreichen, arbeitet Distanz e. V. eng mit Signalgeber:innen (meist Pädagog:innen) mit Hilfe einer Multiplikator: innen-basierten Ansprache zusammen. Maßnahmen, wie beispielsweise das Distanzierungstraining, bieten in der entscheidenden Phase der Identitätsbildung eine intensivpädagogische Auseinandersetzung. Das Distanzierungstraining etwa setzt die nötigen Interventionen gegenüber verhärteten Vorurteilsbildungen und einer extrem rechten Einstiegsgefährdung. Pädagog:innen erhalten damit ein entlastendes Unterstützungsangebot im verantwortlichen Umgang mit extrem rechten Gefährdungslagen. Sie professionalisieren ihre Kommunikationswege mit der Zielgruppe, um nicht zuletzt selbstsicher als politisches Subjekt demokratisch und menschenrechtsorientiert agieren zu können. Wenn junge Menschen vermehrt durch Diskriminierung auffällig sind, ist es fachlich geboten, Träger der Distanzierungsarbeit zur Unterstützung anzufragen, da Pädagog:innen mit ihren Ressourcen manchmal nur begrenzt auf frühe Radikalisierungsprozesse einwirken können. So ergibt sich ein gut ausgebildetes, funktionales und auf die jeweiligen Ressourcen abzielendes System der menschenrechtsorientierten Sozialarbeit.

Quellen / Literatur

Dietrich, Kai (2016): Radikalisierungsprävention und Deradikalisierung als pädagogische Arbeitsfelder. Online: Interner Link: https://www.bpb.de/themen/rechtsextremismus/dossier-rechtsextremismus/236720/radikalisierungspraevention-und-deradikalisierung-als-paedagogische-arbeitsfelder/ (aufgerufen am 5.2.2024).

EXIT (o. J.): Glossar. Definitionen, die die Grundlage der Arbeit von EXIT-Deutschland bilden. Online: Externer Link: https://journal-exit.de/glossar/ (aufgerufen am 5.2.2024).

Gaspar, Hande Abay; Daase, Christopher; Deitelhoff, Nicole; Junk, Julian; Sold, Manjana (2018): Was ist Radikalisierung? Präzisierungen eines umstrittenen Begriffs. PRIF Report 5/2018, Frankfurt. Online: Externer Link: https://gesellschaftextrem.hsfk.de/fileadmin/HSFK/hsfk_publikationen/prif0518.pdf (aufgerufen am 5.2.2024).

Grimm, Rebekka; Meixner, Judith; Müller, Lisa; Pannemann, Malte; Wiechmann, Peer (2024): Den Einstieg in den Rechtsextremismus verhindern. Aufsuchende Distanzierungsarbeit gegen Radikalisierung bei jungen Menschen. Ein Leitfaden. Leverkusen.

Möller, Kurt (2015): Gewalt und soziale Desintegration. In: Otto, Hans-Uwe; Thiersch, Hans (Hrsg.): Handbuch Soziale Arbeit. Grundlagen der Sozialarbeit und Sozialpädagogik. München (5., erw. Aufl.), S. 633–643.

Staub-Bernasconi, Silvia (2009): Den Menschen vor dem Würgegriff des Menschen schützen. Menschenrechte und ihre Relevanz für Mandat, Theorie und Praxis der Sozialen Arbeit. In: SozialAktuell, Nr. 7/8 2009, S. 10 ff.

Tepper, Stefan (2021): Nicht nur ein Tropfen auf den heißen Stein … Zur Entwicklung von Motiven der Abwendung von rechtsextrem orientierten Szene- und Haltungszusammenhängen. Frankfurt a. M.

Weitere Informationen:
Die von Distanz e. V. 2023 publizierte „Externer Link: Arbeitshilfe für den Umgang mit extrem rechts einstiegsgefährdeten und orientierten jungen Menschen“ kann Orientierung für die Einbindung von Distanzierungsarbeit in die eigene pädagogische Arbeit bieten.

Fussnoten

Fußnoten

  1. In Ermangelung eines besseren Begriffs verwenden die Autor:innen den Begriff „Rechtsextremismus“ und spezifizieren damit zumindest den Phänomenbereich, kritisieren aber die unscharfe Gleichsetzung mit anderen extremistischen Formen.

  2. Distanzierungsarbeit konzentriert sich darauf, bereits im Vorfeld, bevor eine offenkundige Organisiertheit erkennbar ist, den kritischen Begleitungsprozess von Personen zu fördern, die sich von extremen Ideologien distanzieren wollen.

  3. Siehe Ergebnisse der sogenannten Mitte-Studie von 2023 Externer Link: hier.

  4. Ausstiegsberatung bezieht sich auf Maßnahmen, die ergriffen werden, um Personen bei einem Ausstieg aus extremen Organisationen und ideologischen Zusammenhängen zu unterstützen.

  5. Wie beispielsweise auf der Website des Bundesministeriums des Inneren und für Heimat Externer Link: hier.

  6. Das Beispiel eines Stufenmodells für Hinwendungsprozesse im extrem rechten Bereich ist Externer Link: hier publiziert worden.

  7. Zum Konzept der funktionalen Äquivalente vgl. Möller 2011.

  8. Ausführlicher wurde zum BRAKE-Ansatz im Kontext der Arbeit von Distanz e. V. im JEX-Journal Externer Link: hier publiziert.

  9. Die Planung der Ansprache ist ein herausfordernder und komplexer Prozess, der individuell abgestimmt werden muss. Weitere Hinweise zum Training und zur Ansprache im Kontext des Distanzierungstrainings von Distanz e. V. finden sich in Externer Link: hier (insbesondere S. 9) in einer Broschüre für Multiplikator:innen.

Lizenz

Dieser Text ist unter der Creative Commons Lizenz "CC BY-NC-ND 4.0 - Namensnennung - Nicht kommerziell - Keine Bearbeitungen 4.0 International" veröffentlicht. Autoren/-innen: Judith Meixner, Peer Wiechmann für bpb.de

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Judith Meixner beschäftigte sich bereits während ihres Masterstudiums „Internationale Bildungsforschung und Bildungsexpertise“ mit sekundärer Gewaltprävention und den Schnittmengen von politischer und kultureller Bildung. Als systemisch-lösungsorientierte Trainerin entwickelt sie seit 2015 Konzepte zur aufsuchenden Distanzierungsarbeit im Bereich Rechtsextremismus. Seit 2019 ist sie als Pädagogische Leitung des Weimarer Vereins Distanz e. V. tätig.

Peer Wiechmann prägt bundesweit seit Ende der 1990er-Jahre die Jugendkulturarbeit mit extrem rechts einstiegsgefährdeten und orientierten Jugendlichen im Rahmen der Prävention und Intervention. Heute ist er überwiegend in der aufsuchenden Distanzierungsarbeit tätig. Seit 2020 ist Wiechmann Geschäftsführer des Vereins Distanz – Distanzierungsarbeit, jugendkulturelle Bildung und Beratung e. V. in Weimar/Thüringen.