„Eine riesengroße Lüge“ – die Mythen rund um die Klimakrise
Die Welt, so scheint es in diesen Tagen, ist an einem Kipppunkt angelangt. Dürren überziehen seit mehreren Jahren Europa, sintflutartige Regenfälle verwüsten ganze Landstriche. Die Temperaturen steigen, die Eisdicke an den Polkappen sinkt. Die Klimakrise ist in vollem Gange, und die Prognosen aller renommierten Expertinnen und Experten hinsichtlich der Entwicklung sind eher düster, als dass sie hoffnungsfroh stimmen könnten. Mit der Klimakrise liegt wohl die größte Herausforderung der Menschheit in den Händen unserer Generationen.
So viel zu den Fakten. Kommen wir nun zu den Mythen: Das, was die Medien als „Klimakrise“ bezeichnen, sei „in Wirklichkeit“ eine Illusion, ein Konstrukt der grünen Eliten, die sie als Drohkulisse benutzen, um die Menschen zu unterdrücken und selbst daraus Profit zu schlagen. Die Temperaturen sänken mal, dann stiegen sie wieder, heißt es weiter – alles so weit normal also, und wer das Gegenteil behaupte, der betreibe Systempropaganda. Die sintflutartigen Überschwemmungen der letzten Jahre seien von „denen da oben“ durch Wettermanipulation herbeigeführt, die Erwärmungsprognosen von korrupten Wissenschaftlern gefälscht worden … kurzum: Das alles sei eine riesengroße, bis ins kleinste Detail verwobene Lüge.
Verschwörungserzählungen wie diesen begegnen wir in unserer Arbeit als politische Bildner und Berater im Feld der Extremismusprävention tagtäglich. Sie sind der Grund für die Entzweiung von Menschen, die die Veritas-Beratungsstelle für Angehörige von Verschwörungsgläubigen betreut. Und sie sind der Grund, warum sich Teile der Gesellschaft vom gesamtgesellschaftlichen Miteinander abkoppeln und den Diskurs darüber, wie wir zusammenleben und Zukunft gestalten wollen, verlassen. Dabei ist die breite Beteiligung an gesellschaftlichen Diskursen ein, wenn nicht sogar der zentrale Bestandteil unserer Demokratie. Denn nur im Ringen unterschiedlicher Positionen kann eine Lösung gefunden werden. Wenn jedoch bereits das Problem bestritten und wissenschaftliche Ergebnisse nicht anerkannt werden, worüber lässt sich dann noch streiten?
„Die Mächte im Hintergrund“ – eine kurze Geschichte der Verschwörungserzählungen
Diese Erzählungen über „die da oben“, die unsere Geschicke lenken, sind älter als die Debatte um die Klimakrise. Sie sind auch älter als die Corona-Pandemie, in deren Verlauf Verschwörungserzählungen für die breite Bevölkerung extrem sichtbar wurden – auf den Straßen, im Internet, an dem ein oder anderen Arbeitsplatz und nicht zuletzt inmitten von Familien und Freundeskreisen.
Der Verschwörungsglaube existiert mindestens seit Anbeginn der Frühneuzeit
Mit dem Zweiten Weltkrieg veränderte sich der gesamtgesellschaftliche Blick auf Verschwörungserzählungen. Schließlich sind doch die Schrecken des Nationalsozialismus ohne die weite Verbreitung von antisemitischen Verschwörungsmythen in der deutschen Gesellschaft nicht erklärbar. Die „Frankfurter Schule“ unter Theodor W. Adorno und Leo Löwenthal definierte die Mythen als Grundlage für totalitäres Denken, während der Philosoph Karl Popper die fehlende Wirksamkeit dieser Erzählungen zur Erklärung der Wirklichkeit herausstellte.
Mit der Zeit bildete sich dank der neuen Vernetzungsmöglichkeiten des Internets auch in Deutschland eine kleine, aber medienaffine Gegenöffentlichkeit heraus, die grundsätzlich alle offiziellen Informationslagen infrage stellte und als „Mainstream-Propaganda“ diffamierte. Erstmals deutlich sichtbar wurde diese Bewegung bei den sogenannten Mahnwachen für den Frieden 2014, die stark von antiamerikanischem, antisemitischem und verschwörungsgläubigem Denken geprägt waren. Mit der Fluchtbewegung 2015 von Tausenden Menschen aus Syrien verbreitete sich dann die rechtsextreme Erzählung vom „Großen Austausch“ in der deutschen Bevölkerung und wurde bei bundesweiten Veranstaltungen von Pegida-Bewegung und ihren Ablegern sichtbar. Als Massenphänomen konnte sich das permanente Zweifeln an grundsätzlich allen offiziellen Verlautbarungen jedoch erst mit der Corona-Pandemie durchsetzen. Nichts ist aus Sicht der Verschwörungsgläubigen so, wie es scheint: Alles sei miteinander verstrickt, es sei ein großes Kartenhaus an Lügen, mit dem die Gesellschaft unterdrückt werden solle – bloß der Anhänger oder die Anhängerin der Verschwörungserzählung selbst schickt sich an, für „die Wahrheit“ zu kämpfen. Dabei wird von einigen Verschwörungsgläubigen leider auch Gewalt als legitimes Mittel anerkannt. Im schlimmsten Fall sind es dann Menschenleben, die der Glaube an derlei Erzählungen kostet, wie es die auf rassistischen und antisemitischen Verschwörungsideologien fußenden Terrorakte in Halle und Hanau zeigen. Aber auch die zahlreichen Anfeindungen von und Angriffe auf Ärztinnen und Ärzte, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Medienschaffende und Politikerinnen und Politiker der letzten Jahre sollten uns zu denken geben.
Corona, Krieg und Klimakrise – Verschwörungserzählungen im Hier und Jetzt
Der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine hat auf allen gesellschaftlichen Ebenen vieles, was zuvor fest verankert war, ins Wanken gebracht. Und so mussten sich auch die Verschwörungsideologen zunächst einmal neu sortieren, war doch die Erzählung von Wladimir Putin als Friedensfreund und Heilsbringer der Völkerfreundschaft nun so gar nicht mehr in Einklang zu bringen mit dem, was sich kaum 2000 Kilometer von Deutschland entfernt abspielt. Und dennoch gelang es ihnen, das Ganze nach einer kurzen Phase der Desorientierung in „Einklang“ zu bringen: All das sei wieder nur ein Teil des großen Plans, mit dem die Eliten die „Wahrheit“ vertuschen wollen. Hierzu trägt nicht zuletzt eine breit angelegte Desinformationskampagne des russischen Staates bei.
Mit dem Beginn des Angriffskriegs verschob sich auch der Fokus der Anhängerinnen und Anhänger von Verschwörungserzählungen. Nach dem Abklingen der Corona-Pandemie hatte sich eigentlich bereits ein anderes großes Thema im verschwörungsgläubigen Milieu abgezeichnet: die Klimakrise. Schon früh hatte sich die Szene darauf eingeschossen, dass alle Studien gefälscht seien, dass die ausgerufenen Maßnahmen genau wie jene zur Eindämmung der Pandemie eigentlich nur der Kontrolle des Volkes dienen sollen … diese Erzähllinie findet sich immer wieder in den Argumentationen von Verschwörungsideologinnen und -ideologen.
Dass die Klimakrise ein Dauerthema in den Szenen sein würde, das war vielen Expertinnen und Experten schon relativ früh klar. In den USA, oft genug tonangebend für Verschwörungserzählungen, die sich im weiteren Verlauf in Europa verbreiten, wurde das Narrativ der „Klimalüge“ schon früh gebastelt. Und so blühen sie ein weiteres Mal, die Erzählungen über „die da oben“, die durch „Mächte im Hintergrund“ gesteuert werden und uns allen „die große Lüge der Klimakrise“ erzählen wollen. Von diesen Verschwörungserzählungen handelt die bpb-Schriftenreihe „Aufgeheizt. Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise“, herausgegeben von Tobias Meilicke vom Interdisziplinären Zentrum für Radikalisierungsprävention und Demokratieförderung e.V. (IZRD) und Cornelius Strobel von der Bundeszentrale für politische Bildung. Entstanden ist ein kompaktes Sammelwerk entstehen, das über das Phänomen der Verschwörungserzählungen rund um die Klimakrise informiert, Einblicke in die Auswirkungen gibt und aus unterschiedlichsten Perspektiven Ansätze beleuchtet, wie man der Verbreitung dieser Verschwörungserzählungen etwas entgegensetzen und damit weiteren Radikalisierungsprozessen breiter gesellschaftlicher Teile vorbeugen kann.
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