Wie werden Maßnahmen und Programme im Themenfeld „Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus“ evaluiert? Bevor auf diese Frage näher eingegangen wird, soll zunächst kurz die Bandbreite des Themenfeldes beschrieben werden. Denn eine fachlich gute Evaluation nimmt für sich in Anspruch, ihrem Gegenstand in seinen Charakteristika gerecht zu werden. Die Landschaft an spezialisierten Angeboten, die sich pädagogisch mit Rechtsextremismus auseinandersetzen, ist breit aufgestellt. Hierzu gehören Maßnahmen der politischen Bildung zu Rechtsextremismus, Angebote, die sich speziell der Prävention widmen, sowie Beratungen für ausstiegswillige Personen aus rechtsextremen Szenen. Hier deutet sich bereits an, wie breit das Spektrum an Zielgruppen für solche Angebote ist: Es reicht von allgemeinen Bildungsangeboten für alle Jugendlichen über (meist eher sozialpädagogisch ausgerichtete) Maßnahmen, die sich an einstiegsgefährdete Jugendliche richten, bis hin zur sozialarbeiterischen Einzelfallarbeit mit Ausstiegswilligen. Die Gegenstände, denen Evaluation gerecht werden muss, sind vielfältig. Entsprechend vielfältig sind folglich Evaluationen in diesem Feld.
Was ist Evaluation?
Unter einer Evaluation wird allgemein verstanden, dass ein Gegenstand (also bestimmte Angebote, Projekte oder ganze Programme) systematisch, transparent und auf Daten gestützt beschrieben und ausgewogen bewertet werden. Die Ziele können dabei ganz unterschiedlich sein. Eine Evaluation kann beispielsweise dazu dienen, Rechenschaft abzulegen, Entscheidungen herbeizuführen oder den untersuchten Gegenstand weiterzuentwickeln und zu verbessern (vgl. Univation 2015).
Welche Formen von Evaluation existieren?
Die Gestalt einer Evaluation hängt nicht nur vom Gegenstand ab, sondern vor allem von ihrem Ziel und dem Zweck, den sie verfolgt. Evaluationen können grundsätzlich vier verschiedene Funktionen übernehmen: Sie können
Erkenntnisse über Strukturen, Prozesse und Veränderungen sammeln,
Lernprozesse anregen, die der Weiterentwicklung des Untersuchungsbereichs dienen,
Kontrolle ausüben, zum Beispiel mit Blick auf die Zielerreichung, und
die geleistete Arbeit legitimieren, indem Effizienz und Effektivität des Mitteleinsatzes betrachtet werden (vgl. Stockmann/Meyer 2014, S. 171).
Häufig finden sich Kombinationen dieser Funktionen. Je nach Funktion und Gegenstand unterscheiden sich die Fragestellungen von Evaluationen beträchtlich. Klassischerweise wird zwischen formativen und summativen Evaluationen unterschieden: Einer formativen Evaluation geht es beispielsweise darum, eine Maßnahme während der Umsetzung zu begleiten, diese zu verbessern und weiterzuentwickeln. Eine summative Evaluation stellt hingegen eine bilanzierende Gesamtbetrachtung nach Abschluss der Maßnahme dar und fragt, ob sich die Erwartungen an diese erfüllt haben und eine Fortsetzung sinnvoll scheint. Wesentlich ist ebenfalls der Fokus der Evaluation. Es macht einen Unterschied, ob im Rahmen einer wirkungsorientierten Evaluation nach Effekten oder Wirkungen bei Zielgruppen gefragt wird oder in einer Prozessevaluation die Frage beantwortet werden soll, welchen Einfluss strukturelle Rahmenbedingungen auf Implementationsprozesse haben. Abhängig von Ziel und Gegenstand kommen für Evaluationen unterschiedliche Evaluationsansätze infrage. In der konkreten Umsetzung sind diese dann jeweils anzupassen, damit die Evaluation die gewünschten Erkenntnisse zur Zielerreichung, zu Wirkungen (auch nicht intendierten) oder zur Nachhaltigkeit liefern kann.
Evaluationen können vielfältige Funktionen erfüllen, indem sie wichtige Erkenntnisse über ihren Gegenstand liefern. Das wiederum kann eine Wissensbasis für weitere Prozesse oder Entscheidungen bieten. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich in den letzten Jahrzehnten die Relevanz von Evaluationen vergrößert hat. Ein Grund ist hierfür sicherlich, dass Evaluationen eine wichtige legitimierende Funktion haben. Diese rührt zum einen daher, dass im Fall externer Evaluation der Gegenstand scheinbar neutral beschrieben und bewertet wird, weil sie nicht von Eigeninteressen der Umsetzenden und Verantwortlichen für die betrachteten Maßnahmen, Projekte oder Programme geleitet sind. Zum anderen sichert eine wissenschaftliche Evaluation immer auch ab, dass der Evaluationsgegenstand vor dem Hintergrund neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse betrachtet und bewertet wird. Darüber hinaus stellen formative Evaluationen, zumindest dem Anspruch nach, eine fortwährende Verbesserung von Maßnahmen und Programmen sicher.
Zum Stellenwert von Evaluationen im Themenfeld „Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus“
Zwar lässt sich generell feststellen, dass Evaluationen eine wichtige Funktion zur Legitimation von Maßnahmen, Projekten und Programmen zukommt. Für Maßnahmen und Angebote im Themenfeld „Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus“ gilt dies jedoch in besonderer Weise, denn ein großer Teil von Maßnahmen und Angeboten wurde und wird staatlich gefördert – beispielsweise in Bundesprogrammen. Diese folgen nicht nur fachlichen, sondern auch politischen Logiken und entsprechend werden sie nicht nur von der Fachöffentlichkeit verfolgt, sondern treffen auf breites, vor allem politisches Interesse. Angesichts dessen verwundert es nicht, dass für diese Programme Evaluationen obligatorisch sind (Dietzel/Troschke 1988).
Im Jahr 2013 hat der Deutsche Bundestag zusätzlich eine eigene Berichtspflicht zu den Bundesprogrammen zur „Extremismusprävention“ beschlossen (BT-Drs. 17/13225, S. 6). In jeder Legislaturperiode ist die jeweilige Bundesregierung dazu verpflichtet, einen Bericht mit Handlungsempfehlungen und einer Analyse der Wirksamkeit der geförderten Programme zu erstellen, in dem Evaluationsergebnisse aus den wissenschaftlich begleiteten Bundesprogrammen berücksichtigt werden. Dieser verpflichtende Charakter verschafft den Evaluationen eine hohe Relevanz. Außerdem sorgt diese Praxis dafür, dass mit Blick auf Programme im Themenfeld wie auch auf einzelne geförderte Angebote im Laufe der Jahre durch Evaluationen reichhaltige Erkenntnisse gewonnen wurden. Diese dienten so unterschiedlichen Zwecken wie der Erfolgskontrolle, der Legitimation, der Weiterentwicklung von Programmen und Fachpraxis sowie der Information von Programmadministration und Öffentlichkeit. Startpunkt der Förderprogramme im Themenfeld „Auseinandersetzung und Prävention von Rechtsextremismus“ war das „Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt“(AgAG), das von 1992 bis 1996 vom Bundesministerium für Frauen und Jugend als Reaktion auf Phänomene massiver rechter (Jugend-)Gewalt aufgelegt wurde. Nach einer fünfjährigen Pause wurden schließlich seit 2001 verschiedene Bundesprogramme gefördert, in denen die Auseinandersetzung mit und Prävention von Rechtsextremismus zentral war: „Jugend für Toleranz und Demokratie“, bestehend aus den Teilprogrammen „Civitas“ und „Entimon “(2001–2006), „Vielfalt tut gut“ (2007–2010), „kompetent. für Demokratie“ (2007–2010), „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ (2011–2014) und schließlich seit 2015 „Demokratie leben!“ (dessen Ende für 2024 vorgesehen ist). Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales legte zudem das Bundesprogramm „XENOS – Leben und Arbeit in Vielfalt“ (2000–2007), „XENOS – Integration und Vielfalt“ (2008–2014) sowie das XENOS-Sonderprogramm „Ausstieg zum Einstieg“ (2009–2014) auf. Seit 2010 existiert das Programm „Zusammenhalt durch Teilhabe“ des Bundesministeriums des Innern.
Zu all diesen Programmen existieren zum Teil umfangreiche Evaluationsberichte, die öffentlich zugänglich sind und in denen die Erkenntnisse dargestellt werden.
Exemplarische Erkenntnisse aus Evaluationen
Evaluationen lieferten und liefern vielfältige Einsichten zu Angeboten und Programmen im Bereich der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus. Allerdings ist nur ein Teil der Evaluationsergebnisse veröffentlicht, nämlich vor allem diejenigen, die sich auf die oben genannten Programme beziehen. Einzelprojektevaluationen, die insbesondere in Form von internen Evaluationen umgesetzt werden (vgl. Koynova et al. 2022, S. 17), halten zwar zumindest für die einzelnen evaluierten Projekte wichtige Erkenntnisse bereit, sind aber nur selten veröffentlicht. In der folgenden Auswahl können sie daher nicht berücksichtigt werden. Hier wird ausschließlich auf veröffentlichte Evaluationsberichte zurückgegriffen. Auf der Programmebene wiesen Evaluationen unter anderem auf diverse fachliche Schwierigkeiten hin und regten damit eine inhaltliche und strukturelle Weiterentwicklung der Programme und, darüber vermittelt, auch der Fachpraxis an. So wurde im Rahmen des AgAG-Programms auf die mangelnde pädagogische Qualifikation der Mitarbeitenden und die damit einhergehenden Professionalitätsdefizite aufmerksam gemacht (vgl. Bohn/Münchmeier 1997, S. 46f.). Auch wurde nachgewiesen, dass es sich bei den jugendlichen Gewalttäter:innen nicht, wie häufig sogar konzeptionell angenommen, hauptsächlich um desintegrierte Jugendliche in prekären Lagen handelte (vgl. Böhnisch et al. 1997, S. 52). Für das aktuelle Bundesprogramm „Demokratie leben!“ wurden Schwierigkeiten beschrieben, Erkenntnisse und Erfahrungen aus Modellprojekten in Regelstrukturen der Kinder- und Jugendhilfe zu transferieren und damit „in die Breite“ zu bringen. Zudem wurde auf Leerstellen in der Zielgruppenerreichung hingewiesen: Jugendliche, die bereits rechtsextreme Orientierungen ausgeprägt haben oder eine Nähe hierzu mitbringen, würden vom Bundesprogramm nicht ausreichend angesprochen (vgl. BMFSFJ 2020, S. 103).
Die Programmevaluationen benannten in der Vergangenheit jedoch nicht nur Herausforderungen und Leerstellen, sondern thematisierten auch Bewährtes. Hierzu zählte etwa die Kombination der komplementären Strategien Förderung und Prävention in den Programmen seit „Vielfalt tut gut“ oder auch die starke Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus (vgl. Jütz et al. 2023, S. 71ff.). Für (Fach-)Politik und Programmverwaltung bieten solche Befunde wertvolle Erkenntnisse, um Programme zu steuern und sicherzustellen, dass Programmziele erreicht werden.
Mit Blick auf einzelne pädagogische Angebote und Projekte trug die Evaluation insbesondere dazu bei, dass Herausforderungen bezüglich des fachlichen Agierens im Spannungsfeld zwischen Prävention und Bildung kritisch reflektiert wurden (Milbradt et al. 2019 ). Im Rahmen der formativen Evaluation wurden zudem Fragen nach der Erreichung spezifischer Zielgruppen und des inhaltlich-methodischen Zuschnitts pädagogischer Ansätze aufgeworfen. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass die Projekte mehrheitlich bildungsaffine Jugendliche erreichten, eigentlich aber primär mit bildungsbenachteiligten Jugendlichen in riskanten Lebenslagen arbeiten wollten. Projekte wurden dazu angeregt und dabei unterstützt, die bestehenden Angebote kritisch zu hinterfragen und durch innovative Elemente die angesprochenen Zielgruppen zu erweitern. Darüber hinaus konnte die Evaluation nachweisen, dass positive gemeinsame Arbeitsbeziehungen zwischen Adressat:innen und Angebotsumsetzenden sowie eine lebensweltliche Anpassung von Inhalten zentral sind, um bei den Zielgruppen Impulse im Sinne der intendierten Wirkungen zu erzeugen (Figlestahler et al. 2019, S. 125).
Fazit und Ausblick
Evaluationen haben im Bereich von Maßnahmen und Programmen, die sich mit Rechtsextremismus auseinandersetzen, einen hohen Stellenwert und werden häufig umgesetzt . Insbesondere über die obligatorischen Evaluationen von Förderprogrammen werden seit langer Zeit Erkenntnisse gewonnen, die zur Legitimation wie auch zur Weiterentwicklung der Fachpraxis beitragen. Evaluationen erfüllen damit vielfältige Funktionen und erweisen sich für unterschiedliche Gruppen von Beteiligten als nützlich. Die ohnehin bereits hohe Relevanz von Evaluation für das Themenfeld dürfte in der Zukunft noch zunehmen, denn von politischer Seite gibt es Bestrebungen, ressortübergreifend ein „Bundesinstitut für Qualitätssicherung in der Extremismusprävention und politischen Bildung“ zu etablieren, in dem Fragen von Evaluationen zentral sein sollen. Vorbereitend wird derzeit das Projekt „Zukunftswerkstätten Evaluation und Qualitätssicherung in der Extremismusprävention, Demokratieförderung und politischen Bildung: Analyse, Monitoring, Dialog (PrEval)“ umgesetzt, in dem fachlichen Fragen der Evaluation nachgegangen wird.
Unabhängig von diesen Entwicklungen lässt sich festhalten, dass eine der Herausforderungen der Evaluation von Angeboten und Programmen im Themenfeld „Rechtsextremismus“ in wachsendem Maße darin bestehen dürfte, sich mit dem Thema „Wirkungen“ auseinanderzusetzen. Wesentlich ist dabei, die teils relativ pauschal von Politik und Fachöffentlichkeit, aber auch von Teilen der (pädagogischen) Praxis an Angebote und Förderprogramme herangetragene Wirkungserwartung, beispielsweise einen substanziellen Rückgang der Verbreitung von Haltungen Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu erzeugen, kritisch zu hinterfragen. Stattdessen sind möglichst gegenstandsangemessene Evaluationsdesigns zu entwickeln, die einerseits die Programmakteure nicht an Zielen messen, die diese gar nicht erfüllen sollen oder können, andererseits die besondere Charakteristik von pädagogischen Prozessen berücksichtigen, also keine mechanistischen Wirkvorstellungen zugrunde legen. Stattdessen ist in Rechnung zu stellen, dass Wirkungen in der pädagogischen Arbeit in Prozessen der Koproduktion entstehen, Fachkräfte also gemeinsam mit den Adressat:innen die Wirkung hervorbringen. Entsprechende Prozesse nachzuvollziehen ist aufwendig und erfordert in jedem Fall eine hinreichende Ressourcenausstattung von Evaluationen.