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Sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung als Menschenrecht

Karsten Schubert

/ 11 Minuten zu lesen

Diskriminierung und Menschenrechtsverletzungen gegenüber LSBTIQ* werden heute in vielen Ländern angeprangert. Gleichzeitig haben Hassverbrechen und die Auseinandersetzungen um die herrschenden Normen von Zweigeschlechtlichkeit und Heterosexualität zugenommen. Was bedeutet das für die Situation von LSBTIQ*?

Parade zum Christopher Street Day Parade am 22. Juni 2024 in München. (© picture alliance / ZUMAPRESS.com | Sachelle Babbar)

Die Menschenrechtslage von Lesben, Schwulen, Bisexuellen, transgeschlechtlichen, intersexuellen und queeren Menschen (LSBTIQ*) hat sich in den letzten Jahren weltweit unterschiedlich entwickelt: Spezifische Fortschritte in vielen einigen Staaten stehen erheblichen Rückschritten in anderen Staaten gegenüber. Dabei haben politische und gesellschaftliche Auseinandersetzungen um LSBTIQ* weltweit zugenommen. Dies kann unter anderem darauf zurückgeführt werden, dass illiberale und rechtspopulistische Kräfte weltweit Machtzuwächse erlangen konnten, auch indem sie Hass und Hetze gegen LSBTIQ* schüren.

Schwule, Lesben und Bisexuelle werden aufgrund ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert

Lesben, Schwule und Bisexuelle (LSB) sind nach wie vor der Diskriminierung aufgrund von sexueller Orientierung ausgesetzt. Sexuelle Orientierung bedeutet "die Fähigkeit eines Menschen, sich emotional und sexuell intensiv zu Personen desselben oder eines anderen Geschlechts oder mehr als einen Geschlechts hingezogen zu fühlen und vertraute und sexuelle Beziehungen mit ihnen zu führen." Eine besonders schwerwiegende Menschenrechtsverletzung aufgrund von sexueller Orientierung ist die Kriminalisierung und Bestrafung von einvernehmlichen homosexuellen Akten, die noch in 63 Staaten besteht. Die kriminalisierenden Staaten befinden sich überwiegend in Afrika, in der arabischen Welt und umfassen vereinzelte muslimisch geprägte Länder in Asien. In neun Staaten, die die Interner Link: islamische Scharia anwenden, können homosexuelle Akte sogar mit dem Tode bestraft werden. In Afrika stammen homofeindliche Gesetze vielfach noch aus der Interner Link: Kolonialzeit - Verschärfungen wie zuletzt inInterner Link: Uganda und Nigeria wurden dennoch damit begründet, dass Homosexualität „westlich“ und „unafrikanisch“ sei. Dazu haben auch christliche Extremisten aus den USA beigetragen, die homofeindliche Kräfte in Afrika stützen. Bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde Homosexualität auch in Westeuropa kriminalisiert – in Interner Link: Deutschland wurde dies erst 1994 vollständig aufgehoben. Heute ist Homosexualität in Europa und Nordamerika vollständig und in Mittel- und Südamerika weitgehend legalisiert.

Insbesondere westeuropäische Staaten haben in den letzten Jahren rechtliche Diskriminierungen abgebaut und versuchen, gegen gesellschaftliche Diskriminierung aktiv anzugehen. So wurde die Ehe in 21 europäischen Staaten für gleichgeschlechtliche Paare geöffnet, zuletzt Anfang 2024 in Griechenland. Diese Liberalisierung war in den 2010er Jahren jedoch umkämpft und musste beispielsweise in Interner Link: Deutschland und Interner Link: Frankreich gegen den Widerstand von rechtpopulistischen Kampagnen gegen die Ehe für alle durchgesetzt werden. Zu beobachten ist, dass diskriminierende Einstellungen vielfach als „moderne Homophobie“ auftreten: Hierbei wird die rechtliche Gleichstellung von LSB unterstützt, solange Homosexualität eine Privatsache bleibt. Die öffentliche Repräsentation von LSB wird gleichzeitig kritisiert (z. B. mittels Aussagen wie „Homosexuelle sollen aufhören, so einen Wirbel um ihre Sexualität zu machen“). Hinzu kommt, dass die Kriminalität gegen LSB in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen hat: Die Zahl der polizeilich erfassten Straftaten gegen die sexuelle Orientierung hat sich allein seit 2017 verdreifacht.

Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und queere Menschen werden aufgrund ihrer Geschlechtsidentität diskriminiert

Transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und queere* Menschen (TIQ*) sind einer Reihe von Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, die ihre Geschlechtsidentität betreffen. Hierzu zählen auch Menschen mit nicht-binären Geschlechtsidentitäten, die sich außerhalb der zweigeteilten Geschlechterordnung von „männlich“ und „weiblich“ verorten. Es ist wichtig, zwischen sexueller Orientierung und Geschlechtsidentität zu unterscheiden. Geschlechtsidentität ist "das tief empfundene innere und persönliche Gefühl der Zugehörigkeit zu einem Geschlecht (gender), das mit dem Geschlecht (sex), das die betroffenen Menschen seit ihrer Geburt haben, übereinstimmt oder nicht übereinstimmt. Dies schließt die Wahrnehmung des eigenen Körpers mit ein, darunter auch die freiwillige Veränderung des äußeren körperlichen Erscheinungsbildes oder der Funktionen des Körpers durch medizinische, chirurgische oder andere Eingriffe sowie andere Ausdrucksformen des Geschlechts (gender), z. B. durch Kleidung, Sprache und Verhaltensweisen." Geschlechtsidentität bezieht sich also nicht darauf, wen man begehrt, sondern was für ein Geschlecht man selber hat - und das kann jenseits der beiden Pole männlich und weiblich liegen.

Geschlechtszuweisung bei Inter*-Personen durch medizinische Eingriffe

Intergeschlechtliche Menschen (Inter*) werden mit körperlichen Merkmalen geboren, die medizinisch als „geschlechtlich uneindeutig“ gelten. Wegen der Norm der Zweigeschlechtlichkeit wird Inter*-Kindern bei der Geburt häufig entweder das weibliche oder männliche Geschlecht zugewiesen und ihr Körper operativ daran angepasst. Diese medizinisch-kosmetischen Eingriffe sind irreversibel und werden oft vorgenommen, ohne dass sie für das intergeschlechtliche Kind gesundheitlich notwendig sind und obwohl sie gesundheitsschädlich und sensibilitätseinschränkend sein können. Viele Inter*-Personen leiden an den Folgen der vorgenommenen kosmetischen Eingriffe. Inter*-Verbände lehnen deshalb alle Eingriffe ab, die nicht aus ernsten gesundheitlichen Gründen erfolgen oder auf der informierten Einwilligung der Patient_innen beruhen. Dafür ist es aber notwendig, dass sie erst in einem Alter geschehen, in dem Patient_innen überhaupt informiert einwilligen können.

TIQ* werden vielfach diskriminiert, wenn sie nicht in die geltenden Normen von Männlichkeit und Weiblichkeit passen. Weltweit werden sie häufig Opfer von gewaltvollen Hassverbrechen. Viele TIQ* wollen ihren Vornamen und Personenstand, ihren Körper oder beides an ihre Geschlechtsidentität anpassen. Doch dabei stoßen sie in den meisten Staaten auf große Probleme. In nur 18 Ländern gibt es eine offiziell nicht-binäre Geschlechtsdefinition. Eine Änderung des Personenstands ist in vielen Staaten nur möglich, wenn vorher der Körper an das männliche oder weibliche Ideal angepasst wurde. In Deutschland war es nach dem Interner Link: Transsexuellengesetz von 1981 eine Voraussetzung, eine bestehende Ehe zu scheiden und sich sterilisieren zu lassen, bis das Bundesverfassungsgericht diese Regelungen für verfassungswidrig erklärte – in vielen nicht-westlichen Ländern gibt es noch ähnliche Regelungen. Kosten für geschlechtsangleichende Maßnahmen werden in vielen Ländern zudem nicht oder nur unzureichend vom Gesundheitssystem getragen. Darüber hinaus müssen TIQ* oft entwürdigende psychologische Untersuchungen über sich ergehen lassen, um den Personenstand zu ändern. Diese als menschenrechtswidrig kritisierte Praxis wurde in Deutschland mit dem im April 2024 verabschiedeten Selbstbestimmungsgesetz beendet. Zukünftig ist die Änderung des Geschlechtseintrags und des Vornamens und Personenstands beim Standesamt ohne Gutachten und gerichtliche Entscheidung möglich.

Gesellschaftliche Diskriminierung und Hassverbrechen treffen alle LSBTIQ*

In vielen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens, wie Arbeit, Wohnen, Bildung, Gesundheit, genauso wie im privaten und öffentlichen Raum werden LSBTIQ* zwar nicht mehr kriminalisiert, aber noch immer diskriminiert. Sie sind deshalb vielerorts besonders armutsgefährdet. In Deutschland haben zudem die registrierten Fälle von Hasskriminalität gegen LSBTIQ* in den vergangenen Jahren zugenommen. In Russland und einigen osteuropäischen Staaten hat sich die Lage für LSBTIQ* in letzter Zeit verschärft, da rechtspopulistische bzw. autoritäre Regierungen homofeindliche Hetze verbreiten. So hat Putins Regime LSBTIQ* zum Symbol eines dekadenten westlichen Liberalismus stilisiert, der mit russischer Nationalidentität inkompatibel sei und bekämpft den Einsatz für deren Rechte als „westliche Propaganda“. Insbesondere in Ländern mit solch homofeindlicher Stimmung kommt es häufig zu Gewaltverbrechen gegen LSBTIQ*. In den USA haben sich die Kulturkämpfe um Identitätspolitik mit dem Abdriften der Republikaner in den Trumpismus intensiviert, was auch zu neuer Homo- und Transfeindlichkeit geführt hat. In einigen republikanisch regierten Bundesstaaten werden schon erreichte Liberalisierungen rückgebaut und Grundfreiheiten eingeschränkt: So verbietet beispielsweise Texas Schulbücher, die die Lebenswelten von LSBTIQ* darstellen. In entsprechenden Regionen haben sich Hassverbrechen gegen LSBTIQ* vervierfacht.

Von Homofeindlichkeit zu Transfeindlichkeit

In westlichen Ländern hat sich der Fokus der gesellschaftlichen Auseinandersetzung um LSBTIQ* in den letzten zehn Jahren insgesamt verschoben. Die Rechte für LSB werden weitgehend anerkannt; stark umkämpft sind nun die Rechte für TIQ*. So gingen der Verabschiedung des Selbstbestimmungsgesetzes in Deutschland kontroverse Debatten darüber voraus, wie Geschlechtlichkeit überhaupt zu verstehen sei und ob die Möglichkeit eines einfachen Personenstandswechsels negative Auswirkungen haben könne, beispielsweise auf Frauenschutzräume oder sportliche Wettkämpfe. Den Wunsch von TIQ*, ihrer Geschlechtsidentität entsprechend zu leben, wird insbesondere von Rechtspopulisten und einer trans*ausschließenden Strömung von Feministinnen, die Trans*-Frauen ihre geschlechtliche Identität absprechen, als gegen die Natur gerichteter “Gender-Wahnsinn” bzw. “-Ideologie” diffamiert. Die erhöhte Sichtbarkeit von TIQ*, die durch den langsamen Abbau von Diskriminierungen erreicht wird, interpretieren diese transfeindlichen Stimmen als eine Mode, die für Kinder und Jugendliche gefährlich sei. Der Schutz von Kindern vor angeblich widernatürlicher Sexualität war noch vor kurzer Zeit ein zentrales Thema einer gegen Schwule gerichteten „moralischen Panik“, mit der ein konservativ-heteronormatives Weltbild verteidigt wurde.

Was ist Heteronormativität?

Heteronormativität ist die Vorstellung, dass die Gesellschaft 'natürlicherweise' aufgeteilt sei in Männer und Frauen, die sich gegenseitig begehren und dass Abweichungen davon 'unnatürlich' oder 'pervers' seien.

LSB sind durch die Liberalisierung nun weitgehend in die anerkannte „Normalität“ vorgerückt, vorausgesetzt, dass sie sich heteronormativen Maßstäben entsprechend verhalten, also beispielsweise heiraten. Die Grenze zwischen Heteronormativität und Abweichung hat sich aber dadurch nicht aufgelöst, sondern nur verschoben. Die „moralische Panik" bezüglich der Weiterentwicklung traditioneller Normen hat in der Debatte um die Gefährdung von Kindern und Jugendlichen durch Transgeschlechtlichkeit als „Trend“ und die vermeintliche Bedrohung von Frauenschutzräumen wie etwa Frauenhäuser (die durch Frauenverbände wiederholt zurückgewiesen wurde) durch Trans*-Frauen neue Objekte gefunden.

Illiberalismus und Zerfall des globalen Konstitutionalismus

Lange Zeit hatte das internationale Menschenrechtsregime zu diesen Menschenrechtsverletzungen geschwiegen, doch es gab eine Periode des Fortschritts von Mitte der 2000er bis zur Mitte der 2010er Jahre. Meilensteine waren die Vorstellung der "Yogyarkarta-Prinzipien zur Anwendung der Menschenrechte in Bezug auf die sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität" 2007 und die Resolution 17/19 "Menschenrechte, sexuelle Orientierung und Geschlechteridentität" des Menschenrechtsrats 2011. Mit dieser Resolution haben die Interner Link: Vereinten Nationen die Menschenrechtsverletzungen an LSBTIQ* zum ersten Mal offiziell anerkannt. Diese Anerkennung von LSBTIQ* als schützenswerte Gruppe ist wichtig, weil damit die vorhandenen internationalen und nationalen Menschenrechtsinstrumente effizienter zu ihrem Schutz eingesetzt werden können. Auf diese Resolution können sich die vielfältigen Organisationen, Gerichte und auch NGOs im Menschenrechtsregime berufen. Die wichtigsten internationalen Menschenrechtsinstrumente, die mittlerweile auch beim Schutz von LSBTIQ* helfen, sind der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte (IPbpR), der Internationale Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR), die Konvention zur Beseitigung jeglicher Diskriminierung der Frau (CEDAW), die Anti-Folter-Konvention (CAT) und die Kinderrechtskonvention (CRC).

Dieser Fortschritt im Menschenrechtsregime kann rückblickend als letzte Phase des globalen Interner Link: Konstitutionalismus betrachtet werden, der sich durch ein Bekenntnis vieler Staaten zu Demokratie und Menschenrechten, einer entsprechenden Achtung völkerrechtlicher Normen und einer relativ starken Stellung der Vereinten Nationen auszeichnete. Das weltweite Erstarken von autoritären und illiberalen Kräften hat dazu geführt, dass einerseits in vielen Staaten schon errungene Rechte wieder abgebaut werden und andererseits die Wirkmächtigkeit des internationalen Menschenrechtsregimes abnimmt. Denn dieses beruht darauf, dass sich genügend Staaten diesen Normen ernsthaft verpflichten. Westliche Staaten sind oftmals Treiber des internationalen Menschenrechtsschutz von LSBTIQ*. Doch der Westen hat nicht nur an faktischer Autorität durch die neue geopolitische Multipolarität eingebüßt, sondern auch an normativer. Denn insbesondere aus der Sicht von Ländern des globalen Südens verhält er sich in vielen Fällen selbst entgegen völkerrechtlichen Prinzipen, etwa beim Interner Link: Umgang mit den Folgen des Kolonialismus und den Interner Link: Auswirkungen des Klimawandels oder der kontinuierlichen militärischen und diplomatischen Unterstützung Israels. Zudem darf der Einsatz für LSBTIQ*-Rechte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es auch in den westlichen Staaten erhebliche Probleme gibt. Vor allem sollte vermieden werden, diese Rechte zu instrumentalisieren, um damit antimuslimische Ressentiments zu schüren und 'den Westen' als anderen Kulturen überlegen zu präsentieren – denn dies trägt zu Rassismus bei.

Globaler Anti-Genderismus

Geschlechtsidentität und sexuelle Orientierung sind Gegenstand kontroverser gesellschaftlicher Debatten. Entsprechend nehmen auch die Unterschiede im Hinblick auf die Menschenrechtslage für LSBTIQ* zwischen Staaten zu. Bemerkenswert global ist allerdings die Verbreitung von LSBTIQ*-Feindlichkeit in unterschiedlichen Staaten. Die heutige Homo- und insbesondere Trans*-Feindlichkeit wird durch eine international vernetzte Bewegung vorangetrieben, die in der Wissenschaft als „Anti-Genderismus“ bezeichnet wird. Mit diesem Analysebegriff werden die ideologischen Gemeinsamkeiten und Vernetzungen derjenigen beschrieben, die geschlechtliche sowie sexuelle Selbstbestimmung ablehnen und gegen die Anerkennung von LSBTIQ* mobilisieren.

Der Begriff gender bezeichnet das soziale Geschlecht im Gegensatz zum biologischen (sex). Der gender-Begriff drückt aus, dass die Weiterentwicklung von gender-Vorstellungen möglich und auch nötig ist, wenn sie unterdrückende Wirkung haben. Deshalb wird gender insbesondere im Feminismus als Ausgangpunkt geschlechtlicher Selbstbestimmung betrachtet - was nicht bedeutet, die biologische Dimension (sex) zu leugnen oder dass über die soziale Dimension des Geschlechts in der Wissenschaft nicht kontrovers diskutiert würde. Im Anti-Genderismus wird hingegen die Auffassung vertreten, dass Geschlecht und Sexualität in erster Linie natürlich bzw. biologisch und nicht sozial bestimmt seien. Er richtet sich pauschalisierend gegen die Anerkennung von LSBTIQ* und ist bestrebt, heteronormative Zweigeschlechtlichkeit gesellschaftlich durchzusetzen und einzelnen aufzudrängen. Diese vom Anti-Genderismus als natürlich propagierten Eigenschaften sind insbesondere aus Sicht des Feminismus aber keineswegs natürlich, sondern entsprechen einer bestimmten Vorstellung von Geschlecht, die dazu dient, traditionelle Geschlechterrollen aufrecht zu erhalten.

Der Anti-Genderismus speist sich vor allem aus einer Allianz christlicher Fundamentalisten und rechtspopulistischer bzw. autoritärer Kräfte und ist von Nord- und Südamerika, Afrika, Europa bis nach Russland verbreitet. Anti-Genderismus ist dabei ein Bindeglied verschiedener illiberaler Strömungen, die darüber politische Allianzen bilden können. Deshalb ist Anti-Genderismus nicht nur für LSBTIQ* und Frauen gefährlich; er ist wegen der vereinigenden Wirkung ein zentraler Faktor für das Erstarken des Illiberalismus und Rechtspopulismus. So in den Mittelpunkt rechter Agitation gerückt ist der Einsatz für die Menschenrechte von LSBTIQ* dringender geworden – nicht nur ihretwillen, sondern auch zum Schutz der Demokratie.

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Dr. Karsten Schubert ist Associate Fellow am Lehrbereich Politische Theorie der Humboldt-Universität zu Berlin. Externer Link: www.karstenschubert.net