Die Kinderrechte sind eine wichtige Errungenschaft der (Welt-)Gesellschaft. Bis zur Verabschiedung des Externer Link: Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes (VN-Kinderrechtskonvention, VN-KRK) im Jahr 1989 war die Vorstellung, dass Kinder eigene Rechte haben, höchst umstritten. Heute zählt die UN-Kinderechtskonvention 196 Vertragsstaaten – mehr als jeder andere Menschenrechtsvertrag. Mit der Anerkennung der Kinderrechte hat sich die Sicht auf Kinder und ihre Stellung in der Gesellschaft grundlegend verändert. Ungerechtigkeiten gegen Kinder können nun wirkungsvoller angeprangert und mit rechtsstaatlichen Mitteln bekämpft werden.
Jede dokumentierte Verletzung der Kinderrechte zeigt weltweite Missstände auf, wie Kinder brutal misshandelt, tausendfach übergangen und Entwicklungschancen beraubt werden. In den letzten dreißig Jahren hat sich die Zahl der Kinder, die in Konfliktgebieten leben, mehr als verdoppelt und liegt nun bei 468 Millionen – also eines von sechs Kindern. Die Interner Link: Vereinten Nationen berichten von einer dramatischen Zunahme von schweren Kinderrechtsverletzungen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Ende 2023 waren weltweit rund 47 Millionen Kinder auf der Flucht vor Konflikten, Verfolgung, Gewalt und anderen Menschenrechtsbedrohungen. Jede achte Frau ist als Minderjährige Interner Link: von sexueller Gewalt betroffen. Eine Milliarde Kinder sind heute durch Interner Link: die Auswirkungen der Klimakrise extrem gefährdet.
Kinderrechte als Standpunkt
Unter Kinderrechten werden im Allgemeinen elementare Rechtsansprüche des Kindes verstanden, wie sie beispielsweise in der VN-Kinderrechtskonvention festgelegt sind. In einem weiter gefassten Konzept können sie allerdings als eine Art Brille fungieren, durch die Lebensbedingungen von Kindern betrachtet werden. Als solche beziehen sie sich auf soziales Handeln (z.B. Ausübung von Gewalt gegen Kinder) und werden zu dessen Gegenstand (z.B. durch das Eingreifen des Jugendamts bei Kindeswohlgefährdung). Rechtliche Ansätze (z.B. das gesetzliche Gewaltverbot in der Erziehung) sind ein wichtiger Bestandteil des Kinderrechtsschutzes (z.B. dem Recht auf gewaltfreie Erziehung), aber sie führen nicht immer zu einer Verbesserung der vorgefundenen Situation (z.B., weil Gewalt als gesellschaftlich toleriertes Mittel der Erziehung gilt). Wie Kinderrechte am besten zu verstehen und umzusetzen sind, hängt stark vom sozialen, politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Umfeld ab, in dem Kinder aufwachsen.
Kinderrechte haben bereits als Forderung in der Gesellschaft existiert, bevor sie rechtlich anerkannt waren. Soziologen betonen, dass der Ursprung aller Menschenrechte in konkretem Widerstand gegen Unterdrückung und Machtmissbrauch liegt. Soziale Bewegungen spielen in solchen Kämpfen für Gerechtigkeit eine wichtige Rolle, indem sie menschenrechtliche Ansprüche zum Ausdruck bringen. Die internationale Kinderrechtsbewegung steht für einen langen Kampf um die Anerkennung von Kindern als Träger eigener Rechte. Gesellschaftliche Veränderungen bringen laufend neue Herausforderungen hervor, die kinderrechtliche Fragen aufwerfen. So dreht sich ein Teil der gegenwärtigen Diskussion darum, wie allen Kindern ein sicherer Zugang zu digitalen Räumen ermöglicht werden kann.
Ob und wie kinderrechtliche Ansprüche rechtlich anerkannt und umgesetzt werden, hängt von politischen Entscheidungsprozessen ab, an denen Gruppen mit unterschiedlichen Interessen und Einflussmöglichkeiten beteiligt sind. In Deutschland wird zum Beispiel seit Jahren über die Verankerung der Kinderrechte Interner Link: im Grundgesetz diskutiert. Entsprechende Pläne sind bisher daran gescheitert, dass die parlamentarischen Parteien keinen Konsens über eine geeignete Formulierung für eine Grundgesetzänderung erzielen konnten. Dies liegt unter anderem an unterschiedlichen Auffassungen zum Umfang von Beteiligungsrechten, zum „Vorrang“ des Kindeswohls gegenüber anderen gesellschaftlichen Interessen und zum Verhältnis von Kinder- und Elternrechten.
Als übergreifende Idee pendeln Kinderrechte ständig zwischen allgemein gültigen Regeln (z.B. der VN-KRK) einerseits und den spezifischen Bedingungen des Aufwachsens von Kindern und den damit verbundenen Gerechtigkeitsvorstellungen andererseits. Aus einer Perspektive „von oben“ geht es darum, die anerkannten Kinderrechte auf nationaler und lokaler Ebene und in verschiedenen Lebensbereichen in die Praxis umzusetzen. Dies ist jedoch keineswegs als ein passiver Prozess zu verstehen, bei dem etwa staatliche Behörden, Schulen, Vereine, Eltern, Kinder und Jugendliche kinderrechtliche Vorgaben einfach übernehmen und anwenden. Denn die handelnden Personen interpretieren die Kinderrechte, machen sie sich zu eigen, gestalten sie um, verfälschen sie manchmal auch oder lehnen sie ab. Umgekehrt liefern lokale Ereignisse immer wieder Anstöße für die Weiterentwicklung der Kinderrechte „von unten“.
Unabhängig davon, wie Kinderrechte konkret ausgestaltet werden, sollten sie immer ihren kritischen und auf die Veränderung sozialer Verhältnisse ausgerichteten Kern bewahren. Mit anderen Worten: Im besten Fall tragen Kinderrechte dazu bei, strukturelles Unrecht gegenüber Kindern aufzudecken und ihnen „Mittel der Überwindung von Benachteiligung und Verletzlichkeit“ an die Hand zu geben.
Die VN-Kinderrechtskonvention
Die vertragliche oder gesetzliche Verankerung der Menschenrechte ist eine wichtige Voraussetzung für ihre Anerkennung und Verwirklichung. Kinderrechte sind in zahlreichen Menschenrechtsverträgen und anderen Abkommen der Vereinten Nationen und anderer Staatenbündnisse (z.B. Interner Link: der EU, Interner Link: Afrikanischen Union), nationalen Verfassungen und Gesetzen enthalten. Der wichtigste Kinderrechtskatalog ist das Übereinkommen über die Rechte des Kindes der Vereinten Nationen. Die darin zusammengefassten Rechte können im Grunde allgemeine Gültigkeit beanspruchen. Die USA sind der einzige UN-Mitgliedsstaat, der dem Übereinkommen nicht beigetreten ist. In Deutschland ist die VN-KRK im Jahr 1992 in Kraft getreten.
Artikel 1-8Übereinkommen über die Rechte des Kindes
Artikel 1 – Geltung für das Kind; Begriffsbestimmung
Im Sinne dieses Übereinkommens ist ein Kind jeder Mensch, der das achtzehnte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, soweit die Volljährigkeit nach dem auf das Kind anzuwendenden Recht nicht früher eintritt.
Artikel 2 – Achtung der Kindesrechte; Diskriminierungsverbot
Die Vertragsstaaten achten die in diesem Übereinkommen festgelegten Rechte und gewährleisten sie jedem ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Kind ohne jede Diskriminierung unabhängig von der Rasse, der Hautfarbe, dem Geschlecht, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen, ethnischen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, einer Behinderung, der Geburt oder des sonstigen Status des Kindes, seiner Eltern oder seines Vormunds.
Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Maßnahmen, um sicherzustellen, dass das Kind vor allen Formen der Diskriminierung oder Bestrafung wegen des Status, der Tätigkeiten, der Meinungsäußerungen oder der Weltanschauung seiner Eltern, seines Vormunds oder seiner Familienangehörigen geschützt wird.
Artikel 3 – Wohl des Kindes
Bei allen Maßnahmen, die Kinder betreffen, gleichviel ob sie von öffentlichen oder privaten Einrichtungen der sozialen Fürsorge, Gerichten, Verwaltungsbehörden oder Gesetzgebungsorganen getroffen werden, ist das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist.
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, dem Kind unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten seiner Eltern, seines Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen den Schutz und die Fürsorge zu gewährleisten, die zu seinem Wohlergehen notwendig sind; zu diesem Zweck treffen sie alle geeigneten Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen.
Die Vertragsstaaten stellen sicher, dass die für die Fürsorge für das Kind oder dessen Schutz verantwortlichen Institutionen, Dienste und Einrichtungen den von den zuständigen Behörden festgelegten Normen entsprechen, insbesondere im Bereich der Sicherheit und der Gesundheit sowie hinsichtlich der Zahl und der fachlichen Eignung des Personals und des Bestehens einer ausreichenden Aufsicht.
Artikel 4 – Verwirklichung der Kindesrechte
Die Vertragsstaaten treffen alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs- und sonstigen Maßnahmen zur Verwirklichung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte. Hinsichtlich der wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte treffen die Vertragsstaaten derartige Maßnahmen unter Ausschöpfung ihrer verfügbaren Mittel und erforderlichenfalls im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit.
Artikel 5 – Respektierung des Elternrechts Die Vertragsstaaten achten die Aufgaben, Rechte und Pflichten der Eltern oder gegebenenfalls, soweit nach Ortsbrauch vorgesehen, der Mitglieder der weiteren Familie oder der Gemeinschaft; des Vormunds oder anderer für das Kind gesetzlich verantwortlicher Personen, das Kind bei der Ausübung der in diesem Übereinkommen anerkannten Rechte in einer seiner Entwicklung entsprechenden Weise angemessen zu leiten und zu führen.
Artikel 6 – Recht auf Leben
Die Vertragsstaaten erkennen an, dass jedes Kind ein angeborenes Recht auf Leben hat.
Die Vertragsstaaten gewährleisten in größtmöglichem Umfang das Überleben und die Entwicklung des Kindes.
Artikel 7 – Geburtsregister, Name, Staatsangehörigkeit
Das Kind ist unverzüglich nach seiner Geburt in ein Register einzutragen und hat das Recht auf einen Namen von Geburt an, das Recht, eine Staatsangehörigkeit zu erwerben, und soweit möglich das Recht, seine Eltern zu kennen und von ihnen betreut zu werden.
Die Vertragsstaaten stellen die Verwirklichung dieser Rechte im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Recht und mit ihren Verpflichtungen aufgrund der einschlägigen internationalen Übereinkünfte in diesem Bereich sicher, insbesondere für den Fall, dass das Kind sonst staatenlos wäre.
Artikel 8 – Identität
Die Vertragsstaaten verpflichten sich, das Recht des Kindes zu achten, seine Identität, einschließlich seiner Staatsangehörigkeit, seines Namens und seiner gesetzlich anerkannten Familienbeziehungen, ohne rechtswidrige Eingriffe. zu behalten.
Werden einem Kind widerrechtlich einige oder alle Bestandteile seiner Identität genommen, so gewähren die Vertragsstaaten ihm angemessenen Beistand und Schutz mit dem Ziel, seine Identität so schnell wie möglich wiederherzustellen.
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Quelle: Externer Link: Übereinkommen über die Rechte des Kindes
Die VN-Kinderrechtskonvention verfolgt einen ähnlichen Zweck wie andere Menschenrechtsverträge, die zum Schutz von diskriminierten Bevölkerungsgruppen (z.B. Frauen) verfasst wurden. Sie macht die Menschenrechte als Rechte der Kinder sichtbar, fördert ihre Gleichberechtigung und Selbstbestimmung sowie den Respekt vor ihren Ansichten. Das Recht auf Mitsprache (Artikel 12) symbolisiert den Anspruch des Übereinkommens wie kein anderes Kinderrecht. Die VN-Kinderrechtskonvention hat aber noch eine weitere wichtige Funktion. Sie konkretisiert die Menschenrechte in einer Weise, die den Voraussetzungen von Kindern, d.h. ihren Abhängigkeiten, ihrem Schutz- und Förderbedarf, aber auch ihren sich entwickelnden Fähigkeiten entspricht. Ein Beispiel hierfür ist das Recht auf Leben (Artikel 6). Es verpflichtet die Vertragsstaaten dazu, das Leben von Kindern zu schützen (als Menschenrecht) und Lebensbedingungen zu schaffen, die ihr Überleben und ihre Entwicklung so weit wie möglich sichern (als Kinderrecht).
Die VN-KRK enthält keine Liste wünschenswerter Ziele, sondern gibt Mindeststandards für ein Leben in Würde vor, die nicht unterschritten werden dürfen. Es kommt vor, dass die Einhaltung der Kinderrechte mit anderen Gerechtigkeitsvorstellungen oder Tugenden wie Wohltätigkeit verwechselt wird. Der Kinderrechtsansatz zeichnet sich dadurch aus, dass er Kinder als Träger von Rechten begreift. Wenn ein Kind Rechte beanspruchen kann (z.B. das auf Spiel, Artikel 31), dann ist es nicht von dem guten Willen oder der Güte anderer abhängig. Kinderrechte schließen nicht aus, dass Kinder auch Pflichten haben, aber ihre Rechte gelten unabhängig davon, ob sie diese Pflichten erfüllen oder nicht. Die in der VN-Kinderrechtskonvention enthaltenen Rechte können in verschiedene Gruppen eingeteilt werden, was das Verständnis der Kinderrechte als Ganzes erleichtert. Eine sehr verbreitete Unterscheidung ist die zwischen Schutz-, Förder- und Beteiligungsrechten. Damit sollen Schlüsselaspekte der Kinderrechte betont werden, die bei ihrer Umsetzung eine wichtige Rolle spielen. Zu den Schutzrechten wird zum Beispiel das Verbot von ausbeuterischer Kinderarbeit (Artikel 32) gezählt. Ein Beispiel für ein Beteiligungsrecht ist das Recht auf Versammlungsfreiheit (Artikel 15). Bildung ist ein Förderrecht (Artikel 28). Allerdings lassen sich viele Kinderrechte nicht eindeutig der einen oder anderen Kategorie zuordnen. Ein Beispiel ist das das Recht auf Gesundheit (Artikel 24), das neben der Gesundheitsversorgung auch den Schutz vor Gesundheitsrisiken und die Einwilligung in medizinische Behandlungen umfasst. In der Diskussion über die allgemeinen Menschenrechte wird gewöhnlich zwischen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten einerseits und bürgerlichen und politischen Rechten andererseits unterschieden. Erstere (z.B. das Recht auf Wasser) zielen auf die Befriedigung der materiellen und kulturellen Grundbedürfnisse ab. Letztere schützen die persönliche Freiheit (z.B. die Religionsfreiheit) und ermöglichen gleichzeitig die gesellschaftliche und politische Teilhabe (z.B. die Meinungsfreiheit). Die VN-KRK enthält sowohl wirtschaftliche, soziale und kulturelle als auch bürgerliche und politische Rechte. Kinderrechte existieren nicht für sich, sondern müssen mit den Rechten anderer Menschen (z.B. Eltern) und wichtigen gesellschaftlichen Zielen (z.B. öffentliche Sicherheit) in Einklang gebracht werden. Dabei kann es zu einer Abwägung widerstreitender Interessen kommen. In solchen Fällen muss gemäß Artikel 3 der VN-KRK das Kindeswohl erkennbar als ein „vorrangiger“ Gesichtspunkt behandelt werden.
Kritische Diskussion von Kinderrechten
Eine gängige Kritik an den Kinderrechten lautet, dass sie den Familienzusammenhalt und die Eltern-Kind-Beziehung schädigen würden. Dies ist insofern problematisch, als die VN-Kinderrechtskonvention der Familie und insbesondere den Eltern eine zentrale Rolle bei der Umsetzung der Kinderrechte zuweist. Eltern sind primär für die Erziehung, Entwicklung und Fürsorge ihrer Kinder zuständig und sollen sie bei der Ausübung ihrer Rechte anleiten (u.a. Artikel 5, 18 und 27). Dabei sind jedoch zwei Regeln zu beachten: Erstens können Kinder mit zunehmender Reife selbständiger Entscheidungen treffen und zweitens muss die elterliche Verantwortung im Sinne der Kinderrechte ausgeübt werden. Die Anwendung von Gewalt zu Erziehungszwecken ist zum Beispiel nicht mit der VN-KRK vereinbar.
Kinderrechte werfen Interessenskonflikte sowie Macht- und Verteilungsfragen auf. Auf einige der daraus resultierenden Kritiken gibt die VN-Kinderrechtkonvention differenzierte Antworten: Zum Beispiel werden Beteiligungsrechte oftmals abgelehnt, weil Kindern die Fähigkeit abgesprochen wird, sich eigene Meinungen bilden zu können. Dabei wird außer Acht gelassen, dass die VN-KRK Beteiligung an bestimmte Voraussetzungen knüpft (Alter, Reife, Anleitung) und sie als Teil des Entwicklungsprozesses von Kindern und der Vorbereitung auf ein verantwortungsbewusstes Leben begreift (Artikel 29). Kinderrechte werden auch als Versuch gesehen, westliche Vorstellungen einer guten Kindheit auf kulturell anders geprägte Gesellschaften zu übertragen. Die VN-KRK lässt jedoch ausreichend Spielraum für eine kultursensible Auslegung und Umsetzung. Außerdem enthält sie eine Reihe von Rechten, die kulturelle Vielfalt fördern (z. B. Artikel 30 und 31).
Vom Anspruch zur Wirklichkeit
Ein Recht zu haben setzt voraus, dass jemand anderes eine entsprechende Pflicht hat, es einzulösen. Für die Umsetzung der in der VN-Kinderrechtskonvention enthaltenen Rechte sind die Vertragsstaaten laut Artikel 4 verantwortlich. Jedem Kinderrecht lassen sich drei Arten von Pflichten zuordnen. Aus der Achtungspflicht folgt, dass der Staat (z.B. die Polizei) Kinder und Jugendliche nicht an der Ausübung ihre Rechte hindern darf (z.B. der Versammlungsfreiheit). Aus der Schutzpflicht folgt, dass der Staat Kinderrechte (z.B. das Recht auf Privatsphäre) vor Übergriffen durch Dritte (z.B. Datensammlung durch Technologiekonzerne) schützen muss. Aus der Gewährleistungspflicht folgt, dass der Staat im Rahmen seiner Möglichkeiten alles Notwendige tun muss, um Kinderrechte (z.B. Bildung) umzusetzen (z.B. durch Schulbau). Nicht immer lassen sich Kinderrechte allein durch die Bemühungen des Staates, in dem das Kind lebt, garantieren. Der Klimawandel zum Beispiel kann nur wirksam bekämpft werden, wenn alle Staaten einen Beitrag leisten. Das bedeutet, dass die Staaten zur internationalen Zusammenarbeit verpflichtet sind, um die Kinderrechte zu verwirklichen.
Grundsätzlich können Staaten selbst entscheiden, welche konkreten Schritte sie zur Erfüllung ihrer kinderrechtlichen Verpflichtungen unternehmen, sofern diese geeignet sind, d.h. ihren Zweck erfüllen und mit allen Kinderrechten im Einklang stehen. Es gibt jedoch eine Reihe von allgemeinen Umsetzungsanforderungen, ohne die Kinderrechte nicht wirksam umgesetzt werden können. Dazu gehören eine solide Rechtsgrundlage sowie die Möglichkeit, Kinderrechte gerichtlich durchsetzen zu können. Die Kinderrechte sollten die Gesetzgebung in allen relevanten Politikfeldern beeinflussen, nicht nur in der Familienpolitik. Ein Beispiel dafür ist das 2021 vom deutschen Bundestag verabschiedete Externer Link: „Lieferkettengesetz“, das Wirtschaftsunternehmen dazu verpflichtet, der Kinderarbeit in ihrer Geschäftstätigkeit entgegenzuwirken. Die Umsetzung der Kinderrechte erfordert darüber hinaus institutionelle Strukturen (z.B. Beratungs- und Beschwerdestellen), unabhängige Überwachungsmechanismen und Rechenschaftspflichten sowie Sensibilisierungsprogramme für Rechts- und Pflichtenträger. Konzepte, Strategien, Aktionspläne, Programme und Modellprojekte sind ebenfalls Mittel eines strategischen Kinderrechtsansatzes.
Der Schutz der Kinderrechte hängt in hohem Maße vom Handeln des Staates ab und kann nur von ihm rechtlich eingefordert werden. Dabei sind zwei Aspekte zu berücksichtigen. Erstens sind Staaten nicht nur Garanten der Kinderrechte, sondern staatliches Handeln ist oft auch für Kinderrechtsverletzungen verantwortlich. Ein Beispiel ist polizeiliche Gewalt gegen Jugendliche bei der Verbrechensbekämpfung. Zum anderen steht staatliche Kinderrechtspolitik für ein Verständnis der Kinderrechte „von oben“, das meist in feste Strukturen eingebunden ist. Daher ist es sinnvoll, die Umsetzung der Kinderrechte als gesamtgesellschaftliche Aufgabe zu betrachten. Dies bezieht Kinder und Jugendliche ein, aber auch Eltern, freie Träger der Kinder- und Jugendhilfe, Religionsgemeinschaften, Fachkräfte im Gesundheitsbereich oder in Kindertagesstätten, Sportvereine, nichtstaatliche Kinderrechtsorganisationen, Wirtschaftsunternehmen und Medien. Die Zivilgesellschaft kann positive Beiträge zur Verwirklichung der Kinderrechte leisten, indem sie bestimmte Leistungen erbringt und für eine Kultur der Kinderrechte eintritt. Dies ist jedoch keine Selbstverständlichkeit. Auch nichtstaatliche Akteure verletzen Kinderrechte. So werden beispielsweise immer wieder Fälle von Gewalt gegen Kinder in Kirchen und Sportvereinen bekannt. Einerseits muss der Staat hier seiner Schutzpflicht nachkommen, andererseits sollten alle Mitglieder der Gesellschaft die Kinderrechte achten und aktiv gegen Risiken in ihrem Verantwortungsbereich vorgehen. Sportvereine können zum Beispiel Verhaltensrichtlinien einführen und erweiterte Führungszeugnisse einfordern, um Kinder bei ihren Aktivitäten zu schützen.
Eine Bilanz der Kinderrechte
Angesichts der unterschiedlichen und sich ständig verändernden Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen, und der vielen Einflüsse auf ihr Leben muss eine Bilanz der Kinderrechte auf Schlaglichter begrenzt bleiben. Während die anfangs genannten Zahlen Grund zur Ernüchterung bieten, gibt es auch positive Entwicklungen. Ein Beispiel ist die Halbierung der globalen Kindersterblichkeit seit dem Jahr 2000. Dies ist vor allem auf eine bessere Gesundheitsfürsorge zurückzuführen. Die Zahl der Kinder, die unter ausbeuterischen Bedingungen arbeiten, ist zwischen 2000 und 2016 um mehr als die Hälfte zurückgegangen, stieg zuletzt aber wieder leicht an und bleibt insgesamt auf einem hohen Niveau (79 Millionen). Wie man an diesen Beispielen ablesen kann, sind deutliche Fortschritte bei der Verwirklichung von Kinderrechten möglich.
Als gemeinsame Richtschnur für das Handeln der Staaten bleiben sie eine fortschrittliche Agenda, auf die hingearbeitet werden muss und deren Verwirklichung zwangsläufig ein schrittweiser und langwieriger Prozess ist. Das Missverhältnis zwischen Anspruch und Wirklichkeit darf nicht dazu führen, die „realistische Utopie“ der Kinderrechte aufzugeben, sondern erfordert verstärkte Umsetzungsbemühungen durch eine entschlossene Kinderrechtspolitik. Kritik sollte dort ansetzen, wo diese fehlt. Zum Beispiel hat die überwiegende Mehrheit der Kinder, deren Rechte verletzt werden, keinen Zugang zu Beschwerdemöglichkeiten und erhält für erlittenes Unrecht keine Wiedergutmachung. Nach wie vor gibt es gesellschaftliche Kräfte, die Kinderrechte missachten und offen in Frage stellen. Der Konsens über die Kinderrechte, wie er in der VN-Kinderrechtskonvention zum Ausdruck kommt, ist keineswegs gesichert. Für die Kinderrechte muss auch in Zukunft gestritten und gekämpft werden.