Ideengeschichtliche Grundlagen
Der Menschenrechtsschutz, der sich nach 1945 in Europa entwickelt hat, beruht ideengeschichtlich auf der Philosophie der Aufklärung. Insbesondere auf den Theorien von Thomas Hobbes und John Locke über die angeborenen, unveräußerlichen Rechte des Individuums und die notwendige Kontrolle der politischen Gewalt; von Jean-Jacques Rousseau über die Idee der Demokratie und das Prinzip der Gleichheit und von Charles de Montesquieu über die Lehre von der Gewaltenteilung. Sie basieren aber auch auf dem neuzeitlichen Naturrecht, das von fortschrittlichen Denkern wie Christian Thomasius im Kampf gegen Hexenwahn und Folter und dem Gesamtwerk Immanuel Kants geprägt ist. All diese Ideen haben letztlich entscheidend zur Französischen Revolution 1789 und damit zur Überwindung des Absolutismus und in der Folge zur Entwicklung der Grundrechte und des Konstitutionalismus im 19. Jahrhundert beigetragen.
Gleichzeitig setzten auf der anderen Seite des Atlantiks die amerikanischen Gründerväter mit der Unabhängigkeitserklärung 1776 und der Verfassung der Vereinigten Staaten 1787 die Ideen der Aufklärung in die politische Realität um. Ihre Gedanken griff in der Folge auch der politische Liberalismus in Europa auf, dessen Grundrechtsdenken bei John Stuart Mill und Gleichheitsdenken bei Alexis de Tocqueville Ausdruck findet.
Zum Vordenker sozialer Menschenrechte im beginnenden Zeitalter der industriellen Entwicklung und des Kapitalismus wurde vor allem Karl Marx, der sich angesichts des Elends des Proletariats gegen Versklavung und Ausbeutung der Menschen, ihre soziale Not und die Entfremdung ihrer Arbeit wandte. Er und Max Adler schufen so wesentlich die intellektuellen Voraussetzungen für die Revolutionen der Jahre 1917/1918.
Der Menschenrechtsschutz durch den Europarat
Im 20. Jahrhundert hat der mit dem Zweiten Weltkrieg einhergehende Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach 1945 in Europa nicht nur zur Gründung der Europäischen Gemeinschaften, sondern auch des Europarats geführt. Dieser ist eine völkerrechtliche Organisation, die sich in ihrem Statut zum Ziel gesetzt hat, auf der Grundlage von Gerechtigkeit und internationaler Zusammenarbeit den erreichten Frieden in Europa zu festigen. Im Zentrum der Agenda stehen daher von Anfang an die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit und die Weiterentwicklung der Menschenrechte und Grundfreiheiten, die als Antwort auf Unrecht und Willkür und als Grundlage jeder wahrhaftigen Demokratie verstanden werden.
Die Ziele des Europarats betonen damit einen wichtigen Zusammenhang: dass Demokratie (Gleichheit und politische Mitbestimmung aller Menschen), Rechtsstaatlichkeit (Recht als "Spielregel" der Gesellschaft, zu der auch die Trennung der Gewalten in Gesetzgebung, Regierung und Gerichtsbarkeit zählt) und Grund- und Menschenrechte (zentrale bürgerliche/zivile, politische, soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte aller Menschen)
Die Europäische Menschenrechtskonvention 1950
Zum Herzstück des Europarats wurde die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK), die 1950 in Rom unterzeichnet wurde und allen Menschen auf dem Territorium ihrer Mitgliedstaaten
Die Kontrolle erfolgt über Beschwerden, die entweder von Mitgliedstaaten gegen andere Mitgliedstaaten wegen Verletzungen der Konvention oder von Bürgerinnen und Bürgern erhoben werden, die sich in einem konkreten Fall durch Handlungen oder Unterlassungen eines Mitgliedstaats in ihren Konventionsrechten verletzt erachten (nachdem sie alle nationalen Rechtswege ausgeschöpft haben). Während Staatenbeschwerden in der Praxis – von einigen wenigen Fällen abgesehen – bisher kaum eine Rolle gespielt haben, ist das Instrument der "Individualbeschwerde" zu einer Erfolgsstory geworden, weil die Urteile für die betroffenen Staaten nicht nur politisch, sondern auch rechtlich bindend sind und ihre Beachtung vom Ministerrat des Europarats überprüft wird.
Verurteilungen haben oft zur Folge, dass nicht nur im Einzelfall Gerechtigkeit hergestellt wird. Auch die Gesetzgebung des betreffenden Staates muss geändert werden, um weitere Verurteilungen zu vermeiden. Auf diese Art und Weise tragen die Urteile des EGMR zu einer Harmonisierung des Rechts und zu einer Weiterentwicklung des Menschenrechtsschutzes in Europa bei. Die meisten Beschwerden beziehen sich auf Verletzungen des Rechts auf ein faires Verfahren und des Rechts auf persönliche Freiheit, aber auch auf Verletzungen des Folterverbots sowie des Rechts auf Privat- und Familienleben, der Meinungs- und Informationsfreiheit und der Eigentumsfreiheit.
Derzeit kämpft der EGMR mit einer enormen Arbeitsüberlastung, die auf eine ständig steigende Zahl an Beschwerden seit der "Osterweiterung" des Europarats nach dem politischen Wandel 1989/90 zurückzuführen ist
Weitere menschenrechtliche Konventionen und Instrumente des Europarats
Der Europarat hat aber nicht nur mit der EMRK einen Meilenstein gesetzt, sondern auch weitere Konventionen zum Schutz spezieller Menschenrechte geschaffen – etwa die Sozialcharta 1960 (Schutz sozialer Menschenrechte), die Datenschutzkonvention 1981, die Konvention zur Verhütung von Folter 1987, die Charta der Regional- und Minderheitensprachen 1989, die Rahmenkonvention zum Schutz nationaler Minderheiten 1992, das Übereinkommen über Menschenrechte und Biomedizin 1997 (inkl. Verbot des Klonens menschlichen Lebens 1998 und über die Transplantation von Organen und Geweben menschlichen Ursprungs 2002) und das Übereinkommen zur Bekämpfung des Menschenhandels 2005. Jede dieser Konventionen setzt Maßstäbe, keine verfügt aber über so ein effektives Rechtsschutzsystem wie die EMRK. Davon ausgenommen ist nur die Konvention zur Verhütung von Folter, die über ein bislang einzigartiges präventives Überwachungssystem verfügt. Es basiert auf regelmäßigen, aber auch unangekündigten Besuchen eines unabhängigen Ausschusses in den Mitgliedstaaten, bei denen alle Orte aufgesucht und untersucht werden können, an denen Menschen in ihrer persönlichen Freiheit beschränkt sind. Zweck der Besuche ist es, Fälle von Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung aufzudecken und strukturelle Defizite und Missstände abzustellen, die solche Praktiken begünstigen können.
Einen weiteren wichtigen Schritt zur Förderung der Menschenrechte setzte der Europarat mit der Einrichtung eines Menschenrechtskommissars, der die Einhaltung der Menschenrechte in den Mitgliedstaaten überwacht, die entsprechenden Staaten berät und für eine Sensibilisierung der Öffentlichkeit sorgt (aber keine Beschwerden von Einzelpersonen entgegen nimmt).
Der Menschenrechtsschutz durch die Europäische Union und sein Verhältnis zur Europäischen Menschenrechtskonvention
Da die Europäischen Gemeinschaften (EG) anfangs – außer den sogenannten "vier Grundfreiheiten" und einigen anderen Rechten wie dem Diskriminierungsverbot – noch über keinen eigenen Grundrechtekatalog verfügten, entwickelte der Europäische Gerichtshof der EG (EuGH) in Luxemburg eine Rechtsprechung, die sich an den Grundrechtsordnungen der Mitgliedstaaten und vor allem an der EMRK orientierte. Erst mit dem Vertrag von Maastricht 1992 über die Gründung der Europäischen Union (EU) wurde auch die Achtung der Grundrechte ausdrücklich in Artikel 6 des EU-Vertrags garantiert. 1993 legte die EU sodann mit den "Kopenhagener Kriterien" die Erfüllung demokratischer, rechtsstaatlicher, menschenrechtlicher und minderheitenschutzrechtlicher Standards als Beitrittsvoraussetzungen für Kandidatenstaaten fest. Diese wurden zwar nicht näher definiert, aber in jährlichen "Fortschrittsberichten" zur Prüfung der politischen Integrationsreife der Kandidaten herangezogen. Die Festlegung dieser Beitrittskriterien hatte zur Folge, dass die EU die darin geforderten Werte auch im EU-Vertrag festlegte. Mit dem Vertrag von Amsterdam 1997 wurden als Grundwerte der Union "Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit" ebenfalls in Artikel 6 des EU-Vertrags verankert. Zugleich wurde in Artikel 7 ein Überwachungs- und Sanktionsverfahren (Aussetzung von Mitgliederrechten, aber kein Ausschluss aus der EU) für den Fall vorgesehen, dass ein Staat sich schwerwiegender und anhaltender Verletzungen dieser Grundwerte schuldig macht.