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Menschenrechte in Afrika | Menschenrechte | bpb.de

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Menschenrechte in Afrika

Franziska Ulm

/ 7 Minuten zu lesen

Die Bevölkerung Afrikas wird im Kontext gewaltsamer Konflikte, angesichts gravierender Entwicklungsprobleme und Menschenrechtsverletzungen häufig als Gesellschaft von Opfern wahrgenommen. Ein Bild, das trügt? Franziska Ulm über positive und negative Entwicklungen der Menschenrechtssituation in Afrika.

Traumatisierte Frau in einem Flüchtlingslager in Liberia (© AP)

Einleitung

Von der deutschen Öffentlichkeit wird die Bevölkerung Afrikas im Kontext gewaltsamer Konflikte, des Mangels an wirtschaftlichen und sozialen Gütern und angesichts der insgesamt problematischen Menschenrechtssituation in einigen Ländern häufig als Gesellschaft von Opfern wahrgenommen. Auch wenn keine einzelne Menschenrechtsverletzung ausschließlich in Afrika vorkommt, sind es oft die enorme Intensität, Systematik und Häufung von Menschenrechtsverletzungen, die in Afrika besonders frappierend zu sein scheinen. Im Folgenden gilt es, negative aber auch positive Menschenrechtsentwicklungen in Afrika darzustellen.

Kolonialisierung und Unabhängigkeit


Obwohl die Kolonialmächte im Berliner Vertrag von 1885 die Beseitigung des Sklavenhandels und den Schutz afrikanischer Gemeinschaften festlegten, wurden Afrikanern unter der Kolonialherrschaft zahlreiche Rechte, wie z.B. das Recht auf Meinungsfreiheit, angemessenes Wohnen oder auf Bildung weiterhin versagt. Aus dem Unmut über die zunehmende finanzielle Belastung afrikanischer Arbeiter mit Steuern und der politischen sowie sozialen Unterdrückung entstand zunächst ein passiver Widerstand, aus dem sich später vermehrt bewaffnete Aufstände entwickelten. Diese wurden zumeist brutal niedergeschlagen.

Im allgemeinen geistigen Klima der Jahre nach der Verkündung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte nach dem Zweiten Weltkrieg sowie der Schaffung der Vereinten Nationen entstand in Afrika eine breite antikoloniale Bewegung. Diese verknüpfte ihren Kampf um die politische Unabhängigkeit mit der Geltendmachung elementarer menschenrechtlicher Standards. Als erste afrikanische Staaten erlangten Sudan und Ghana 1956 bzw. 1957 die Unabhängigkeit. Namibia war im Jahr 1990 das letzte Land Afrikas, das unabhängig wurde.

Im Jahr 1963 gründeten 30 Staaten die Organisation für Afrikanische Einheit (OAE) mit Sitz in Addis Abeba, Äthiopien. Aus ihr ging im Jahr 2002 die Afrikanische Union (AU) hervor, der alle afrikanischen Staaten bis auf Marokko angehören. Die OAE verstand sich in erster Linie als Organisation zur Förderung der afrikanischen Einheit und vertrat eine strikte Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten der Staaten. Die Verletzung von Menschenrechten durch Regierungen blieb dadurch zumeist folgenlos. Die AU hingegen bekennt sich offen zu den Menschenrechten. So schreibt ihre Gründungsakte sogar das Recht einer militärischen Intervention aus humanitären Gründen fest. Im Jahr 1986 ist die Afrikanische Charta der Menschenrechte und der Rechte der Völker in Kraft getreten. Von allen menschenrechtlichen Verträgen weist sie die größte Mannigfaltigkeit an Rechten auf. Mit 53 Unterzeichnerstaaten ist die Charta das größte regionale Menschenrechtsschutzregime der Welt.

Menschenrechtsverletzungen in Afrika

Die politische Unabhängigkeit vieler afrikanischer Länder brachte nicht zwangsläufig eine Verbesserung der Menschenrechtssituation mit sich. Menschenrechte wurden und werden in Afrika auf unterschiedliche Weise verletzt. Zu den gravierendsten Menschenrechtsverletzungen gehört der Gebrauch sexueller Gewalt als Kriegswaffe. Frauen und Mädchen werden in gewaltsamen Konflikten systematisch vergewaltigt, missbraucht und als Sexsklavinnen verschleppt. Dies geschieht häufig vor den Augen ihrer Ehemänner und Familien, um Familien sowie Gemeinschaften zu zerstören und Menschen von ihrem Land zu vertreiben. Missbrauchte Frauen gelten in der Gemeinschaft als Schande, sie werden ausgeschlossen und von ihren Männern meist verstoßen. So waren während des Völkermordes in Ruanda rund 250.000 Frauen und Mädchen Opfer von Vergewaltigung.

Eine weitere, äußerst schmerzhafte Menschenrechtsverletzung, die ebenfalls Frauen und Mädchen betrifft, ist die Verstümmelung weiblicher Genitalien. Genitalverstümmelung ist eng mit regionalen Traditionen und Kulturen verbunden, die den Mittelpunkt des spirituellen Lebens bilden. Verweigert sich eine Frau der Beschneidung, droht ihr und ihrer Familie gesellschaftliche Ächtung. In den meisten afrikanischen Ländern ist Genitalverstümmelung inzwischen gesetzlich verboten. Dennoch sind beispielsweise in Guinea und Nordsudan über 90 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 49 Jahren beschnitten. Die Durchsetzung eines Verbotes von Genitalverstümmelung ist vor allem in ländlichen Gegenden schwierig. Zufluchtsmöglichkeiten wie Frauenhäuser oder Schutzzentren, therapeutische Behandlung und Reintegrationsmaßnahmen für geflüchtete Frauen sind kaum vorhanden.

In Afrika weit verbreitet ist außerdem der Einsatz von Kindersoldaten. Die Lord´s Resistance Army (LRA) bestand während des Konflikts in Norduganda (1986-2006) zu 90 Prozent aus Kindern zwischen 13 und 16 Jahren. Während des Konflikts entführte die LRA rund 25.000 Mädchen und Jungen in Norduganda. Nach der Entführung wurden diese Kinder zum Töten ausgebildet und viele dazu gezwungen, eigene Familienmitglieder umzubringen. Mädchen müssen älteren Soldaten außerdem als Sexsklavinnen dienen. Versuchen die Kinder zu fliehen, droht ihnen der Tod, wobei die Hinrichtungen von anderen Kindern vollstreckt werden. Gelingt die Flucht, bleiben Kindersoldaten zumeist traumatisiert und von der Gesellschaft ausgegrenzt.

Menschenrechtsverletzungen in Krisenregionen

Gewaltsame Konflikte können die ohnehin schwierige Menschenrechtssituation in einem Land entscheidend verschärfen. Das Fehlen staatlicher sowie nicht-staatlicher Kontrollinstanzen kann zu einer Atmosphäre permanenter Unsicherheit und der Nicht-Ahndung von Menschenrechtsverletzungen führen: Oft nutzen bewaffnete Gruppen diese Krisensituationen, um in einem rechtsfreien Raum Menschenrechtsverletzungen und Verbrechen gegen Zivilisten zu begehen. Große Fluchtbewegungen der betroffenen und gefährdeten Menschen sind häufig die Folge.

Somalia ist das klassische Beispiel für einen so genannten failed state, d. h. in Somalia gibt es keine funktionierenden staatlichen Strukturen mehr. Seit 1991 befindet sich das Land im Bürgerkrieg. Bewaffnete Gruppen kämpfen um Land und Einfluss. Kriegsherren und Clans herrschen über weite Teile des Landes. Weit verbreitet sind in Somalia Amputationen von Gliedmaßen als Bestrafung für Ungehorsam gegenüber Milizen oder Personen, die eines Verbrechens verdächtigt werden, ohne dass diese einen fairen Prozess bekämen. Weiterhin kommt es vermehrt zur Zwangsrekrutierung von Kindersoldaten sowie zu Folterungen, Verstümmelungen und Vergewaltigungen im Zuge des Kriegsgeschehens. Insgesamt gibt es heute bei einer Gesamtbevölkerung von rund neun Millionen Menschen mehr als 1,3 Millionen intern Vertriebene und rund 500.000 somalische Flüchtlinge in den Nachbarländern. Allein zwischen Mai und August 2009 sind 232.000 Menschen aus der Hauptstadt Mogadischu geflohen.

Ein ähnliches Fehlen staatlicher Strukturen liegt im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DRK) vor, wo seit 1998 bereits mehrere Millionen Menschen für den Kampf um Bodenschätze ums Leben gekommen sind. Mehrere bewaffnete Rebellengruppen, Armeeangehörige aus unterschiedlichen Ländern (wie Ruanda, Uganda, Burundi) waren und sind im Ostkongo aktiv. Die Regierung ist seit Jahren nicht in der Lage, die Geschehnisse vor Ort zu kontrollieren. Minenarbeiter, Händler, Menschenrechtsverteidiger und Menschen aus der Zivilbevölkerung werden gefoltert und getötet. Kinder werden gezwungen, in Minen zu arbeiten, Dörfer werden geplündert, Menschen verstümmelt, vergewaltigt und vertrieben. Die DRK weist bei einer Bevölkerung von rund 61 Millionen mit 1.200 Menschen pro Tag die höchste Sterberate Afrikas auf. Rund 1,4 Millionen Menschen sind allein innerhalb der DRK auf der Flucht. Ugandische und ruandische Truppen beuten gemeinsam mit bewaffneten kongolesischen Gruppen und Mitgliedern der kongolesischen Armee den Rohstoffreichtum der Region aus. Nutznießer des Konfliktes sind vor allem die bewaffneten Kräfte und ausländische Unternehmen, die am Export und der Verarbeitung von Bodenschätzen aus der Region profitieren. Leidtragend ist die Zivilbevölkerung.

Positive Entwicklungen

In den 1990er Jahren wurden in vielen afrikanischen Verfassungen politische Rechte verankert, die ein pluralistisches zivilgesellschaftliches Engagement ermöglichen. Dies führte zur Gründung vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen. So sind in Kenia inzwischen mehr als 2.000 Nichtregierungsorganisationen in den Bereichen Politik, Menschenrechte, Umwelt und Gesundheit aktiv. In Burkina Faso und Simbabwe haben sich starke Gewerkschaften herausgebildet. Die Versorgung von Opfern von Menschenrechtsverletzungen im Zuge der Krise im Kongo wäre ohne zivilgesellschaftliches Engagement undenkbar.

Eine wichtige Rolle in ganz Afrika spielen die Menschenrechtsverteidiger, die z. T. erheblichen Gefahren ausgesetzt sind, wenn sie sich gegenüber der Regierung kritisch äußern oder sich für Belange einsetzen, die auch von der Gesellschaft abgelehnt werden, so z. B. für die Rechte Homosexueller in Nigeria. Menschenrechtsverteidiger werden immer wieder willkürlich inhaftiert, schikaniert und verfolgt. Dennoch bilden sie ein wichtiges Fundament für die Durchsetzung der Menschenrechte in Afrika. Insgesamt hat sich die Menschrechtssituation in Afrika gegenüber dem Ende des letzten Jahrhunderts erheblich verbessert. Die Bürgerkriege in Liberia, Sierra Leone und Angola konnten beendet werden, die staatlichen Strukturen in Ruanda haben sich nach dem Völkermord stabilisiert. Viele Länder haben die Todesstrafe, wie Togo im Juni 2009, abgeschafft. Einige Länder wie Tansania, Botswana, Ghana oder auch Senegal weisen ein relativ stabiles demokratisches System auf und die Zivilgesellschaft ist in weiten Teilen Afrikas im Gegensatz zu anderen Regionen der Welt sehr aktiv. Nach wie vor bleiben jedoch große Probleme bei der Durchsetzung der Menschenrechte bestehen. Immer wieder werden Menschenrechte auf unterschiedliche Weise und in unterschiedlicher Intensität verletzt. Dazu gehören neben den oben genannten Menschenrechtsverletzungen auch die Einschränkung der Meinungsfreiheit in Äthiopien, willkürliche Inhaftierungen und Folter in Simbabwe, Zwangsräumungen in Angola sowie Morde in Guinea, die mit der Billigung oder dem Mitwissen des Staates verübt werden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Rwanda: "Marked for Death", Rape Survivors Living with HIV/AIDS in Rwanda; Amnesty International 2004, S. 3: http://amnesty.org/en/library/info/AFR47/007/2004/en

  2. Yoder, P. Stanley/Khan, Shane: DHS Working Papers. Numbers of Women circumcised in Africa: The Production of a Total; USAID 2008, S. 8

  3. Vgl. Amnesty International Länderkurzinfo Uganda 1999: http://www.amnesty.de/umleitung/1999/deu04/003?lang=de&mimetype=text/html&destination=node%2F3033%3Fpage%3D5

  4. Somalia: Amnesty International calls for safeguards on arms transfer to Somalia´s Transitional Federal Government, 2009: http://amnesty.org/en/library/info/AFR52/006/2009/en

  5. Democratic republic of Congo: Child Soldiers Abandoned, Amnesty International 2006, S. 2: http://amnesty.org/en/library/info/AFR62/019/2006/en

  6. Vgl. Amnesty Report 2009 Kongo (Demokratische Republik)

Weitere Inhalte

Franziska Ulm, geb. 1983, studierte Politikwissenschaft an der Universität Potsdam und ist heute Fachreferentin für Afrika bei Amnesty International.