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"Hauptbetroffene der globalen Wasserkrise sind vor allem arme Bevölkerungsgruppen" Ein Gespräch über Wasser mit Michael Windfuhr von Brot für die Welt

Michael Windfuhr

/ 8 Minuten zu lesen

Warum brauchen wir ein Menschenrecht auf Wasser, wem nützt es und welche Verpflichtungen zieht es nach sich? Im Angesicht von Klimawandel und weiter wachsender Weltbevölkerung wird Wasser immer knapper und damit auch konfliktträchtiger – wie kann dieser Herausforderung begegnet werden?

Herr Windfuhr, warum wird ein Menschenrecht auf Wasser gefordert?

Michael Windfuhr: Das Menschenrecht auf Wasser umfasst in der völkerrechtlichen Definition Wasser für den häuslichen Bedarf. Gemeint ist Trinkwasser, Wasser zum Kochen und Zubereiten von Speisen und Wasser für die persönliche Hygiene. Trotz der weltweit abnehmenden Verfügbarkeit von Wasser ist der fehlende Zugang zu Wasser für den häuslichen Bedarf in der Regel kein Problem der physischen Verfügbarkeit von Wasser. Zwar gibt es eine wachsende Zahl von Ländern, die gravierende Versorgungsengpässe mit Wasser im nationalen Rahmen haben und deren Situation sich in Zukunft verschärfen wird. Die Hauptprobleme beim Zugang zu Wasser für den häuslichen Bedarf sind jedoch vorrangig sozialer und politischer Natur.

Selbst in den dürregeplagten Ländern der Sahelzone in Afrika südlich der Sahara verbrauchen die wohlhabenderen Bürger mehrere hundert Liter Wasser am Tag. Arme Familien hingegen haben oft nicht einmal Geld, um fünf Liter zu erwerben. Ebenso stehen für die Exportlandwirtschaft ausreichend Wassermengen zur Verfügung, die später in Form von Ananas oder Tomaten nach Europa exportiert werden. Der Bericht des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen über menschliche Entwicklung von 2006 kommt deshalb zum Schluss, dass vor allem politische Diskriminierung und der soziale Ausschluss von Bevölkerungsgruppen zu der Wasserknappheit führt.

Was bringt ein Menschenrecht auf Wasser?

Zum Menschenrechtsthema wird Wasser, wenn nicht nur über die absolute Verfügbarkeit von Wasser gesprochen wird, sondern über die Zugangsmöglichkeiten einzelner Personen zu Wasser und zu sanitärer Grundversorgung. Selbst in Ländern mit Wasserknappheit hängt der individuelle Zugang von vielen Faktoren ab, die von staatlicher Politik entscheidend beeinflusst werden: Welcher Wasserzugang ist verfügbar (Brunnen, Flüsse etc.)? Wird in die Versorgung mit Wasser investiert? Welche Belastung kommt auf Frauen zu, die in der Regel viel Zeit aufgrund langer Wege zu Wasserquellen aufbringen müssen? Welche Preise müssen einzelne Haushalte bezahlen? Werden verfügbare Wasserquellen, die der Trinkwasserversorgung dienen, für andere Nutzungszwecke blockiert?

Das Menschenrecht auf Wasser ist deshalb ein Instrument, um Regierungen an ihre menschenrechtlichen Verpflichtungen zu erinnern und sie zur Rechenschaft zu ziehen. Es verlangt von Regierungen auch bei knappen Ressourcen einen prioritären Mitteleinsatz für besonders benachteiligte Gruppen. Das Recht auf Wasser kann dadurch in Zukunft gerade für arme Bevölkerungsgruppen ein besonders wichtiges Instrument im Umgang mit der globalen Wasserkrise werden. Diese könnten das Recht prinzipiell auch vor nationalen Gerichten einklagen. Und dort, wo der Rechtsstaat nur unzureichend funktioniert, trägt das Wissen um ein Recht auf Wasser und sanitäre Grundversorgung zu mehr Selbstbewusstsein bei: Seine Rechte zu kennen, ist ein erster Schritt zur Realisierung.

Welche Pflichten gehen mit einem möglichen Menschenrecht auf Wasser einher?

Seit 2002 gibt es einen Rechtskommentar des "Komitees der Vereinten Nationen zu wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten" zum Recht auf Wasser. Dieser beschreibt detailliert, wie Staaten das Recht auf Wasser in ihrer eigenen Politik umsetzen können. Zentraler Fokus eines Rechts auf Wasser ist die Verpflichtung der Mitgliedstaaten, Menschen nicht von der Nutzung von Wasser auszuschließen. Gleichzeitig muss sichergestellt werden, dass besonders arme Bevölkerungsgruppen bevorzugt Zugang zu Wasser erhalten. In diesem Sinne enthält beispielsweise die Verfassung von Südafrika unter Bezugnahme auf das Recht auf Wasser die Bestimmung, dass jeder Mensch in Südafrika das Recht hat, 20 Liter Wasser frei zur Verfügung gestellt zu bekommen. Der Rechtskommentar verpflichtet Regierungen auch, private Akteure angemessen zu kontrollieren und zu regulieren.

"Wasser wird für das 21. Jahrhundert, was Erdöl für das 20. Jahrhundert war", heißt es oft. Welche Konsequenzen sind dadurch zu erwarten?

Der Unterschied zwischen Wasser und Erdöl ist, dass Wasser zunächst kein globales Handelsgut ist, sondern eine lokale Ressource. Auch in Zukunft sind direkte Wasserexporte höchstens über Pipelines zu Nachbarländern eine realistische Alternative. Allerdings nimmt der Handel mit Flaschenwasser und mit "virtuellem Wasser" zu, d.h. dem Wasser, das in den Produkten einer Region enthalten ist. Spanien beispielsweise exportiert einen großen Teil seiner immer knapper werdenden Wasserressourcen in Form von Gemüse und Obst, wie etwa Tomaten, in andere Teile Europas und der Welt.

Ferner wird das verfügbare Wasser knapper, weil verschiedene Trends zusammenkommen: Die Weltbevölkerung steigt und somit wird immer mehr Trinkwasser und Wasser für die Herstellung von Nahrungsmitteln benötigt. Die Landwirtschaft ist dabei weltweit der größte Wasserverbraucher: Sie benötigt rund 70 Prozent der weltweit genutzten Süßwassermenge. Gerade in den sich schnell industrialisierenden Ländern wie China, Indien oder Thailand wird viel Wasser auch für die industrielle Entwicklung benötigt. Enormen Wasserbedarf haben zudem die schnell wachsenden Megastädte in vielen Entwicklungsländern. Deren steigender Wasserbedarf entzieht dem Umland mehr und mehr verfügbare Wasserressourcen, was vor allem zu Lasten der Bewässerungslandwirtschaft gehen wird. Die wachsende Freizeit- und Tourismusindustrie wird ebenfalls zu einem wichtigen Wasserverbraucher, gerade in dürren Regionen.

Was sind die Auswirkungen des Klimawandels auf die Versorgung mit Wasser?

Der Klimawandel ist ein zentraler Prozess für die zukünftige Verfügbarkeit von Wasser. Der Temperaturanstieg verändert den gesamten Energiehaushalt der Erde und hat einen entsprechenden Einfluss auf den globalen Wasserkreislauf. Der Weltklimarat schätzt in seinem letzten Bericht, dass bei einem Temperaturanstieg von bis zu 1,5 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau bis Ende des Jahrhunderts ca. 600 Millionen Menschen zusätzlich von Wasserknappheit betroffen sein werden. Sollte der Temperaturanstieg bis zu 2°C betragen, wären ca. 1,5 Mrd. Menschen von zunehmender Knappheit betroffen.

Wo wird um Wasser gekämpft? Wo wird der Kampf um Wasser zunehmen, was ist für die kommenden Jahre zu erwarten?

Je knapper Wasser wird, umso mehr wird es zu einem Konfliktgut. Die intensivsten Konflikte sind in Zukunft dort zu erwarten, wo verschiedene Nutzergruppen um begrenzte Wassermengen konkurrieren. Im Septenber 2009 konnten wir über zahlreiche Tote bei Konflikten zwischen Bauern und Nomaden um die Wassernutzung im Norden Kenias lesen. Bei zwischenstaatlichen Konflikten ist Wasser bislang noch nicht als alleiniges Konfliktgut aufgetreten. Die Wasserkrise und -knappheit in vielen Regionen lässt aber ein höheres Konfliktpotenzial erwarten. Allerdings haben grenzüberschreitende Wassernutzungsprobleme in vielen Fällen auch schon zu internationalen Kooperationen geführt, d.h. eine Eskalation der Konflikte ist gerade im grenzüberschreitenden Bereich weder automatisch noch sehr wahrscheinlich.

Wer trägt die Folgen der Wasserkrise?

Hauptbetroffene der globalen Wasserkrise sind vor allem arme Bevölkerungsgruppen. Die Probleme, die arme Menschen heute im globalen Maßstab beim Zugang zu Wasser haben, sind gravierend und spitzen sich zu. Nach neuesten Angaben der Vereinten Nationen haben rund 1,1 Mrd. Menschen keinen regelmäßigen Zugang zu einer Versorgung mit sauberem oder unbelastetem Trinkwasser. Mehr als 2,5 Mrd. Menschen haben keinen Zugang zu einer geregelten Abwasserversorgung. Aufgrund der schlechten Wasserqualität bekommen viele Kinder, gerade in besonders armen Familien, Durchfall und andere Krankheiten. Viele dieser Kinder sind ohnehin durch Unterernährung geschwächt. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen schätzt, dass jeden Tag knapp 5.000 Kinder auf der Erde an Durchfallerkrankungen sterben. Die schlechte Sanitärversorgung wird auf diese Weise zum größten Todesrisiko für Kinder unter fünf Jahren. Die fehlende Wasserversorgung diskriminiert besonders Frauen und Mädchen, die häufig Stunden mit dem Heranschaffen des Wassers zubringen und auf den Wegen oftmals auch hohen persönlichen Risiken ausgesetzt sind. Auch ein regelmäßiger Besuch der Schule ist dadurch kaum möglich.

Welche Folgen hat die Privatisierung im Wassersektor für Verbraucherinnen und Verbraucher?

Regierungen kümmern sich in vielen Staaten der Erde zu wenig um die Versorgung mit Wasser. Kommunale Versorgungseinrichtungen in Entwicklungsländern funktionieren selten gut und es wird zu wenig investiert. Zu viel Wasser versickert im buchstäblichen Sinne des Wortes, weil beispielsweise Leitungen nicht repariert werden. In der Folge müssen besonders arme Haushalte ihr Wasser von privaten Wasserhändlern kaufen. Sie zahlen in der Regel am meisten für das Wasser – verhältnismäßig oft mehr, als Menschen in Industrieländern. In der Entwicklungszusammenarbeit wurde in den letzten Jahren vor allem auf privates Kapital gesetzt. Investoren aus den Industrieländern sollten die teilweise maroden Wasserversorgungssysteme in den Großstädten der Entwicklungsländer übernehmen und das benötigte Kapital zur Verfügung stellen. Die Erfahrungen mit dieser Strategie sind allerdings sehr ernüchternd. Auch wenn es einige wenige halbwegs gelungene Projekte gibt, haben die privaten Wasserversorger in der Regel nicht die versprochenen Summen investiert und meistens die Wasserpreise erhöht. In zahlreichen Städten kam es deshalb zu "Wasseraufständen" und -konflikten. Im Zuge der Privatisierung sind in manchen Ländern nicht nur Wasserversorgungsleistungen, sondern teilweise auch Wasserquellen, Wasserreservoirs und Wasserläufe direkt privatisiert worden.

Sollte der Zugang zu Wasser staatlich organisiert werden?

Die Verfügbarkeit von Wasser hat eine Grunddaseinsfunktion. Der Staat kann aufgrund seiner Menschenrechtsverpflichtungen die Verantwortung für eine funktionierende Wasserversorgung nicht abgeben. Verantwortung heißt aber nicht, dass der Staat alle Bereiche der Wasserversorgung eigenständig betreiben muss. Private Betreiber können Funktionen und möglicherweise auch Kapital gerade bei den Wasserdienstleistungen bereitstellen. Allerdings muss eine angemessene Steuerung und Regulierung sicherstellen, dass keine Nutzer aufgrund von Armut vom Zugang zu Wasser ausgeschlossen werden. In vielen Entwicklungsländern fehlt den Regierungen oft die ausreichende Kapazität zur Regulierung und zum Monitoring. Besonders kritisch sind allerdings Privatisierungen von Wasserquellen, Flussläufen oder öffentlichen Gewässern zu bewerten, da hier der Staat ein langfristiges Ressourcenmanagement aus der Hand gibt und zukünftige Nutzungskonflikte kaum angemessen lösen kann.

Sind die Folgen der Wasserkrise auch in Deutschland zu spüren?

Insgesamt ist Deutschland aufgrund seiner geographischen Lage auch in absehbarer Zeit nicht von akuter Wasserknappheit betroffen. Für einzelne Regionen, beispielsweise Brandenburg, wird allerdings eine steigende Wasserknappheit aufgrund des Klimawandels vorhergesagt. Die Folgen der globalen Wasserkrise, gerade im Zusammenhang mit dem Klimawandel, werden uns dennoch erheblich betreffen, beispielsweise durch langfristige Auswirkungen auf die Nahrungsmittelpreise sowie auf Migrationsbewegungen.

Was können wir als Bürgerinnen und Bürger jetzt bereits tun, um einem Menschenrecht auf Wasser gerecht zu werden?

Bürger können sich direkt für das Recht auf Wasser einsetzen, indem sie Regierungen menschenrechtlich zur Verantwortung ziehen, im Rahmen von Bürgerinitiativen Verletzungen des Rechts auf Wasser und die Untätigkeit von Regierungen dokumentieren. Als Verbraucher kann jeder Bürger aber auch mithelfen, einen verantwortlichen Umgang mit der Ressource Wasser sicherzustellen – auch wenn die Hauptverbraucher im Wasserbereich nicht die privaten Haushalte sind. In Deutschland kommt noch die Tatsache hinzu, dass wir über importierte Güter und Lebensmittel sehr viel Wasser aus anderen Ländern einführen. Vor diesem Hintergrund muss es langfristig ein zentrales Ziel sein, einen sparsameren Umgang mit Wasser zu erlernen – sowohl im alltäglichen Gebrauch, wie auch beim Import von Lebensmitteln. Regional einkaufen hilft beispielsweise auch (importiertes) Wasser zu sparen.

Wird ein Menschenrecht auf Wasser in absehbarer Zeit realisiert? Wie stehen die Chancen?

Wir sind bei der Anerkennung des Rechts auf Wasser in nur wenigen Jahren sehr weit vorangekommen. Die Umsetzung steht und fällt mit dem politischen Willen von Regierungen. Die Aufgabe der Zivilgesellschaft ist es, durch die Schaffung von Öffentlichkeit wie auch der Dokumentation von Untätigkeit etc. ausreichend Druck aufzubauen, um politische Veränderungen zu erwirken. Es geht nicht um die Einforderungen wohlfahrtsstaatlicher Leistungen, die von der Kassenlage der Regierung abhängig sind, sondern um die Einforderung und Durchsetzung eines fundamentalen Menschenrechtes.

Das Interview führte Berke Tataroglu

Fussnoten

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Michael Windfuhr, geb. 1961 in Schwäbisch Gmünd, hat in Heidelberg Politikwissenschaft, Germanistik, Philosophie und Geographie studiert. Er leitet beim Diakonischen Werk der EKD das Menschenrechtsreferat. Zum Diakonischen Werk gehört auch die internationale Arbeit von Brot für die Welt.